Tagungsbericht - Archive in Nordrhein-Westfalen
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MITTEILUNGENUNDBEITRÄGE 448 DESLANDESARCHIVSNRW<br />
Referenten,Gorißen und Metzke,betonten,dass zur Erforschung<br />
derArbeitsgeschichte auf jeden Fall sowohl dieVerwandtschaftsb<strong>in</strong>dungen<br />
als auch außerhalb der Familie liegende Faktoren<br />
e<strong>in</strong>bezogen werden müssten.<br />
Im zweitenTeil der ersten Sektion knüpfte Jan Lucassen an dieses<br />
Desiderat an,<strong>in</strong>dem er unter demTitel „Fünfhundert lippische<br />
Ziegler: Lebensläufe und Karrieren“Arbeitsbiografien von<br />
Wanderzieglern vorstellte,die als Saisonarbeiter <strong>in</strong> Holland<br />
arbeiteten.Dieses etwa vom18.bis zum 20.Jahrhundert zu<br />
beobachtende Phänomen war prägend für Lippe.So verließen um<br />
1900 etwa 40 % der männlichen Erwerbstätigen die ostwestfälische<br />
Region.Anhand der im Landesarchiv NRW<strong>in</strong> Detmold<br />
aufbewahrten Passlisten und Zieglerbotenlisten erforscht er<br />
zusammen mit se<strong>in</strong>em Kollegen Piet Lourens bereits seit vielen<br />
Jahren die „lippischenWanderziegler“.Laut Lucassen gebe es<br />
„weltweit ke<strong>in</strong>Archiv“,<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e so umfangreiche Überlieferung<br />
zurWanderarbeit aufbewahrt wird.Bislang arbeiteten beide<br />
Forscher überwiegend quantitativ.In se<strong>in</strong>emVortrag demonstrierte<br />
Lucassen,wie sie nun versuchen,Arbeitskarrieren und Lebensläufe<br />
der lippischenWanderarbeiter detaillierter herauszuarbeiten.<br />
Dagmar Kift (LWL-Industriemuseum Dortmund) nahm für ihren<br />
Beitrag „Großmutter Bergarbeiterfrau – Enkel<strong>in</strong> Student<strong>in</strong>.<br />
WeiblicheArbeits- und Berufsbiografien im Ruhrgebiet“ Frauen<br />
mehrerer Generationen <strong>in</strong> den Blick,um <strong>in</strong>sbesondere die starkenVeränderungen<br />
bei weiblichenArbeitsbiografien im 20.<br />
Jahrhundert aufzuzeigen und damit e<strong>in</strong> Stück Ruhrgebietsgeschichte<br />
zu erhellen.Die Brüche waren <strong>in</strong> der fiktiven,aber<br />
exemplarischen Generationenfolge (ohne tatsächliche verwandtschaftlicheVerb<strong>in</strong>dungen)<br />
enorm: Die „Großmutter“ (geb.1890)<br />
war Bergarbeiterehefrau,„ihre jüngere Schwester“ Kioskbesitzer<strong>in</strong>,<br />
die „Töchter“ mit den Jahrgängen1915 und1920 erwirtschafteten<br />
ihr E<strong>in</strong>kommen alsArbeiter<strong>in</strong>,dannWerksfürsorger<strong>in</strong><br />
sowie als Pestalozzidorfmutter und Heimleiterehefrau.Die „dritte<br />
Tochter“ (geb.1930) arbeitete als Mediz<strong>in</strong>isch-TechnischeAssistent<strong>in</strong>,<br />
und die „Schwiegertochter“ (geb.1931) als Näher<strong>in</strong>.Die<br />
1949 geborene „Enkel<strong>in</strong>“ hatte erstmals die Möglichkeit zu<br />
studieren.Die etwa gleichaltrige Pendelmigrant<strong>in</strong> repräsentierte<br />
aktuelle Formen derWanderarbeit,wie sie heute von Ost- nach<br />
Westeuropa führt.<br />
In der zweiten Sektion ,Zeugen‘ der Geschichte vonArbeit und<br />
Beruf: behördliche Überlieferung,archivische und museale<br />
Materialien“,moderiert und e<strong>in</strong>geführt von Christian Re<strong>in</strong>icke<br />
(Landesarchiv NRW,Detmold),richtete sich der Blick auf die<br />
möglichen Quellen zur Erforschung vonArbeitsgeschichte.Dafür<br />
wurden zwei unterschiedliche Bereiche gewählt: erstens die<br />
Überlieferung derArbeitsgerichte,deren Schriftgut von dem<br />
jeweils zuständigen staatlichenArchiv <strong>in</strong>Auswahl übernommen<br />
wird,und zweitens museale Quellen.Bereits imVorgriff auf den<br />
letztenTagungsteil zeigten Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter des<br />
Landesarchivs <strong>in</strong> Detmold (Wolfgang Bender,Kar<strong>in</strong> Eickmeier,<br />
Gabriele Hamann,Ulrike Hammes und Hermann Niebuhr) bei<br />
Führungen durch dasArchiv Unterlagen aus dem Personenstandsarchiv,<br />
der Justizüberlieferung,zur Geschichte der Ziegler<br />
