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Der unmotivierte psychosomatische Patient und der ... - Rhein-Klinik

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Aus: Karin Schreiber-Willnow, Guido Hertel (Hrsg.): <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong>: Aufsätze aus dem<br />

Innenleben. VAS-Verlag Frankfurt 2006. S.38-53<br />

<strong>Der</strong> <strong>unmotivierte</strong> <strong>psychosomatische</strong> <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zeitdruck 1<br />

Eduard Häckl<br />

"Ich werde über den Zugang zu dem sogenannten "<strong>unmotivierte</strong>n" <strong>psychosomatische</strong>n<br />

<strong>Patient</strong>en im engeren Sinne sprechen - <strong>und</strong> zwar speziell in dem Kontext einer<br />

psychosomatisch- psychotherapeutischen <strong>Klinik</strong>, noch spezieller - im Kontext <strong>der</strong> RHEIN-<br />

KLINIK!<br />

Es geht um die erste Behandlungsphase - <strong>der</strong> Herstellung einer für diese <strong>Patient</strong>en hilfreichen<br />

therapeutischen Beziehung o<strong>der</strong> - in einer an<strong>der</strong>en Theoriesprache - <strong>der</strong> "Ankoppelung des<br />

therapeutischen Systems an das <strong>Patient</strong>ensystem".<br />

Den Zeitfaktor werde ich dann am Ende meiner Ausführungen berücksichtigen. Ich definiere<br />

hier den <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en im engeren Sinne als einen Menschen <strong>der</strong> auf<br />

konflikthaftes Erleben primär somatisch reagiert, <strong>der</strong> einen Symptom-Leidensdruck <strong>und</strong> noch<br />

keinerlei Zugang zu den psychischen Anteilen seiner Erkrankung hat. ENGEL hat bei diesen<br />

<strong>Patient</strong>en von den "Somato-Psychosomatosen" gesprochen. Sie finden eher selten den Weg in<br />

unsere <strong>Klinik</strong>.<br />

Für die Colitis ulcerosa z.B. lässt sich anhand <strong>der</strong> Praevalenz <strong>und</strong> Inzidenz errechnen, dass in<br />

einer Großstadt wie Köln rein statistisch etwa 400 erkrankte Menschen leben. Das<br />

Einzugsgebiet <strong>der</strong> <strong>Rhein</strong>klinik ist ja nun bedeutend größer - unsere Statistik zeigt jedoch, dass<br />

wir in den letzten Jahren nur ein bis drei dieser <strong>Patient</strong>en pro Jahr behandelt haben! Eine<br />

katamnestische Untersuchung <strong>der</strong> Essener Psychosomatischen <strong>Klinik</strong> weist im übrigen<br />

ähnliche Verhältnisse auf. Nun könnten diese Zahlen dahingehend interpretiert werden, dass<br />

diese <strong>Patient</strong>en eben im Sinne einer feststehenden Eigenschaft "unmotiviert" <strong>und</strong> "unergiebig"<br />

sind.<br />

Ein Blick in die Literatur scheint das zu bestätigen. Es wimmelt da nur so von zum Teil<br />

entwertenden Negativ-Katalogen <strong>der</strong> angeblichen "Eigenschaften" dieser <strong>Patient</strong>en: Sie seien<br />

"emotional starr", "unergiebig", "farblos", "spröde", "ausdrucksgehemmt", "stereotyp",<br />

"monoton", "anspruchslos" "vorgeschickt", "vorgeschoben", "ohne echte Ansprüche auf die<br />

Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse <strong>und</strong> in ihren unbewussten psychischen<br />

Gesprächsmanifestationen uninteressant <strong>und</strong> langweilig".<br />

Die französische Schule <strong>der</strong> Psychosomatik bescheinigt ihnen unter dem Schlagwort <strong>der</strong><br />

"pensée operatoire" mangelnde Symbolisierungsfähigkeit, gefühl- <strong>und</strong> sinnentleertes<br />

computerhaftes Denken <strong>und</strong> Phantasiearmut.<br />

Amerikanische Autoren beschreiben ihre "Alexithymie", eine angebliche Unfähigkeit,<br />

Gefühle wahrzunehmen <strong>und</strong> zu zeigen. Dies Negativbild ist allerdings nicht einheitlich:<br />

OVERBECK z.B. hat überzeugend dargelegt, dass <strong>psychosomatische</strong> Störungen auch<br />

differenzierte Schöpfungen des Ichs mit einer hochorganisierten Körpersprache sein können.<br />

Er weist darauf hin,<br />

"dass es aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>psychosomatische</strong>n Medizin selbst, mit FREUD angefangen,<br />

genügend bekannte Persönlichkeiten gibt, die an zum Teil schweren chronischen<br />

<strong>psychosomatische</strong>n Krankheiten litten <strong>und</strong> <strong>der</strong>en beson<strong>der</strong>e Persönlichkeitsmerkmale<br />

sicherlich nicht die pensée operatoire o<strong>der</strong> die Alexithymie waren".<br />

1 Vortrag zur Tagung <strong>der</strong> <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong> 1992 - Psychotherapie unter Zeitdruck -


Unter dem Einfluss <strong>der</strong> Objektbeziehungstheorie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Systemtheorie verlagerte sich in den<br />

letzten Jahren <strong>der</strong> Blickwinkel von <strong>der</strong> Beschreibung angeblicher Eigenschaften zu <strong>der</strong><br />

Erfassung <strong>und</strong> Beschreibung des Kontextes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wechselwirkungen zwischen dem<br />

Beobachter <strong>und</strong> dem Beobachteten. CREMERIUS z.B. hat geschil<strong>der</strong>t, wie<br />

"das Setting, die Interviewtechnik, die Einstellung des Interviewers zum Interviewten <strong>und</strong> die<br />

soziale Stellung des Befragten die von den französischen Autoren beobachteten Phänomene <strong>der</strong><br />

"pensée operatoire" determinieren".<br />

Er hat dazu ein Gespräch zwischen einer Kopfschmerzpatientin <strong>und</strong> einem Analytiker<br />

analysiert, welches in einem Hörsaal vor versammelter Assistenten- <strong>und</strong> Studentenschar<br />

geführt wurde <strong>und</strong> hat verdeutlicht, dass die Schlussfolgerungen <strong>der</strong> Autoren diesen Kontext<br />

in keiner Weise berücksichtigen. Seine These ist : "<strong>Der</strong> alexithyme <strong>Patient</strong> ist ein Artefakt des<br />

Umgangs mit ihm: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!"<br />

In Anlehnung an diese These möchte ich nun behaupten, dass <strong>der</strong> Ruf <strong>der</strong> RHEIN-KLINIK<br />

ein vorwiegend psychotherapeutischer ist, ein Ruf, <strong>der</strong> bei diesen <strong>Patient</strong>en mit Somato-<br />

Psychosomatosen aus guten Gründen ein Echo von mangeln<strong>der</strong> Motivation <strong>und</strong> Bereitschaft,<br />

sich aus dem Wald hervorzuwagen, erzeugt.<br />

Halten wir uns vor Augen:<br />

- Die Symptomatik hat auch einen Abwehrcharakter, d.h., die Körpersymptome treten<br />

anstelle von unerträglichen Affekten o<strong>der</strong> bedrohlichen Konflikten auf.<br />

