PDF-Ausgabe (ca.5,4 mb) - Schlangengesang
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Sc hlangenges ang Aus gabe 57 – Januar 2013<br />
dass die kosmische Ordnung, die der Afrikaner im Wirken der Natur<br />
erkennt und als unsichtbare Welt begreift in der sichtbaren Welt der<br />
Menschen weitergeführt werden muss. Es kommt also zu einem<br />
Wechselspiel der Ordnung in der jenseitigen und der diesseitigen Welt -<br />
zwischen beiden muss eine Balance hergestellt werden. Die<br />
unsichtbare Welt wird von einer geschlechtslosen Schöpferkraft mit den<br />
Naturgeistern „Orishas“ und den Ahnen geteilt. Die von diesen<br />
ausgehende Lebensenergie „aché“ wird an Menschen, Tiere und sogar<br />
Pflanzen und Steine weitergegeben. Diese Lebensenergie nimmt im<br />
Laufe des Lebens ab und muss durch Opfer und Rituale immer wieder<br />
erneuert werden. Der Umgang mit der „aché“ wird als magische<br />
Handlung verstanden. Jede magische Handlung birgt ein gewisses<br />
Risiko. Die kraftvolle „aché“ kann potentiell gut oder schlecht eingesetzt<br />
werden: als weiße oder schwarze Magie. Aus diesem Grund werden<br />
Hexen als so machtvoll angesehen und gefürchtet. Sie können nämlich<br />
prinzipiell immer Gutes wie Schlechtes bewirken. Einen echten<br />
Dualismus von „gut“ und „böse“ kannten die Menschen in Afrika vor der<br />
Missionierung durch die abrahamitischen Religionen ohnehin nicht.<br />
Die Lebensenergie kann jedem Individuum zufließen, von der unsichtbaren Welt zugeteilt werden oder auch<br />
abgezogen und zerstört werden. Jeder Afrikaner kann diese Energie fühlen, sie unmittelbar erleben und<br />
auch wahrnehmen, wenn sie ihn verlässt. Zu Beispielen wie die „aché“ erlebt wird, gehören: Gesundheit,<br />
Aktivität, das Wohlwollen der Sippe und der Freunde, sexuelle Potenz, Fruchtbarkeit, Erfolg, Vermehrung<br />
des Vermögens und das Wohlergehen der eigenen Tiere und des eigenen Ackerlandes. Be-greifbare<br />
Energie beziehen diejenigen, die noch mit der traditionellen Naturreligion leben, auch häufig aus den<br />
Amulett-Beuteln aus Leder, in denen die Inhaltsstoffe sind, die der Orakelpriester bei der Befragung der<br />
unsichtbaren Welt ermittelt hat. Sie sollen ihrem Träger die „aché“ weitergeben.<br />
Die „aché“ genannte Lebensenergie, wird von den Ahnen der Sippe aus der unsichtbaren Welt in die Welt<br />
der Menschen transferiert oder kann von einem der vielen Naturgeister auf Befehl der Götter positiv oder<br />
negativ gelenkt werden. Diesen Weg kann auch derjenige nutzen, der weiß, wie man sich die Geister<br />
nutzbar macht, der die Technik des Beschwörens beherrscht. Prinzipiell kann jeder der Geister dienstbar<br />
gemacht werden. Über das Darreichen von bevorzugten Speisen oder Gegenständen, Pflanzen, Farben<br />
oder Liedern, kann ein geübter Magier einen Geist an sich binden. Wer nun dem Geist befehlen kann, regiert<br />
auch über dessen „aché“ und kann sie nutzen.<br />
Der Strom dieser Lebensenergie fließt auch in der Welt der Ahnen. Sie umgeben die Lebenden und warten<br />
darauf, wiedergeboren zu werden. Die Ahnen überwachen, ob die Lebenden die Stammesordnung erhalten,<br />
die Götter ehren, Opfer bringen und die geforderten Rituale einhalten. Leistet der Stamm dies, wird er über<br />
den Stammesältesten mit der „aché“ der Ahnen versorgt. Durch ihn wiederum werden auch die anderen<br />
Stammesmitglieder mit Lebenskraft versorgt – allerdings nur, wenn sie die Alten ehren und ihnen helfen. Es<br />
kommt zu einem Kreislauf der Energie: die unsichtbare Welt versorgt die sichtbare, die Alten geben die<br />
„aché“ weiter an die Jüngeren und immer weiter bis zu den Kindern und sogar den Pflanzen und Tieren des<br />
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