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58 1. Toleranz und Gewalt als menschliche Erstaufgabe<br />
gen, der alle Gebote erfüllt hatte, einen zusätzlichen rat: „wenn du vollkommen<br />
sein willst, dann verkaufe deinen besitz und gib das Geld den<br />
armen, dann komm und folge mir nach“ (mt 19,21). so gibt es die berufung<br />
zur besonderen nachfolge. folglich ist von zwei verschieden hohen<br />
anforderungsniveaus zu sprechen: „das unbedingte minimum (praecepta<br />
[Gebote]) und die wünschenswerten ‚werke der Übergebühr‘ (consilia<br />
[räte])“ 185 . die christentumsgeschichte ist voll solcher berufungen, zu<br />
sehen etwa an franziskus, an luther oder auch an mutter Teresa. säkular<br />
gesprochen ist es der zugewinn, den jeweils die ‚Großen‘ erbringen.<br />
der selbstverantwortete mut hat im Terror des 20. Jahrhunderts neue<br />
bedeutung erlangt. in ›widerstand und Ergebung‹ schrieb dietrich bonhoeffer<br />
(† 1945): „wir haben in diesen Jahren viel Tapferkeit und aufopferung,<br />
aber fast nirgends civilcourage gefunden ... civilcourage aber<br />
kann nur auf der freien Verantwortlichkeit des freien mannes erwachsen.<br />
die deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung<br />
heißt. sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis<br />
verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum sünder<br />
wird, Vergebung und Trost zuspricht“ 186 . der Jesuit max Pribilla († 1956)<br />
schrieb nach dem Krieg zunächst noch über ‚Tapferkeit‘, änderte dann<br />
aber um in ›mut und zivilcourage‹, gedeutet als charakterliche Entschiedenheit<br />
für wahrheit und recht sowohl gegen obrigkeit wie gegen<br />
eine irregeleitete menge, bei Einsatz jeweils der eigenen Person 187 .<br />
weltweit sprach John f. Kennedy von zivilcourage, und seit 1964 gibt es<br />
einen Theodor-heuss-Preis dafür. die 68er-bewegung wandelte in ‚zivilen<br />
ungehorsam‘ ab, den Jürgen habermas als ‚Testfall‘ für den demokratischen<br />
rechtsstaat bewertete 188 . der ddr-bürgerrechtler richard<br />
schröder sucht zivilcourage davor zu schützen, auch noch das letzte<br />
Tabu brechen zu wollen; wichtiger sei der widerspruch gegen die veröffentlichte<br />
meinung und gegen bedenkliche Praktiken der lieben mitbürger:<br />
„also bitte: Erst überlegen, dann protestieren“ 189 . der Philosoph<br />
odo marquard verweist auf ‚mut zur bürgerlichkeit‘: „Es ist nicht jede xbeliebige<br />
aufmüpfigkeit zivilcourage. man braucht sie überhaupt nicht<br />
nur für das nein, sondern auch und gerade für das Ja. ich meine: zivilcourage<br />
ist vor allem der mut, zivil – also ein civis, ein polites, ein bürger<br />
– zu sein; oder kurz gesagt: zivilcourage ist der mut zur bürgerlichkeit“ 190 .<br />
umgekehrt kann aber auch, wie jetzt täglich zu sehen ist, der selbstverantwortete<br />
bzw. indoktrinierte mut zu Terror werden, so bei den derzeitigen<br />
selbstmord-attentätern. zivilcourage, die sich nicht strikt an humanität<br />
und frieden bindet, wird selbstherrlich.