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Hauptsache schnell und billig - Fastenopfer

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18<br />

SCHWERPUNKT KLEIDUNG<br />

Nähen <strong>und</strong> Bügeln wie am<br />

Fließband in der südkoreanischen<br />

Industriezone Kaesong. Über 30.000<br />

Menschen aus dem angrenzenden<br />

Nordkorea arbeiteten dort Mitte<br />

2008; sie verdienten einen Bruchteil<br />

der in Südkorea üblichen Löhne.<br />

CHUNG SUN-JUN/GETTY IMAGES<br />

Der Preisverfall<br />

bei Kleidung geht<br />

auf Kosten der Textil-<br />

arbeiterinnen <strong>und</strong><br />

-arbeiter im Süden<br />

<strong>Hauptsache</strong> <strong>schnell</strong> <strong>und</strong> <strong>billig</strong><br />

Die meisten Modemarken <strong>und</strong> Bekleidungshäuser haben sich verpflichtet, in ihren Zulieferbetrieben<br />

Mindeststandards bei Löhnen, Arbeitszeit <strong>und</strong> Mitspracherechten einzuhalten. Die<br />

Wirklichkeit sieht in den Textilfabriken im Süden jedoch ganz anders aus. Und die globale<br />

Wirtschaftskrise trägt dazu bei, die Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern. Dennoch<br />

gibt es Unternehmen, die gerade in solchen Zeiten ihre soziale Verantwortung hochhalten.<br />

Von Gesine Wolfinger<br />

Hungerlöhne, 90-St<strong>und</strong>en Woche, Zeitverträge – die<br />

Lage von Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeitern in Textilfabriken<br />

in Lateinamerika <strong>und</strong> Südasien hat sich in den<br />

vergangenen Jahren kaum verbessert. Kampagnen,<br />

Dokumentationen <strong>und</strong> Gerichtsverfahren konnten<br />

daran nur in Einzelfällen etwas ändern. Immerhin:<br />

„Fast alle Modermarken <strong>und</strong> Bekleidungshäuser haben<br />

inzwischen ihre Verantwortung für die Arbeitsbedingungen<br />

in den Zulieferbetrieben anerkannt“,<br />

sagt Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero,<br />

einem Mitglied der deutschen Kampagne für<br />

Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign – CCC).<br />

Seit Mitte der 1990er Jahre hätten sie schrittweise<br />

Verhaltenskodizes zur Einhaltung von Mindeststandards<br />

<strong>und</strong> Mechanismen zu deren Überprüfung eingeführt.<br />

„Hier ist viel in Bewegung geraten.“ Im Arbeitsalltag<br />

der Textilfabriken im Süden zeige das aber<br />

noch wenig Wirkung: „Bei der Näherin in Bangladesch<br />

ist von diesen Verpflichtungen noch kaum etwas angekommen“,<br />

sagt Pflaum.<br />

Das belegt – zumindest für die Einzelhandelsriesen<br />

Aldi, Carrefour, Lidl, Tesco <strong>und</strong> Walmart – auch eine<br />

neue Studie der internationalen CCC. H<strong>und</strong>erte Geschichten<br />

von Ausbeutung <strong>und</strong> Hilflosigkeit haben<br />

die Autoren bei ihren Recherchen in 31 Zulieferbetrieben<br />

in Sri Lanka, Bangladesch, Indien <strong>und</strong> Thailand im<br />

vergangenen Jahr gehört. „Ich gehe um sechs Uhr<br />

morgens aus dem Haus <strong>und</strong> komme um neun Uhr<br />

abends zurück“, sagt etwa Amanthi, die in Sri Lanka<br />

Kleider für die Supermarktkette Tesco näht. „Meine<br />

Tochter schläft dann noch oder ist schon wieder im<br />

Bett. Sie sieht mich nur einmal in der Woche.“ Salma,<br />

die in einer Zulieferfabrik für Lidl, Carrefour <strong>und</strong> Walmart<br />

in Bangladesch arbeitet, erzählt: „Wenn ich nach<br />

Hause komme, bin ich so erschöpft, dass ich noch<br />

nicht einmal mehr etwas essen will.“<br />

Das Zeugnis, das die Kampagne den Unternehmen in<br />

ihrer im Februar erschienenen Studie ausstellt, ist verheerend.<br />

Die meisten Beschäftigten, in der Mehrzahl<br />

6-2009 |


| 6-2009<br />

Frauen, erhielten nicht mehr als den gesetzlichen<br />

Mindestlohn, der in der Regel nicht ausreicht, um die<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse ihrer Familien zu decken. So liegt er<br />

