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Textteil der Festschrift - Kultur in Ostpreußen

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des Hauses brauchte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära Leopold Jessner nicht bange zu werden, und es geschah das völlig<br />

Unerwartete, das Unwahrsche<strong>in</strong>liche: daß <strong>der</strong> Krieg das Neue Schauspielhaus „gesund machte“.<br />

Beson<strong>der</strong>s gute Tage hatten im Kriegsrepertoire die dichterischen „Bundesbrü<strong>der</strong> und Neutralen“.<br />

So rückten denn <strong>in</strong> Breitkolonne heran die Str<strong>in</strong>dberg, Ibsen, Björnson; die Anzengruber,<br />

Schnitzler, Wildgans und Karl Schönherr, dessen „Weibsteufel“, mehr bei den Theaterrennern als -<br />

Kennern, 21 Wie<strong>der</strong>holungen erzwang. Aus <strong>der</strong> älteren Heimatdichtung tauchte endlich, endlich<br />

Büchners „Wozzeck“ auf. Aus <strong>der</strong> jüngeren machten wir erste dramatische Bekanntschaft mit<br />

Sternheim („Der Snob“), He<strong>in</strong>rich Mann („Madame Legros“) und Arno Nadels anfangs zensurbedrücktem<br />

„Adam“. Der Hexensabbat des Expressionismus wurde mit Hasenclevers „Sohn“, mit<br />

Georg Kaisers „Koralle“ und „Gas“ pflichtschuldigst mitgemacht. Mit den Gastspielen war meist<br />

erhöhter Spielplan verbunden. Man sah u. a. Rosa Bertens, Hermi ne Kö rner, PaulWegener,<br />

Rudolf Schildkraut, Max Pallenberg. Uraufführungen waren wo nicht durch wertvolle<br />

Stücke, so doch durch wertvolle Autorennamen bed<strong>in</strong>gt: Wilhelm von Scholz' „Fe<strong>in</strong>de“, G. Kaisers<br />

„Rektor Kleist“, Max Brods „König<strong>in</strong> Esther“, „Hansjörgs Erwachen“ von Paul Apel Otto H<strong>in</strong>nerks<br />

„Bullerungen“ etc. – wer kennt sie noch? Nur dem „Augenblick“ Hermann Bahrs war e<strong>in</strong>igermaßen<br />

Dauer verliehen.<br />

Aber das Wesentliche war bei Leopold Jessner am Ende nicht das Was, son<strong>der</strong>n das Wie. Er<br />

war <strong>der</strong> erste große Regisseur am Neuen Schauspiel haus. E<strong>in</strong> Regisseur <strong>der</strong> Farbe und<br />

<strong>der</strong> Form, nicht bloß des Wortes. Jede se<strong>in</strong>er Inszenierungen g<strong>in</strong>g von e<strong>in</strong>em künstlerischen Grund-<br />

und Kerngedanken aus. Hatte er den gefunden, so ergab sich alles weitere von selbst. Auch die<br />

Striche, die erbarmungslos selbst durch „schöne Stellen“ <strong>der</strong> Klassiker fuhren. Im „Don Carlos“ ließ<br />

er fast die Hälfte des Textes fallen, um aus <strong>der</strong> Haupt- und Staatsaktion e<strong>in</strong>e Hof-<br />

Familienkatastrophe mit König Philipp als Helden zu gew<strong>in</strong>nen. Im „Peer Gynt“ blieben von 170<br />

Druckseiten kaum 90 übrig. Leopold Jessners Anordnungen und E<strong>in</strong>falle waren nicht selten anfechtbar,<br />

aber sie waren nie unselbständig. „Nachahmen erniedrigt e<strong>in</strong>en Mann von Kopf.“ Er<br />

arbeitete nie nach Schema F, son<strong>der</strong>n hatte den Mut, eigene Wege zu gehen und, wenn's sich so<br />

traf, auch eigene Fehler zu begehen. „Los von Berl<strong>in</strong>“ hieß se<strong>in</strong>e Parole, bis er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage war, <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> selbst zu zeigen, wie er's me<strong>in</strong>te. Die hiesigen Aufführungen <strong>der</strong> „Komödie <strong>der</strong> Irrungen“<br />

o<strong>der</strong> des „Karl Hetmann“ enthielten im Keim schon alle Regiegrundlagen, durch die er hernach im<br />

