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Textteil der Festschrift - Kultur in Ostpreußen

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Für den Eröffnungsabend hatte man beson<strong>der</strong>en Ehrgeiz gezeigt, <strong>der</strong> <strong>in</strong>des nicht recht belohnt<br />

wurde. Es waren drei literarische Namen, aber kaum drei literarische Stücke aufgebracht:<br />

Grillparzers vere<strong>in</strong>samte Szene „Hannibal und Scipio“, Björnsons „Zwischen den Schlachten“ und<br />

„Bei Sedan“ von Richard Voß. Der Abend suchte programmatisch zu vergeistigen, was uns damals<br />

alle bannte: Waffenlärm und Kriegsgeschrei. Aber die Aufgabe, durch Kunst unmittelbar vaterländisches<br />

Bewußtse<strong>in</strong> zu wecken und zu heben, erwies sich je länger, desto unlösbarer. Denn es gibt<br />

ke<strong>in</strong> Publikum, das andauernd patriotisches Zuckerbrot vertrüge, und noch weniger Poeten, die es<br />

bekömmlich zuzubereiten verstünden. „M<strong>in</strong>na von Barnhelm“ blieb e<strong>in</strong>e Ausnahme, neben <strong>der</strong> P.<br />

Heyses Bil<strong>der</strong>bogendichtung „Colberg“ grenzenlos abfiel. Man mußte durchaus zufrieden se<strong>in</strong>, wenn<br />

beziehungslose Werke wie „Tasso“ (mit Maria W<strong>in</strong>ter a. G.), „Die Journalisten“ „Der Revisor“ und<br />

Anzengrubers „Me<strong>in</strong>eidbauer“ e<strong>in</strong>ige Zeit das Repertoire re<strong>in</strong> erhielten. Carl Hauptmann kam mit<br />

dem Schauspiel „Die lange Jule“ (die sehr geeignete Lise Brock <strong>in</strong> <strong>der</strong> Titelrolle!) zum ersten und<br />

letzten Male auf e<strong>in</strong>er Königsberger Bühne zu Wort. „König<strong>in</strong> Christ<strong>in</strong>e“, „Rausch“ und „Kameraden“<br />

waren sehr willkommene Abschlagszahlungen auf die verheißenen Str<strong>in</strong>dberg-Reichtümer. Ja, zum<br />

Schluß – am letzten Apriltag 1915 – leistete sich die Direktion mit Paul En<strong>der</strong>l<strong>in</strong>gs aus unmittelbarer<br />

Gegenwart geschöpfter Kalen<strong>der</strong>geschichte „<strong>Ostpreußen</strong>“ sogar noch e<strong>in</strong>e Uraufführung.<br />

Und so wurde aus 7 Unruh- und Angstmonaten doch noch e<strong>in</strong>e richtige und ganze Kriegsspielzeit.<br />

Die Saison hatte „ausgelitten“ – so viel Schönes und Wertvolles sie im e<strong>in</strong>zelnen auch<br />

gebracht hatte. „In e<strong>in</strong> deutsches Haus gehört ke<strong>in</strong> Kuchen“ lautete e<strong>in</strong> damals sehr verbreitetes<br />

Schlagwort; nun, auch im Schauspielhaus gab es meistens nur Kriegsersatzbrot! Die Kräfte oft<br />

wechselnd und mäßig! Immerh<strong>in</strong> waren Lise Brock, Clemens Wrede und Rhe<strong>der</strong> (früher am Stadttheater)<br />

durchaus passabel, und Erika Hoffmann, die sich die neue Direktion aus Braunschweig<br />

mitgebracht hatte, konnte schon als Stern gelten. Auch kehrte zu kurzem Gastspiel noch e<strong>in</strong>mal<br />

Helene Rosner e<strong>in</strong> ... Müllerhe<strong>in</strong>tz selbst legte als Spielleiter Proben e<strong>in</strong>es nicht bloß begrifflichen<br />

