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Katholisches Wort in die Zeit 43. Jahr November 2012 - Der Fels

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Das entsprechende ärztliche Handeln<br />

müsste aus der Grauzone der Illegalität<br />

herausgeholt werden. Aber das<br />

Recht auf e<strong>in</strong>en selbstbestimmten Tod<br />

„impliziert nicht <strong>die</strong> Verpflichtung für<br />

das Gesundheitspersonal, sich an e<strong>in</strong>em<br />

Akt der Sterbehilfe beteiligen<br />

zu müssen“. 16 <strong>Der</strong> Forderung, aktive<br />

Sterbehilfe nur im Falle e<strong>in</strong>es wohlüberlegten,<br />

beharrlichen und freiwilligen<br />

Wunsches des Patienten zu<br />

legalisieren, liegt <strong>die</strong> Vorstellung zugrunde,<br />

<strong>die</strong> Selbstbestimmung sei der<br />

Kern menschlicher Identität und ihr<br />

Verlust sei gleichbedeutend mit dem<br />

Verlust der Menschenwürde. Diese<br />

Vorstellung entspricht nicht der conditio<br />

humana. Schon der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s<br />

Leben unterliegt nicht der Selbstbestimmung.<br />

Auch das Ende des irdischen<br />

Lebens hat – soll es menschenwürdig<br />

se<strong>in</strong> – mit Selbstbestimmung<br />

wenig zu tun. <strong>Der</strong> Mensch will nicht<br />

durch <strong>die</strong> Hand, sondern an der Hand<br />

e<strong>in</strong>es anderen sterben. Unter alten und<br />

pflegebedürftigen Menschen nimmt<br />

denn auch <strong>die</strong> Befürwortung der aktiven<br />

Sterbehilfe deutlich ab. Wenn<br />

der Mensch <strong>in</strong> der Mitte se<strong>in</strong>es Lebens<br />

und im Vollbesitz se<strong>in</strong>er Kräfte<br />

steht, neigt er dazu, auch noch das<br />

Sterben se<strong>in</strong>en Autonomieansprüchen<br />

zu unterwerfen. Er möchte Planungssicherheit<br />

bis zum letzten Tag se<strong>in</strong>es<br />

Sterbens. Aber Planungssicherheit bis<br />

zum Ende des Lebens ist e<strong>in</strong>e Illusion.<br />

Je mehr <strong>die</strong> Kräfte schw<strong>in</strong>den und<br />

je näher der Tod kommt, desto schärfer<br />

wird der Blick dafür, dass weniger<br />

Selbstbestimmung, als vielmehr<br />

Selbsth<strong>in</strong>gabe das Wesen des Menschen<br />

ausmacht. Nicht das abgebrochene,<br />

sondern das zu Ende gelebte<br />

Sterben ist Ausdruck wahrer Selbstbestimmung.<br />

Im Sterben verwandelt<br />

sich <strong>die</strong> Selbstbestimmung zur Selbsth<strong>in</strong>gabe.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Deutschland viel beachtete<br />

Illustration <strong>die</strong>ses Perspektivenwandels<br />

ist das Schicksal von Walter Jens<br />

und das Verhalten se<strong>in</strong>er Angehörigen.<br />

Mitte der 90er <strong>Jahr</strong>e plä<strong>die</strong>rte er zusammen<br />

mit Hans Küng für <strong>die</strong> aktive<br />

Sterbehilfe. <strong>Der</strong> Sterbende soll im Gedächtnis<br />

se<strong>in</strong>er Angehörigen als „e<strong>in</strong><br />

Autonomie beanspruchendes Subjekt<br />

... und nicht als entwürdigtes, verzerrtes<br />

und entstelltes Wesen“ <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />

bleiben. 17 Im Alter von 80 <strong>Jahr</strong>en<br />

fiel Walter Jens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e fortschreitende<br />

