das Buch als PDF-Datei (ca. 1.6 MB) - Mandative Demokratie
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190 Ursachenforschung: Politikerversagen oder Fehler des Systems?<br />
Die unheilige Allianz 191<br />
Um ein politisches Mandat erfolgreich ausfüllen zu können, braucht in<br />
der Tat niemand eine spezifische Ausbildung. Jeder bürgerliche Beruf<br />
ist <strong>als</strong> Grundlage geeignet. Politik kann man aus guten Gründen studieren,<br />
aber nicht, um Politiker zu werden. Der bürgerliche Beruf ist<br />
einerseits Ausgangspunkt für Berufs- und Lebenserfahrung, andererseits<br />
Rückversicherung und Gewährleistung der Unabhängigkeit, weil man<br />
notfalls aus der Politik ausscheiden und wieder im angestammten Beruf<br />
seinen Lebensunterhalt verdienen kann.<br />
Zur Ausübung des Mandats benötigt man Generalisten mit gehöriger<br />
Lebenserfahrung. Als Eigenschaften müssen Kontaktfähigkeit, Tatkraft<br />
und Durchsetzungsvermögen hinzu kommen. Das Wichtigste aber<br />
sind Persönlichkeit und Charakter, d. h. Verantwortungsgefühl, Ehrlichkeit,<br />
Gerechtigkeitsgefühl – alles <strong>das</strong>, was auch in anderen Führungspositionen<br />
gefragt ist.<br />
Max Weber hat die Anforderungen, die für Politiker vor allem entscheidend<br />
seien, mit folgenden drei Qualitäten umschrieben: Leidenschaft<br />
im Sinne von Hingabe an eine „Sache“, Verantwortungsgefühl<br />
gegenüber ebendieser Sache und Augenmaß, d. h. die Fähigkeit, die<br />
Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen.119<br />
Todsünden seien Unsachlichkeit und Verantwortungslosigkeit.<br />
Wie kann man geeignete Leute motivieren, politische Funktionen<br />
zu übernehmen? Wenn die Zugangssperren zur Politik beseitigt wären,<br />
würden sich durchaus qualifizierte Bürger für politische Ämter zur Verfügung<br />
stellen. Die Bereitschaft zum Engagement ist sicher verbreitet.<br />
Wir brauchen mehr Durchlässigkeit zwischen der Politik und den übrigen<br />
Bereichen der Gesellschaft und wir brauchen Chancen für ein zeitweiliges<br />
Engagement. Daß Wirtschaftsbosse deshalb nicht Schlange<br />
stehen nach politischen Ämtern, weil sie in der Politik weniger Macht<br />
und weniger Geld hätten, ist eine Mär. Sie werden abgeschreckt von einer<br />
feindlichen Umgebung und gewarnt von denjenigen, die es mit leidvoller<br />
Erfahrung versuchten.<br />
Quereinsteiger haben in dem gegenwärtigen System so gut wie keine<br />
Chance – bedauerlicherweise. Ein Beleg dafür ist noch in bester Erinnerung.<br />
Im Bundestagswahlkampf 2005 versuchte Angela Merkel, Paul<br />
Kirchhof <strong>als</strong> Parteilosen in ihr Wahlkampfteam aufzunehmen. Kirchhof<br />
sollte bei gewonnener Wahl Finanzminister in einer schwarz/gelben<br />
Koalition werden. Daß die Opposition diese Idee attackierte, ist nicht<br />
weiter verwunderlich. Schröder <strong>als</strong> damaliger Noch-Bundeskanzler<br />
erlaubte sich allerdings einen üblen Stil, indem er Kirchhof <strong>als</strong> „den<br />
Professor aus Heidelberg“ diffamierte. Entscheidend war jedoch <strong>das</strong><br />
Verhalten der CDU- Führungsriege, die Kirchhof ins Messer laufen ließ.<br />
Kirchhof war Konkurrent für alle diejenigen in der CDU, die sich mit<br />
ihrem jeweiligen Kometenschweif auch Hoffnung auf den Posten<br />
gemacht hatten. Kirchhof hatte keine Hausmacht in der Partei, und er<br />
hatte keinen Stallgeruch. Solche Leute werden weggebissen.<br />
Zu den gescheiterten Quereinsteigern zählte auch der in der Bevölkerung<br />
beliebte Bundespräsident Köhler. Überraschend trat Köhler 2010<br />
nach unqualifizierten Angriffen der Opposition zurück. Er hatte sich<br />
nicht mit dem politischen Intrigengeschäft zurechtgefunden und auch<br />
<strong>als</strong> zu dünnhäutig erwiesen. Dazu paßt, daß er von seiner eigenen Partei<br />
keine Unterstützung mehr fand.<br />
Gegenüber der längeren Liste der Gescheiterten gehören die Professoren<br />
Karl Schiller und Kurt Biedenkopf zu den erfolgreichen Quereinsteigern.<br />
Beide vollzogen allerdings mit ihrem Wechsel in die Politik<br />
einen endgültigen Berufswechsel.<br />
Auch Merkel ist ein Beispiel für den erfolgreichen Einstieg einer<br />
Außenseiterin. Hier spielt die historisch einmalige Konstellation der<br />
Wiedervereinigung eine Rolle. Kohl brauchte Vorzeige-Repräsentanten<br />
aus den neuen Bundesländern und glaubte, in der unerfahrenen Merkel<br />
eine folgsame Gewährsfrau gefunden zu haben. Merkel hat dann aber,<br />
mit dem gehörigen Machtinstinkt ausgestattet, sehr schnell die Spielregeln<br />
des Systems gelernt und für sich genutzt.<br />
Amerika ist mit seinem politischen System wahrhaftig kein Vorbild.<br />
Aber die Durchlässigkeit zu Wirtschaft und Wissenschaft ist bewundernswürdig.<br />
Dort kann ein Manager Botschafter werden und nach ein<br />
paar Jahren wieder in die Wirtschaft zurückkehren oder aus der Wissenschaft<br />
in die Politik und wieder zurückwechseln.<br />
Dahrendorf äußert sich skeptisch gegenüber Quereinsteigern.120<br />
Politik bedeute Handeln durch Überzeugen und Debattieren, nicht<br />
119 Max Weber: „Politik <strong>als</strong> Beruf“, S. 51<br />
120 Dahrendorf: „Die Krisen der <strong>Demokratie</strong>“, S. 94