MS-Bro 2005_Kern - Evangelisches Diakoniewerk Gallneukirchen
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Dies alles geschieht derzeit unter erschwerten Bedingungen,<br />
• weil Ressourcen auch in der Wohlstandsgesellschaft knapper werden und<br />
• weil die Rede von der „alten Welt“ neue Dimensionen bekommt<br />
Denn: Europa ergraut.<br />
Und zweifellos wird sich die Veränderung der Bevölkerungsstruktur auf alle Elemente<br />
des gesellschaftlichen Miteinanders auswirken, wie ich als dritten Aspekt<br />
ansprechen möchte.<br />
3. Lebenserwartung und Erwartungen an das Leben<br />
Älter zu werden erscheint also erstmals in der Geschichte als Gesellschaftsproblem<br />
und nicht schlicht als erfreuliche Tatsache.<br />
In dem Szenario eines generell drohenden „Kampfs der Generationen“ (vgl.<br />
GRONEMEYER 2004), der heraufbeschworen wird, sind Bevölkerungsgruppen zu<br />
erwarten, die besonders „schlechte Karten“ haben.<br />
Dies sind die Armen, die Arbeitslosen, Personen mit Migrationshintergrund und<br />
weitere Gruppen mit geringer gesellschaftlicher Akzeptanz, sei dies aus Gründen<br />
der Religionszugehörigkeit, sei dies wegen besonderer sexueller Vorlieben, wegen<br />
der Hautfarbe, wegen des Geschlechts oder aber wegen ihrer Behinderung.<br />
Und es sind die<br />
• Alten.<br />
Viele dieser „Handicaps“ bündeln sich in der Lebenslage von Menschen mit<br />
Behinderung im Alter.<br />
Dazu kommen weitere belastende Faktoren wie<br />
• eine oft langjährige Heimerfahrung,<br />
• viele Lebensjahre unter unzureichender medizinischer Versorgung oder dauernder<br />
Medikation und<br />
• besonders fragile soziale Netze, weil keine eigene Familie gegründet wurde.<br />
Diese belastenden Rahmenbedingungen ergänzen physische, psychische oder<br />
kognitive Einschränkungen, die sich im Lebensverlauf ohnehin als vielfach hinderlich<br />
erwiesen haben.<br />
Manche dieser erschwerenden Lebensumstände lassen sich nicht beeinflussen<br />
(beispielsweise, dass man eben älter wird). Aber die jeweilige Relevanz solcher<br />
Fakten für die individuellen Lebenschancen und die Lebensführung ist variabel.<br />
32<br />
Die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung im Alter zu wahren und zu<br />
verbessern ist also eine eigene Aufgabe. Im Sozialstaat, wie er in Deutschland<br />
gewachsen ist, kann sie aber nicht nur abstrakt an „die Gesellschaft“ ergehen.<br />
Sie richtet sich vielmehr konkret an „das System der Rehabilitation“. Es ist aktuell<br />
für diesen Personenkreis meist die verantwortliche Instanz. Bei noch genauerem<br />
Hinsehen richtet sich der Auftrag dann an die Kommunen, in denen<br />
Menschen jeweils anzutreffen sind, weil sie dort ihr Leben führen und altern.<br />
Es ist also nicht damit getan, Unterstützungsbedarfe in Pflege, Lebensführung<br />
und Alltagsgestaltung eines bestimmten Personenkreises zu erfassen und die<br />
Problemlösung einer Institution – etwa der Alten- oder Behindertenhilfe – zuzuweisen.<br />
Es geht vielmehr darum, Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen zu<br />
decken. Und das meint, Hilfe individuell und nach Maß zu gestalten: also genau<br />
dort und in der Weise, in der es den jeweiligen Bürgerinnen und Bürgern mit Unterstützungsbedarf<br />
zuträglich ist.<br />
Das erscheint zunächst als Selbstverständlichkeit.<br />
In der Planungsdebatte der vergangenen Jahre, wie ich sie aus deutscher Sicht<br />
verfolgt habe, ging es aber zunächst darum,<br />
wer nun zuständig sei (und ab welchem Zeitpunkt):<br />
• Alten- oder Behindertenhilfe,<br />
• örtliche oder überörtliche Träger,<br />
• das Pflege- oder das Eingliederungssystem,<br />
• die Kommune oder überregionale Versorger,<br />
• die Angehörigen oder die öffentliche Hand.<br />
Und es ging darum, wer fachlich kompetent sei:<br />
• alle Sparten des gegliederten Rehabilitationssystems oder die<br />
Sozialstationen,<br />
• die Angehörigen oder die Fachleute etc.<br />
Diese Überlegungen – die bisweilen noch verknüpft wurden mit Fragen der<br />
Übergangsgestaltung und -finanzierung zwischen einzelnen Fürsorgern – sind<br />
wichtig, aber sie setzen beim System an – nicht bei den Menschen.<br />
Kein Wunder, dass eine ältere Dame, die wir nach Jahrzehnten des Lebens in<br />
einer Einrichtung der Behindertenhilfe nach ihren Wünschen für das Alter fragten,<br />
antwortete:<br />
„Solche Utopien träume ich nicht!“<br />
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