- Diese <strong>Patient</strong>en sind aus intrapsychischen Gründen gezwungen, nach innen <strong>und</strong> außen ein<br />

Bild psychischer Normalität aufrechtzuerhalten.<br />

- Psychische Belastungen können schwere, z. T lebensbedrohliche Schübe auslösen.<br />

Unser "heimliches Rufen", mit for<strong>der</strong>nden Selbsterfahrungsangeboten, mit Klein- <strong>und</strong><br />

Großgruppen, Gestaltungs-, Musik- <strong>und</strong> Körpertherapien, verb<strong>und</strong>en mit <strong>der</strong> impliziten<br />

For<strong>der</strong>ung, die eigene psychische Normalität in Frage zu stellen, ist für diese <strong>Patient</strong>en ein<br />

unheimliches Rufen, das sie eher verschreckt. <strong>Der</strong> <strong>psychosomatische</strong> <strong>Patient</strong> im engeren<br />

Sinne zeigt sich diesem Therapieangebot gegenüber zu Recht "unmotiviert", seine<br />

behandelnden Ärzte zögern zu Recht, ihn zu überweisen <strong>und</strong> es ist in diesem Kontext auch oft<br />

folgerichtig, diese <strong>Patient</strong>en nicht dem Risiko einer solchen Therapie auszusetzen.<br />

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Psychotherapie-<strong>Klinik</strong>en, die schwere Psychoneurosen<br />

<strong>und</strong> Ich-strukturelle Persönlichkeitsstörungen mit o<strong>der</strong> ohne körperliche Begleiterscheinungen<br />

behandeln, sind selbstverständlich notwendig. Es geht mir aber darum zu zeigen, dass<br />

Modifikationen notwendig sind - in unserer Einstellung, unseren Zielsetzungen <strong>und</strong> unseren<br />

Behandlungsangeboten, wenn wir auch <strong>Patient</strong>en mit Somato-Psychosomatosen zu einer<br />

klinischen <strong>psychosomatische</strong>n Behandlung motivieren wollen.<br />

Wir wollen das <strong>und</strong> haben uns deshalb gefragt : Wie können wir aus <strong>der</strong> RHEIN-KLINIK -<br />

genauer aus einer Abteilung <strong>der</strong> RHEIN-KLINIK - in den Wald hineinrufen, damit<br />

<strong>unmotivierte</strong> <strong>psychosomatische</strong> <strong>Patient</strong>en sich motiviert heraustrauen ? O<strong>der</strong> - wie ROHLPHS<br />

es genannt hat - wie können wir die <strong>Patient</strong>en dazu bringen, "Appetit auf uns zu bekommen"?<br />

Glücklicherweise haben uns wissenschaftliche Erkenntnisse <strong>und</strong> Interessenschwerpunkte <strong>der</strong><br />

letzten Jahre - sowie wahrscheinlich auch gesellschaftliche Entwicklungen - bei <strong>der</strong><br />

Beantwortung dieser Frage unterstützt: Zum Einen hat sich ein wachsendes Interesse an<br />

schwierigen <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> geeigneten Umgangsformen mit ihnen entwickelt. FÜRSTENAU<br />

z.B. hat immer wie<strong>der</strong> hervorgehoben, dass wir uns um solche <strong>Patient</strong>en aktiv <strong>und</strong> engagiert<br />

bemühen müssen:<br />

"Es ist die erste Aufgabe des Psychotherapeuten, auch mit schwierigen <strong>Patient</strong>en therapeutischen<br />

Kontakt herzustellen, die nicht von sich aus wie ein strukturierter Neurotiker um Hilfe nachsuchen<br />

o<strong>der</strong> die nicht wie er ein Problem klar artikulieren können. (...)In diesen Fällen ist ein<br />

2


eträchtlicher persönlicher Einsatz erfor<strong>der</strong>lich, um den Kontakt herzustellen <strong>und</strong><br />

aufrechtzuerhalten, ohne vom <strong>Patient</strong>en als zu eindringend, bedrängend o<strong>der</strong> for<strong>der</strong>nd erlebt zu<br />

werden."<br />

Zum Zweiten scheint die Zeit <strong>der</strong> beinharten Ideologien <strong>und</strong> dogmatischen Lehrmeinungen,<br />

<strong>der</strong> verbissenen Argumentationsschlachten um die "wahre" Methode passé. Das "Entwe<strong>der</strong>-<br />

O<strong>der</strong>" <strong>und</strong> "Alles o<strong>der</strong> Nichts", die "Destruktivität <strong>der</strong> Ideale", weichen langsam einem<br />

gelasseneren "Sowohl-als-auch".<br />

MATURANA´s Aussage, "eine wissenschaftliche Diskussion, bei <strong>der</strong> es um die Wahrheit<br />

gehe, sei unseriös”, findet immer mehr Anklang. Psychoanalytiker, Systemiker, Verhaltens<strong>und</strong><br />

Körpertherapeuten - um nur einige zu nennen - suchen nach Gemeinsamkeiten <strong>und</strong><br />

Unterschieden <strong>und</strong> prüfen, ob Kooperation o<strong>der</strong> gar Integration möglich ist. Das Klima in <strong>der</strong><br />

"Szene" ist entspannter <strong>und</strong> spielerischer geworden. Viele suchen lieber einen nützlichen Weg<br />

als den richtigen Weg.<br />

Nützlich für das Verständnis unserer unmotiviert erscheinenden <strong>Patient</strong>en, die leicht den<br />

Anschein erwecken, gar keine Verän<strong>der</strong>ung zu wollen, ist z.B. die Meisterungshypothese -<br />

eine psychoanalytische Behandlungstheorie von SAMPSON <strong>und</strong> WEISS.<br />

Diese Forschergruppe hat nachgewiesen, dass <strong>der</strong> <strong>Patient</strong> in <strong>der</strong> Behandlung den bewussten<br />

<strong>und</strong> unbewussten Wunsch hat, seine Konflikte <strong>und</strong> traumatischen Erfahrungen zu meistern<br />

<strong>und</strong> hemmende pathologische Überzeugungen durch positive Beziehungserfahrungen zu<br />

verlieren. Er muss zunächst den Therapeuten testen, um Sicherheit <strong>und</strong> Gefahr abzuschätzen.<br />

Aus dieser Theorie ergibt sich für scheinbar <strong>unmotivierte</strong> <strong>Patient</strong>en ein fruchtbares neues<br />

Verständnis des Arbeitsbündnisses: Ein abweisendes, indifferentes o<strong>der</strong> aggressives Verhalten<br />

kann als unbewusster Versuch, den Therapeuten zu testen, verstanden werden, <strong>der</strong> zeigt, dass<br />

<strong>der</strong> <strong>Patient</strong> an <strong>der</strong> Überwindung einer pathologischen Überzeugung arbeitet, mit <strong>der</strong><br />

Hoffnung, <strong>der</strong> Therapeut möge an<strong>der</strong>s reagieren als seine primären Objekte.<br />

Sehr viel Nützliches für unsere klinische Praxis haben uns die Erkenntnisse <strong>und</strong><br />

