Anorexia nervosa oder Magersucht - Rhein-Klinik
Anorexia nervosa oder Magersucht - Rhein-Klinik
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<strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> <strong>oder</strong> <strong>Magersucht</strong><br />
<strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong><br />
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie<br />
►Krankheitsbild<br />
►Grundlagen der Behandlung<br />
►Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten<br />
►Gestufte Behandlungskonzepte<br />
►Behandlungsziele<br />
►Beispiel eines Behandlungsverlaufes<br />
►Krankheitsbild<br />
Die <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> ist charakterisiert durch ein ausgeprägtes Untergewicht (weniger als 85% des nach Alter und<br />
Körpergröße zu erwartenden Gewichtes; ein BMI = Bodymaßindex unter 17,5 kg / m²). Unter dieser Erkrankung<br />
leiden meist junge Mädchen und Frauen, aber auch Männer können an <strong>Magersucht</strong> erkranken.<br />
In der ICD 10 ein (International Classification of Diseases) die Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten<br />
und verwandter Gesundheitsprobleme werden die Essstörungen folgendermaßen beschrieben:<br />
F50.-<br />
Essstörungen<br />
Exkl.: <strong>Anorexia</strong> o.a.A. (R63.0)<br />
Fütterschwierigkeiten und Betreuungsfehler (R63.3)<br />
Fütterstörung im Kleinkind- und Kindesalter (F98.2)<br />
Polyphagie (R63.2)<br />
F50.0 <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong><br />
Die <strong>Anorexia</strong> ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten <strong>oder</strong> aufrechterhaltenen Gewichtsverlust<br />
charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; heranwachsende<br />
Jungen und junge Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur Menopause können<br />
ebenfalls betroffen sein. Die Krankheit ist mit einer spezifischen Psychopathologie verbunden, wobei die<br />
Angst vor einem dicken Körper und einer schlaffen Körperform als eine tiefverwurzelte überwertige Idee<br />
besteht und die Betroffenen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst festlegen. Es liegt meist<br />
Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen<br />
Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt. Zu den Symptomen gehören eingeschränkte<br />
Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen und Abführen und der<br />
Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika.<br />
Exkl.: Appetitverlust ( R63.0 )<br />
Psychogener Appetitverlust ( F50.8 )<br />
F50.1 Atypische <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong><br />
Es handelt sich um Störungen, die einige Kriterien der <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> erfüllen, das gesamte klinische Bild<br />
rechtfertigt die Diagnose jedoch nicht. Zum Beispiel können die Schlüsselsymptome wie deutliche Angst vor<br />
dem zu Dicksein <strong>oder</strong> die Amenorrhoe fehlen, trotz eines erheblichen Gewichtsverlustes und gewichtsreduzierendem<br />
Verhalten. Die Diagnose ist bei einer bekannten körperlichen Krankheit mit Gewichtsverlust<br />
nicht zu stellen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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<strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong><br />
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie<br />
F50.2 Bulimia <strong>nervosa</strong><br />
Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der<br />
Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster von Essanfällen und<br />
Erbrechen <strong>oder</strong> Gebrauch von Abführmitteln. Viele psychische Merkmale dieser Störung ähneln denen der<br />
<strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong>, so die übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht. Wiederholtes Erbrechen kann zu<br />
Elektrolytstörungen und körperlichen Komplikationen führen. Häufig lässt sich in der Anamnese eine frühere<br />
Episode einer <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren nachweisen.<br />
Bulimie o.n.A.<br />
Hyperorexia <strong>nervosa</strong><br />
F50.3 Atypische Bulimia <strong>nervosa</strong><br />
Es handelt sich um Störungen, die einige Kriterien der Bulimia <strong>nervosa</strong> erfüllen, das gesamte klinische Bild<br />
rechtfertigt die Diagnose jedoch nicht. Zum Beispiel können wiederholte Essanfälle und übermäßiger Gebrauch<br />
von Abführmitteln auftreten ohne signifikante Gewichtsveränderungen, <strong>oder</strong> es fehlt die typische<br />
übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht.<br />
F50.4 Essattacken bei anderen psychischen Störungen<br />
Übermäßiges Essen als Reaktion auf belastende Ereignisse, wie etwa Trauerfälle, Unfälle und Geburt.<br />
Psychogene Essattacken<br />
Exkl.: Übergewicht (E66.-)<br />
F50.5 Erbrechen bei anderen psychischen Störungen<br />
Wiederholtes Erbrechen bei dissoziativen Störungen (F44.-) und Hypochondrie (F45.2) und Erbrechen, das<br />
nicht unter anderen Zustandsbildern außerhalb des Kapitels V klassifiziert werden kann. Diese Subkategorie<br />
kann zusätzlich zu O21.- (exzessives Erbrechen in der Schwangerschaft) verwendet werden, wenn hauptsächlich<br />
emotionale Faktoren wiederholte Übelkeit und Erbrechen verursachen.<br />
Psychogenes Erbrechen<br />
Exkl.: Erbrechen o.n.A. ( R11 )<br />
Übelkeit ( R11 )<br />
F50.8 Sonstige Essstörungen<br />
Pica bei Erwachsenen<br />
Psychogener Appetitverlust<br />
Exkl.: Pica im Kindesalter ( F98.3 )<br />
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F50.9 Essstörung, nicht näher bezeichnet<br />
Krankheitsbild<br />
Magersüchtige Patientinnen führen die Gewichtsabnahme durch Fasten, Erbrechen, körperliche Aktivität sowie<br />
Einnahme von Abführmitteln, Appetitzüglern und Diuretika (harntreibende Mittel) herbei. Sie beschäftigen sich<br />
intensiv mit dem eigenen Gewicht, verleugnen das Untergewicht sowie ihre körperliche Schwäche und die Gefährlichkeit<br />
der Erkrankung. Häufig haben die Patientinnen ein Idealbild von völliger Unabhängigkeit und Autonomie.<br />
Sie verleugnen ihre eigenen seelischen und körperlichen Bedürfnisse nach Nähe und Nahrung sowie auch ihre Bedürfnisse<br />
nach Unterstützung, Versorgung und Hilfe. Deshalb zeigen sie häufig ein widersprüchliches Muster von<br />
hilfesuchenden und hilfeabweisenden Verhaltensweisen. Bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung einer <strong>Magersucht</strong><br />
spielen psychische, biologische, gesellschaftliche und familiäre Faktoren in unterschiedlicher Weise zusammen.<br />
In jedem Einzelfall muss individuell geklärt werden, welche Faktoren eine Rolle spielen. Ablösungskonflikte<br />
vom Elternhaus, Schwierigkeiten im Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität, das herrschende Schönheits- und<br />
