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48 1. Toleranz und Gewalt als menschliche Erstaufgabe III. Die staatsbürgerlichen Pflichten Kulturelle regeln beruhen auf eingeübten ethischen fertigkeiten, auf Tugenden. so oft diese schon für vermottet und verrottet erklärt worden sind, so unentwegt finden sie neue fürsprecher. wir sollten, sagt der ehemalige Kulturstaatsminister Julian nida-rümelin, „unter Tugenden Einstellungen und Verhaltensmuster verstehen, die unser handeln begleiten und formen. Tugenden können nicht unmittelbar gelehrt werden, sie lassen sich erwerben durch Praxis und Vorbild“ 118 . die konkrete ‚Einübung‘ war zentrales Thema schon der antiken Philosophie, die als erstes, wie der französische Patristiker Pierre hadot schreibt, die herausbildung ethischer lebensformen erstrebte: um zu höherer lebensart zu gelangen, war zu ‚üben‘, oder in fachsprache: askese zu tun. ziel war „eine tiefgreifende umwandlung der denk- und seinsweise des individuums“ 119 . man kann dasselbe auch mit max weber ausdrücken, demzufolge die „Einübung des Guten“ einen der großen religions- und menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsschübe hervorbringt, nämlich den „persönlichen Gesamthabitus“, wodurch „eine einheitlich methodisch orientierte lebensführung“ entstehe, die „naturgemäß nur durch rationale methodische richtung der Gesamtlebensführung, nicht durch einzelne zusammenhangslose handlungen erfolgen“ könne. das Ergebnis ist: „auf die religiöse arbeit an der eigenen Person kommt ... alles an“ 120 . für die moderne mit ihren ganz neuartigen anforderungen durch zivilisation, wirtschaft, Technik und intellektualität hat man sagen können: Es hätten dem ‚natürlichen menschen‘ erst durch askese die Knochen gebrochen werden müssen, um ihn den neuen anforderungen gefügig zu machen 121 . bestimmte ethische Qualitäten dienen speziell der Öffentlichkeit, so die persönliche Verantwortung wie ebenso das persönliche Engagement. beide entstammen aus heute oft kritisierten religionsphänomenen: die Verantwortung gegenüber welt und menschen resultiert aus dem Gottesgericht und das Engagement für öffentlich-positive belange aus dem opfer. 1. Verantwortung Verantwortung wird derzeit als fundamentales Politwort gehandelt, ist zum beispiel feierlich deklariert in den Verfassungen der neuen bundesländer: als Verantwortung „vor dem Volke“, „vor der menschheit“, „vor der schöpfung“, „für die welt“ 122 . die juristische bedeutung ist
Die ‚lange Geschichte‘ von Toleranz und Gewalt klar: „Jemand (der angeklagte) ist für etwas (seine Tat) vor einer instanz (dem Gericht) in bezug auf bestimmte normen (die Gesetze) verantwortlich“ 123 . wort- und begriffsgeschichtlich entspricht das ‚verantworten‘ dem lateinischen respondere (antworten), mit der ehemals religiösen bedeutung, Gott im Gericht antworten zu müssen 124 . Erst das habe – wie der Philosoph Georg Picht († 1982) sagt – den „begriff der Verantwortung für die rechtfertigung vor Gottes richterstuhl“ 125 hervorgebracht. folglich handelt es sich beim heutigen Gebrauch – so der münsteraner systematiker william hoye – um ein theologisches säkularisat: „obwohl das gesamte recht ihn voraussetzt, ist er selbst kein rechtsbegriff “ 126 . Erst im 18. Jahrhundert drang der begriff in die Politik ein, etwa als Verantwortung vor dem König, dem Parlament, dem Volk. Tatsächlich artikuliert sich mit dem religiösen Gerichtsgedanken eine urmenschliche Erwartung: daß nichts ohne gerechte strafe bleibe 127 . die göttliche Gerechtigkeit bildete das positive hoffnungsbild zu den oft negativen Erfahrungen des irdischen lebens. die aussicht, daß alle rechtsbrecher einmal doch ihre gerechte strafe erfahren würden, war nicht nur persönlich trostvoll, sondern auch ermutigend für das festhalten an recht und Gerechtigkeit. Jan assmann hat auf diese bedeutung hingewiesen: „die Vorstellung vom Totengericht gehört zu den religiösen ideen des alten Ägypten, von denen sich im kulturellen Gedächtnis des westens eine besonders detaillierte Vorstellung erhalten hat“ 128 . die antike hat sich ihre Götter immer als vergeltende, strafende hüter der sittlichen ordnung vorgestellt, und die Erwartung ging dahin, daß, je talionsartiger die Vergeltung ausfalle, sie um so mehr den anforderungen genüge, die man an die göttliche Gerechtigkeit zu stellen gewohnt war. 129 die ‚Gerichtsprophetie‘ des alten Testaments beruft sich auf den Tun-Ergehenzusammenhang: ‚wie als mensch gelebt, so von Gott beurteilt‘ 130 . Jesus verkündete als Gottesgericht, daß „am Tag des Gerichts rechenschaft abzulegen ist“ (mt 12,76) und dabei „Gott – seinen zorn zurückstellend – allen als der Gnädige naht“ 131 . in der großen matthäischen Gerichtsrede stellen indes umgekehrt auch menschen fragen an den richtenden menschensohn und erwarten antwort (mt 25,37). wie sich im mittelalter von neuem die frage nach vergeltender Gerechtigkeit stellte, zeigt zum beispiel die Evangelienharmonie des mönches otfried von weißenburg († um 870): ihm zufolge geschieht das Gottesgericht nach art des damaligen Königsgerichtes, allerdings jetzt zug um zug ins ideale gewendet: kein feilschen um recht, kein Triumph der mächtigen, erst recht keine bestechung und auch keine stellvertretung in der strafableistung. denn Gott schaut bei seinem Gericht 49
Seite 1 und 2: Erster Teil TolEranz und GEwalT als
Seite 3 und 4: Die ‚lange Geschichte‘ von Tole
Seite 29: Die ‚lange Geschichte‘ von Tole
Seite 59 und 60: Glaubensinhalte Die ‚lange Geschi

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