Interventionsstrategien <strong>der</strong> Systemiker gebracht:<br />

- Nützlich für den Umgang mit diesen Kranken <strong>und</strong> auf ihre Krankheit fixierten <strong>Patient</strong>en ist<br />

die stärkere Wahrnehmung <strong>und</strong> Herausarbeitung <strong>der</strong> ges<strong>und</strong>en Persönlichkeitsanteile, <strong>der</strong><br />

"Stärken <strong>und</strong> Ressourcen", die Beschäftigung mit den "Lösungsstrategien", mit den<br />

"Ausnahmen" von den Beschwerden, mit positiven "Zukunftsentwürfen", mit dem, "was<br />

funktioniert".<br />

- Nützlich, um diese Menschen zu erreichen, die durch eine Art negativen<br />

Wahrnehmungsfilter sich selbst, ihre Erkrankung <strong>und</strong> ihre Mitmenschen oft nur negativ,<br />

schlecht <strong>und</strong> böse erleben, ist eine konsequente "positive Konnotation" ihres Verhaltens<br />

<strong>und</strong> eventuell <strong>der</strong> Symptomatik, die "sanfte Kunst des Umdeutens", die dem <strong>Patient</strong>en ihm<br />

unbewusste, jedoch wertvolle, seine Selbstachtung stärkende Aspekte seines Verhaltens<br />

vor Augen führen.<br />

- Nützlich bei <strong>Patient</strong>en, die oft in "unsichtbaren" familiären "Bindungen" gefangen sind, ist<br />

die direkte o<strong>der</strong> indirekte Einbeziehung <strong>der</strong> Familie unter Betonung <strong>der</strong> positiven,<br />

beziehungsregulierenden Funktion <strong>der</strong> Symptomatik <strong>und</strong> Berücksichtigung <strong>der</strong> Loyalität<br />

zur Familie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Familienwerte.<br />

- Nützlich, um diese Menschen mit einem oft sehr statischen Weltbild zu neuen<br />

bekömmlicheren Einstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen anzuregen, ist die Technik des<br />

"hypothetischen Fragens", das Durchspielen <strong>und</strong> Ausphantasieren neuer<br />

"Wirklichkeitskonstruktionen".<br />

- Sehr nützlich für ängstlich am Status quo festhaltende Menschen ist die gegenüber<br />

Verän<strong>der</strong>ung neutrale Position des Therapeuten, <strong>der</strong> als "Anwalt <strong>der</strong> Ambivalenz" Vor<strong>und</strong><br />

Nachteile <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nicht-Verän<strong>der</strong>ung beleuchtet, vielleicht sogar vor<br />

einer noch zu gefährlichen Verän<strong>der</strong>ung warnt.<br />

3


- Ganz beson<strong>der</strong>s nützlich ist <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> Systemiker mit dem Wi<strong>der</strong>stand, den sie<br />

durch oft humorvoll-spielerische Interventionen in "Kooperation" zu verwandeln wissen.<br />

Ich zitiere noch einmal FÜRSTENAU als Vertreter eines "progressionsorientierten<br />

psychoanalytisch-systemischen" Ansatzes:<br />

"Die zweite Aufgabe ist eine konsequente neue Umgangsweise mit den Beschwerden,<br />

Problemen <strong>und</strong> Charaktereigenschaften des <strong>Patient</strong>en. Sehr wichtig scheint in diesem<br />

Zusammenhang, die Klagen, Beschwerden o<strong>der</strong> anstößigen Verhaltensweisen wenn<br />

irgendmöglich zu akzeptieren <strong>und</strong> zu respektieren, keinen Versuch zu machen, die <strong>Patient</strong>en<br />

davon abzubringen, <strong>und</strong> Machtkämpfe <strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>standsreaktionen, z.B. durch Unterstellung<br />

ichfrem<strong>der</strong> Motive, möglichst zu vermeiden".<br />

Ganz praktisch bedeutet dies für unsere <strong>unmotivierte</strong>n psycho-somatischen <strong>Patient</strong>en<br />

zunächst, dass es sinnvoll ist, keinen Versuch zu machen, sie von ihrer mangelnden<br />

Motivation abzubringen <strong>und</strong> stillschweigend davon auszugehen, dass ein <strong>Patient</strong>, <strong>der</strong> sich<br />

trotz aller Zweifel in die <strong>Klinik</strong> wagt, nicht so unmotiviert sein kann - so unmotiviert er sich<br />

auch zeigen mag. Im übrigen hat JANSSEN in einer katamnestischen Studie herausgef<strong>und</strong>en,<br />

dass die Therapiemotivation für stationäre Behandlungen keinen Einfluss auf das<br />

Therapieresultat hat: Sie besteht in erster Linie darin, dass <strong>der</strong> <strong>Patient</strong> <strong>der</strong> stationären<br />

Aufnahme zustimmt. Es ist unsere Aufgabe, ihm ein nicht ängstigendes Angebot zu machen,<br />

das er annehmen <strong>und</strong> als hilfreich erleben kann.<br />

DE SHAZER, ein amerikanischer lösungsorientierter Kurzzeittherapeut, stellt hierfür eine<br />

einfache <strong>und</strong> nützliche Überlegung an: Er unterscheidet zwischen<br />

- Besuchern, die von Angehörigen o<strong>der</strong> Ärzten geschickt wurden, aber im Gr<strong>und</strong>e kein<br />

eigenes Anliegen haben,<br />

- Klagenden, die eine Beschwerde haben <strong>und</strong> eine Lösung ihres Problems von außen<br />

erwarten <strong>und</strong><br />

- K<strong>und</strong>en, die tatsächlich etwas gegen das Problem unternehmen wollen.<br />

Zu Besuchern ist er so fre<strong>und</strong>lich wie möglich, stellt sich konsequent auf ihre Seite <strong>und</strong> macht<br />

ihnen Komplimente für das, was funktioniert. Ein Besucher kann durch dieses therapeutische<br />

Verhalten durchaus zu einem Klagenden o<strong>der</strong> gar K<strong>und</strong>en werden. Klagenden gibt er<br />

Beobachtungs- <strong>und</strong> Denkaufgaben, also nicht verän<strong>der</strong>ungs-orientierte Aufgaben, <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>en erhalten Verhaltensaufgaben, zum Experimentieren mit neuen Lösungen.<br />

DE SHAZER macht deutlich, dass <strong>der</strong> Versuch Besuchern irgendwelche Aufgaben zu geben<br />

<strong>und</strong> mit Klagenden verän<strong>der</strong>ungsorientiert, z.B. mit Verhaltensaufgaben zu arbeiten,<br />

todsicher zu einer wi<strong>der</strong>ständigen Beziehung führt.<br />

Diese schlichte Unterteilung macht deutlich, dass viele unserer <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en<br />

noch Besucher o<strong>der</strong> Klagende sind, die im Gr<strong>und</strong>e durch den hartnäckigen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsdruck unserer Behandlungsangebote in einen hartnäckigen Wi<strong>der</strong>stand<br />

getrieben werden.<br />

Um diese für alle Beteiligten unerfreuliche <strong>und</strong> unfruchtbare Konstellation zu vermeiden, ist<br />

es nützlich, diesen <strong>Patient</strong>en ein gestuftes Angebot zu machen, das we<strong>der</strong> sie noch uns unter<br />