Staatstheater so außerordentliches Aufsehen machte.<br />

Se<strong>in</strong> Hauptmitarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regie war zuerst Dr. H. H. Cramer, später und vorzugsweise<br />

Richard Rosenheim, <strong>der</strong> nach und nach die Hauptlast <strong>der</strong> Spielleitung und die Stellvertretung<br />

des Direktors auf sich nehmen mußte. Längere Zeit war auch <strong>der</strong> durch den Krieg hierher verschlagene<br />

Berl<strong>in</strong>er Schriftsteller Juli us Bab literarischer Gewissensrat für „alle vorkommenden Fälle“;<br />

se<strong>in</strong>em beweglichen Geist waren u. a. e<strong>in</strong>e Reihe Sonntagsfeiern und Hauptmanns „Griseldis“ im<br />

Urzustande zu danken.<br />

In se<strong>in</strong>er <strong>der</strong>ben Zimmermannsart hat He<strong>in</strong>rich Laube e<strong>in</strong>mal das Scherzwort h<strong>in</strong>geworfen:<br />

„Schauspieler, Räuberbanden und Soldaten brauchen gute Führer, sonst s<strong>in</strong>d sie alle drei nichts<br />

wert.“ Leopold Jessner war e<strong>in</strong> guter Führer, <strong>der</strong> die Langsamen durch se<strong>in</strong> Beispiel fortriß,<br />

Schwache schon durch kle<strong>in</strong>ste Richtigstellung auf die Höhe <strong>der</strong> Situation hob, Handwerker und<br />

Betriebsbeamte zu Künstlern machte. Es ließe sich e<strong>in</strong>e lange Liste se<strong>in</strong>er Darsteller zusammenstellen,<br />

die wir heute noch nicht vergessen haben. So etwa die vielseitige echte Komödiantennatur<br />

Hans Raabes, den meisterhaften Charakteristiker Hermann Pfanz, die tiefgründige Maria Hartmann,<br />

die gewandte, kluge Grete Um, den fe<strong>in</strong>humoristischen Franz Weber, die kle<strong>in</strong>e Marie Wendt, Lucie<br />

Mannheim <strong>in</strong> ihren Anfängen, ferner Gertrud Back, den wandlungsfähigen E. L. Franken, Clemens<br />

Wrede, Willy Sträube u. v. a. Der treffliche Karl Knaack und Dr. Fritz Jessner, <strong>der</strong> Karl Hetmann,<br />

<strong>der</strong> Lear-Narr und Oswald Alv<strong>in</strong>g von damals, s<strong>in</strong>d uns (mit Unterbrechungen) treu geblieben. Die<br />

meisten aber zogen von dannen. Nie vorher o<strong>der</strong> nachher hat das Schauspielhaus e<strong>in</strong>e solche Anzahl<br />

von Darstellern an die Haupttheaterstädte abgetreten wie <strong>in</strong> dieser Periode. Nach Wien g<strong>in</strong>gen:<br />

Ludwig Ste<strong>in</strong>, Hans Raabe, Julius F. Janson; nach Berl<strong>in</strong>: Marta Hartmann, Lucie Mannheim,<br />

Blanche Dergan; nach Frankfurt a. M.: Fritz Gildemeister (später zurückgekehrt); nach Hamburg:<br />

Rita Burg etc.<br />

Als Leopold Jessner, schon e<strong>in</strong> bekannter Charakterkopf unter den führenden Theatermännern,<br />

nach <strong>der</strong> Ostmark kam, war es uns und wohl auch ihm selbst von Anbeg<strong>in</strong>n klar, daß die<br />

Heimatstadt nur e<strong>in</strong>e Durchgangsstation auf se<strong>in</strong>em Lebenswege se<strong>in</strong> werde. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat – Ende<br />

Juni 1919 wurde er zur Leitung des Staatlichen Schauspielhauses <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> berufen. Aber wir waren<br />

nicht völlig „verwaist“; se<strong>in</strong>e Ueberlieferung se<strong>in</strong>e Lehre blieben uns <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bisherigen Oberspielleiter<br />

erhalten.<br />

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