und der Landwirtschaft <strong>in</strong> Lippe sowie Personen- und Firmennachlässe.<br />
Re<strong>in</strong>hardWolf (ehemaliger Direktor desArbeitsgerichts <strong>in</strong><br />
Detmold) gewährte mit se<strong>in</strong>emVortrag „Arbeit undArbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
im Spiegel derArbeitsgerichtsüberlieferung“ e<strong>in</strong>en<br />
E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> dieAufgaben derArbeitsgerichte,die zwar immer nur<br />
ARCHIVAR 62.Jahrgang Heft 04 November 2009<br />
die Streitfälle desArbeitslebens <strong>in</strong> den Blick nehmen,trotzdem<br />
jedoch,wieWolf beispielhaft demonstrierte,regional- und<br />
zeittypische Phänomene widerspiegeln.So könnte etwa der<br />
Niedergang der ostwestfälischen Möbel<strong>in</strong>dustrie oder die Umschulung<br />
vielerArbeiter auch aus dem Ruhrgebiet für den erstarkten<br />
Gesundheitssektor anhand vonAkten derArbeitsgerichtsbarkeit<br />
nachvollzogen werden.<br />
Elisabeth von Dücker (ehem.Museum derArbeit,Hamburg)<br />
präsentierte <strong>in</strong> ihrem Beitrag „Arbeitsorten auf der Spur mit<br />
musealen Quellen: Männerarbeit und Frauenarbeit am Beispiel<br />
der Hamburger Fisch<strong>in</strong>dustrie“,mit welchen Quellen e<strong>in</strong> Museum<br />
arbeitet.Der mit zahlreichen Bildern angereicherte Beitrag<br />
verdeutlichte nicht nur,wie Quellen gesichert wurden,wie etwa<br />
der Räucherofen der Fischerei Steffens & Mewes,sondern auch<br />
wie Zeugnisse,z.B.Fotos und Interviews,bei der Erforschung<br />
vonArbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Fisch<strong>in</strong>dustrie erst entstanden.<br />
Von Dücker zeigte am e<strong>in</strong>drücklichen Beispiel dieser stigmatisierten<br />
Branche („...ohne Not geht niemand zu den Fischen...“) die<br />
Differenzierung von Frauen- und Männerarbeitsplätzen und<br />
-bed<strong>in</strong>gungen.Die Referent<strong>in</strong> schlug damit e<strong>in</strong>en Bogen zum<br />
E<strong>in</strong>gangsvortrag und bestätigte die Leitthesen von Julia Paulus.<br />
Parallel zu derVeranstaltung wurde e<strong>in</strong>eAusstellung derTeilnehmer<strong>in</strong>nen<br />
undTeilnehmer des Studiengangs „Studieren imAlter“<br />
an der Universität Münster zumThema „Verliebt –Verlobt –<br />
Verheiratet:Wandel der Hochzeit im 20.Jahrhundert“ und auch<br />
der Familienökonomie präsentiert.Die im Foyer der Detmolder<br />
Abteilung des Landesarchivs NRWgezeigten Poster s<strong>in</strong>d das<br />
Ergebnis e<strong>in</strong>es Sem<strong>in</strong>ars und e<strong>in</strong>er Projektarbeit unter der Leitung<br />
vonVeronika Jüttemann,die mit ihren Studierenden an der<br />
Tagung teilnahm.Gleichzeitig waren an e<strong>in</strong>em besonderen<br />
Bildschirm ausgewählte Fotografien aus der umfangreichen<br />
Bildersammlung des Landesarchivs NRWAbt.Ostwestfalen-<br />
Lippe zu sehen.Abgerundet wurde das 6.Detmolder Sommergespräch<br />
erstmals mit e<strong>in</strong>er etwa zweistündigen Führung durch das<br />
LWL-Freilichtmuseum <strong>in</strong> Detmold,bei der ebenso die Geschichte<br />
von „Arbeit“ <strong>in</strong> den Mittelpunkt gerückt wurde.<br />
Der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre und multiperspektivische Zuschnitt der<br />
Detmolder Sommergespräche,wie sie von der Unterzeichner<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>itiiert und konzipiert wurden,war bei der diesjährigenVeranstaltung<br />
„Arbeit,Beruf und Genealogie im Spiegel archivischer<br />
und musealer Quellen“ besonders fruchtbar,da die <strong>in</strong> der sozialund<br />
kulturhistorischen Forschung erst allmählich wieder aufgegriffeneArbeitsgeschichte<br />
nicht zuletzt aus Museen und<strong>Archive</strong>n,<br />
aber auch von der von Laien betriebenen Genealogie Impulse<br />
erhält.<br />
DokumentationderPräsentationenunterwww.archive.nrw.de/LandesarchivNRW/abteilungOstwestfalenLippe/Service/Genealogie/<strong>in</strong>dex.html<br />
Bett<strong>in</strong>a Joergens,Detmold