Druck setzt.<br />

Wir, ich meine jetzt die Abteilung I, haben daraus folgende idealtypische<br />

Behandlungsstrategie entwickelt:<br />

Besuchern, also den vorgeschickten o<strong>der</strong> sehr skeptischen <strong>Patient</strong>en, bieten wir einen“<br />

Besuch“, einen Kurzaufenthalt von eine Woche an. Sie haben die Möglichkeit, uns<br />

kennenzulernen, wir untersuchen sie gründlich, sichten die bisherigen Bef<strong>und</strong>e, führen evtl.<br />

4


ein Gespräch mit <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> erörtern Zielvorstellungen für einen möglichen späteren<br />

Aufenthalt.<br />

Klagenden schlagen wir vor, gemeinsam ihre Erkrankung zu beobachten, zu erforschen <strong>und</strong><br />

zu prüfen, was man machen könnte, damit es ihnen besser geht. Wir definieren also - für die<br />

<strong>Patient</strong>en - den Aufenthalt ausdrücklich nicht als psychotherapeutische Behandlung! Wir<br />

bieten ihnen einen Aufenthalt von 4-6 Wochen an mit medizinischer Behandlung,<br />

Einzelgesprächen, bei Bedarf Paar- <strong>und</strong> Familiengesprächen <strong>und</strong> einem physikalischen<br />

Entspannungsprogramm. Für K<strong>und</strong>en - zu einer stationären Psychotherapie motivierte<br />

<strong>Patient</strong>en - gibt es zwei Möglichkeiten: Eine klar begrenzte Kurzzeittherapie von 4-6 Wochen<br />

o<strong>der</strong> eine individuell unterschiedlich lange, oft mehrmonatigen Therapie.<br />

Wir gehen davon aus, dass es für einen <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en schon ein erster <strong>und</strong><br />

bedeutsamer Schritt ist, sich überhaupt in eine <strong>psychosomatische</strong> <strong>Klinik</strong> zu wagen. Selbst<br />

wenn er an keiner einzigen therapeutischen Veranstaltung im engeren Sinne teilgenommen<br />

hat, kann ein solcher Aufenthalt durchaus ein Anstoß für weitere Entwicklung sein <strong>und</strong> somit<br />

eine effektive Behandlung darstellen: FÜRSTENAU spricht von dem "kurativen Faktor des<br />

Behandlungssettings":<br />

"Die sozialwissenschaftliche Perspektive sieht ein wesentliches Moment <strong>der</strong> Therapie als<br />

Verän<strong>der</strong>ung schon darin, dass <strong>der</strong> <strong>Patient</strong> in diese für ihn neue Situation überhaupt eintritt,<br />

sich auf sie einlässt, sie akzeptiert <strong>und</strong> für längere o<strong>der</strong> kürzere Zeit als ein einzuhaltendes<br />

Ritual in sein Leben integriert(...) Die Erweiterung des <strong>Patient</strong>ensystems durch die<br />

Behandlungsbeziehung ist ein mehr o<strong>der</strong> weniger folgenreicher Eingriff in das<br />

<strong>Patient</strong>ensystem".<br />

Für einen <strong>Patient</strong>en aus einer <strong>psychosomatische</strong>n Familie mit starren Außengrenzen, rigiden<br />

Weltbil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Werten kann <strong>der</strong> Schritt aus <strong>der</strong> Familienfestung in eine an<strong>der</strong>e Welt mit<br />

an<strong>der</strong>en Umgangsformen <strong>und</strong> Einstellungen eine harte Realität erstmalig in Frage stellen.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Klinik</strong>aufenthalt als solcher kann eine Botschaft an die Familie o<strong>der</strong> eine Probetrennung<br />

darstellen, die, erfolgreich überstanden, neue Entwicklungsschritte ermöglicht. Auch dem<br />

Austausch mit den Mitpatienten kommt eine hohe therapeutische Wirksamkeit zu. SENF<br />

berichtet aus einer katamnestischen Studie, dass die <strong>Patient</strong>en auf die Frage, welche<br />

Erfahrungen ihnen am wichtigsten waren, am häufigsten die Gespräche untereinan<strong>der</strong><br />

nannten. Dies ist im übrigen auch einer <strong>der</strong> Gründe, warum die Behandlung von <strong>Patient</strong>en mit<br />

unterschiedlichen Krankheitsbil<strong>der</strong>n, Strukturniveaus <strong>und</strong> Motivationen in einem<br />

Krankenhaus <strong>und</strong> auf einer Station eine beson<strong>der</strong>e Chance darstellt.<br />

Ein stationärer Aufenthalt kann demnach nützlich <strong>und</strong> sinnvoll sein, auch ohne dass wir uns<br />

aktiv therapeutisch betätigen, vielleicht manchmal gerade deswegen! <strong>Der</strong> - allerdings von uns<br />

gestaltete <strong>und</strong> wohldurchdachte - Kontext wirkt durchaus auch ohne explizite Therapie! Wir<br />

haben dabei auch die Worte von RANGELL im Hinterkopf: "<strong>Der</strong> <strong>Patient</strong> erfährt eine<br />

korrigierende emotionale Erfahrung, aber mehr durch das, was <strong>der</strong> Therapeut nicht tut, als<br />

durch das, was er tut!"<br />

Stellen Sie sich nun bitte vor, es ist uns gelungen, einen <strong>unmotivierte</strong>n <strong>psychosomatische</strong>n<br />

<strong>Patient</strong>en zu ermuntern, seine Skepsis, seine Angst, sein Misstrauen zu überwinden <strong>und</strong> zu<br />

uns zu kommen. <strong>Der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Initialphase <strong>der</strong> Behandlung möchte ich ein Zitat von<br />

WINNICOTT voranstellen:<br />

"Am Anfang von Behandlungen passe ich mich ganz stark den Erwartungen des Einzelnen an. Es<br />

ist unmenschlich, das nicht zu tun.(...) Es ist nicht eine Frage von Bedürfnisbefriedigung, im<br />

Sinne von einer Verführung erliegen, son<strong>der</strong>n schlicht eine Frage <strong>der</strong> Bereitstellung von notwendigen<br />

Rahmenbedingungen."<br />

5


Psychosomatische <strong>Patient</strong>en erwarten Interesse für ihre Symptome <strong>und</strong> Krankheitstheorien,<br />

sie erwarten Schonung, körperliche Untersuchung <strong>und</strong> Behandlung. Und genau das müssen<br />

sie auch bekommen! Das oberste Prinzip ist zunächst: Es darf <strong>und</strong> soll dem <strong>Patient</strong>en gut<br />

gehen! Die Erfahrung einer Besserung <strong>der</strong> Beschwerden durch Versorgung <strong>und</strong> Entspannung<br />

ist zunächst zweckmäßiger <strong>und</strong> für ihn überzeugen<strong>der</strong>, um psychophysische Zusammenhänge<br />

zu erleben, als die einer Verschlimmerung bei Ärger, Enttäuschung <strong>und</strong> Unzufriedenheit.<br />

In diesem Sinne betont WILKE, die erste Sitzung im katathymen Bil<strong>der</strong>leben bei<br />

<strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en solle eine möglichst nur gute Erfahrung sein <strong>und</strong> verwendet die<br />

Formel: "Stellen Sie sich eine Situation vor, in <strong>der</strong> Sie sich so richtig wohl fühlen können."<br />