Schlankheitsideal, Selbstwertprobleme, Ängste vor anstehenden Entwicklungsschritten, insbesondere vor konflikthaften<br />
Auseinander-setzungen und Selbstbehauptung, Schwierigkeiten sich zu wehren und sich abzugrenzen können<br />
eine Rolle spielen.<br />
Etwa die Hälfte der Patientinnen erreicht eine Heilung, etwa ¼ ist nach der Behandlung gebessert, 10 % der Patientinnen<br />
weisen einen chronischen Verlauf mit dem Vollbild einer Anorexie auf.<br />
Selbst bei günstigem Verlauf dauert es im Schnitt 6 Jahre, bis es zu einer Heilung einer Anorexie kommt.<br />
Die Anorexie gehört immer noch zu den gefährlichsten Erkrankungen junger Mädchen und Frauen mit einer 10fach<br />
– gegenüber der Normalbevölkerung – erhöhten Wahrscheinlichkeit an der Erkrankung zu sterben.<br />
Allerdings ist <strong>Magersucht</strong> nicht gleich <strong>Magersucht</strong>: innerhalb der Gruppe der Anorexie-Patientinnen gibt es sehr<br />
unterschiedliche Krankheitsbilder und –verläufe, wobei insbesondere die Bereitschaft und Fähigkeit, Hilfe anzunehmen<br />
und die Teufelskreise der Erkrankung durchbrechen zu wollen, von ausschlaggebender Bedeutung ist.<br />
►Grundlagen der Behandlung<br />
Das zentrale Problem in der Behandlung von Patientinnen mit <strong>Magersucht</strong> ist es, die oft hilflos mit ihrer Familie<br />
verstrickte Patientin und ihre Familie dafür zu gewinnen, einen Weg zu suchen und zu finden, sowohl Essverhalten<br />
und Gewicht zu normalisieren als auch die Probleme und Konflikte in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft konsequent<br />
zu bearbeiten und anzugehen. Die Forschung und die klinische Erfahrung (und der gesunde Menschenverstand)<br />
zeigen eindeutig, dass die Psychotherapie Hand in Hand gehen muss mit einer Gewichtszunahme und einer<br />
Normalisierung des Essverhaltens.<br />
Magersüchtige Patientinnen sind häufig innerlich zerrissen und voller Widersprüche.<br />
In ihnen tobt häufig ein verzweifelter Kampf zwischen Anteilen, die leben, lieben, arbeiten und genießen wollen,<br />
die sich zu einer selbständigen, selbstbewussten Persönlichkeit, die sowohl zu Nähe als auch zu Auseinandersetzungen<br />
im Umgang mit den Mitmenschen in der Lage ist, entwickeln wollen und einem mehr <strong>oder</strong> weniger bewussten<br />
verzweifelten, ängstlichen, traurigen, oft auch rachsüchtigen und destruktiven, misstrauischen Anteil, der Angst<br />
hat vor den anstehenden Entwicklungsschritten, der sich vielleicht sogar verweigert, jede Hilfe und Unterstützung<br />
ablehnt und das Leben und die Liebe fürchtet <strong>oder</strong> hasst.<br />
Dieser innere Konflikt in den Patientinnen führt häufig zu einem widersprüchlichen Verhalten im Umgang mit Angehörigen<br />
und Ärzten und Therapeuten.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
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Diese sehen einen Menschen, der einerseits über seinen körperlichen Zustand und die Gefühle, die er dadurch auslöst,<br />
extreme Hilflosigkeit, Hilfsbedürftigkeit, Fürsorge und den Wunsch zu helfen auslöst, der aber andererseits<br />
verbal, seine Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit betont und die Gefahren der Erkrankung verleugnet, das<br />
krankhafte Essverhalten verheimlicht und Hilfsangebote nicht <strong>oder</strong> in widersprüchlicher Weise wahrnimmt, häufig<br />
nach dem Motto: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ <strong>oder</strong> im Extremfall: „Du hast keine<br />
Chance, nutze sie!“.<br />
Unsere therapeutische Strategie ist es nun, uns mit dem gesunden Anteil zu verbünden, mit ihm zu verhandeln, so<br />
lange, bis wir einen klaren, stimmigen, für die Patientin und uns annehmbaren therapeutischen Auftrag mit klaren,<br />
gemeinsam abgestimmten Zielen als Grundlage für die Behandlung haben.<br />
Therapie ist ein Prozess der selbstgewählten und selbstbestimmten Entwicklung, den ein Arzt <strong>oder</strong> Therapeut unterstützen<br />
kann, indem er dem Patienten hilft, sich mit seinen Widersprüchen und Konflikten auseinander zu setzen,<br />
sich besser zu verstehen und Fähigkeiten zu entwickeln, um anstehenden Entwicklungsaufgaben zu meistern.<br />
In der Regel geht es bei diesen Entwicklungsaufgaben z.B. um Ablösungsprozesse von den Eltern, um die Fähigkeit,<br />
sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und zusammenzuraufen, sich abzugrenzen, zu wehren, sich zu<br />
behaupten, sich auf Liebesbeziehungen einzulassen, sich in Liebesbeziehungen hingeben zu können, ohne sich zu<br />
verlieren, eine sichere Geschlechtsidentität zu entwickeln, und es geht darum, eine berufliche Identität zu entwickeln<br />
und sich im Lebenskampf behaupten zu können.<br />
Häufig verwechseln die Patientinnen auf Grund schlechter Erfahrungen Kontrolle und Fürsorge. Sie wünschen sich<br />
unbewusst Unterstützung und Hilfe, fürsorgliche Anteilnahme, erleben dies aber bewusst als Kränkung <strong>oder</strong> sehr<br />
schnell als Fremdbestimmung, gegen die sie sich wehren müssen.<br />
►Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten<br />
Für Patientinnen, die unter einem lebensbedrohlichen Untergewicht leiden und dennoch die Notwendigkeit einer<br />
Behandlung verleugnen, sieht der Gesetzgeber vor, dass eine Behandlung auch gegen ihren Willen erfolgen kann,<br />
wenn eine akute Selbstgefährdung vorliegt. Ansonsten sind uns Ärzten und Therapeuten die Hände gebunden, eine<br />
Therapie gegen den Willen des Patienten ist nicht möglich.<br />
Hier ist es sinnvoll, zwischen Maßnahmen, die der sozialen Kontrolle dienen und therapeutischen Maßnahmen zu<br />
unterscheiden:<br />
Eine Zwangsbehandlung als Ausdruck sozialer Kontrolle auf dem Boden entsprechender Gesetze (PsychKG,<br />
Vormundschaft) sieht unsere Gesellschaft vor, wenn Menschen sich <strong>oder</strong> andere in Lebensgefahr bringen.<br />
Eine solche Behandlung gegen den Willen der Patientin ist in der <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong> nicht möglich.<br />
Therapie setzt voraus, dass die Patientin sich entschieden hat, sich bei der Überwindung ihrer Krankheit helfen<br />
zu lassen und uns dafür einen Auftrag gibt.<br />
► Gestufte Behandlungskonzepte<br />
Auch wenn es eine konsequente Behandlung letzten Endes immer eine Kombination von Psychotherapie und Unterstützung<br />
bei der Überwindung der Essstörung voraussetzt (Siehe unten: Warum erfordert eine konsequente<br />
Psychotherapie einer <strong>Magersucht</strong> auch eine Bereitschaft der Patientin, gleichzeitig eine Normalisierung ihres Gewichtes<br />
anzustreben?) so haben wir doch die Erfahrung gemacht, dass es notwendig und sinnvoll ist, langsam aber<br />
sicher Schritt für Schritt vorzugehen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
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Deshalb haben wir ein mehrstufiges Behandlungskonzept entwickelt, dass dem Motivationsstand der Patientin<br />
