Anne und Peter Verbotene Liebe - Inhalt - fleigejo
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ich ihm im Gr<strong>und</strong>e nichts Besonderes zu bieten. Natürlich hätte ich es nicht für<br />
unangenehm gehalten, Geige, Klavier oder Flöte spielen zu können, aber im<br />
Vordergr<strong>und</strong> standen die Bilder meiner Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Klassenkameraden, deren<br />
klanglichen Produkte trotz längeren qualvollen Übens nicht den Eindruck erweckten,<br />
als ob daraus jemals das werden könnte, was ich mir unter Geigen-,<br />
Klavier- oder Flötenmusik vorstellte. Ich hörte nur gern zu <strong>und</strong> genoss es.<br />
Bis auf den die Schmerzgrenze überschreitenden Krach, der mir mit dumpfen<br />
Hammerschlägen einpauken wollte, in welchem Rhythmus ich stampfend oder<br />
hüpfend den Boden unter mir zu malträtieren hätte, war kein Genre prinzipiell<br />
obsolet. Ich mochte auch schon mal mehr Gefühlsbetontes, <strong>und</strong> bei französischen<br />
Chansons sind die Übergänge ja oft nicht eindeutig auszumachen. Oft<br />
liegt es ja auch nicht allein an der Musik selbst, sondern am Ohr des Hörers,<br />
was er erwartet <strong>und</strong> gerne hören möchte. Es ist doch zum Beispiel ein Leichtes,<br />
durch das Andante in Mendelssohn-Bartholdys zweiten Satz des Violinkonzertes<br />
e-moll seine Bedürfnisse nach Sentimentalem bedienen zu lassen. Natürlich<br />
war das mit überschäumenden Sentiments <strong>und</strong> expressiver Inbrunst<br />
vorgetragene Sehnsuchtsdrama auch nicht mein Musiktyp. Was gab's denn da<br />
noch zu tun, als wehmütig mitzuflehen, nach Bildern, die nicht die meinen waren<br />
<strong>und</strong> wegen ihrer hohlen Idiotie auch nie werden sollten. Am reichhaltigsten<br />
war <strong>und</strong> blieb eben das, was man als 'klassische Musik' zu bezeichnen pflegte.<br />
Aber auch hier verhielt es sich so, dass ich eine Sinfonie, die ich zum ersten<br />
Mal gehört hatte, nochmal hören wollte <strong>und</strong> nochmal, <strong>und</strong> dann sind die Bilder<br />
in deinem Kopf fertig. Du wirst sie nicht einfach übergehen können <strong>und</strong> neue<br />
entwerfen, wenn du sie später wieder hörst <strong>und</strong> willst es auch wohl gar nicht.<br />
Wenn ein Dirigent sie anders interpretiert, <strong>und</strong> deine alten Bilder nicht mehr<br />
passen wollen, wirst du es nicht sofort freudig begrüßen, sondern voraussichtlich<br />
eher als störend empfinden. Ich höre mir auch gern Bekanntes wieder an.<br />
Nur für viele, wenn nicht die meisten, stellt es die dominierende Form des Musikkonsums<br />
dar, Vertrautes <strong>und</strong> Bekanntes wieder <strong>und</strong> wieder zu hören. Die<br />
ständige Lust am Repetieren ist eine sanktionierte Ausdrucksform hospitalistischer<br />
Gr<strong>und</strong>dispositionen. Warum lieben sie es? Lust an den neuen Bildern, die<br />
entstehen, kann es nicht sein. Es sind immer wieder die gleichen. Ist es das,<br />
was sie suchen? Ist es das ständig wiederholende Betrachten der gleichen Bilder,<br />
die einmal mit positiven Emotionen gekoppelt waren. Wenn Kinder ständig<br />
mit dem Kopf wackeln, um sich immer wieder die gleichen Reize zu verschaffen,<br />
diagnostiziert man eine psychische Störung, warum sollte es bei Erwachsenen,<br />
die sich wie ihr Mantra ständig wieder die gleiche Musik anhören, viel<br />
anders sein? Die Köpfe aller Menschen scheinen bei ihren Verarbeitungsprozessen<br />
Erinnern <strong>und</strong> Wiederholen sehr zu mögen, <strong>und</strong> bei der Strukturierung des<br />
Gedächtnisses <strong>und</strong> dessen Gebrauch scheinen ihnen konstitutive Kompetenzen<br />
zuzukommen. Auch wenn Jacques Derrida die Ansicht vertritt, dass sich mit jeder<br />
Iteration eines Begriffs seine Bedeutung verändere, so mag das für den<br />
philosophischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Diskurs vielleicht zutreffen, aber bei anderen<br />
Wahrnehmungen <strong>und</strong> ihren Interpretationen wird genau das alte Bild<br />
wieder gesucht, jede Veränderung ist absolut unerwünscht. Nicht selten verfährt<br />
unser Gehirn bei Musik eigenmächtig. So wie beim Kind mit seinen Jakta-<br />
<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 6 von 24