GRODDECK, <strong>der</strong> Altvater <strong>der</strong> Psychosomatik, hat seine <strong>Patient</strong>en mit Bä<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Massagen<br />

"verwöhnt", die er im Übrigen selbst durchgeführt hat(!). CURTIUS behandelte die Colitis<br />

ulcerosa zunächst mit hypnotischer Entspannung, FEIEREIS in Lübeck leitet die kombiniertinternistisch-psycho-therapeutische<br />

Behandlung <strong>der</strong> entzündlichen Darmerkrankungen mit<br />

vegetativer Entspannung durch Hypnose, autogenem Training <strong>und</strong> katathymem Bil<strong>der</strong>leben<br />

ein. KÜTEMEYER aus dem St. Agatha-Krankenhaus in Köln steckt ihre <strong>Patient</strong>en mit<br />

chronischen Schmerzsyndromen in duftende Heublumenpackungen, REDDEMANN aus<br />

Bielefeld lässt ihre <strong>Patient</strong>Innen mit wohlriechenden Ölen massieren. Solche<br />

Behandlungsformen stoßen in analytischen Kreisen oft auf eine gewisse Zurückhaltung!<br />

In <strong>der</strong> stationären Behandlung von strukturell gestörten <strong>Patient</strong>en gilt die strikte Wahrung <strong>der</strong><br />

Prinzipien Neutralität, Anonymität, Spiegelhaltung, Abstinenz zwar schon lange als überholt,<br />

aber die Befriedigung von "regressiven" Wünschen, die so genannte Verwöhnung, ist nach<br />

wie vor ein umstrittenes Thema.<br />

Ängste vor einem Dammbruch - die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los -<br />

eigene projizierte Regressionswünsche <strong>und</strong> -ängste, die dann prophylaktisch in Schach<br />

gehalten werden müssen, Neid <strong>und</strong> vielleicht auch Über-Ich-Ängste mögen da eine Rolle<br />

spielen: Ist das überhaupt noch analytisch? Manch einer hat vielleicht auch noch die<br />

mahnenden Worte von FREUD im Ohr:<br />

"Wer als Analytiker, etwa aus <strong>der</strong> Fülle eines hilfsbereiten Herzens ,dem Kranken alles<br />

spendet, was ein Mensch vom an<strong>der</strong>en erhoffen kann, <strong>der</strong> begeht denselben ökonomischen<br />

Fehler, dessen sich unsere nichtanalytischen Nervenheilanstalten schuldig machen. Diese<br />

streben nichts an<strong>der</strong>es an als es dem <strong>Patient</strong>en möglichst angenehm zu machen, damit er sich<br />

dort wohl fühle <strong>und</strong> gern wie<strong>der</strong> vor den Schwierigkeiten des Lebens Zuflucht dorthin nehme.<br />

Dabei verzichten sie darauf, ihn für das Leben stärker, für seine eigentlichen Aufgaben<br />

leistungsfähiger zu machen. In <strong>der</strong> analytischen Kur muss jede solche Verwöhnung vermieden<br />

werden."<br />

In <strong>der</strong> ”<strong>psychosomatische</strong>n Kur” ist Entspannung, Schonung <strong>und</strong> Regression (im Sinne<br />

Befriedigung primärer präödipaler Bedürfnisse) erlaubt <strong>und</strong> indiziert! (Eine therapeutische<br />

Regression im Sinne eines sich Öffnens für kindliches Erleben, schmerzliche <strong>und</strong><br />

beschämende Erfahrungen <strong>und</strong> bedrohliche Affekte ist sicherlich erst in späteren<br />

Behandlungsphasen möglich <strong>und</strong> sinnvoll - wenn <strong>der</strong> <strong>Patient</strong> dazu bereit ist.)<br />

Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für die Skepsis gegenüber solchen Behandlungsformen ist die Sorge, eine<br />

sogenannte Verwöhnung könne zu malignen Regressionen führen. Häufig wird befürchtet, die<br />

hinter <strong>der</strong> Symptomatik lauernde "süchtige", gierige Oralität des <strong>Patient</strong>en werde durch den<br />

"regressiven Sog" <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> sozusagen automatisch entfesselt. Gerade diese Sorge kann dann<br />

zu einem Teufelskreis beitragen von prophylaktischer Beschränkung <strong>und</strong> dadurch erzeugter<br />

Unzufriedenheit <strong>und</strong> "Gier", die wie<strong>der</strong>um die Begrenzung notwendig erscheinen lässt usw.<br />

Das so genannte "for<strong>der</strong>nde", "anspruchsvolle", "gierige", "maßlose" Verhalten dieser<br />

<strong>Patient</strong>en wird im übrigen noch oft auf eine an<strong>der</strong>e Weise von uns miterzeugt:<br />

Je for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> <strong>und</strong> überfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong> unsere therapeutischen Ambitionen sind, je anspruchsvoller<br />

<strong>und</strong> maßloser wir also sind, umso dramatischer werden die sich bedroht fühlenden<br />

6


<strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en ihre Symptome in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> stellen! Je mehr wir auf <strong>der</strong><br />

Lauer liegen, um einen Konflikt o<strong>der</strong> ein Gefühl zu deuten, umso mehr sind sie auf <strong>der</strong> Hut<br />

<strong>und</strong> umso "for<strong>der</strong>n<strong>der</strong>", "anspruchsvoller" <strong>und</strong> "gieriger" erinnern sie uns an ihre körperlichen<br />

Beschwerden.<br />

Und umgekehrt, je mehr wir uns zum Anwalt des Wi<strong>der</strong>standes machen, ihr Misstrauen, ihre<br />

Angst <strong>und</strong> ihre ängstliche Entwertung <strong>der</strong> Psychotherapie verständnisvoll für sie verbalisieren<br />

<strong>und</strong> zunächst ihre regressiven Bedürfnisse im Rahmen unserer Möglichkeiten befriedigen,<br />

umso mehr werden sie sich angenommen <strong>und</strong> in Sicherheit fühlen - mit positiver Auswirkung<br />

auf die Symptomatik.<br />

Um bei regredierten <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en maligne Regressionen zu verhin<strong>der</strong>n, ist es<br />

demnach sinnvoll, sie nicht zu überfor<strong>der</strong>n. (An<strong>der</strong>erseits aber auch nicht zu unterfor<strong>der</strong>n!<br />

Das "richtige" o<strong>der</strong> besser "passende" Maß (de Shazer) kann nur individuell durch trial and<br />

error gef<strong>und</strong>en werden).<br />

Weiterhin ist nützlich eine unbedingte Bejahung <strong>und</strong> positive Konnotation aller Wünsche des<br />

<strong>Patient</strong>en bei gleichzeitiger, deutlicher Darstellung unserer Möglichkeiten, Grenzen <strong>und</strong><br />

natürlich auch Behandlungsbedingungen.<br />

Es geht also nicht darum, den <strong>Patient</strong>en zu begrenzen, weil das angeblich gut für ihn ist,<br />

son<strong>der</strong>n ihm ruhig <strong>und</strong> selbstverständlich sowohl unsere Möglichkeiten als auch unsere<br />