Rechnung trägt und gewährleistet, dass diese in jeder Phase der Behandlung nur selbstverantwortliche und selbstbestimmte<br />
Entwicklungsschritte vollzieht.<br />
A) Ambulante Voruntersuchung<br />
Die ambulante Voruntersuchung dient der Abstimmung der Erwartungen der Patientin und unserer Behandlungsmöglichkeiten,<br />
-grenzen, -ziele und -bedingungen.<br />
Bei dieser lebensbedrohlichen Erkrankung und der oft verzweifelten Hilflosigkeit aller Beteiligten möchten wir die<br />
Hemmschwelle für eine Kontaktaufnahme so niedrig wie möglich gestalten.<br />
Deshalb überlassen wir es der Patientin, ob sie selbst <strong>oder</strong> ein Familienangehöriger mit ihrem Einverständnis einen<br />
Termin in unserer Ambulanz vereinbart.<br />
Die Patientin kann nach ihrem Gutdünken alleine <strong>oder</strong> auch mit ihrer Familie <strong>oder</strong> mit ihrem Partner zu diesem<br />
Vorgespräch kommen.<br />
Auch die Eltern einer magersüchtigen Patientin, die sich noch nicht entschließen kann, Hilfe in der zu <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong><br />
suchen, können mit uns ein Beratungsgespräch vereinbaren, um zu erörtern, wie sie die Patientin zu einer Zusammenarbeit<br />
bzw. einem ersten Gespräch gewinnen können.<br />
Im Rahmen unseres analytisch-systemischen Ansatzes ist es unser Anliegen, dass alle Beteiligten – die Patientin,<br />
ihre Familie – wenn möglich und gewünscht – und das Behandlungsteam – zu einem guten Team zusammenwachsen,<br />
das sich gegenseitig bei der schwierigen Aufgabe, diese Erkrankung zu überwinden, unterstützt.<br />
Wir bieten auch eine ambulante Gruppe an für Patientinnen, die auf eine Behandlung in der <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong> warten,<br />
und Patientinnen, die diese hinter sich haben und auf einen ambulanten Therapieplatz warten. Das Ziel dieser<br />
Gruppe ist es, die Übergänge ambulant-stationär-ambulant zu erleichtern. Durch den Austausch der „neuen“ und<br />
der „alten“ Patientinnen kann eine noch unschlüssige Patientin sich ein Bild machen, ob unser Behandlungsansatz<br />
ihr zusagt <strong>oder</strong> nicht. Es handelt sich um eine „gemischte“ Gruppe mit Patientinnen mit verschiedenen Krankheitsbildern.<br />
Die Teilnahme an dieser ambulanten Gruppe kann in dem ambulanten Vorgespräch vereinbart werden.<br />
B) 1-2 wöchige Behandlung<br />
Für Patientinnen, die hochgradig ambivalent sind, die von Angehörigen <strong>oder</strong> Ärzten zu uns geschickt werden und<br />
noch keinerlei Motivation in sich spüren, ihr Essverhalten zu normalisieren und sich der Auseinandersetzung der<br />
äußeren und inneren Konflikte zu stellen, bieten wir eine 1-2 wöchige Behandlung an:<br />
Eine „Schnupperwoche“ für die Patientin, die es ihr erlaubt, sich ein Bild von unseren Behandlungsangeboten zu<br />
machen und eine diagnostische Woche für uns, die es uns erlaubt, einzuschätzen, ob wir mit unserem Konzept und<br />
unseren Möglichkeiten und Grenzen dieser Patientin angemessen helfen können.<br />
Behandlungsrahmen:<br />
Die Patientin wird vom Stationsarzt, Oberarzt und Chefarzt untersucht. Sie wird über unsere Behandlungskonzepte<br />
informiert. Sie informiert uns über ihre Vorstellungen und wir versuchen zu einer gemeinsamen Linie zu kommen.<br />
Die Patientin erhält durch Teilnahme an den Einführungsgruppen der Pflege( sie vermittelt die notwendigen Informationen<br />
über die Abläufe auf der Station) sowie an den Visiten, der Großgruppe (eine einmal wöchentlich stattfindende<br />
Gruppe der Patienten mit Stationsteam unter der Leitung von Chef- <strong>oder</strong> Oberärztin, in der aktuelle Probleme<br />
auf der Station besprochen werden), der Infogruppe (eine einmal wöchentlich stattfindende Gruppe unter<br />
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der Leitung von Chef- <strong>oder</strong> Oberärztin in der Themen „rund um Psychosomatik und Psychotherapie“ erörtert werden)<br />
und der Stationsversammlungen (hier werden unter Leitung der Pflege organisatorische Fragen geregelt) und<br />
insbesondere auch durch den Austausch mit Mitpatienten die Möglichkeit, sich ein Bild von unserem Behandlungskonzept<br />
zu machen. Die Pflegekräfte begleiten und unterstützen sie in der Bezugspflege.<br />
Darüber hinaus kann die Patientin sich bei der Stationspflegeleiterin und der Diätassistentin – gegebenenfalls auch<br />
im Rahmen unserer pflegerischen Essstörungsgruppe, in der einmal pro Woche alle Patientinnen mit Essstörungen,<br />
die Stationspflegeleiterin, die Diätassistentin und /<strong>oder</strong> ein Mitarbeiter der Küche und der Hauswirtschaft die konkreten<br />
Fragen der Nahrungszusammenstellung erörtern - über unsere Möglichkeiten, sie bei einer sinnvollen Ernährung<br />
zu unterstützen, informieren.<br />
Oft ist auch ein Familiengespräch sehr sinnvoll, in dem bisherige Lösungsversuche und die Möglichkeiten der Familie,<br />
eine positive Entwicklung, die allen Familienmitgliedern gut tut, zu unterstützen, besprochen werden.<br />
Wir bieten gerne so genannte „lösungsorientierte systemische“ Paar- <strong>oder</strong> Familiengespräche an, in denen es darum<br />
geht, zu untersuchen, wie ein Paar <strong>oder</strong> eine Familie gemeinsam gute Lösungen suchen und finden kann und<br />
wie Angehörige die Patientin unterstützen können, ohne sich selbst zu überfordern <strong>oder</strong> ihre berechtigten Interessen<br />
aus dem Auge zu verlieren.<br />
C) 4-6-wöchige Behandlung<br />
Patientinnen, die „eigentlich“ Hilfe suchen, aber noch keine konkreten therapeutischen Ziele und Aufträge haben,<br />
sowohl im Hinblick auf ihr Gewicht als auch im Hinblick auf ihre seelischen und zwischenmenschlichen Probleme<br />
bieten wir eine zeitlich klar begrenzte 4-6-wöchige Behandlung an.<br />
Behandlungsrahmen:<br />
Für Patientinnen, deren Angst vor einer Gewichtszunahme <strong>oder</strong> einer Psychotherapie so groß ist, dass sie<br />
sich eine Unterstützung bei der Normalisierung ihres Essverhaltens und ihres Gewichtes sowie bei der Lösung<br />
ihrer seelischen und zwischenmenschlichen Probleme noch nicht vorstellen können, beinhaltet diese Behandlung<br />
Einzelgespräche, Bezugspflegegespräche und die Teilnahme an den Stationsangeboten (Visiten,<br />
Großgruppe, Infogruppe) ohne Verpflichtung zur Gewichtszunahme.<br />
Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die Patientin sich nicht in einem kritischen Ernährungszustand, der<br />
unbedingt der „Auffütterung“ bedarf, befindet.<br />
Themen der Einzelgespräche, Bezugspflegegespräche, der oft sinnvollen Familiengespräche und last not least<br />
der Gespräche mit den Mitpatienten sind die Fragen:<br />
Wofür ist die <strong>Magersucht</strong> gut? Welche wichtige Funktion hat sie in dem seelischen und zwischenmenschlichen<br />
Haushalt der Patientin? Welche vermeintlichen „Gefahren“ sind mit einer Gesundung verbunden? Vor<br />
