das Buch als PDF-Datei (ca. 1.6 MB) - Mandative Demokratie
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42 <strong>Demokratie</strong> in schlechter Verfassung<br />
Was vor allem schiefgelaufen ist 43<br />
ursprünglichen Funktion wären nur noch „Maschinen, Apparate“ verblieben.<br />
Es seien die Vermittler, von denen die größte Gefahr ausgehe.<br />
„Sie sind von der demokratischen Basis abgekoppelt und müssen sich<br />
niemandem gegenüber verantworten. Trotzdem spielen sie bei der Auswahl<br />
der politischen Führung und des politischen Person<strong>als</strong> nach wie vor<br />
eine bedeutsame Rolle.“ Für diese Apparate seien Wahlen nicht mehr<br />
<strong>das</strong> Mittel, Parlamente zu konstituieren, sondern um ihren Aktivisten<br />
Machtpositionen zu verschaffen. Das verursacht erheblichen Geldbedarf:<br />
„Die bittere Wahrheit lautet, Parteiapparate sind käuflich.“<br />
Die Parteien beherrschen <strong>das</strong> politische Geschehen in Deutschland.<br />
Wer in der Politik mitwirken will, muß sich der Parteidisziplin beugen.<br />
Nach Art. 38 Grundgesetz sind Abgeordnete „… Vertreter des ganzen<br />
Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem<br />
Gewissen unterworfen“. Neuralgischer Punkt ist deshalb der Fraktionszwang,<br />
ohne den, wie seine Befürworter argumentieren, keine „parlamentarische<br />
Arbeit“ – sprich Mehrheitsbeschaffung für die Regierung –<br />
möglich sei. Heinrichs hält eine solche Begründung denn auch für ein<br />
gewaltiges Argument gegen diese Art von Parteiendemokratie.42<br />
Einflußreicher Theoretiker des Parteienstaates ist Gerhard Leibholz,<br />
langjähriger Richter am Bundesverfassungsgericht. Leibholz hat die<br />
bundesdeutsche Verfassungswirklichkeit in Bezug auf die Stellung der<br />
Parteien maßgeblich mit geprägt. Für ihn sind Parteien praktisch Staatsorgane.<br />
Sein Ideal ist eine größtmögliche Mitgliedschaft der Bürger in<br />
den Parteien, so daß faktisch eine Identität von Volkswille und Parteientscheidung<br />
entsteht. Entscheidungen werden in den Parteien gefällt,<br />
im Parlament werden sie lediglich vollzogen. Fraktionszwang ist somit<br />
legitim und sogar notwendig. Voraussetzung ist für Leibholz allerdings<br />
eine funktionierende innerparteiliche <strong>Demokratie</strong>.<br />
von Arnim wendet ein, daß die „Dreieinigkeitslehre“ von Partei, Volk<br />
und Staat nur funktionieren könne, wenn tatsächlich große Teile des<br />
Volkes in den Parteien organisiert seien, Struktur und Willensbildung<br />
innerhalb der Parteien demokratisch erfolgten und die Wahlen über<br />
Programm- und Sachthemen entschieden. Alle diese Voraussetzungen<br />
hätten sich allmählich in Wunschvorstellungen aufgelöst.43<br />
42 Heinrichs: „<strong>Demokratie</strong>manifest“, S. 44<br />
43 von Arnim: „Das System“, S. 252<br />
Die Auswüchse der Parteienherrschaft sind eng verbunden mit dem<br />
Berufspolitikertum. Das eine ist ohne <strong>das</strong> andere nicht denkbar. Wer<br />
sich Politik zum Beruf auswählt und damit seinen Lebensunterhalt<br />
bestreiten will, muß den Spielregeln der Partei folgen. Seine Karriere ist<br />
davon abhängig, wie nützlich er der Partei ist. Jede Form der Aufmüpfigkeit,<br />
jeder Verstoß gegen die Parteidisziplin, wird <strong>als</strong> Illoyalität sanktioniert.<br />
Die Partei fordert Dankbarkeit von ihren Funktionsträgern ein<br />
nach dem Motto: „Alles was Du bist, hast Du der Partei zu verdanken.<br />
Also verhalte Dich entsprechend.“ Würde sich ein Abgeordneter wirklich<br />
in einer entscheidenden Frage gegen seine Fraktion stellen, ist er mit<br />
seiner Karriere am Ende.<br />
Wir erleben hier den Grundwiderspruch zwischen Mandat auf Zeit<br />
und Politik <strong>als</strong> Beruf. Wer kann denn einen Beruf ergreifen, wenn er<br />
von Wahlperiode zu Wahlperiode bangen muß, ob er seinen Beruf fortsetzen<br />
kann? Die wirtschaftliche Existenz eines Berufspolitikers ist von<br />
seiner Wiederwahl, d. h. zunächst von der Wiedernominierung durch<br />
die Partei, abhängig. Diese Art von Unsicherheit ist nicht vergleichbar mit<br />
der Kündigungsgefahr eines Arbeitnehmers. Der kann sich einen anderen<br />
Arbeitgeber suchen, ein Politiker kann oder will nicht ohne weiteres<br />
die Partei wechseln. Scheidet er ganz aus der Politik aus, ist <strong>das</strong> i. d. R.<br />
mit einem beruflichen Absturz verbunden. Wer bereits von der Universität<br />
ins Parlament wechselte, der würde seine Gewissensentscheidung<br />
damit bezahlen, <strong>als</strong> Berufsanfänger auf der Straße zu stehen. Realistischerweise<br />
sollte niemand so etwas von einem Abgeordneten erwarten.<br />
Überkritisch reagiert von Arnim in Bezug auf Nebentätigkeiten der<br />
Politiker in Gremien der Wirtschaft, auf <strong>das</strong> Engagement externer Berater<br />
oder die diversen Parteispendenaffären. Er nennt Korruption sogar<br />
die „Seele des Systems“. Das erscheint überzeichnet. Denn wer den Nur-<br />
Berufspolitiker <strong>als</strong> Mißgeburt des Systems ablehnt, muß die Durchlässigkeit<br />
zum zivilen Leben geradezu fordern. Zu unterlassen ist allerdings<br />
alles, was einen Interessenkonflikt auslösen könnte.<br />
Aber es gibt noch eine andere Form der Korrumpierung, die viel<br />
gravierender ist: Wohltaten verteilen für die eigene Klientel, um deren<br />
Stimmen zu bekommen. Überspitzt formuliert ist <strong>das</strong> Kauf von Wählerstimmen.<br />
Die Initiative kann dabei von beiden Seiten ausgehen. Nicht<br />
nur schlagkräftige Lobbyisten sind am Werk, sondern große Gruppen<br />
der Bevölkerung: Arbeitnehmer, Mieter, Hartz IV-Empfänger, Rentner,