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54 1. Toleranz und Gewalt als menschliche Erstaufgabe<br />

den christen akzentuiert, so sollen auch die christen ein opfer bringen,<br />

nämlich in ihrer gegenseitigen liebe und in bestimmten ethischen Verzichtleistungen“<br />

164 .<br />

die Konsequenz dieses neuen opferverständnisses ist außerordentlich,<br />

setzt doch das vergeistigte und ethisierte opfer ein höchst bedeutsames<br />

Geistes- und sozialpotential frei. der schon erwähnte religionssoziologe<br />

Emile durkheim, der angesichts der laizistischen dritten<br />

republik frankreichs die bleibenden momente der religion festhalten<br />

wollte, nannte das opfer unaufgebbar, denn eine „aufopferung des Einzelnen<br />

für den anderen“ sei für jede Gesellschaft unabdinglich, etwa des<br />

forschers für die wissenschaft 165 . weiter noch geht der englische Kulturphilosoph<br />

arnold Toynbee († 1975): Ein mensch, der von einer hochreligion<br />

erleuchtet und inspiriert sei, verfüge über die geistige Kraft, seiner<br />

Gesellschaft als unabhängige sittliche macht gegenüberzutreten, ihr<br />

kritisch zu begegnen und äußerstenfalls ihren befehlen zu widerstehen.<br />

„wenn er sich seiner Gesellschaft widersetzt, muß er natürlich auf das<br />

martyrium gefaßt sein... diese geistige freiheit bis zum möglichen Preis<br />

des martyriums ist ... die Quelle der freiheit in jeder anderen sphäre,<br />

der politischen, der wirtschaftlichen, der ästhetischen“ 166 . Ähnlich<br />

urteilt der evangelische systematiker wolfhart Pannenberg: die märtyrer<br />

der alten Kirche hätten vor der welt die im Tode christi begründete<br />

freiheit des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und dem staat<br />

bewiesen; durch das martyrium sei der Einzelne radikal unabhängig geworden<br />

von jedem absoluten anspruch der Gesellschaft oder des staates<br />

auf sein leben. „was man heute als Prinzip der individuellen freiheit<br />

kennt, hat hier seine historische wurzel“ 167 . ohne opfer, so kann<br />

gerade auch im blick auf die Terror-diktaturen des 20. Jahrhunderts gesagt<br />

werden, gebe es keinen widerstand: „wohl deshalb finden sich in<br />

allen liberalen Gesellschaften ... Erinnerungen an menschen, die opfer<br />

von Gewalt wurden, die mut bewiesen, die sich opferten oder den zumutungen<br />

derjenigen entgegenstellten, die macht ausübten und keine<br />

selbstbindungen akzeptierten: wilhelm Tell, Jan hus, anselm von canterbury,<br />

Jeanne d’arc, Paul reverse, simon bolivar, mahatma Gandhi,<br />

in deutschland das spektrum von arminius über luther bis zum Prinzen<br />

von homburg“ 168 .<br />

aus der umwandlung des alten opferbegriffs zum wahrheitszeugnis<br />

und zur sozialverpflichtung lebt gerade auch die moderne welt: sowohl<br />

die demokratie wie der wissenschaftsbetrieb, die berufsarbeit ebenso<br />

wie die sozialtätigkeit. hier überall sieht sich der mensch ‚verantwortlich‘<br />

und zur ‚aufopferung‘ verpflichtet. andererseits ist sofort anzufü-

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