welchen ängstigenden Entwicklungsschritten schützt die <strong>Magersucht</strong> die Patientin? Wie könnte ein stimmiger<br />
Gesundungsprozess im weiteren Verlauf gestaltet werden, wie könnten sinnvolle Aufträge und Ziele im<br />
Rahmen einer weiteren stationären Behandlung, die dann auch die Normalisierung des Essverhaltens und<br />
des Gewichtes anstrebt, definiert werden?<br />
Für Patientinnen, die etwas weniger Angst haben und bereit und in der Lage sind, sich auf erste Erfahrungen<br />
mit stationärer Psychotherapie einzulassen, sich aber noch nicht in der Lage fühlen, sich auf eine konsequente<br />
Gewichtszunahme einzulassen, beinhaltet diese Behandlung die oben aufgeführten Inhalte und Bedingungen<br />
sowie zusätzlich die Teilnahme an den Kleingruppen - eine Kombination aus Gesprächsgruppen und sog.<br />
nonverbalen Gruppen (Konzentrative Bewegungstherapie und Kunsttherapie) (tiefenpsychologisch fundierte<br />
Gruppenverfahren, die im verbalen Austausch und mit Hilfe körperorientierter <strong>oder</strong> kunsttherapeutischer<br />
Ansätze die Auseinandersetzung mit innerseelischen, körperlichseelischen und zwischenmenschlichen<br />
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Problemen, sowie die Entwicklung von Fähigkeiten gut mit sich und anderen umzugehen und die Aktivierung<br />
eigener Ressourcen fördern ) sowie ggfs. Skillsgruppe (Skills sind nützliche Fertigkeiten zur Regulierung von<br />
Stress, Emotionen, Selbstwert und zwischenmenschlichen Interaktionen).<br />
D) 8-10wöchige Behandlung<br />
Erst wenn<br />
die Patientin sich überzeugt hat, dass unser Therapieangebot das geeignete ist, um ihr zu helfen, die anstehenden<br />
Entwicklungsschritte zu meistern,<br />
sie uns einen eindeutigen Auftrag gibt, sie bei der seelischen und körperlichen Stabilisierung zu unterstützen,<br />
sie unsere Bedingung einer kontinuierlichen Gewichtszunahme von 500 g pro Woche akzeptiert<br />
sie zu einer aktiven Teilnahme an einem psychotherapeutischen Einzel- und Gruppentherapieprozess, ggfs.<br />
auch mit Familientherapie bereit ist,<br />
sie bereit ist, konsequent ihr selbstschädigendes, einen therapeutischen Prozess verunmöglichendes Verhalten<br />
wie Hungern, Erbrechen, Einnahme von Abführmitteln und Diuretika zu unterlassen und unsere Hilfe und<br />
Unterstützung bei der Unterlassung dieses Verhaltens anzunehmen,<br />
ist eine kombinierte psychosomatische Behandlung mit ärztlicher, pflegerischer und diätetischer Unterstützung<br />
einer geregelten Nahrungsaufnahme, störungsspezifischen Essstörungsgruppen, physiotherapeutischen Maßnahmen<br />
und psychotherapeutischen Verfahren (Einzel- und Gruppentherapie, Konzentrative Bewegungstherapie,<br />
Kunsttherapie, Familientherapie) in unserer Abteilung sinnvoll.<br />
Diese erfolgt in einem 8-10wöchigen Rahmen.<br />
Wenn in diesem Zeitraum keine ausreichende Stabilisierung möglich ist (z.B. weil die bei 500g/Woche in 10 Wochen<br />
mögliche Gewichtszunahme von 5 kg nicht ausreicht, um ein ausreichendes stabiles Gewicht (BMI von 18) zu<br />
erzielen) und der körperlich-seelische Zustand der Patientin noch nicht stabil genug für eine ambulante Behandlung<br />
ist, kann eine stationäre Intervallbehandlung, also mehrere stationäre Behandlungen in sinnvollen Abständen, die<br />
im Einzelfall bestimmt werden müssen, indiziert sein.<br />
Wichtig ist uns<br />
dass die Patientin zu jedem Zeitpunkt der Behandlung das klare, eindeutige Gefühl hat, dass sie die Auftraggeberin<br />
ist und entscheidet, ob sie den nächsten Schritt mit uns gehen will <strong>oder</strong> ob sie sich entscheidet, ihren<br />
Weg – in welcher Weise auch immer- alleine weiterzugehen.<br />
dass WIR die Verantwortung haben für ein medizinisch-therapeutisches, hochwertiges Angebot in einem für<br />
uns als sinnvoll und nützlich erachteten Rahmen und daran geknüpften Bedingungen, um dieses Angebot in<br />
Anspruch nehmen zu können. Dieses Angebot kann sinnvolle Veränderungen und Entwicklungen lediglich anregen.<br />
dass DIE PATIENTIN sich darüber im Klaren ist, dass nur sie wissen kann, was gut für sie ist und dass sie die<br />
Verantwortung für Veränderung <strong>oder</strong> Nicht-Veränderung und ihre Entwicklung hat.<br />
Wenn unsere Patientin uns einen klaren Auftrag erteilt, unsere Bedingungen akzeptiert und mit uns gut definierte<br />
therapeutische Ziele aushandelt, werden wir uns nach bestem Wissen, Gewissen und Kräften bemühen,<br />
sie und ihre Familie bei dem sicher anstrengenden und schwierigen Genesungsprozess zu unterstützen.<br />
Mit dieser Vorgehensweise wollen wir unfruchtbare Machtkämpfe vermeiden. Wir lassen uns ganz bewusst<br />
nicht in eine Interaktion verwickeln, in der wir zu wissen glauben, was gut für die Patientin sei (ein Muster, zu<br />
dem diese leicht einlädt, indem sie Sorge und Angst, sowie das Bedürfnis zu helfen, bei ihrem Gegenüber<br />
Stand: 14.05.2013<br />
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auslöst) sondern machen ein Angebot, das die Patientin darauf überprüfen kann, ob es für sie gut ist. Wir<br />
zeigen ihr damit unsere Möglichkeiten aber auch unsere Grenzen auf.<br />
Dieses Behandlungssetting ist geeignet für Patientinnen, die sowohl motiviert sind, bis zu einem normalen<br />
BMI zuzunehmen, als auch Veränderungen in ihren Einstellungen und Verhaltensänderungen im Umgang mit<br />
sich selbst und ihren Mitmenschen anzustreben. Diese Patientinnen haben sich entschieden, ihr selbstzerstörerisches<br />
Essverhalten aufzugeben und sich von uns helfen zu lassen, dieses Essverhalten und ihr Gewicht zu<br />
normalisieren, indem sie kontinuierlich ca. 500g pro Woche zunehmen.<br />
Patientinnen, die zu einer 8-10wöchige Behandlung bereit, haben verstanden, dass Therapie das Ziel hat,<br />
dass der Patient versteht und umsetzt, was er tun kann, damit es ihm in der Auseinandersetzung mit seinem<br />
Umfeld besser geht! Sie sind bereit, sich in den Therapien aktiv einzubringen, um die eigenen Ressourcen<br />
und die schwierigen Beziehungs- und Bewältigungsmuster kennen zu lernen und den Mut zu finden, in der<br />
Auseinandersetzung mit Team und Mitpatienten die eigenen Ressourcen einzusetzen und bekömmlichere<br />
Beziehungs- und Bewältigungsmuster zu entwickeln.<br />
Ein wesentlicher Unterschied zwischen einer ambulanten und einer stationären Behandlung besteht darin,<br />
dass im stationären Rahmen mehrere Behandlungsansätze kombiniert werden können: Einzel- und Gruppentherapie,<br />
Skillsgruppen, Paar- und Familientherapie, physikalische Therapie und ggfs. medikamentöse Behandlung.<br />
Während in der ambulanten Psychotherapie die im Gespräch zwischen Therapeut und Patient gewonnenen<br />
Erkenntnisse und Erfahrungen direkt in dem möglicherweise schwierigen familiären und beruflichen Umfeld<br />
