AFRIKABILDER - Arbeit und Leben Bremen eV
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Van Reybroucks merkwürdige <strong>Arbeit</strong>sweise in Bezug auf Lumumba<br />
fällt einer Vielzahl von Feuilletonredakteuren scheinbar<br />
kaum auf. Im Tagesspiegel wird Van Reybroucks »präzise,<br />
packende Darstellungsweise« gelobt (siehe Teutsch, »Rohstoff<br />
Afrika«) <strong>und</strong> in Welt Online wird über die »intellektuelle Redlichkeit«<br />
des Buchs sinniert. In letztgenannter Rezension vom<br />
29. April 2012 übernimmt der Journalist Stephan Wackwitz das<br />
Lumumba-Bild Van Reybroucks weitgehend:<br />
»Dass die Ermordung Lumumbas, des ersten Ministerpräsidenten<br />
des unabhängigen Kongos, 1961 ein<br />
Verbrechen war, muss Van Reybrouck nicht betonen.<br />
Seine Leser spüren seine moralische Haltung in jedem<br />
Abschnitt des entsprechenden Kapitels. Aber das hält<br />
ihn nicht davon ab, die glaubwürdigen Zeugnisse amerikanischer<br />
Beobachter über den manisch-autistischen<br />
Eindruck zu zitieren, den Lumumba bei seinem Auftritt<br />
vor der UNO hinterließ« (siehe »Die neue Entdeckung<br />
Afrikas«).<br />
Es kann in diesem Zitat kaum übersehen werden, wie die<br />
Aus sagen Dillons ohne weiteres als glaubwürdig etikettiert<br />
werden <strong>und</strong> wie die bereits vorhandene Irrationalität <strong>und</strong> Pathologisierung<br />
Lumumbas noch durch weitere Bezeichnungen<br />
(»manisch-autistisch«) verstärkt werden. Kritik der tendenziö<br />
sen Quellenauswahl Van Reybroucks? Fehlanzeige.<br />
Die fantasievollen, überdrehten Repräsentationen Lumumbas<br />
zeigen sich nicht nur in den Feuilletons, sondern auch in der<br />
deutschen Alltags- <strong>und</strong> Popkultur. Der Cocktail ›Lumumba‹<br />
ist geradezu exemplarisch dafür. Seit den Sechzigern wird das<br />
Getränk, welches eine Mischung aus Schokomilch, Rum <strong>und</strong><br />
ein wenig Sahne ist, in Cocktailbars <strong>und</strong> auf Weihnachtsmärkten<br />
verkauft. Abgesehen davon, dass es merkwürdig ist (<strong>und</strong><br />
geschmacklos zugleich) einen Cocktail zu verzehren, der nach<br />
einem ermordeten Politiker benannt wurde – wäre ein Getränk<br />
namens Lincoln, Kennedy oder Fortuyn wirklich vorstellbar?<br />
–, wird Lumumba außerdem über die braune Milchfarbe<br />
rassifiziert <strong>und</strong> über den Rum hedonisiert. In der Popmusik<br />
wurde besonders der letzte Aspekt, die Hedonisierung, häufig<br />
reproduziert. Seit dem 1967 veröffentlichten Song ›Waltz for<br />
Lumumba‹ von The Spencer Davis Group treiben besonders<br />
die Schlager- <strong>und</strong> Technoszene Lumumba als Zeichen einer<br />
guten Zeit <strong>und</strong> einer übersexualisierten Partyfantasie voran.<br />
»Weißes Meer, weißer Sand, stehe ich hier mit ’nem Lumumba<br />
in der Hand – tanze mit mir den Reggae, heut’ Nacht«, singt<br />
die Schlager-Künstlerin Tanja More in ihrem Song ›Lumumba‹<br />
im Jahr 2009. In diesem von sexuellen Anspielungen durchzogenen<br />
Lied schwankt More zwischen Lumumba als Cocktail<br />
<strong>und</strong> Lumumba als Schwarzem Urlaubsflirt.<br />
Die andere Seite der Musikmedaille ist Lumumba als Zeichen<br />
des Stolzes <strong>und</strong> des idealisierten Kampfgeistes. Besonders<br />
›People of Color‹ oder Menschen, die gegenüber der Mehrheitsgesellschaft<br />
als nicht-weiß gelten (siehe Arndt <strong>und</strong> Ofuatey-Alazard),<br />
treiben diese Repräsentation voran. Die südafrikanische<br />
Musikerin Miriam Makeba beispielsweise erzählt<br />
in ihrem Lied ›Lumumba‹ (1970), wie ein Junge »nach dem<br />
großen Mann, der für die Freiheit Kongos kämpfte«, benannt<br />
wurde. In diesem <strong>und</strong> anderen Songs wird Lumumba als eine<br />
inspirierende, oppositionelle, aber vielfach auch traumhaft<br />
heroische Figur des kraftvollen Widerstandes gegen unterdrückende<br />
Verhältnisse mobilisiert. Diese Tradition des Empowerments<br />
(Selbstbemächtigung), in der Lumumba für einen<br />
idealtypischen Mut <strong>und</strong> also revolutionäres Ethos steht, setzt<br />
sich bis heute durch, wie beispielsweise Monsieur R. in ›De<br />
Buenos Aires à Kinshasa‹ (2007), Nas in ›My Country‹ (2001)<br />
oder Prince Zeka in ›Lumumba‹ (2007) zeigen.<br />
Die Erklärung der auseinanderklaffenden Repräsentationen<br />
Lumumbas in den Massenmedien <strong>und</strong> der Popkultur – Revolutionär<br />
versus Rumgetränk – möchte ich mit dem Begriff des<br />
›Kongoismus‹ zusammenfassen. Kongoismus ist ein Diskurs, der<br />
von abwertenden oder überhöhten Aussagen gegenüber dem<br />
Kongo <strong>und</strong> seinen Einwohnerinnen <strong>und</strong> Einwohnern gekennzeichnet<br />
ist. Selbstverständlich gibt es gute Gründe, kritisch<br />
auf den Kongo zu schauen, besonders vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der ca. sechs Millionen kongolesischen Opfer in dem seit Ende<br />
der Neunziger andauernden gewaltsamen Kampf um die Rohstoffe<br />
des Landes. Diese Kritik ist durchaus angebracht, aber<br />
ihre Rhetorik ist das meistens nicht. Weil die Redeweise über<br />
den jetzigen Kongo stark von Joseph Conrads Herz der Finsternis<br />
geprägt wird, ein fiktionaler Text aus dem Kolonialzeitalter,<br />
wird der Kongo seit mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren in einer<br />
Art <strong>und</strong> Weise erfasst, die aus dem Kongo die monströse,<br />
überdrehte, hoffnungslose Schattenseite Afrikas macht. Heutige<br />
populäre Bücher wie Facing the Congo: A Modern-Day Journey<br />
into the Heart of Darkness (siehe Tayler) <strong>und</strong> Dancing in the<br />
Glory of Monsters: The Collapse of the Congo and the Great<br />
War of Africa (siehe Stearns) zeigen exemplarisch, wie stark<br />
der Kongo immer noch im Conradschen Traum-Alptraum-<br />
Konzept erfasst wird, mit einer starken Neigung zum Negativen,<br />
Lächerlichen, Übertriebenen <strong>und</strong> Erf<strong>und</strong>enen. Die extremen<br />
Unterschiede in den Repräsentationen Lumumbas in den<br />
Massenmedien <strong>und</strong> der Popkultur sollten dementsprechend<br />
als ein Ergebnis dieser langen Tradition <strong>und</strong> Normalität des<br />
Kongoismus verstanden werden.<br />
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