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„KEINER DIESER ORTE IST ZU FINDEN“ – ZUR ...

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osteuropäischen Raum, in dem die (scheinbar) gegensätzlichen Charaktere sich<br />

zusammentreffen. De facto ist das Ich ein ganz zentraler Punkt, von dem andere<br />

Gestalten osteuropäischer Abstammung - Malina, Ivan - sich dissipieren,<br />

defragmentieren und durch den Bezug auf das weibliche Ich, lokalisiert in Wien,<br />

wieder vereinigen lassen. Ellen Summerfield sprach von der „Auflösung der<br />

Figur“ 16 im Roman, was das Verschwinden des Ich erklärt. Es geht hier aber nicht<br />

nur um die Auflösung der Figur, sondern auch um die Auflösung der Grenze<br />

zwischen Innen und Außen, Diesseits und Jenseits, Vergangenheit und<br />

Gegenwart, Ost und West, die im Mittelpunkt Europas stattfindet: in Wien.<br />

Nach Wien, wo die Grenze ursprünglich nicht aufgehört hatte, spürbar<br />

zu sein, kam Bachmann 1945: „Es wurde wieder eine Heimat an der Grenze:<br />

zwischen Ost und West, zwischen einer großen Vergangenheit und einer dunklen<br />

Zukunft“ 17 . In diesen frühen Wiener Jahren lernte die junge Philosophiestudentin<br />

Bachmann in dem Atelier des surrealistischen Malers Edgar Jené, den aus<br />

Czernowitz vertriebenen Dichter Paul Celan kennen, der auf seiner Durchreise<br />

von Rumänien (Bukarest) über Ungarn nach Frankreich (Paris), Station in Wien<br />

machte. Von Hans Werner Richter zur 10. Tagung der literarischen Gruppe 47<br />

eingeladen (1952), trat sie gemeinsam mit Paul Celan auf. Für die Autorin wurde<br />

Celan zu einem sehr geschätzten und speziellen Freund für mehr als fünfzehn<br />

Jahre. Seine Einreise von Rumänien über die ungarischen Steppen nach Paris,<br />

bedeutete für sie, so Lütz in seinem Aufsatz „Über den Celan-Bachmann<br />

Diskurs“, eine Orts-Chiffre seiner Herkunft, die sie später, vor allem in der<br />

Legende der Prinzessin von Kagran aus dem Roman „Malina“, in der Figur des<br />

Fremden - „Die Prinzessin und der Fremde begannen zu reden, wie von alters her,<br />

und wenn einer redete, lächelte der andere. Sie sagten sich Helles und Dunkles“ 18<br />

- und der ursprünglich grenzenlosen osteuropäischen Landschaft verarbeitet:<br />

„…das Land, in dem sie waren, an der Donau, war immer in Gefahr, und Grenzen<br />

gab es noch keine, wo später Raetien, Markomannien, Noricum, Moesien,<br />

Dacien, Illyrien und Pannonien waren. Es gab auch noch kein Cis- und<br />

Transleithanien, denn es war immer Völkerwanderung.“ 19 Eine wesentliche Rolle<br />

bei dem Prozess des Sich-Verbunden-Fühlens der zwei Autoren spielte auch die<br />

gemeinsame „österreichisch-ungarische Sprachherkunft und Geistestradition“ 20 .<br />

Die Sprache, in der sie schrieben, war dieselbe, aber nicht die gleiche. Für Celan<br />

war die deutsche Sprache seit der Ermordung der Eltern (1942, im KZ<br />

Michailowka, östlich des Bugs) nicht mehr die geliebte Muttersprache, sondern<br />

die „Sprache der Mörder“ 21 . Für Bachmann ist sie Ausgangspunkt für das<br />

„Treiben“ durch die Gesamtheit der Sprachen: „Ich mit der deutschen Sprache/<br />

dieser Wolke um mich/ die ich halte als Haus/ treibe durch alle Sprachen“<br />

(„Exil“), damit sie sich für das weibliche Ich am Ende als „Strafe“ definieren<br />

lässt: „…die Sprache ist die Strafe. In sie müssen alle Dinge eingehen und in ihr<br />

müssen sie wieder vergehen nach ihrer Schuld und dem Ausmaß ihrer Schuld“ 22 .<br />

Mittels der Verwendung von Fremdwörtern und Sätzen aus<br />

osteuropäischen Sprachen (Ausrufe und Flüche auf Ungarisch, Sätze auf<br />

Slowenisch), von dazugehörenden Assoziationen mit den „fremden“ Landschaften<br />

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