umgesetzt werden müssen, wird in der stationären Behandlung ein Übungsfeld, eine „Spielwiese“ „mitgeliefert“<br />
mit ständigem „Coaching“ durch ein erfahrenes Team und Austausch mit den Mitpatienten.<br />
Behandlungsrahmen:<br />
Wir schließen mit unseren Patientinnen, die uns den Auftrag zu dieser Behandlung geben, einen schriftlichen Vertrag,<br />
in dem eine wöchentliche Gewichtszunahme (in der Regel 500g) und ein Zielgewicht (in der Regel in 10 Wochen)<br />
+5 kg vereinbart werden.<br />
Die Behandlung umfasst sowohl eine aktive Unterstützung bei der Normalisierung der Essgewohnheiten und der<br />
Gewichtszunahme durch ärztliche, pflegerische und diätetische Maßnahmen mit störungsspezifischen Essstörungsgruppen<br />
als auch eine intensive Psychotherapie mit Einzelgesprächen, Kleingruppen (analytisch-systemische<br />
verbale Gruppen, Konzentrative Bewegungstherapie <strong>oder</strong> Kunstgruppen) Großgruppen, Infogruppen, Skillsgruppe,<br />
bei Motivation und Bedarf Familiengespräche. (zur Erläuterung der Verfahren siehe oben)<br />
Bei Patientinnen, bei denen traumatische Erfahrungen, wie sexuelle Gewalterfahrungen bei der Essstörung eine<br />
Rolle spielen, kann auch eine traumaspezifische Behandlung mit EMDR (für weitere Informationen siehe z.B.<br />
www.emdr-institut.de indiziert sein.<br />
Diese erfordert allerdings als Voraussetzung eine weitgehende Stabilisierung der Symptomatik und die Fähigkeit,<br />
Emotionen und Spannungen zu regulieren.<br />
Hier erweist sich oft unsere Skillsgruppe nach DBT (Dialektisch behaviorale Therapie) als hilfreich. In der Skills-<br />
Gruppe lernen die Patienten Fertigkeiten und Fähigkeiten kennen zum Thema Achtsamkeit, Umgang mit Gefühlen,<br />
Selbstwert, Stresstoleranz und zwischenmenschliche Fertigkeiten. Grundlage der Gruppenarbeit ist die Erstellung<br />
von Spannungsprotokollen und das Entdecken sowie die Übung individueller Skills zur Reduktion von Anspannungszuständen<br />
einerseits und Verhinderung von Anspannungszuständen und daraus resultierendem dysfunktionalem<br />
Verhalten andererseits.<br />
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<strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> <strong>oder</strong> <strong>Magersucht</strong><br />
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Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie<br />
Störungsspezifische Essstörungsgruppen:<br />
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<br />
<br />
<br />
Die Patientinnen nehmen an einer wöchentlichen therapeutischen, einer pflegerischen und einer Selbsthilfe-<br />
Essstörungsgruppe (ohne therapeutische <strong>oder</strong> pflegerische Leitung) teil. An diesen Essstörungsgruppen<br />
nehmen Patientinnen mit allen Formen von Essstörungen teil: <strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong>, Bulimie, Binge-Eating-<br />
Störung.<br />
In der therapeutischen Essstörungsgruppe wird eine lösungsorientierte Auseinandersetzung mit der Essstörung<br />
gefördert.<br />
Sie hat den Fokus: was ist diese Woche im Umgang mit der Essstörung gut gelaufen, worauf bin ich stolz,<br />
was könnte hilfreich für die anderen sein?<br />
Und was war schwierig, wo brauche ich noch Unterstützung von den anderen Experten? (die Mitpatienten<br />
und das Team).<br />
In der pflegerischen Essstörungsgruppe essen die Patientinnen einmal pro Woche gemeinsam mit unserer<br />
Stationspflegeleiterin. Es gibt eine Nachbesprechung und Abstimmung zwischen ihr, der Patientin, der Küche<br />
und der Hauswirtschaft. Der Fokus liegt auf dem konkreten Unterstützungsbedarf.<br />
In der von den Patientinnen selbst geleiteten „Selbsthilfegruppe“ werden die Themen vertieft.<br />
Durch die Kombination dieser drei Gruppen wird das Spannungsfeld von Autonomiebestrebungen und<br />
dem mehr <strong>oder</strong> weniger verleugneten Wunsch nach Unterstützung abgebildet und genutzt.<br />
Dadurch wird beständig die Botschaft transportiert: die Überwindung der <strong>Magersucht</strong> setzt sowohl eigene<br />
Entwicklungsschritte als auch die Hilfe anderer voraus..<br />
Auch Rivalität und Konkurrenz wie sie häufig zwischen magersüchtigen Patientinnen auftreten können:<br />
„Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist die Dünnste im ganzen Land“ - werden in der Essstörungsgruppe<br />
frühzeitig angesprochen und bearbeitet.<br />
Besonders wichtig ist, dass durch die Zusammenarbeit in den störungsspezifischen Gruppen auf der<br />
Station ein „Netzwerk“ gegenseitiger Unterstützung entsteht.<br />
Weitere unterstützende Maßnahmen:<br />
<br />
<br />
Die Patientinnen führen eine Gewichtskurve, in dem die vereinbarte Gewichtszunahme einen oberen grünen<br />
Bereich und einen unteren roten Bereich bei Unterschreitung der vereinbarten Gewichtszunahme<br />
markiert. So wird die Entwicklung für die Patientin und das Team deutlich visualisiert<br />
Die Patientinnen werden täglich gewogen. Grund für diese Maßnahme ist die Überlegung, dass es nicht das<br />
eigentliche Ziel ist, ein bestimmtes Gewicht zu erreichen, sondern der Patientin zu helfen, sich kontinuierlich<br />
gesund und ausreichend zu ernähren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass weniger häufige Gewichtskontrollen<br />
dazu führen können, dass die Patientinnen einige Tage in der Woche ihr magersüchtiges<br />
Essverhalten zeigen, um dann durch zusätzliche Kalorienzufuhr in den Tagen vor den Wiegen das gewünschte<br />
Gewicht zu erzielen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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<strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> <strong>oder</strong> <strong>Magersucht</strong><br />
<strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong><br />
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie<br />
<br />
In Einzelfällen, wenn wir das Gefühl haben, dass der Anteil, der die Behandlung durch Rückfälle in das<br />
Symptomverhalten sabotieren will, noch sehr virulent ist, versuchen wir durch eine konsequente Grenzsetzung<br />
diese Dynamik zu erschweren. Da wir wissen, dass die Patientinnen sehr viel Kompetenz haben, ihr<br />
Gewicht sehr zielgenau zu steuern, gehen wir davon aus, dass sie sich entschieden haben, ihr magersüchtiges<br />
Verhalten vorerst nicht aufzugeben, wenn sie mehr als 7 Tage an einem Stück, <strong>oder</strong> insgesamt 14 Tage<br />
im roten Bereich liegen.<br />
Dann erfolgt die Entlassung - mit der Möglichkeit, jederzeit wiederzukommen, wenn die Motivationslage<br />
sich geändert hat.<br />
Warum erfordert eine konsequente Psychotherapie einer <strong>Magersucht</strong> auch eine Bereitschaft der Patientin,<br />
gleichzeitig eine Normalisierung ihres Gewichtes anzustreben?<br />
Zunächst einmal hat die Forschung der letzten Jahre gezeigt, dass die Kombination von Psychotherapie und Unterstützung<br />
bei der Normalisierung des Essverhaltens die besten Erfolge zeigt.<br />
