Leseprobe - Feder & Schwert GmbH
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war. Kurz darauf hatte ihr Vater einen Sturz vom Pferd nicht<br />
überlebt. Er hatte sich den Hals gebrochen. Wieder Trauerzeit,<br />
wieder keine Hochzeit, und inzwischen war Leopold zu einer<br />
Expedition ins Innere Afrikas aufgebrochen, vermutlich, um etwas<br />
Nützliches zu tun. Charly nahm an, daß die Erforschung der<br />
Erde prinzipiell nützlich war. Jedenfalls war er beschäftigt und<br />
weit weg gewesen und hatte nicht auf eine rasche Beendigung der<br />
Trauerzeit gedrängt.<br />
Tatsächlich hatte Charly nicht sehr getrauert. Sie hatte ihre Eltern<br />
nur selten gesehen. Ihr Vater war politisch aktiv gewesen, und<br />
ihre Mutter hatte ihn bei seinen Ambitionen unterstützt, war eine<br />
exzellente Gastgeberin und ein gut funktionierendes Rädchen im<br />
Getriebe der besseren Gesellschaft gewesen. Meist hatten Charlys<br />
Eltern in Wien gelebt, während Charly auf dem Lande aufwuchs,<br />
in den Bergen nahe Aussee, wo der Familienstammsitz lag. Sie<br />
nannten das Gebäude das Schlößchen, doch es war eher ein Gut<br />
mit Weiden und Wäldern, Ländereien, die der Familie ihren nicht<br />
unerheblichen Wohlstand einbrachten.<br />
Sie war in der Obhut von Gouvernanten aufgewachsen, und<br />
was sie an Liebe und Sicherheit gebraucht hatte, hatte ihr Sevyo<br />
gegeben. So hatte sie ihre Eltern nicht sehr vermißt, als sie noch<br />
lebten und noch weniger, als sie schließlich gestorben waren. Sie<br />
hatten Sevyo getötet, das hatte sie ihnen nie verziehen.<br />
Solange sie noch unmündig gewesen war, war ihr Onkel ihr<br />
Vormund gewesen. Er war zu ihr ins Schlößchen gezogen. Er<br />
war ein freundlicher Mann, ruhig und belesen. Er hatte seine<br />
Bücher und seine modernen politischen Ansichten mitgebracht,<br />
Meinungen, die ihn 1848 bei den Aufständen fast das Leben<br />
gekostet hätten. Eine gescheiterte Revolution, niedergeknüppelt<br />
und vergessen. Heute, siebzehn Jahre später, behielt Herr von<br />
Sandling seine Meinungen für sich, sprach nur in sehr privatem<br />
Rahmen darüber.<br />
Charly und er verstanden sich von Anfang an. Er war nicht der<br />
Meinung, an ihr herumerziehen zu müssen und hinderte sie nicht<br />
daran, frei ihrer Wege zu gehen, was unverheirateten Mädchen oft<br />
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