Grenzen <strong>und</strong> Bedingungen aufzuzeigen , weil das gut für uns ist - <strong>und</strong> das zu erleben, ist dann<br />

wie<strong>der</strong>um hilfreich für ihn!<br />

Beson<strong>der</strong>s Stationsarzt <strong>und</strong> Schwestern, die wesentlichen Bezugspartner in dieser<br />

Behandlungsphase, müssen darauf achten, sich nicht zu überfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihre Grenzen, die im<br />

übrigen ja individuell ganz unterschiedlich sein dürfen, gelassen <strong>und</strong> ohne Schuldgefühle<br />

aufzeigen.<br />

Es ist übrigens immer wie<strong>der</strong> eindrucksvoll, zu sehen, dass eine konsequente Verordnung <strong>der</strong><br />

Regression schon bald den Wi<strong>der</strong>spruch, die Regressionsängste <strong>und</strong> Autonomiewünsche des<br />

<strong>Patient</strong>en mobilisiert. Oft ist es gerade eine zögerliche, halbherzige Bereitstellung von<br />

Regression, verb<strong>und</strong>en mit einer diffusen Darstellung therapeutischer Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

Grenzen, die scheinbar uferlose Wünsche erzeugt.<br />

Die maligne Regression ist somit auch ein iatrogener Artefakt! <strong>Der</strong> Versuch <strong>der</strong> Lösung eines<br />

vermeintlichen Problems wird zum Problem. An<strong>der</strong>s ausgedrückt, die therapeutische<br />

Vorstellung des <strong>Patient</strong>en als zu begrenzendes nur o<strong>der</strong> im Gr<strong>und</strong>e "polymorph-perverses<br />

gieriges Kind" trägt als "self-fullfilling prophecy" zu <strong>der</strong> Entwicklung maligner<br />

Verstrickungen, "maligner Regressionen" bei. Ich möchte diese theoretischen Überlegungen<br />

zum Umgang mit <strong>der</strong> "Regression" mit einer Fallgeschichte illustrieren.<br />

Die Geschichte ist von JANOSCH. Sie heißt: "Ich mach dich ges<strong>und</strong>, sagte <strong>der</strong> Bär“ <strong>und</strong><br />

beschreibt einen hilfreichen Umgang mit einem "gierigen", regredierten <strong>psychosomatische</strong>n<br />

<strong>Patient</strong>en.<br />

<strong>Der</strong> kleine Tiger ist krank. Ihm ist ein Streifen verrutscht. <strong>Der</strong> kleine Bär hat ihn auf seinen<br />

Wunsch von Kopf bis Fuß verb<strong>und</strong>en - <strong>und</strong> da ging es ihm schon ein wenig besser.<br />

"Aber dann ging es ihm wie<strong>der</strong> ein bisschen schlechter, denn er hatte Hunger. "Ich koch dir etwas<br />

Dolles" sagte <strong>der</strong> kleine Bär, "Sag mir doch mal deine Leibspeise!"<br />

"Springforelle mit Mandelkernsoße, Kartöffelchen <strong>und</strong> Semmelbröseln."<br />

"Haben wir nicht", sagte <strong>der</strong> kleine Bär, "Sag etwas an<strong>der</strong>es."<br />

"Eiernudeln mit Mandelkernsoße <strong>und</strong> Semmelbröseln", sagte <strong>der</strong> kleine Tiger. "Haben wir auch<br />

nicht ", sagte <strong>der</strong> kleine Bär. "Sag noch etwas an<strong>der</strong>es." "Semmelbrösel", sagte <strong>der</strong> kleine Tiger,<br />

aber die hatten sie auch nicht.<br />

"Sag doch mal Bouillon!", sagte <strong>der</strong> kleine Bär.<br />

"Ja, Bouillon", rief <strong>der</strong> kleine Tiger, "das wollte ich haargenau sagen."<br />

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"Und kleine Himbeeren aus dem Garten als Nachspeise", sagte <strong>der</strong> kleine Bär. Und dann kochte er<br />

für den kleinen Tiger eine fabelhafte Bouillon mit Kartoffeln <strong>und</strong> Mohrrüben aus dem Garten.<br />

Etwas Petersilie dazu, <strong>und</strong> oben schwammen ein paar Fettäuglein, <strong>und</strong> als <strong>der</strong> kleine Tiger<br />

gespeist hatte, ging es ihm schon wie<strong>der</strong> ein wenig besser."<br />

Dass Wi<strong>der</strong>standsreaktionen vermieden werden sollten, leuchtet bei <strong>psychosomatische</strong>n<br />

<strong>Patient</strong>en beson<strong>der</strong>s ein, da sie auf verfrühte psycho-therapeutische Interventionen mit zum<br />

Teil gefährlichen Verschlimmerungen ihrer Symptomatik reagieren. CURTIUS sprach vom<br />

Primat des somatischen Geschehens: "Jede psychotherapeutische Maßnahme, die eine<br />

Verschlechterung des somatischen Bef<strong>und</strong>es bewirken könnte, muss vermieden werden."<br />

Die psychotherapeutischen Maßnahmen können jedoch in einem stationären Setting, in dem<br />

je<strong>der</strong> <strong>Patient</strong> auch in gruppendynamische Prozesse eingeb<strong>und</strong>en ist, nicht einfach isoliert <strong>und</strong><br />

dosiert verordnet werden. Die therapeutische Haltung des Teams, die dadurch bestimmte<br />

Atmosphäre des Stationslebens wirkt auf jeden <strong>Patient</strong>en, unabhängig von den einzelnen<br />

therapeutischen Maßnahmen, ein. Deshalb muss die Haltung <strong>und</strong> Einstellung des Teams, die<br />

gesamte medizinisch-therapeutische Kultur, in die die einzelnen Maßnahmen eingebettet sind,<br />

dieses "primum nihil nocere" gewährleisten!<br />

Paradoxerweise vermag bei diesen schweren, ernsten Erkrankungen, denen häufig sehr<br />

leidvolle Lebensschicksale vorausgehen, eine spielerischere Haltung dies am ehesten!<br />

Vielleicht ist es kein Zufall, dass GRODDECK, <strong>der</strong> erste Psychoanalytiker, <strong>der</strong> sich mit<br />

<strong>psychosomatische</strong>n Erkrankungen befasst hat, dies mit soviel Phantasie <strong>und</strong> spielerischer<br />

Kreativität getan hat. Er hat sich nicht gescheut, in dem "Theaterspiel des Es", wie er<br />

Krankheit bezeichnete, die verschiedenen Rollen des Arztes, Masseurs, Bademeisters <strong>und</strong><br />

Psychoanalytikers zu spielen: "Es kam nun nicht mehr darauf an, dem Kranken Vorschriften<br />

zu geben, ihm das zu verordnen, was ich für richtig hielt, son<strong>der</strong>n so zu werden, wie er mich<br />

brauchte."<br />

Für die Nützlichkeit einer spielerischen Haltung lassen sich sowohl systemische als auch<br />

analytische Argumente finden: Idealtypische <strong>psychosomatische</strong> Familien können als Systeme<br />

mit einer harten Beziehungsrealität, mit geschlossenen Außengrenzen, mit mangelhafter<br />