Es gibt aber auch gewichtige und einleuchtende, therapeutisch fundierte Überlegungen für eine Behandlungsstrategie,<br />
die als Voraussetzung für die Psychotherapie einer <strong>Magersucht</strong> die Bereitschaft, kontinuierlich zuzunehmen,<br />
fordert:<br />
Hungern, sich zu Tode hungern, stellt ein extrem selbstschädigendes Verhalten dar.<br />
Die Patientinnen delegieren sozusagen - mehr <strong>oder</strong> weniger bewusst - die Fürsorge, die Sorge und die Verantwortung<br />
für ihren Körper an ihre Angehörigen und Ärzte.<br />
Solange dieses selbstzerstörerische Muster der Verantwortungsabgabe bestehen bleibt, ist ein selbstbestimmter<br />
Therapieprozess mit dem Ziel gesünderer Einstellungen und Verhaltensweisen nicht möglich.<br />
Unfruchtbare Machtkämpfe zwischen besorgten Ärzten und Eltern und der sich auf ihr Selbstbestimmungsrecht<br />
berufenden Patientin, ihr selbstzerstörerisches Verhalten beizubehalten, sind unausweichlich.<br />
Voraussetzung für einen selbstbestimmten Therapieprozess und ein tragfähiges Arbeitsbündnis ist die bewusste<br />
und klare Entscheidung, alles zu tun, um dieses selbstzerstörerische „Spiel“ zu beenden und dafür offen und ehrlich<br />
die notwendige Unterstützung des therapeutischen Teams in Anspruch zu nehmen.<br />
Ein weiterer Grund ist die Funktion der <strong>Magersucht</strong> in dem seelischen Haushalt der Patientinnen.<br />
Mit der <strong>Magersucht</strong> wird ein trügerisches Gefühl von Macht, von Triumph über den Körper (und die Angehörigen)<br />
erzeugt und Konflikte und ängstigende Gefühle und Bedürfnisse z.B. im Zusammenhang mit einem weiblichen Körper<br />
<strong>oder</strong> auch tiefliegende Gefühle der Verzweiflung , Trauer, Wut und Sehnsucht werden in den Hintergrund gedrängt<br />
<strong>oder</strong> ganz verdrängt.<br />
Erst die Aufgabe des Symptoms der <strong>Magersucht</strong> bzw. die Bereitschaft, die therapeutisch verlangten Grenzen und<br />
Bedingungen zu akzeptieren, kann die verdrängten Gefühle und Konflikte mobilisieren, sodass sie in der Behandlung<br />
erlebt, verstanden und bearbeitet werden können.<br />
► Behandlungsziele<br />
Das Ziel einer stationären Krankenhausbehandlung, die eine Behandlungsepisode in einem Gesamtbehandlungsplan,<br />
der je nach Bedarf ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungseinheiten umfassen kann, darstellt,<br />
ist eine körperliche und seelische Stabilisierung mit den Mitteln des Krankenhauses.<br />
Diese sollte ausreichend sein, um der Patientin zu ermöglichen, den Prozess der Normalisierung ihres Essverhaltens<br />
nach der Entlassung mit Hilfe der in der Regel notwendigen ambulanten Psychotherapie fortzusetzen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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<strong>Anorexia</strong> <strong>nervosa</strong> <strong>oder</strong> <strong>Magersucht</strong><br />
<strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong><br />
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie<br />
Zu Beginn der Behandlung steht vor jeder inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Erkrankung und den zu Grunde<br />
liegenden Problemen das Ziel der Klärung des Überweisungskontextes und der Motivation der Patientin.<br />
Klärung des Überweisungskontextes bedeutet, dass wir die Frage klären, wer will was von wem?<br />
Kommt die Patientin mit einem eigenen Wunsch und Auftrag <strong>oder</strong> ist sie mehr <strong>oder</strong> weniger gegen ihren Willen<br />
von Angehörigen <strong>oder</strong> behandelnden Ärzten in die <strong>Klinik</strong> geschickt worden? Wir stellen z.B. die Frage: Zu wie viel<br />
Prozent kommen Sie zu uns, weil Sie sich dazu entschieden haben und zu wie viel Prozent, weil ihre Eltern <strong>oder</strong> ihr<br />
Arzt, es von Ihnen erwarten?<br />
Klärung der Motivation bedeutet, dass wir uns ein genaues Bild machen müssen über die meist widersprüchliche<br />
Motivationslage der Patientin.<br />
Häufig tobt in ihr ein gnadenloser Kampf zwischen Kräften, die sich ein selbstbestimmtes und gesundes Leben wünschen<br />
und auf Hilfe und Unterstützung hoffen und Kräften, die aus Angst, Verzweiflung, Wut <strong>oder</strong> destruktiver Rache<br />
an der Symptomatik festhalten und keinerlei Hilfe zulassen wollen.<br />
Es gibt Patientinnen, die mit der Entscheidung zu uns kommen, aus den Teufelskreisen der Erkrankung aussteigen<br />
zu wollen und bereit sind, hier jede Hilfe und Unterstützung anzunehmen.<br />
Andere Patientinnen wiederum sind widersprüchlich und zerrissen, was sich bezüglich ihrer Motivation und ihres<br />
Wunsches nach Hilfe in einem „Wasch mich, aber mach mich nicht nass – Verhalten“ äußert.<br />
Hier müssen wir gemeinsam mit der Patientin einen Therapieplan entwickeln, der diesen Ängsten Rechnung trägt,<br />
aber auch die gewünschte Entwicklung ermöglicht.<br />
Im Folgenden lesen Sie die Aussagen von zwei magersüchtigen Patientinnen, die wir gebeten haben, die Gründe,<br />
die gegen eine Therapie sprechen bzw. verdeutlichen, wofür die <strong>Magersucht</strong> gut ist, aufzuschreiben.<br />
Frau H.T., 46 Jahre, seit 25 Jahren magersüchtig, schreibt:<br />
Gründe die gegen eine Therapie sprechen:<br />
1. Ich muss mein Symptom aufgeben und damit meine bisherigen Möglichkeiten die Welt zu ertragen.<br />
2. Das „Nein“, was ich bisher über die Körpersprache und mit mir selber ausgemacht habe, muss ich nun durch<br />
Auseinandersetzungen in die Beziehung bringen. Das erfordert von mir viel Kraft. Ich muss mich der Angst<br />
aussetzen, angegriffen und zurechtgewiesen zu werden, evtl. Für mein „Nein“ abgelehnt und allein gelassen<br />
zu werden.<br />
3. Mein „Nein“, zu Beziehungen kann ich nicht beibehalten, muss mich zumindest auf die Beziehungen mit dem<br />
Therapeuten einlassen, was alle Ängste von<br />
abgelehnt werden<br />
zu enttäuschen<br />
selber enttäuscht und verlassen werden<br />
zu dumm zu sein<br />
zugeben zu müssen, Fehler zu machen<br />
mich im anderen zu verlieren<br />
mich minderwertig zu fühlen<br />
nicht zu genügen<br />
den anderen auf die Nerven fallen<br />
mich als gierig und unersättlich zu erkennen<br />
in einen Streit zu geraten, den ich vernichtend erlebe<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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mich ausgeliefert fühlen<br />
Macht über mich zu verlieren<br />
mich mit der Unsicherheit auseinandersetzen – wie viel darf ich nehmen, was muss ich geben?<br />
verletzt zu werden<br />
für lästig und aufdringlich befunden zu werden<br />
zu langweilig und uninteressant zu sein<br />
mich zu blamieren<br />
mich zu schämen<br />
die Kontrolle zu verlieren<br />
Gefühle zu fühlen, die nicht erwidert werden.<br />
4. Ich muss den Teil in mir den ich verleugnet habe, den ich versucht habe, auszuhungern, begegnen, den Teil<br />
