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ydaea r S - Bergstadt Sayda

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Seite 12 Historisches<br />

<strong>Sayda</strong>er Amts- und Heimatblatt . 06 - 2005<br />

(Fortsetzung aus der April-Ausgabe)<br />

Erinnerungen eines ehemaligen <strong>Sayda</strong>ers<br />

die schwer zu bremsen war. In dem Alter kommt es auf Sammeln<br />

an, ob Briefmarken, Zigarettenbilder oder Fußballerportraits.<br />

Bei den ausgeschnittenen Zeitungsbildern blieb es aber nicht,<br />

wir unterschieden die verschiedenen Stufen der Ritterkreuzträ-<br />

ger, legten Alben mit Postkarten in Hochglanzqualität an. Im<br />

Herbst und Winter 1944/1945 wurden alle Klassen in unserer<br />

Schule von diesem Sammelwahn erfasst. Fritz Fastabend als Aus-<br />

löser dieser Aktionen prahlte und pranzte nicht, er lächelte nur.<br />

Im Sommer 1945 ist Fritz knapp dem Tode entronnen, als er mit<br />

einer Flakgranate hantierte, die seinen Schulkameraden tötete,<br />

der mit dabei war.<br />

Düsseldorf ist groß, die Welt weit, nie wieder haben wir seit dem<br />

Ende des Krieges von ihm gehört.<br />

Auch die kulturelle Versorgung und Betreuung war gewährleistet<br />

(Bücher, Spiele, Bastelmaterial und Unterrichtsbedarf). Das<br />

rief natürlich unseren Neid hervor.<br />

In der Nacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 erfolgte der bis dahin<br />

größte Luftangriff der Allierten auf Leipzig, die Innenstadt wurde<br />

völlig zerstört. Die Stimmung unter den Jungen war am Boden,<br />

die Ungewissheit, ob Eltern und Geschwister noch lebten,<br />

das Elternhaus noch stand, stellte die Disziplin auf eine harte Probe.<br />

Es gab viele Tränen und auch Jungen, die allein nach Hause<br />

reisen wollten. Alle warteten auf Nachrichten von zu Hause, zum<br />

Glück waren nur zwei Elternpaarteile betroffen.<br />

Neben den Lagern der KLV gab es auch die Verschickung ganzer<br />

Familien mit Kindern aus den Luftkriegsgebieten in die kleinen<br />

Dörfer und Städte des Erzgebirges. Gewöhnlich waren es Mütter<br />

mit mehreren Kindern, deren Männer in den ausgebombten Städten<br />

geblieben waren und die hier unter den <strong>Sayda</strong>ern wohnten<br />

und deren Kinder über längere Jahre mit uns in die Schule gingen.<br />

Im Eckhaus im ersten Stock wohnte zum Beispiel die Familie<br />

Bucher mit 4 Kindern, der Vater war Feuerwehrmann in Köln.<br />

Die Familie hatte alles verloren und war in <strong>Sayda</strong> als Luftkriegsopfer<br />