Fähigkeit zur Anpassung <strong>und</strong> Entwicklung beschrieben werden. Jedem Versuch <strong>der</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ung von außen wird meist rasch entgegengearbeitet. Gezielte,<br />

verän<strong>der</strong>ungsorientierte therapeutische Bemühungen wirken daher in <strong>der</strong> Regel eher<br />

systemstabilisierend. Ein spielerischer, nicht for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Umgang, <strong>der</strong> sich vom Feedback des<br />

Systems leiten lässt, wird die Aufnahme neuer Informationen <strong>und</strong> Denkanstösse eher<br />

ermöglichen.<br />

WINNICOTT hat für frühgestörte <strong>Patient</strong>en das Spielen als essentielle therapeutische<br />

Beziehungsform beschrieben:<br />

"Psychotherapie hat mit zwei Menschen zu tun, die miteinan<strong>der</strong> spielen. Wenn <strong>der</strong> <strong>Patient</strong> nicht<br />

spielen kann, muss etwas unternommen werden, um ihm diese Fähigkeit zu geben; erst danach<br />

kann die Psychotherapie beginnen. Erst spielen, dann deuten!"<br />

Das Kind braucht etwa ab Ende des ersten Lebensjahres einen Übergangsraum o<strong>der</strong><br />

Möglichkeitsraum, in dem es spielerisch seine Welt erfinden kann. In einer Arbeitsgruppe <strong>der</strong><br />

Arbeitstagung <strong>der</strong> RHEIN-KLINIK von 1986 hat SCHMIDT die "Not <strong>und</strong> Unfähigkeit zu<br />

spielen vieler psychosomatisch erkrankter Menschen" hervorgehoben <strong>und</strong> dies auf eine zu<br />

frühe <strong>und</strong> zu drastische Konfrontation mit einer rigiden, eindeutigen <strong>und</strong> alleingültigen<br />

Realität durch die Eltern zurückgeführt. Ihnen fehlte ein angemessener Übergangsraum.<br />

Gerade das vielgestaltige Behandlungsarrangement einer stationären Therapie biete die<br />

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Möglichkeit <strong>der</strong> allmählichen Entwicklung eines Übergangsraumes, in dem <strong>psychosomatische</strong><br />

<strong>Patient</strong>en "spielerisch erfin<strong>der</strong>ische Erfahrungen" machen können.<br />

In einer neueren Arbeit hat Schmidt aufgezeigt,“ dass <strong>der</strong> Beitrag des Analytikers zu <strong>der</strong><br />

Erschaffung des Möglichkeitsraumes <strong>und</strong> zum Spielen im Bereich <strong>der</strong> Arbeit mit <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>störung seine Fähigkeit ist, nicht zu wissen <strong>und</strong> zu deuten, son<strong>der</strong>n sich <strong>der</strong> Situation<br />

zu überlassen, darauf zu vertrauen, dass, was immer sich ergeben wird, kein Fehler o<strong>der</strong><br />

Mangel ist <strong>und</strong> sich von den "Erfindungen" des Analysanden überraschen zu lassen."<br />

Für unsere <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en ist diese Haltung auch sehr nützlich! Eine<br />

spielerische Einstellung, eine bescheidene, fragende, interessierte Bereitschaft, mit ihnen<br />

verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, das ausdrückliche Angebot, gemeinsam mit<br />

ihnen ihre Erkrankung zu erforschen, <strong>der</strong> Verzicht darauf, zu wissen, was richtig <strong>und</strong> gut für<br />

sie ist, können zumindest bei einigen von ihnen ganz langsam einen Möglichkeitsraum <strong>und</strong><br />

eine Motivation für eine weiterführende therapeutische Arbeit entstehen lassen.<br />

Wir - die Abteilung I - versuchen, unsere Behandlungsangebote so zu gestalten, dass die<br />

<strong>Patient</strong>en sie als wohlwollende Einladungen erleben. Eine Metapher für diese Haltung finden<br />

wir wie<strong>der</strong>um bei WINNICOTT:<br />

Er stellt dem Training <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erziehung eine "reifungsför<strong>der</strong>nde" Einstellung gegenüber, die<br />

"Gelegenheiten bereitstellt," die nicht nur Teddybären, Puppen <strong>und</strong> Spielzeugautos<br />

"herumliegen lässt", son<strong>der</strong>n auch moralische Werte u.ä., die das Kind dann ergreifen kann,<br />

wenn es sich damit beschäftigen will. Wir lassen eine bunte Vielfalt von Möglichkeiten für<br />

unsere <strong>Patient</strong>en „herumliegen“:<br />

Medizinische Behandlung, Information <strong>und</strong> Beratung, Physikalische Therapie, Einzel- <strong>und</strong><br />

Gruppengespräche, konzentrative Bewegungstherapie, katathymes Bil<strong>der</strong>erleben,<br />

Sozialberatung, Angst- o<strong>der</strong> besser Muttraining - also Verhaltens-therapie(!) - Betreuung<br />

durch die Schwestern <strong>und</strong> Pflegern, seelsorgerische Betreuung, Paar - <strong>und</strong> Familiengespräche,<br />

eine auf medizinische Themen zentrierte "Symptomgruppe", Visitengespräche, autogenes<br />

Training <strong>und</strong> Freizeitangebote.<br />

Natürlich machen wir uns unsere Gedanken, was wir herumliegen lassen; wir achten z.B.<br />

darauf, dass keine noch zu gefährlichen Gegenstände darunter sind wie zu scharf geschliffene<br />

Deutungen.<br />

Wir zeigen dem <strong>Patient</strong>en sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen des<br />

"Möglichkeitsraumes" auf. Aber wir achten auch darauf, dass das Spielerische, die<br />

Eigeninitiative <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wunsch, eigene Erfahrungen zu machen, nicht durch unsere berufliche<br />

Neigung, alles verstehen <strong>und</strong> unter Kontrolle haben zu wollen <strong>und</strong> unseren Hang zur<br />

Überfürsorglichkeit erstickt wird. Es muss auch genügend Spielecken geben, in denen <strong>der</strong><br />

<strong>Patient</strong> sich alleine o<strong>der</strong> mit seinen Mitpatienten vor uns sicher fühlen kann! Wir ermuntern<br />

den <strong>Patient</strong>en, zu spielen, aber wir hüten uns davor, ihn zu drängen, zu spielen o<strong>der</strong> mit<br />

Dingen zu spielen, die ihm noch Angst machen.<br />

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass er es dann erst recht nicht tut, ängstlich o<strong>der</strong> "trotzig"<br />

wird, auf einmal keine Lust mehr hat o<strong>der</strong> sich nur brav anpasst.<br />

Zum Schluss noch einige Gedanken zum Zeitdruck bei <strong>der</strong> stationären Behandlung von<br />

Somato-Psychosomatosen: Ich habe dargestellt, dass jede Form von Druck starre Systeme<br />

o<strong>der</strong> ängstliche Menschen bei einer ihnen gemäßen Entwicklung eher behin<strong>der</strong>t als för<strong>der</strong>t.<br />

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass diese <strong>Patient</strong>en sehr viel Zeit <strong>und</strong> therapeutische<br />

Geduld benötigen. Auch Spielen unter Zeitdruck ist ein Wi<strong>der</strong>spruch. Tatsache ist aber, dass<br />

uns nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht! Zeitbegrenzung muss aber nicht<br />

gleichbedeutend mit Zeitdruck sein.<br />

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<strong>Der</strong> Zeitdruck ist wohl ein gemeinsames Produkt von <strong>Patient</strong>, Therapeut, Angehörigen,<br />

