„KEINER DIESER ORTE IST ZU FINDEN“ – ZUR ...
„KEINER DIESER ORTE IST ZU FINDEN“ – ZUR ...
„KEINER DIESER ORTE IST ZU FINDEN“ – ZUR ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
In einem Interview erwähnte der deutsche Komponist und Freund der<br />
Autorin, Hans Werner Henze, einen Scherz, den Bachmann auf der Zugfahrt<br />
machte, wenn sie nach ihrem Reiseziel gefragt wurde: „…wenn jemand fragte:<br />
'Und Sie, liebes Fräulein, was tun Sie? Wohin reisen Sie?' 'Ja, ich bin<br />
Angestellte bei Siemens und fahre nach Budapest', dabei fuhr sie eigentlich<br />
nach Wien oder München, oder in eine sonstig entgegengesetzte Richtung“ 5 .<br />
Die Anekdote beweist die bitter-ironische Haltung der Autorin gegenüber dem<br />
allgemeinen Desinteresse der „Asphalt-Kultur“ (Henze) an der osteuropäischen<br />
Landschaft aus einer primär geographischen Perspektive. Der Blick Bachmanns<br />
auf südöstlich liegende Orte - innerhalb oder außerhalb Europas - lässt sich<br />
anfangs mit ihrer Biographie in Zusammenhang bringen und erklären.<br />
Sie wurde 1926 in der österreichischen südöstlichsten Landeshauptstadt,<br />
in Klagenfurt, geboren. Ihre Mutter, Olga Bachmann, kam aus dem östlichsten<br />
Bundesland, das an „Böhmen“ und Ungarn grenzte; ihr Vater, Matthias Bachmann,<br />
stammte aus Obervellach bei Hermagor im Gailtal, im Dreiländereck Österreich-<br />
Italien-Slowenien. Die Heimat der Autorin konstituierte sich von vornherein an der<br />
Grenze, wie sie in der Prosaschrift „Biographisches“ versicherte: „Ich habe meine<br />
Jugend in Kärnten verbracht, im Süden, an der Grenze, in einem Tal, das zwei<br />
Namen hat - einen deutschen und einen slowenischen 6 . Aus dem ganzen Werk<br />
Bachmanns lässt sich feststellen, das Land ihrer realen Geburt und Kindheit sei<br />
nicht mit dem Land der imaginären Geburt oder Wiedergeburt der Dichterin<br />
verwechselbar, trotz der aufschlagenden biographischen Parallelität. Der Ort in dem<br />
Gedicht „Prag Jänner 64“, „wo zwischen der Moldau, der Donau/ und meinem<br />
Kindheitsfluss/ alles einen Begriff von mir hat“ oder „das erstgeborene Land“, wo<br />
die Dichterin zum Sehen erwacht wird: „Da fiel mir Leben zu“, sind nichts anders<br />
als imaginäre Orte. Utopische Elemente ziehen ihre Existenz durch, die auf eine<br />
neue, befreiende dichterische Sprache hinziehen: „Unter den berstenden Blöcken/<br />
meines, auch meines Flusses/ kam das befreite Wasser hervor.// Zu hören bis zum<br />
Ural“ („Prag Jänner 64“). Die literarische Projizierung auf ein geographisches<br />
Dreieck zwischen Prag-Wien-Kärnten (metonymisch ersetzt durch die Flüsse<br />
Moldau, Donau und Kindheitsfluss) und auf ein kulturelles „Dreispracheneck“<br />
zwischen Böhmisch-Deutsch-Slowenisch, deren Befreiung aus den Ketten der<br />
Differenziertheit als Voraussetzung für die wahre Sprache der Dichtung angestrebt<br />
wird, durchquert den ganzen europäischen geographischen Raum nach Osten,<br />
indem sie sich bis zum Ural über die Grenzen hinausstreckt. Sigrid Weigel spricht<br />
über „die Akzentuierung einer nach Süden und Osten orientierten europäischen<br />
Topographie“ 7 bei Bachmann, erstens in der frühen Lyrik der zwei Gedichtbände<br />
(„Die gestundete Zeit“ und „Anrufung des Großen Bären“) und später in den<br />
„Todesarten“-Prosaschriften. Bachmanns Landschaften sind kodiert, chiffriert, sie<br />
lassen sich einmal als innere Landschaften, ein anderes Mal als geschichtliche oder<br />
als literarisierte Sprachlandschaften erkennen. Ein paar Beispiele dafür:<br />
In dem unvollendeten Roman „Der Fall Franza“ sagt die Autorin in der<br />
Vorrede: „Die Schauplätze sind Wien, das Dorf Galicien und Kärnten, die Wüste,<br />
die arabische, lybische, die sudanische. Die wirklichen Schauplätze, die<br />
266