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das Buch als PDF-Datei (ca. 1.6 MB) - Mandative Demokratie

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46 <strong>Demokratie</strong> in schlechter Verfassung<br />

Was vor allem schiefgelaufen ist 47<br />

Indiz für den Bedeutungsverlust des Parlaments ist die Erosion seines<br />

wichtigsten Rechts, des Haushaltsrechts. Unser Bundestag muß sich vom<br />

Bundesverfassungsgericht daran erinnern lassen, sich diese wichtigste<br />

Kompetenz nicht aus der Hand nehmen zu lassen.47 Obwohl <strong>das</strong> Haushaltsrecht<br />

zum Kernbestand der nationalen Staatlichkeit gehört, gibt es<br />

keinen Aufstand im Parlament, wenn die Europäische Zentralbank für<br />

über 200 Mrd. Euro minderwertige Staatsanleihen von überschuldeten<br />

Euroländern aufkauft. Würde die EZB, wie es jeder Kaufmann tun muß,<br />

ehrliche Wertberichtigungen von nur 20 % auf diese Schrottpapiere vornehmen,<br />

wäre sie technisch pleite und der Steuerzahler müßte sofort<br />

haushaltswirksam den Verlust ausgleichen. Weiteres Ungemach droht<br />

durch die Einführung von sog. Euro-Bonds. Sollte der europäische Rettungsfonds<br />

EFSF tatsächlich Schuldverschreibungen ausgeben dürfen,<br />

für die alle Euroländer gemeinschaftlich haften, dann geht es nicht nur<br />

um die in der Presse diskutierte Erhöhung der Zinslast für Deutschland,<br />

sondern um die sich aus der Haftung ergebende Zahlungsverpflichtung.<br />

Und die ist beileibe nicht auf die rechnerische Quote Deutschlands<br />

beschränkt. Für alle anderen schwachen Kandidaten müßte Deutschland<br />

auch deren Quote erfüllen. Die Größenordnung, um die es hier insgesamt<br />

geht, würde den Bundeshaushalt auf Jahrzehnte belasten.<br />

Machtverlust droht auch von Seiten der Regierung, die die Parlamentsmehrheit<br />

nur <strong>als</strong> Mittel zur Absicherung der Regierungspolitik<br />

versteht. Anders ist der selbstherrliche Umgang mit beschlossenen<br />

Gesetzen nicht verständlich: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima<br />

beschließt die Regiering Merkel ein 3-monatiges Moratorium, d. h. die<br />

Nichtanwendung des im Vorjahr beschlossenen Gesetzes über die Verlängerung<br />

der Restlaufzeit von Atomkraftwerken. Die Minderheitsregierung<br />

Kraft in Nordrhein-Westfalen setzt sich über die Landesverfassung<br />

hinweg und beschließt einen Haushalt, der eine Verschuldung weit<br />

über der Investitionsquote vorsieht.<br />

Aber auch die deutsche Spielart des Föderalismus hat zu einem<br />

Machtverlust des Bundestages beigetragen. Großen Einfluß haben die<br />

gegenwärtig etwa eintausend Gremien der Exekutiven von Bund und<br />

47 BVerfG im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 und jüngst beim Stop des Sondergremiums<br />

des Bundestages, <strong>das</strong> statt des Plenums über eilige oder geheime Maßnahmen des<br />

Euro-Rettungsfonds EFSF entscheiden sollte<br />

Ländern, die aber keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen.48<br />

Das setzt sich fort bei den Landtagen. Die Länderparlamente haben<br />

kaum noch substantielle Gesetzgebungskompetenzen. Und selbst wenn<br />

Entscheidungsspielräume vorhanden sind, stimmt man sich lieber untereinander<br />

auf Musterentwürfe ab, die dann zu im Wesentlichen gleichen<br />

Regelungen in den Ländern führen.<br />

Der Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier sieht einen wesentlichen<br />

Grund für den Machtverlust des Parlaments in der Wandlung des Bundesrates<br />

zu einer „Ersatz-Opposition“. Dies gilt nicht nur, wenn die<br />

Mehrheit im Bundesrat von der Mehrheit im Bundestag abweicht. Auch<br />

bei gleichen Mehrheitsverhältnissen lassen sich Länder gern ihre Zustimmung<br />

abkaufen. Die Ministerpräsidenten der Länder gerieren sich <strong>als</strong><br />

die sprichwörtlichen „Landesfürsten“, die ohne Rücksicht auf übergeordnete<br />

Interessen allein an der Heimatfront punkten wollen.<br />

Ein weiterer Grund für die Erosion parlamentarischer Macht wird<br />

unter dem Stichwort des „kooperativen Staates“ diskutiert. In der Literatur<br />

wird darunter die faktische Verlagerung von Entscheidungen in<br />

Verhandlungssysteme verstanden, die so nicht in der Verfassung vorgesehen<br />

sind. Das fängt bei dem Koalitionsausschuß an und setzt sich fort<br />

mit dauerhaft oder ad hoc geschaffenen Gremien unter Beteiligung von<br />

externen Fachleuten oder NGOs. Beispiele sind der „Nationale Ethikrat“,<br />

die „Hartz-“ oder die „Rürup-Kommission“, aber auch <strong>das</strong> „Bündnis für<br />

Arbeit“, die „Islam-Konferenz“ oder der „Atomkonsens“. Einerseits ist<br />

die Einbindung externen Sachverstands positiv zu vermelden, andererseits<br />

spielt sich hier eine klare Interessenvertretung von Verbänden,<br />

Organisationen und Unternehmen ab. In diesen Gremien fallen zumindest<br />

Vorentscheidungen. Parlamentarier können <strong>das</strong> Ergebnis nur noch<br />

abnicken. Die in dieser Praxis steckenden Gefahren sind offensichtlich,<br />

weil die Zusammensetzung der Gremien nicht geregelt und <strong>das</strong> Verfahren<br />

unklar ist.<br />

Papier stellt fest: Bei der Einbindung externer Fachleute oder Repräsentanten<br />

gehe es längst nicht mehr um Informations- und Erkenntnisgewinn,<br />

weil die Fakten und Argumente bekannt seien. Was erwartet<br />

werde, seien Entscheidungen und ihre Durchsetzung. Das Ganze sei<br />

damit fragwürdig, weil einem selektiven Kreis von Interessenten ein<br />

48 Scholz: „Deutschland – In guter Verfassung?“, S. 104

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