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Kjell Westö · Geh nicht einsam in die Nacht - Der Nordland-Shop

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Ich möchte euch zu e<strong>in</strong>em seltsam lauen Januarabend 1961, fünfzehn<br />

Jahre später, mitnehmen.<br />

Es ist Samstag, und <strong>die</strong> achtunddreißigjährige El<strong>in</strong>a Manner,<br />

Wäscher<strong>in</strong> und Teilzeitnäher<strong>in</strong> und seit drei Jahren Witwe, sitzt<br />

<strong>in</strong> ihrer Wohnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Holzhaus <strong>in</strong> der Castrénsgatan und<br />

wartet darauf, dass Jouni, der ältere ihrer beiden Söhne, nach<br />

Haus kommt. <strong>Der</strong> zwölfjährige Oskari schläft bereits auf se<strong>in</strong>er<br />

Bettcouch. El<strong>in</strong>a hat gesagt, dass Jouni bis zehn zu Hause se<strong>in</strong><br />

soll, aber mittlerweile ist es schon elf. El<strong>in</strong>a glaubt – oder hofft<br />

zum<strong>in</strong>dest –, dass er im Kerho ist, dem Jugendcafé am Hagnäs<br />

torg. Jouni ist im Herbst jeden Samstagabend zu spät heimgekommen<br />

und manchmal auch unter der Woche, er ist noch<br />

ke<strong>in</strong>e fünfzehn, aber sie hat ihn <strong>nicht</strong> mehr im Griff, niemand<br />

hat den Jungen jemals im Griff gehabt, <strong>nicht</strong> e<strong>in</strong>mal Sulo.<br />

Es ist e<strong>in</strong> Januar ohne Schnee <strong>in</strong> Hels<strong>in</strong>gfors, <strong>in</strong> späteren Zeiten<br />

wird das <strong>nicht</strong>s Besonderes mehr se<strong>in</strong>, damals jedoch war es<br />

e<strong>in</strong>e Ausnahme. In den letzten Tagen hat sich ke<strong>in</strong> Lüftchen geregt,<br />

Straßen und Höfe s<strong>in</strong>d vollkommen frei, und es gibt auch<br />

ke<strong>in</strong>e Eisdecke, nur dünne, <strong>e<strong>in</strong>sam</strong>e Schollen, <strong>die</strong> auf der reglosen<br />

Wasserfläche der Tölöviken und <strong>in</strong> der Djurgårdsviken und<br />

draußen auf der Kronbergfjärden treiben: <strong>Der</strong> Himmel ist undurchdr<strong>in</strong>glich<br />

grau und das Ganze fast schon gespenstisch.<br />

El<strong>in</strong>a hat unterhalb der Woche ke<strong>in</strong>e Zeit zum Lesen gehabt,<br />

nun aber <strong>die</strong> abgegriffenen und saucenfleckigen Donnerstagsund<br />

Freitagsausgaben der Tageszeitung Hels<strong>in</strong>g<strong>in</strong> Sanomat aus<br />

dem Restaurant Tuulo mitgenommen und schlägt sie nache<strong>in</strong>ander<br />

auf. Sie liest langsam und akribisch, ihre Gedanken<br />

schweifen ab. <strong>Der</strong> Wettermann verspricht für <strong>die</strong> nächste Woche,<br />

dass es <strong>nicht</strong> schneien wird, <strong>die</strong> ungewöhnliche Wärme hält<br />

sich, sagt er. »Atomw<strong>in</strong>ter«, schreibt e<strong>in</strong> Redakteur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel.<br />

Was immer sie damit me<strong>in</strong>en. Sie liest über das Flugzeugunglück<br />

<strong>in</strong> Ostbottnien vor e<strong>in</strong>igen Wochen: Inzwischen ist <strong>die</strong><br />

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