laut Maik Pflaum etwa in Bangladesch bei 17 Euro,<br />

eine Familie mit vier Kindern bräuchte jedoch 50 Euro<br />

im Monat, um über die R<strong>und</strong>en zu kommen. Auch die<br />

Arbeitszeit ist weit höher als die 48 Wochenst<strong>und</strong>en,<br />

die unter anderen die CCC als angemessen ansieht. In<br />

allen besuchten Fabriken wurden die Arbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Arbeiter gezwungen, Überst<strong>und</strong>en zu machen. 60<br />

St<strong>und</strong>en pro Woche sind die Regel, in manchen Betrieben<br />

schuften die Beschäftigten 80 St<strong>und</strong>en wöchentlich.<br />

Aufgr<strong>und</strong> ihrer niedrigen Löhne ergreifen<br />

sie oft die Gelegenheit, zusätzlich Geld zu verdienen.<br />

Oft wagen sie nicht, Überst<strong>und</strong>en abzulehnen, weil<br />

sie fürchten, dann ihren Job zu verlieren. Verschärfend<br />

kommt laut Studie hinzu, dass die Überst<strong>und</strong>en häufig<br />

noch nicht einmal extra bezahlt werden.<br />

„Nur weil eine Hose teuer ist,<br />

muss sie noch lange nicht unter günstigen<br />

Arbeitsbedingungen genäht worden sein.“<br />

Gesine Wolfinger<br />

ist Redakteurin bei .<br />

Gewerkschaften, die den Beschäftigten mehr Gewicht<br />

bei der Durchsetzung ihrer Rechte <strong>und</strong> der Verhandlung<br />

über Löhne verleihen würden, sind in den meisten<br />

der untersuchten Betriebe nicht erwünscht. Gründe<br />

dafür sind zum einen, dass Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiter<br />

ihr Recht nicht kennen, sich gewerkschaftlich zu organisieren.<br />

Schwerer wiegt aber wohl die Angst, als Gewerkschaftsmitglied<br />

auf die Straße gesetzt zu werden.<br />

Lediglich ein einziger besuchter Betrieb in Indien verfügte<br />

über eine Gewerkschaftsvertretung – dort waren<br />

die Arbeitsbedingungen mit Abstand die besten.<br />

Dabei haben auch die Unternehmen, deren Zulieferkette<br />

in dieser Studie unter die Lupe genommen wird,<br />

einen Verhaltenskodex, mit dem sie sich verpflichten,<br />

soziale Mindeststandards im Blick auf Arbeitszeit,<br />

Lohn <strong>und</strong> das Mitspracherecht der Beschäftigten einzuhalten.<br />

Doch ihr Geschäftsmodell, niedrige Preise<br />

<strong>und</strong> <strong>schnell</strong>e Lieferzeiten, erzeugt so hohen Druck auf<br />

die Zulieferer, dass die es sich nicht leisten können,<br />

den Verhaltenskodex zu berücksichtigen. Sie stehen in<br />

scharfer Konkurrenz um die begehrten Aufträge aus<br />

dem Norden. Das führt laut der Studie dazu, dass sie<br />

Zeitpläne <strong>und</strong> Lohnabrechnungen fälschen <strong>und</strong> ihre<br />

Beschäftigten dazu anhalten, Kontrolleure anzulügen.<br />

Bei Markenunternehmen sehe es etwas besser aus,<br />

erklärt Maik Pflaum. Sie hätten ihren guten Ruf zu<br />

verlieren <strong>und</strong> könnten es sich nicht leisten, dass Verletzungen<br />