den ich an mir nicht mag und ihn auch noch in der Beziehung mit jemand anderen aushalten.<br />
5. Ich muss mir und anderen eingestehen, dass ich es nicht alleine schaffe, dass ich Hilfe brauche und muss<br />
auch dann dabei bleiben, wenn es besonders für meine Arbeitskollegen unbequem wird und sie mich verunsichern<br />
wollen.<br />
6. In meiner Schwäche liefere ich mich den Kollegen aus, was mich angreifbar, verletzbar und manipulierbar<br />
macht.<br />
7. Meine bisherige Art, wie ich mich und meine Umgebung wahrgenommen habe, könnte sich als Illusion herausstellen<br />
und mir den Grund unter den Füßen entziehen.<br />
8. Ich habe Angst vor den Veränderungen, weil ich nicht weiß, wohin sie mich führen. Das was ich hatte, war<br />
wenigstens vertraut und gab mir eine gewisse Sicherheit.<br />
9. Ich habe Angst in ein Raster gesteckt zu werden, das für mich nicht passt und mich einengt und festlegt.<br />
10. Die Spannungszustände könnten in der Therapie größer werden und ich kann nicht zu alten Methoden zurückgreifen.<br />
Wo bleibe ich damit?<br />
11. Ich werde von einem Menschen so abhängig, das ich nur noch von einer Stunde zur anderen lebe und das<br />
Leben dazwischen als schrecklich leer erlebe.<br />
12. Ich tue mich schwer damit, dass ich Dinge die in der Therapie aufgerissen werden, solange mit mir herumtragen<br />
muss, um sie erst in der nächsten Stunde loswerden zu können.<br />
13. Weiß der Therapeut, was er tut? Es kann auch schief gehen.<br />
14. Es wird wehtun!!!<br />
15. Ich muss das Risiko eingehen, ihm zu vertrauen, ohne zu wissen, was dabei herauskommt.<br />
16. Ich muss einen Seelenstriptease vollbringen, was mit viel Scham und Angst verbunden ist.<br />
17. Werde ich diesmal wieder in etwas verstrickt, was sich nur in einem zerstörerischen Befreiungsakt lösen<br />
lässt?<br />
18. Ich muss mich vermehrt Auseinandersetzungen stellen.<br />
19. Mit der Entwicklung meines Willens werden jede Menge Ängste auftauchen.<br />
20. Man kann mir als „Gesunde“ noch mehr aufladen, wenn ich es nicht schaffe „Nein“ zu sagen.<br />
21. Ohne meine „Essstörung“ fehlt mir die äußere Kontrolle über meinen inneren Seelenzustand. Es wird damit<br />
für mich viel schwerer greifbar.<br />
22. In der Therapie kann ich meine bisherige Strategie, die Dinge heimlich und für mich alleine zu erledigen, nicht<br />
beibehalten. Mit dem Offenlegen sind sie für andere auch viel leichter zu enttarnen. Etwas offen auszutragen,<br />
bedeutet auch immer kritisiert werden zu können, bedeutet auch einen Klaps auf die Finger zu bekommen,<br />
zurechtgewiesen und gerügt zu werden.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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23. Ich muss mich mit meinen Gefühlen zeigen, was Scham und neue Ängste auslösen kann. Die Gefühle könnten<br />
mich überschwemmen, aber genauso gut könnten auch gar keine da sein, was in mir das Gefühl entstehen<br />
ließe, dem Anderen unnötige Zeit gestohlen zu haben.<br />
Diese Patientin hat sich schließlich für eine Therapie entschieden und hat ihr Gewicht langsam aber sicher auf Normalgewicht<br />
gesteigert.“ Und das bei einer schon 25 Jahre andauernden „chronifizierten“ <strong>Magersucht</strong>!<br />
Die 20-jährige K. S. schreibt:<br />
Wozu ist die <strong>Magersucht</strong> gut?<br />
„Fangen wir bei der Familie an: Durch meine Essstörung haben wir für uns entdeckt, wie wertvoll wir füreinander<br />
sind. Wir unternehmen Ausflüge zusammen, sehen uns Filme an usw., wobei es von allen Beteiligten mit Begeisterung<br />
aufgenommen wird, statt von einem aufgezwungen zu sein.<br />
Meine Eltern haben sich im Kampf gegen den „gemeinsamen Feind“ angenähert.<br />
Mama fing an, nicht nur mir, sondern auch ihr Verhalten zu hinterfragen. Ich fühle mich nun in meinen Problemen<br />
ernst genommen. Sie werden nicht mehr als Hirngespinste betrachtet.<br />
Papa kümmert sich mehr um das Familienleben.<br />
So fürchte ich innerlich, dass, sobald ich ein Normalgewicht erreiche, dieses Gefühl der Kostbarkeit des Familienlebens<br />
zurückgeht. Es kann ja folgendes sein: Ich brauche meine Eltern weniger als Unterstützung und lasse mich<br />
seltener blicken. Mein Vater flüchtet wieder an seinen Fernseher, meine Mutter versinkt in Selbstmitleid und<br />
macht mir wieder andauernd Vorwürfe, und mein Bruder hängt nur mit den Kumpels herum.<br />
Durch meine <strong>Magersucht</strong> habe ich meine Eltern dazu gezwungen, mir ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, mehr<br />
Anlehnung und Rat anzubieten.<br />
Ihre Aufmerksamkeit und ihr Beistand ist etwas, das ich mir innerlich immer gewünscht habe.<br />
Ich habe mich nach außen hin aber genau gegensätzlich verhalten: Schroff, abweisend, verschlossen, weil ich mich<br />
vor der damit verbundenen Nähe fürchtete.<br />
So bekomme ich den Beistand, ohne mich öffnen zu müssen <strong>oder</strong> darum zu bitten. Das fällt schwer, denn damit<br />
würde ich zeigen, wie abhängig ich bin…<br />
Deshalb fürchte ich, dass ich ohne Essstörung von den Eltern nicht mehr unterstützt werde; da ich nicht danach<br />
frage und Distanz signalisiere.<br />
Die <strong>Magersucht</strong> ist ferner dazu da, dass ich mir selber jeden Tag aufs Neue beweisen kann, dass mein Ehrgeiz und<br />
meine Disziplin noch da sind. Es sind Eigenschaften, über die ich mich gerne definiere und bei denen ich jedoch in<br />
ständiger Angst und Unsicherheit lebe, dass sie verschwinden, sobald ich aufhöre, sie jeden Tag auf die Probe zu<br />
stellen.<br />
Ich fürchte, dass, sobald die Begrenzung des Essens vorbei ist, mein Essverhalten ins Gegenteil umschlägt – Frustessen.<br />
Dies ist auch ein Gespenst der Vergangenheit.<br />
Mir hat das Leben bis jetzt keine Freude bereitet. Ich war immer in der Planung und immer in Sorgen und Gedanken<br />
und nie in der Gegenwart. Ich habe Phasen der Antriebslosigkeit, in denen alles sinnlos erscheint, und die<br />
Hilflosigkeit und Wut, deren ich mir selbst nicht bewusst war, mussten irgendwie zum Ausdruck kommen. Dann<br />
habe ich gehungert.<br />
Wenn ich nicht mehr hungere, muss ich mich dieser Freudlosigkeit stellen.<br />
Ich hungere, wenn ich mich schlecht fühle. Oft habe ich Schwierigkeiten, mich mitzuteilen, habe ein starkes Mitteilungsbedürfnis.<br />
Es staut sich auf. Ich hungere, um das Empfinden dumpf zu stellen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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Ich hungere, um mir einen Tag mit weniger Aktion zu gönnen. Meine Hauptangst ist, wenn ich normalgewichtig bin,<br />
würde kein Grund mehr bestehen, auf meinen Körper zu hören und aufzupassen.<br />
Wie geht es mir? Das wäre egal, ich bin „normal“, muss also „normal“ funktionieren.<br />
Ich habe die <strong>Magersucht</strong> gebraucht, um auf mich hören zu lernen“.<br />