Theaters<strong>in</strong>ns ab.<br />

Aufstieg und Glanz.<br />

Notgrau und müde hatte sich die erste Kriegsspielzeit zu Ende geschleppt. Müllerhe<strong>in</strong>tz gab das<br />

Rennen auf. Wer sollte, wer konnte nun dem Schauspiel <strong>der</strong> gefährdetsten Prov<strong>in</strong>z wie<strong>der</strong> Farbe<br />

und Leuchtkraft verleihen? Wirtschaftlich wie künstlerisch erschien die Lage unklar, verfahren,<br />

trostlos. Der größte Teil <strong>der</strong> männlichen Schauspielerschaft saß im Schützengraben. Die geldlichen<br />

Verhältnisse des Theaters lagen arg darnie<strong>der</strong>. Es mußten erst Mäzene gefunden werden, die das<br />

Betriebskapital zur Weiterführung hergaben. Ke<strong>in</strong>en Augenblick war man vor unliebsamen Überraschungen<br />

sicher – wie denn beispielsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Kohlenknappheit die Abendvorstellungen<br />

verboten und das Haus auf acht Tage behördlich geschlossen wurde.<br />

Mit gewöhnlichen Anstrengungen und Durchschnittsmitteln war da nichts zu hoffen. Nur e<strong>in</strong><br />

Wun<strong>der</strong> konnte retten. Und e<strong>in</strong>e Art Wun<strong>der</strong> geschah wirklich! Leopold Jessner, <strong>der</strong> zu großen<br />

D<strong>in</strong>gen berufene Oberspielleiter am Hamburger Thaliatheater, verließ diese Bühne nach elfjähriger<br />

Tätigkeit und suchte e<strong>in</strong>e neue, von Traditionen möglichst unbeschwerte Wirkungsstätte. Was<br />

konnte ihm willkommener se<strong>in</strong> als Königsberg? Er hatte se<strong>in</strong>e ostpreußische Heimat nie vergessen<br />

und empfand schon lange den brennenden Wunsch, gerade se<strong>in</strong>en Landsleuten e<strong>in</strong>mal zu zeigen,<br />

was er gelernt, was er zu lehren hatte, – getreu e<strong>in</strong>em Ibsenwort:<br />

Der Heimat Ort ist e<strong>in</strong>em Mann,<br />

Was e<strong>in</strong>em Baum <strong>der</strong> Wurzelgrund:<br />

Wenn man ihn da nicht brauchen kann,<br />

Verstummt se<strong>in</strong> Mund, verdirbt se<strong>in</strong> Pfund.<br />

Jessner hatte sich nicht bloß als Sachwalter <strong>der</strong> Szene e<strong>in</strong>en Namen gemacht, son<strong>der</strong>n auch als<br />

umsichtiger Führer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bühnengenossenschaft. Lebensklug und gewandt, war er <strong>in</strong> Wort und<br />

Schrift zugleich stets e<strong>in</strong> Vertreter idealistischer For<strong>der</strong>ungen gewesen. Insbeson<strong>der</strong>e hatte er immer<br />

wie<strong>der</strong> betont, daß <strong>der</strong> Theaterleiter nicht e<strong>in</strong> Theaterunternehmer se<strong>in</strong> dürfe und daß <strong>der</strong><br />

Handels- und Geschäftsgeist zum Krebsschaden des deutschen Theaters geworden sei. In e<strong>in</strong>em<br />

vielbemerkten Aufsatz „Schauspieler heraus!“ hatte er erst jüngst betont, daß dem deutschen Theater<br />

„trotzalledem“ e<strong>in</strong>e Zukunft voll höchster Aufgaben beschieden, daß es berufen sei, die <strong>in</strong> unserm<br />

Volk schlummernde Sehnsucht nach Großem zu erfüllen. – Nach Prüfung <strong>der</strong> Sachlage durften<br />

die Königsberger Verantwortlichen hoffen: wenn e<strong>in</strong>er, so würde dieser praktische Idealist das<br />

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