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Textteil der Festschrift - Kultur in Ostpreußen

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Schöpfungsgeschichte.<br />

Die Gründung des Neuen Schauspielhauses war e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> erfolgreichsten, selbstlosesten und<br />

schönsten Taten im Geistesleben Königsbergs. Sie fiel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Zeit – o<strong>der</strong> richtiger: sie war e<strong>in</strong>e<br />

Folge jenes mächtigen Aufschwunges des deutschen Theaters, <strong>der</strong> <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem glänzenden<br />

Vorstoß Max Re<strong>in</strong>hardts zu danken war.<br />

Der geborene Königsberger – letzten Endes doch unbefriedigt durch die prov<strong>in</strong>ziellen, mehr<br />

auf gutem Willen als wahrem Vermögen beruhenden Kunstleistungen se<strong>in</strong>er Vaterstadt – sah und<br />

schielte (falls er nicht schon <strong>in</strong> jungen Jahren auswan<strong>der</strong>te!) auf das blendende Vorbild Berl<strong>in</strong>s.<br />

Entfaltete doch gerade damals <strong>der</strong> große Hexenmeister <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schumannstraße se<strong>in</strong>e verblüffendsten<br />

Künste, Genie und Besessenheit bekundend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wahrhaft verschwen<strong>der</strong>ischen Fülle<br />

niegesehener, urwüchsiger Inszenierungen. Das edle Beispiel weckte Nacheiferung; es ließ auch im<br />

Reich Sehnsucht entstehen nach neuzeitlich schaffenden, zumal <strong>in</strong>timen Schauspielhäusern, die<br />

Literatur und Theater, Geist und S<strong>in</strong>nlichkeit harmonisch <strong>in</strong> sich vere<strong>in</strong>en. Am kräftigsten wuchs die<br />

Sehnsucht dort, wo das <strong>in</strong> uraltem Herkommen wurzelnde und „wurschtelnde“ Stadttheater – dies<br />

nicht als örtliche Bezeichnung, son<strong>der</strong>n als theatergeschichtlicher Begriff – se<strong>in</strong>e unumschränkte<br />

Alle<strong>in</strong>herrschaft ausübte. Es kam die Zeit <strong>der</strong> Kammerspiele. In e<strong>in</strong>er ganzen Reihe deutscher<br />

Städte wurden Versuche dieser Art unternommen; vielleicht nirgend aber g<strong>in</strong>g die Saat <strong>der</strong> Hoffnung<br />

so ertragreich auf wie <strong>in</strong> Königsberg.<br />

Der Mann, <strong>in</strong> dem sich die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden zum schöpferischen Tatwillen<br />

verdichtete, war <strong>der</strong> praktische Arzt Dr. med. Art ur Berdrow, e<strong>in</strong> begabter, sangesfroher,<br />

kunsts<strong>in</strong>niger Junggeselle, <strong>der</strong> neben se<strong>in</strong>em Beruf nur die Liebe zu Musik und Theater kannte. So<br />

viele Köpfe und Hände auch sonst zur Verwirklichung des Unternehmens beigetragen haben mögen,<br />

so ist und bleibt die eigentliche Uridee des Neuen Schauspielhauses doch unlöslich nur mit<br />

dem Namen Artur Berdrows verknüpft! Und ihm ist nicht etwa bloß <strong>der</strong> erste E<strong>in</strong>fall zuzuschreiben<br />

– <strong>der</strong> war billig und lag damals sozusagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luft. Ne<strong>in</strong>, se<strong>in</strong> eigentliches Verdienst lag <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

beispiellosen Zähigkeit und Energie, mit <strong>der</strong> er den zukunftsträchtigen Gedanken unablässig ausbreitete,<br />

auf an<strong>der</strong>e übertrug und schließlich mit höchster Anstrengung <strong>in</strong> die Tat umsetzte. Ohne<br />

Artur Berdrow läge das Neue Schauspielhaus noch heute „im Schöße <strong>der</strong> Götter“. Se<strong>in</strong>e enthusiastische<br />

Art hatte etwas unmittelbar Ansteckendes. Er war Feuer und Flamme für „se<strong>in</strong>e“ Sache, die<br />

doch nur die Sache <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit war. Er besaß e<strong>in</strong>en Idealismus, dem gegenüber auch <strong>der</strong><br />

geborene Skeptiker wehrlos war. Es erschien e<strong>in</strong>fach unmöglich, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gegenwart den Schwarzseher<br />

o<strong>der</strong> ungläubigen Thomas zu spielen. Berdrow warb durch se<strong>in</strong> Auge, se<strong>in</strong>e Geste, se<strong>in</strong>e Rede,<br />

se<strong>in</strong>e ganze Persönlichkeit, und man möchte auf ihn die Verse anwenden, die Goethe se<strong>in</strong>em<br />

verstorbenen großen Freunde widmete:<br />

Nun glühte se<strong>in</strong>e Wange rot und röter<br />

Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,<br />

Von jenem Mut, <strong>der</strong> früher o<strong>der</strong> später<br />

Den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> stumpfen Welt besiegt,<br />

Von jenem Glauben, <strong>der</strong> sich stets erhöhter<br />

Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt ...<br />

Freilich muß gesagt werden, was heute schon vielfach <strong>in</strong> Vergessenheit geraten ist, daß Dr.<br />

Berdrow se<strong>in</strong>e Schöpfung nicht von Anfang an <strong>in</strong> ihrer heutigen vollkommenen Gestalt sah. Was<br />

ihm zunächst vorschwebte, war nicht e<strong>in</strong>e literarische Kammerbühne, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> „wohlfeiles<br />

Volkstheater“, wie es etwa doch nur verhältnismäßig kurze Zeit <strong>der</strong> prächtige Raphael Lö wenfeld<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und Charlottenburg <strong>in</strong>s Leben gerufen hatte. Berdrows Ausgangspunkt war ursprünglich<br />

mehr e<strong>in</strong> sozialer als e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> ästhetischer: er wollte „Qualität“, d. h. künstlerischen Wert, mit<br />

Billigkeit verb<strong>in</strong>den – wollte gute, beste Theaterware <strong>der</strong> weniger kaufkräftigen Masse zuführen. Es<br />

ist ke<strong>in</strong>eswegs ausgeschlossen, daß er hier<strong>in</strong> durch Emil Krause, den mit dem Königsberger Theaterleben<br />

<strong>in</strong>nigst verbundenen angesehenen Schauspielkritiker <strong>der</strong> Hartungschen Zeitung, bee<strong>in</strong>flußt<br />

worden ist. So schrieb Krause im Februar 1905 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Blatte e<strong>in</strong>en „Brauchen wir ei n<br />

zweites Theater?“ betitelten Aufsatz, <strong>der</strong> zu <strong>der</strong> „seit längerer Zeit <strong>in</strong> unseren kunstfreundlichen<br />

Privatkreisen lebhaft debattierten Frage“ vorsichtig Stellung nimmt und zugibt: an sich lege<br />

„die Bevölkerungszahl und die geistige Bedeutung Königsbergs den Gedanken nahe, daß zwei vollausgerüstete<br />

dramatische Kunst<strong>in</strong>stitute am Orte nicht nur e<strong>in</strong>em fühlbaren Bedürfnis entsprechen<br />

würden, son<strong>der</strong>n sich auch materiell nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auskömmlich müßten halten lassen“. In <strong>der</strong><br />

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