Krankenkassen, Gesellschaft <strong>und</strong> - Kollegen. Auf Seiten des Therapeuten entsteht Zeitdruck<br />

durch viele Faktoren in individuell variabler Mischung: <strong>Der</strong> Wunsch zu helfen, Mitleid,<br />

Ehrgeiz, Größenphantasien, Rivalität, Ungeduld, Schuldgefühle, Wie<strong>der</strong>gutmachungs- <strong>und</strong><br />

Reifungsphantasien mit Verantwortungs-übernahme für den <strong>Patient</strong>en. Die Liste ist sicher<br />

nicht vollständig. Auch <strong>Patient</strong>, Familie <strong>und</strong> Gesellschaft haben berechtigte Wünsche nach<br />

Besserung <strong>und</strong> Heilung, in die sich ebenfalls mehr o<strong>der</strong> weniger illusionäre, bewusste <strong>und</strong><br />

unbewusste Erwartungen mischen. Ohne mathematisch-wissenschaftlichen Anspruch könnte<br />

man sagen:<br />

Wenn die Erwartungen im Zähler sehr groß sind, wird ein kleinerer Nenner, auch wenn das<br />

Ergebnis an sich beachtlich o<strong>der</strong> die Zeit sehr lang ist, immer einen großen Zeitdruck zur<br />

Folge haben!<br />

Um den Zeitdruck zu verringern o<strong>der</strong> ganz abzubauen, ist demnach eine Möglichkeit, unsere<br />

hochgespannten therapeutischen Ansprüche <strong>und</strong> Erwartungen herunterzuschrauben bzw. sie<br />

zu differenzieren, uns mehr an den unterschiedlichen Bedürfnissen einzelner<br />

<strong>Patient</strong>engruppen zu orientieren <strong>und</strong> individuelle begrenzte Ziele in unseren therapeutischen<br />

Angeboten zu berücksichtigen. Bei den <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en im engeren Sinne ist<br />

Weniger oft Mehr. Die therapeutische Bereitschaft, sich zunächst auf ganz bescheidene Ziele<br />

einzulassen, ermöglicht meist erst spätere Entwicklungen.<br />

SCHÖTTLER, eine Analytikerin, die psychosomatisch schwer gestörte <strong>Patient</strong>en über viele<br />

Jahre psychotherapeutisch behandelt hat, berichtet, dass sie sich - in <strong>der</strong> ersten etwa zwei bis<br />

dreijährigen Behandlungsphase - vorwiegend mit den Klagen <strong>der</strong> <strong>Patient</strong>en über körperliche<br />

Beschwerden - sowie über Medikamente <strong>und</strong> das Wetter beschäftigt hat! Sie beschreibt<br />

insgesamt vier solcher Behandlungsphasen, die zuletzt sogar in eine klassische Analyse<br />

einmündeten!<br />

"Ein wichtiges Moment ist das Abwarten können(...) <strong>und</strong> die Fähigkeit, sich zu früher Deutungen zu<br />

enthalten.(...) <strong>Der</strong> <strong>Patient</strong> findet die ihm adäquate Deutung aller Erfahrung nach selbst <strong>und</strong> zu seiner<br />

Zeit; nämlich dann, wenn er auch ichstark genug ist, sie ertragen zu können."<br />

Erst wenn <strong>der</strong> Zustand des <strong>Patient</strong>en sich soweit gebessert hat, dass er auf psychische<br />

Belastungen nicht sofort somatisch dekompensiert, meist erst in weiterführenden ambulanten<br />

o<strong>der</strong> stationären Behandlungen, kann bei manchen <strong>Patient</strong>en zu einer vorsichtigen<br />

Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> Aufarbeitung <strong>der</strong> negativen Objektbeziehungs-erfahrungen<br />

übergegangen werden.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit, den lästigen Zeitdruck loszuwerden, ist es, die Zeitbegrenzung als<br />

Entlastung <strong>und</strong> Stimulans für den therapeutischen Prozess positiv zu konnotieren. Dies<br />

gelingt nach unserer Erfahrung vor allem dann, wenn eine Zeitbegrenzung im bei<strong>der</strong>seitigen<br />

Einverständnis zu Beginn <strong>der</strong> Behandlung zwischen <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> Therapeut vereinbart<br />

wurde.<br />

Unter dieser Vorausetzung erleben wir mit 4-6 Wochen Kurzeitbehandlungen, die wir seit<br />

etwa einem Jahr durchführen, dass Zeitbegrenzung einen gleichzeitig intensivierenden <strong>und</strong><br />

entlastenden Effekt für <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> Therapeut haben kann.<br />

Skeptische <strong>und</strong> ängstliche <strong>Patient</strong>en haben ja gerade unsere bis vor kurzem noch geltende<br />

Mindestzeit von 3 Monaten als abschreckenden Zeitdruck erlebt!<br />

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Wir - <strong>und</strong> ich spreche jetzt von <strong>der</strong> gesamten RHEIN-KLINIK - haben das 3-Monatskonzept<br />

zugunsten flexibler Behandlungszeiten <strong>und</strong> -ziele aufgegeben! Ein Zitat von KERNBERG<br />

mag verdeutlichen, dass wir damit ganz im internationalen Trend liegen!<br />

"Die vielleicht bedeutendste Tendenz <strong>der</strong> letzten Jahre ist die Anerkennung <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

spezielle Dienstleistungen für spezielle <strong>Patient</strong>engruppen zu entwickeln <strong>und</strong> nicht, wie bisher,<br />

alle psychiatrische <strong>Patient</strong>en als homogene Gruppe zu behandeln."<br />

Wir denken darüber nach, dass die <strong>Klinik</strong> sowohl in bewährter Weise ein Ort für längere<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Reifungsprozesse sein kann, als auch ein Erfahrungsfeld, auf dem<br />

begrenzte Probleme mit bescheidenen Zielen gemeistert werden können.<br />

So könnte die psychosomatisch-psychotherapeutische <strong>Klinik</strong> ein Übergangs- o<strong>der</strong><br />

Möglichkeitsraum, eine Gebärmutter, ein Erlebnis-Spielplatz, eine Tankstelle, ein<br />

Trainingsplatz für Kommunikation <strong>und</strong> soziale Kompetenz, eine Parkbank zum Ausruhen <strong>und</strong><br />

Nachdenken in einer hektischen Zeit <strong>und</strong> für unsere <strong>psychosomatische</strong>n <strong>Patient</strong>en zunächst<br />

einfach nur ein Krankenhaus sein.<br />

Für diese <strong>Patient</strong>engruppe ergeben sich aus dieser Sichtweise ganz neue Möglichkeiten. Nicht<br />

immer, aber immer öfter!<br />

Zusammenfassend, wollte ich Ihnen heute Abend eigentlich nur drei Erkenntnisse, die für<br />

<strong>psychosomatische</strong> <strong>Patient</strong>en nützlich sind, näher bringen:<br />

1. Gut Ding will Weile haben.<br />

2. Müßiggang ist nicht aller Laster Anfang<br />

3. Manchmal ist weniger mehr!“<br />

Literaturangaben beim Verfasser<br />

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