Nr. 4 Oktober 2008, PDF 956 KB - Winkler & Richard AG
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Schneiders Garten<br />
Abschied<br />
tut weh<br />
Steven Schneider begreift<br />
schmerzlich, dass sein alter<br />
Garten wohlgelitten war.<br />
Zwei Augen schielten traurig zu<br />
mir hoch. «Papi, ich will keinen<br />
neuen Garten.» Es war der letzte<br />
Nachmittag in unserem selbst gebauten<br />
Garten. Am anderen Morgen würden<br />
die Bagger auffahren. In einigen Wochen<br />
wäre nichts mehr zu sehen von unserem<br />
Beeren-Naschpfad, von der grosszügigen<br />
Rasenfläche, vom mit Holzstämmen<br />
eingefassten Kräuterbeet. Sattdessen<br />
würde alsbald ein sorgfältig konzipierter<br />
Naturgarten um unser Haus erblühen.<br />
«Papi, der Beerenweg, der ist so toll!<br />
Geht der kaputt?» Ich vermied ihren Blick,<br />
schaute von der Veranda zu den Johannis-,<br />
Heidel- und Stachelbeersträuchern und<br />
schluckte. Wann immer die Freundinnen<br />
meiner Tochter zu Besuch kamen, rannten<br />
sie freudig über den gewundenen,<br />
weichen, mit Rindenschnitzeln bestreuten<br />
Pfad. Meine Frau bewunderte mich<br />
um meine Gartenideen, sie fand meinen<br />
unkonventionellen Beerengenuss-Weg<br />
ein köstliches Kunstwerk: «Du bist mein<br />
Gartenzauberer», sagte sie oft.<br />
Das hörte ich natürlich gerne, denn<br />
ich hatte viel Schweiss vergossen, eine<br />
enge Beziehung zu unserer schweren<br />
Lehmerde aufgebaut, meiner Frau ein<br />
Gemüsebeet mit Schneckenzaun geschenkt,<br />
Regenwürmer gerettet, einen<br />
Weidenzaun gebaut. Meine Wochenend-Projekte<br />
kamen gut an bei meiner<br />
Familie. Gleichzeitig war mir immer bewusster<br />
geworden, dass mir eines Tages<br />
meine kurzfristig angelegten, kreativen<br />
und komplett unprofessionellen Gartenprojekt-Provisorien<br />
über den Kopf<br />
wachsen würden, wenn ich nicht irgendwann<br />
einen Profi beiziehen würde.<br />
«Papi, wo binde ich dann mein Rössli<br />
an? Haben wir dann noch eine Wiese für<br />
die Pferdeweide?» – «Sicher», antwortete<br />
ich und verschwieg, wie lange es<br />
8 Gartenzeit<br />
Ade, du geliebter Beeren-Naschpfad! Bald werden hier die Bagger auffahren. Ob das so seine Richtigkeit hat?<br />
«Sie bewunderte meine<br />
Ideen und nannte mich<br />
Gartenzauberer.»<br />
von Steven Schneider<br />
dauern würde, bis ihr Plüschpferd einen<br />
Huf auf die Blumenwiese setzen könnte.<br />
«Papi, und warum muss der Sandkasten<br />
weg?» – «Wir verschieben ihn nur», antwortete<br />
ich, nahm sie an der Hand und<br />
ging mit ihr zur Buchenhecke. «Siehst du,<br />
hier kommt er hin.» – «Warum, Papi?»<br />
Warum? Weil der Gartenprofi das<br />
eben vorgeschlagen hatte und ich das<br />
sinnvoll fand. «Es wird dir gefallen», antwortete<br />
ich. Meine Tochter fragte vorerst<br />
nichts mehr, ich war erleichtert.<br />
Wir spazierten am Gemüsebeet vorbei,<br />
sahen eine Schnecke, sie hob sie auf und<br />
streichelte ihr Haus. «Ich bringe sie in<br />
Sicherheit», sagte sie. Dann fragte sie:<br />
«Wo ist eigentlich die Mami?» Hatte<br />
ich mich auch schon gefragt. Und als ob<br />
sie uns zugehört hätte, bog sie um die<br />
Hausecke, den Fotoapparat in der Hand.<br />
«Was machst du da?», fragte ich.<br />
Sie blickte mit wässrigen Augen –<br />
oder bildete ich mir das ein? – und sagte:<br />
«Ich fotografiere unseren schönen Garten.<br />
Damit wir ihn nie vergessen.»<br />
In diesem Augenblick fragte ich mich<br />
zum ersten Mal ganz ernsthaft, ob es ein<br />
nicht Fehler war, den Garten radikal umzugestalten.<br />
Winterschlaf: Gartenzeit macht<br />
Pause. Das nächste Heft erscheint im<br />
März 2009. Hier können Sie es gratis<br />
abonnieren: Tel. 052 378 21 84.<br />
Foto: Sybil Schreiber