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38 1. Toleranz und Gewalt als menschliche Erstaufgabe<br />

terlichen städten, die mit waffenverbot, rechtsverordnungen und bewaffneten<br />

stadtsoldaten erste ansätze zur staatlichen friedenswahrung<br />

schufen, blieb die Gewaltbereitschaft hoch, wie der Göttinger mediävist<br />

Ernst schubert († 2006) schreibt: „Eine spätmittelalterliche stadt ist<br />

ohne Gewalt, ohne handgreiflichkeiten beim austrag zwischenmenschlicher<br />

Konflikte nicht vorstellbar“; zuweilen waren „ein drittel aller im<br />

15. Jahrhundert vom rat bestraften Vergehen Gewaltdelikte“, und das<br />

„bei allen ständen“ 85 . heute ist ein recht auf gewaltbereite selbstjustiz<br />

undenkbar, und doch realiter immer wieder aufflackernd. in abständen<br />

bringen medien nachrichten wie: „mann wegen streit um geparktes<br />

auto erschossen“.<br />

um den ‚Krieg aller gegen alle‘ zu beenden, hat der neuzeitliche staat<br />

als erstes jedem Einzelnen die waffen genommen, alle Gewalt rechtlich<br />

lizenziert und obrigkeitlich konzentriert. Erst nach beseitigung des<br />

‚natürlichen Krieges‘ und bei befestigung des rechtes als verbindlicher<br />

norm wächst die chance für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung, dergestalt<br />

nämlich, daß die physisch schwächeren, so gerade auch frauen<br />

und Kinder, nicht einfach vergewaltigt und ausgebeutet werden, die armen<br />

nicht weiter erniedrigt, die mächtigen nicht länger ihrer willkür<br />

folgen und die religiösen abweichler nicht mehr vernichtet werden. da<br />

aber der hierfür notwendige staat erst eine spätschöpfung ist, lassen<br />

sich bereits die chancen einer humangeschichte voraussagen: ohne den<br />

rechtsstaat kann die lebens- und freiheitsgeschichte, wenn überhaupt,<br />

nur mühsam gedeihen. Es sei denn, diese humangeschichte hätte sich<br />

aus anderen wurzeln genährt, etwa – wie es unser Thema ist – aus religiösen.<br />

dafür gibt es beispiele. während des 10. und 11. Jahrhunderts,<br />

das für frankreich als ‚Jahrhundert des schwertes‘ gilt, suchten Kirchenleute<br />

der Gewalt Einhalt zu bieten, indem sie „die geistlichen straf- (und<br />

Gnaden)mittel zum öffentlichen wohl mit neuer schärfe, zum Teil auch<br />

auf neue art handhabten“ 86 . dies konnte insoweit funktionieren, als die<br />

disziplinierende wirkung des für jeden anstehenden Gottesgerichts einwirkte,<br />

ebenso kirchliche bußauflagen drohten, wie vor allem die Exkommunikation.<br />

dem bekannten französischen mediävisten Jacques<br />

leGoff zufolge erwies sich „die möglichkeit, einem weltlichen herrscher<br />

strafen im Jenseits anzudrohen, in den händen der Kirche [als]<br />

ein wirksames herrschaftsinstrument.“ 87 wie es dabei zugehen konnte,<br />

dafür nur das beispiel eines französischen adligen, der um 1100 wegen<br />

eines angriffs gegen einen mönch der abtei Vendome buße zu leisten<br />

hatte und dafür in den Kapitelsaal des Klosters geführt wurde: dort gelobte<br />

er unter berührung des Evangeliums besserung und wurde dann

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