von Arbeitsrechten öffentlich bekannt werden.<br />

Zudem verfügten sie in der Regel über eine feste<br />

Zulieferkette, die sie besser kontrollieren könnten.<br />

Große Sportbekleidungshersteller wie Puma, Adidas<br />

<strong>und</strong> Nike haben sich – mit bislang 27 weiteren Unternehmen<br />

– der Fair Labor Association angeschlossen,<br />

die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Tex-<br />

KLEIDUNG SCHWERPUNKT 19<br />

tilbranche weltweit einsetzt. „Aber nur weil eine Hose<br />

teuer ist, muss sie noch lange nicht unter günstigen<br />

Arbeitsbedingungen genäht worden sein“, schränkt<br />

Maik Pflaum ein. Dennoch hat sich laut Pflaum einiges<br />

getan, seit die internationale Kampagne für Saubere<br />

Kleidung 1990 gegründet wurde: Kinderarbeit<br />

sei in den Textilfabriken nahezu ausgerottet. Auch eklatante<br />

Verstöße wie körperliche Gewalt gegen Arbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Arbeiter kämen kaum noch vor. Zu groß<br />

wäre der Imageverlust für ein Unternehmen, wenn<br />

das in der Öffentlichkeit bekannt würde. Vor allem die<br />

Angst vor einem sinkenden Aktienwert bringe die<br />

Konzerne dazu, auf die Einhaltung ihres Verhaltenskodex<br />

zu achten. „Mit Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit hat<br />

das wenig zu tun.“<br />

Als Folge der globalen Wirtschaftskrise befürchten<br />

Fachleute, dass sich die Arbeitsbedingungen in Textilfabriken<br />

verschlechtern. Die Nachfrage nach Textilien<br />

ist laut dem kanadischen Maquila Solidarity Network<br />

in den USA <strong>und</strong> Europa Ende vergangenen Jahres<br />

stark zurückgegangen. Kaufhäuser <strong>und</strong> Modegeschäfte<br />

bringen Kleider oft zu Schleuderpreisen auf den<br />

Markt. Darunter leidet der Export in den Produktionsländern.<br />

Zahlreiche Fabriken werden geschlossen <strong>und</strong><br />

Beschäftigte entlassen. In Kambodscha etwa haben<br />

laut Ingeborg Wick vom Südwind-Institut im vergangenen<br />

Jahr bereits 30 Textil- <strong>und</strong> Bekleidungsfabriken<br />

zugemacht <strong>und</strong> 62.000 Beschäftigte ihren Job verloren.<br />

In Indonesien wird in den kommenden Monaten<br />

mit 120.000 Entlassungen <strong>und</strong> einem Rückgang der<br />

Produktion um 30 Prozent gerechnet. In dieser Situation<br />

haben Fabrikbesitzer leichtes Spiel, Löhne zu drücken<br />

oder nur noch temporäre Verträge zu vergeben<br />

– Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeitern bleiben keine Alternativen,<br />

wenn die Schließung des Betriebes droht.<br />

Wie steht es in dieser Situation mit der sozialen Verantwortung<br />

von Unternehmen? Man könnte annehmen,<br />

dass sie als bloßes schmückendes Beiwerk betrachtet<br />

<strong>und</strong> an den Rand gedrängt wird. Aber auch<br />

das Gegenteil ist denkbar: in einem schärferen Wettbewerb<br />

könnten Modemarken <strong>und</strong> Bekleidungshäuser<br />

noch genauer darauf achten, dass sie nicht wegen<br />

Verletzungen von Arbeitsrechten in die Schlagzeilen<br />

kommen <strong>und</strong> damit weitere Absatzeinbußen hinnehmen<br />

müssen. Maik Pflaum sieht das verhalten optimistisch<br />

<strong>und</strong> verweist auf die wachsende Zahl von<br />

Bekleidungsfirmen, die sich an der „Fair Wear Fo<strong>und</strong>ation“<br />

beteiligen. In der Stiftung mit Sitz in Brüssel kooperieren<br />

62 Unternehmen sowie Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> nichtstaatliche Organisationen, um die Arbeitsbedingungen<br />

in den Fabriken in den Ländern des Südens<br />

zu verbessern. Unternehmen verpflichten sich<br />

auf einen Verhaltenskodex, der von lokalen, unabhängigen<br />

Experten vor Ort überprüft wird. Ende 2008<br />

konnten mit den Sportbekleidungs- <strong>und</strong> Outdoor-<br />

Marken Mammut <strong>und</strong> Odlo zwei schwergewichtige<br />

neue Mitglieder gewonnen werden. Pflaum ist zuversichtlich,<br />

dass sich die Zahl der Beteiligten in den<br />

kommenden Monaten erhöht – der Wirtschaftskrise<br />

zum Trotz.

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