Es hat sich uns bewährt, nicht unreflektiert und ohne sorgfältige Abstimmung der „armen magersüchtigen Patientin“<br />
helfen zu wollen und zu wissen, was für sie gut ist, - das führt in der Regel nur zu Widerstand, Trotz und Verweigerungsverhalten<br />
(nicht nur bei magersüchtigen Patientinnen, sondern bei den meisten Menschen!), sondern<br />
sorgfältig und respektvoll zu klären, ob die Patientin uns einen Auftrag geben will, der auch uns sinnvoll und durchführbar<br />
erscheint – <strong>oder</strong> nicht.<br />
Die Behandlungsziele sind demnach gestuft:<br />
- Klärung der Motivation eine konsequente körperlich-seelische Entwicklung anzustreben,<br />
- Klärung der Lebensziele und Therapieziele, Abstimmung klarer und widerspruchsfreier Aufträge.<br />
- Klärung der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Gewichtszunahme.<br />
Wenn die Voraussetzung gut abgestimmter Therapieziele und Therapieaufträge erfüllt ist, kann die psychotherapeutische<br />
Arbeit im engeren Sinne mit folgenden Zielen beginnen:<br />
Erforschung der individuellen lebensgeschichtlich bedingten Muster des Umgangs mit Gefühlen, Bedürfnissen,<br />
Wünschen, Konflikten, Belastungen, Erwartungen, Anforderungen<br />
Vermittlung seelisch-körperlicher Zusammenhänge und Wechselwirkungen<br />
Auseinandersetzung mit und Verarbeitung von belastenden Lebenserfahrungen<br />
Verbesserung der Gefühl- und Körperwahrnehmung<br />
Wahrnehmung der Belastungsgrenzen<br />
Abbau von überfordernden Leistungsidealen<br />
Verbesserung der Entspannungsfähigkeit<br />
Verbesserung der Fähigkeit, Hilfe annehmen zu können, Schwächen und Hilfsbedürftigkeit als Teil einer Persönlichkeit,<br />
die immer sowohl Stärken als auch Schwächen hat, selbstverständlich zu akzeptieren<br />
Verbesserung von Kommunikation, Abgrenzung- und Konfliktfähigkeit<br />
►Beispiel eines Behandlungsverlaufes:<br />
Eine 22 jährige Patientin, in Ausbildung zur Bürokauffrau, Frau A. litt seit 6 Jahren unter einer Anorexie. Sie war<br />
1,60m groß, wog 40 kg, d.h. der Bodymaßindex wies mit 15.6 auf das deutliche Untergewicht hin (Normalbereich<br />
18,5.24, 9).<br />
Sie kam zur ambulanten Erstuntersuchung in Begleitung ihrer Mutter. Die Patientin selbst erschien abweisend, einsilbig,<br />
unzugänglich und zeigte kein Interesse an einer stationären Behandlung. Die Mutter war verzweifelt, hilflos.<br />
Alle bisherigen Bemühungen der Eltern und des Hausarztes waren erfolglos geblieben.<br />
Wir informierten die Patientin ausführlich über unsere Behandlungsvorstellungen, insbesondere darüber, dass wir<br />
sorgfältig mit ihr jeden Behandlungsschritt abstimmen werden und die Behandlung nur dann durchführen, wenn<br />
wir von ihr einen stimmigen Auftrag erhalten und schlugen ihr einen 1-2wöchigen „unverbindlichen“ Aufenthalt in<br />
der <strong>Rhein</strong>-<strong>Klinik</strong> vor.<br />
Darauf konnte sich die Patientin einlassen.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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Dieser einwöchige Aufenthalt führte dazu, dass die Patientin sich grundsätzlich eine Behandlung bei uns vorstellen<br />
konnte. Allerdings waren ihre Vorstellungen über ihre Ziele noch sehr widersprüchlich und ihre Fähigkeit und Bereitschaft,<br />
sich auf einen konstruktiven Entwicklungsprozess einzulassen, noch wenig entwickelt.<br />
Wir vereinbarten deshalb mit ihr eine weitere stationäre Behandlung von ca.6 Wochen.<br />
In diesem zeitlich klar begrenzten Aufenthalt luden wir sie ein, mit uns untersuchen, welche mehr <strong>oder</strong> weniger<br />
bewussten Gründe, sie für ihr magersüchtiges Verhalten hat und welche Befürchtungen sie mit einem Gesundungsprozess<br />
verbindet.<br />
Ziel dieser zeitlich klar begrenzten Behandlung war es auch, Frau A. erleben zu lassen, wie stationäre Psychotherapie<br />
die zwischenmenschlichen Prozesse in der Stationsgemeinschaft nutzt, um die Zusammenhänge zwischen<br />
Symptomen und innerseelischen und zwischenmenschlichen Problemen deutlich zu machen und die Fähigkeiten zu<br />
fördern, diese zu lösen.<br />
Das Behandlungsangebot für Frau A. umfasste therapeutische Einzelgespräche, eine Betreuung durch eine Bezugspflegekraft,<br />
Anwendungen in der Physikalischen Therapie mit Massagen und Krankengymnastik sowie Großgruppen,<br />
Infogruppen und Stationsversammlungen.<br />
Frau A. nahm dann auch die Möglichkeit eines Familiengesprächs mit den Eltern und ihrer Schwester in Anspruch.<br />
Am Ende dieses Aufenthaltes wog Frau A 43 kg, das entspricht einem Bodymaßindex von 16,8.<br />
Frau A. hatte eine stimmige Motivation für eine Psychotherapie, die auch die körperliche Stabilisierung und Normalisierung<br />
des Gewichtes einschließt, entwickelt.<br />
Sie fühlte sich gefestigt genug, ihr Gewicht zu halten, sah sich aber noch nicht in der Lage, selbstständig eine weitere<br />
notwendige Gewichtszunahme zu erreichen.<br />
Frau A. begann eine ambulante Psychotherapie bei einer Therapeutin mit Erfahrungen mit Essstörungen und folgte<br />
unserer Empfehlung einer wöchentlichen Vorstellung und Gewichtskontrolle bei ihrem Hausarzt, der ihre Therapeutin<br />
regelmäßig über die Gewichtsentwicklung informierte.<br />
Nach ca. einem halben Jahr hatte sie noch ein halbes Kilo zugenommen und fühlte sich in den Auseinandersetzungen<br />
in der Familie etwas sicherer.<br />
Sie schreckte aber nach wie vor einer Partnerschaft, die sie sich eigentlich ersehnte, aber der sie sich nicht so recht<br />
gewachsen fühlte, zurück. Auch in ihrer Ausbildung als Bürokauffrau litt sie noch unter Versagensängsten und ihrer<br />
Neigung, Konflikten aus dem Weg zu gehen.<br />
In Abstimmung mit ihrer Therapeutin stellten wir die Indikation für eine weitere stationäre Behandlung von 10 Wochen.<br />
Frau A., die Vertrauen in das Behandlungsteam und die Behandlungsmethoden entwickelt hatte, konnte sich sehr<br />
motiviert auf die Behandlung einlassen. Mit Unterstützung der Essgruppen, ihres Stationsarztes und ihrer Bezugspflege<br />
– und den Mitpatienten! gelang es ihr, kontinuierlich zuzunehmen. Am Ende der Behandlung wog sie 48 kg,<br />
dies entspricht einem BMI von 18,7. In den Einzel- und Gruppentherapien sowie in der Skillsgruppe setzte sie sich<br />
intensiv mit den durch die körperlichen Veränderungen und die zwischenmenschlichen Erfahrungen von Nähe und<br />
Auseinandersetzung ausgelösten Gefühle und Konflikte auseinander, stärkte ihre zwischenmenschlichen und kommunikativen<br />
Fähigkeiten, verbesserte ihre Beziehung zu sich selbst und entwickelte zunehmend zuversichtliche<br />
Zukunftsperspektiven.<br />
Im Anschluss an die stationäre Krankenhausbehandlung setzte sie sowohl die ambulante Psychotherapie als auch<br />
die regelmäßigen Gewichtskontrollen bei ihrem Hausarzt fort.<br />
Stand: 14.05.2013<br />
Bearbeitende: Dr. Eduard Häckl<br />
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