und kinderreiche Familie vollkommen neu ausgestattet<br />

worden von der NSV, das war die National Sozialistische Volkswohlfahrt<br />

- eine Hilfsorganisation. Dieser Großstadtfamilie aus<br />

dem Rheinland fiel es schwer, sich in dieser kleinen Erzgebirgsstadt<br />

einzuleben, da deren Bewohner in ihren Augen spröde und<br />

klatschsüchtig waren.<br />

Frau Bucher las tagsüber Romane, rauchte Zigaretten, ließ sich<br />

nie im Ort sehen und schickte die Kinder einkaufen. Nur die dralle,<br />

16 - jährige blonde Tochter Gerdi wurde von den einheimischen<br />

Jungen angehimmelt.<br />

Der bemerkenswerteste Junge aber, Fritz Fastabend, war aus<br />

Düsseldorf und wohnte mit seiner kranken Mutter in der Mansarde<br />

des Hauses von Baumeister Neubert. Seine Mutter haben<br />

wir nie zu Gesicht bekommen und unseren Fragen zu ihr wich er<br />

aus. Alles was in der Stadt zu erledigen war, besorgte Fritz. Er<br />

ging immer mit dem Einkaufsnetz in die „Hansa“ oder zu Schulze,<br />

Bernhardt oder in den Gemüse- und Grünwarenladen von<br />

Kempe, Willi oder Arnold, Meta. Viel hatte er gewöhnlich nicht<br />

im Netz und er trödelte nach Hause. Er war ein dunkelhaariger,<br />

verträumter, 12 - jähriger Junge, der es nie eilig hatte. Er war aber<br />

auch ein intelligenter, einfallsreicher Junge, und wir staunten<br />

häufig über ihn und fühlten uns unterlegen.<br />

Fritz erfand völlig neue Varianten des gefalteten Papierflugzeuges.<br />

Diese Flugzeuge aus Schulheftpapier kannte jeder. Er aber<br />

wendete völlig andere Kniffe, Falten und Knicke von Tragflächen<br />

und Schwanzelementen an, so dass seine Flugzeuge lange<br />

in der Luft blieben, höher flogen und die wir, je nach Windrichtung,<br />

nicht mehr zu sehen bekamen. Sie flogen teilweise vom<br />

„Löwen“ bis zum „Stern“ oder die ganze Pfarrgasse entlang bis<br />

zum „Ross“. Wir versuchten ihm seine Tricks zu entlocken, er<br />

aber blieb immer besser. Faltete er etwas mit ein: Haare, Nadeln,<br />

Büroklammern oder ähnliches? Wir jedenfalls wussten es nicht.<br />

Im Spätsommer 1944 wartete Fritz mit einer besonderen Überraschung<br />

auf. Eines Tages zeigte er uns ein dickeres Schulheft, in<br />

dem er aus der Zeitung ausgeschnittene „Helden“ der Deutschen<br />

Wehrmacht eingeklebt hatte und dazu einen entsprechenden<br />

handgeschriebenen Text hinzugefügt hatte. Das waren: die Ausgezeichneten<br />

mit Ritterkreuz und Eichenlaub, den Schwertern<br />

und Brillanten, Jagdflieger, Bomberpiloten, U-Bootkapitäne,<br />

aber auch die Generalität der Wehrmacht und SS. Aus heutiger<br />

Sicht alles Männer, die ihren Mut, ihr Können und ihre Leistungen<br />

für eine falsche Sache eingesetzt hatten und damit mitschuldig<br />

an den Naziverbrechen waren. (Fortsetzung auf Seite 13)<br />

Unter uns Jungen griff nun eine Sammelleidenschaft um sich,<br />

4. Das Filmtheater in <strong>Sayda</strong> befand sich schon seit vielen Jahren<br />

im ersten Obergeschoss des “Goldenen Löwen”. Vorstellungen<br />

wechselten wöchentlich und fanden mittwochs und sonnabends<br />

statt. Unsere Generation ist diejenige, die erstmals dem Radio<br />

und dem Tonfilm als Massenmedium voll ausgesetzt war, zumal<br />

sie vom NS - Stab bewusst zur Beeinflussung der Bevölkerung,<br />

besonders der Jugend, eingesetzt wurde.<br />

Während des Krieges kam Herr Uhlig aus Neuhausen mit PKW<br />

und Anhänger, auf dem er die Vorführtechnik transportierte und<br />

in den ersten Jahren mit nur einer transportablen Filmkamera.<br />

Nach jeder Filmrolle war eine Pause, damit die neue Rolle einge-<br />

legt werden konnte. Wir größeren Kinder halfen ihm die vielen<br />

Koffer und Behälter nach oben zu tragen und waren stolz darauf,<br />

ihm helfen zu können. Später waren zwei Kameras vorhanden,<br />

die fest installiert waren. Herr Uhlig und sein Gehilfe kamen mit<br />

einem Holzgas-PKW, das war ein Vehikel mit einem großen<br />

schwarzen Kessel am Heck, der mit Holz gefeuert wurde, man-<br />

gels Treibstoff. Dazu war zur besseren Übersetzung die Hinterachse<br />

angehoben und mit einem schweren Kettentrieb versehen.<br />

Das Auto sah einem fürchterlichen Monster ähnlich. Für uns<br />

aber war das Alltag, alle noch fahrenden PKW und LKW fuhren<br />

1944/45 mit Holzgas. Man sagt, dass Herr Uhlig am Bahnüber-<br />

gang in Niederseiffenbach vom Zug erfasst wurde und dadurch<br />

tödlich verunglückte. Vorstellbar ist, dass dabei der Holzgaser ei-<br />

ne schlimme Rolle gespielt hat.<br />

Jede Woche erwarteten wir mit Spannung die angekündigten Fil-<br />

me, die regelmäßig in einem Vorschaukasten rechts vom Ein-<br />

gang des „Löwen“ angebracht waren. Nach dem Unterricht rann-<br />

ten wir alle an einem bestimmten Tag, montags, dorthin. Der<br />

Schaukasten enthielt 16 oder gar 24 Szenenfotos in Großformat,<br />

die den Inhalt des kommenden Filmes anzeigten. Die Bilder fas-<br />

zinierten uns - Fliegeroffiziere, Matrosen, Kriminalisten mit Re-<br />

volver und schöne Mädchen. Bei einer Balgerei, bei der die<br />

Schaukastenscheibe kaputt ging, trat der Löwenwirt in Aktion.<br />

Er war ein Zweizentnermann mit mächtiger Stimme und riesi-<br />

ger Glatze, die unvermeidliche Zigarre im Mund und die Hemdsärmel<br />

hochgeschlagen. Vor dem hatten wir einen mächtigen Re-<br />

spekt, er drohte uns sofort die Ohren abzuschneiden und suchte<br />

in der Tasche schon nach dem Messer, aber da suchten wir<br />

schnell das Weite.<br />

Schon eine Stunde vor Beginn waren die ersten Kinder da, die<br />

stauten sich auf der breiten Treppe, lärmten und schubsten, das<br />

Gedränge wurde immer dichter, manchmal wankte das Treppengeländer.<br />

Endlich kam die Frau mit der Kasse, der Eintritt koste-<br />

te 50 Pfennige. Es setzte nun der Kampf um die ersten Stühle<br />

vorn an der Leinewand ein, denn dort waren die besten Plätze. Es<br />

gab einen Vorfilm, auch Kulturfilm genannt, die Wochenschau,<br />

meist schon eine alte Kopie und dann der Hauptfilm mit Unterbrechungen<br />

zum Wechseln der Filmrollen.

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