Demenz. Den <strong>Zeit</strong>punkt, se<strong>in</strong>em<br />

Leben e<strong>in</strong> Ende zu machen, so se<strong>in</strong>e<br />

Frau Inge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit dem<br />

„Stern“ Anfang April 2008, habe er<br />

verpasst. Aber sie berichtet auch, dass<br />

se<strong>in</strong> Leben bei aller Tragik Freude<br />

kenne, wenn auch nur über Spaziergänge<br />

mit e<strong>in</strong>er Pfleger<strong>in</strong>, über e<strong>in</strong>e<br />

Tafel Schokolade oder e<strong>in</strong> „Wurschtweggle“.<br />

Auch Tilman Jens, der Sohn<br />

der beiden, der den Verfall se<strong>in</strong>es Vaters<br />

2010 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch „Demenz.<br />

Abschied von me<strong>in</strong>em Vater“ schildert,<br />

berichtet von dessen <strong>Wort</strong> „Aber<br />

schön ist es doch …“, weshalb <strong>die</strong><br />

Familie von dem Mandat zu aktiver<br />

Sterbehilfe nichts mehr wissen will. 18<br />

Nur Hans Küng fordert, erschüttert<br />

vom geistigen Verfall se<strong>in</strong>es Freundes<br />

und se<strong>in</strong>e Hilflosigkeit öffentlich<br />

bekennend, „Sterbehilfegesetze“. Er<br />

appelliert an Juristen, Ärzte, Politiker,<br />

Theologen und Journalisten, sich für<br />

mehr Patientenautonomie am Lebensende<br />

e<strong>in</strong>zusetzen und <strong>die</strong> gesetzliche<br />

Sterbehilfe zu ermöglichen. 19 In nicht<br />

wenigen Leserbriefen wurde ihm vorgehalten,<br />

<strong>die</strong> Menschenwürde an <strong>in</strong>tellektuelle<br />

Kompetenz zu b<strong>in</strong>den und<br />

das Wichtigste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation<br />

der Pflegebedürftigkeit zu übersehen:<br />

„täglich für den Freund da zu<br />

se<strong>in</strong> und ihm jeweils auf dessen eigener<br />

Ebene zu begegnen“. 20 <strong>Der</strong> Fall<br />

Walter Jens, Jg. 1923, em. Rhetorik­Professor<br />

<strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen,<br />

plä<strong>die</strong>rte <strong>in</strong> den 90er <strong>Jahr</strong>en für<br />

aktive Sterbehilfe. Im Alter der<br />

Demenz verfallen, zeigt er Lebensfreude;<br />

se<strong>in</strong>e Familie will<br />

von e<strong>in</strong>em Mandat zur Sterbehilfe<br />

nichts mehr wissen.<br />

Hans Küng, Jg. 1928, em. Theologe<br />

<strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen, zeigte sich<br />

angesichts der Demenz se<strong>in</strong>es<br />

Freundes Walter Jens erschüttert<br />

und forderte „Sterbehilfegesetze“<br />

und mehr „Patienten­Autonomie“<br />

am Lebensende.<br />

Jens bestätigt <strong>die</strong> Feststellung von Johann-Christoph<br />

Student, dass nämlich<br />

<strong>die</strong> Überlegung, e<strong>in</strong> Mensch könne <strong>in</strong><br />

der Demenz dasselbe me<strong>in</strong>en, fühlen<br />

und wünschen wie <strong>in</strong> gesunden <strong>Zeit</strong>en<br />

„<strong>die</strong> unwahrsche<strong>in</strong>lichste aller Denkmöglichkeiten“<br />

ist. 21<br />

Die Praxis der Euthanasie <strong>in</strong> den<br />

Niederlanden zeigt, dass <strong>die</strong> Vorstellung,<br />

Euthanasie werde nur bei Vorliegen<br />

e<strong>in</strong>es beharrlichen, freiwilligen<br />

und wohlüberlegten Wunsches des<br />

Patienten vorgenommen, e<strong>in</strong>e Illusi-<br />

DER FELS 11/<strong>2012</strong> 327

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