„KEINER DIESER ORTE IST ZU FINDEN“ – ZUR ...
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inwendigen, von den äußeren mühsam überdeckt, finden woanders statt (sic!)“ 8 .<br />
Und sie führt diesen Gedanken im ersten Kapitel dann fort: „Und da sich beweisen<br />
lässt, dass es Wien gibt, man es aber mit einem Wort nicht treffen kann, weil Wien<br />
hier auf dem Papier ist und die Stadt Wien immerzu woanders, nämlich 48° 14’<br />
54’’ nördlicher Breite und 16° 21’ 42’’ östlicher Länge, und Wien hier also nicht<br />
Wien sein kann, weil hier nur Worte sind, die anspielen und insistieren auf etwas,<br />
das es gibt, und auf anderes, das es nicht gibt...“ 9 . Das am Meer gelegene Böhmen<br />
im Gedicht „Böhmen liegt am Meer“ findet als fiktiver Ort auch keine<br />
Entsprechung in der Realität und trotzdem beansprucht Realität. Wenn man dem<br />
am Meer gelegenen Böhmen sein Recht zuerkennt, dann löst sich die<br />
Trennungslinie zwischen Wirklichkeit und Imagination einfach ab, indem sie<br />
flüssig wird. Die Titelgestalt aus der Erzählung „Undine geht“, „keine Frau, auch<br />
kein Lebewesen“ 10 , trägt die Grenzen zwischen zwei Welten - Wasser und Erde -<br />
in ihr, ohne ein Zwischenwesen zu sein, sondern, laut Renate Böschenstein, „das<br />
fließende Ich“ 11 . Die Auflösung der Grenze findet - paradoxerweise - in ihrem<br />
Wesen statt, es ist „die nasse Grenze zwischen mir und mir“ 12 . Entgegengesetzte<br />
Pole werden vereinigt und versöhnt, indem sie nicht mehr als Gegensätze gespürt<br />
werden. Die realgeographischen Räume werden von Bachmann in<br />
Erfahrungsräumen aufgespalten. Laut Marion Schmaus, „subjektive Erinnerungsund<br />
Wahrnehmungsspuren überschreiben den konkreten Ort, lassen ihn zu einer<br />
‚inneren Landschaft’ oder ‚imaginären Topographie’ werden“ 13 . Um die<br />
Möglichkeit einer auf solche Art und Weise konstruierten imaginären Topographie<br />
klar zu machen, führte Sigrid Weigel den Begriff der „télescopage“ ein, als „Figur<br />
einer Verschachtelung“ der Orte auf der geographischen Landkarte, indem<br />
„verschiedene Schauplätze ineinandergeschoben oder übereinander geblendet<br />
werden“, wie „die Überblendung von Wüste und Berlin, Galizien und<br />
Kindheitslandschaft, Wien und Ungargassenland“ 14 in Bachmanns „Todesarten“-<br />
Projektteilen „Ein Ort für Zufälle“, „Der Fall Franza“ und „Malina“.<br />
Die Verwischung der Trennungslinien zwischen Innen- und Außenwelt,<br />
Innen- und Außenraum wird in dem Roman „Malina“ (1971), dem ersten und<br />
einzigen vollendeten Roman Bachmanns, und in dessen Verfilmung von Werner<br />
Schroeter (1991) sichtbar. Die Straße in dem „Ungargassenland“ bildet sich als<br />
imaginärer Ort, „weil sie nur in mir ihren Bogen macht“, sagt das weibliche Ich<br />
am Anfang. Gerade in dieser Topographie gehen die äußere und innere Welt, die<br />
reale und imaginäre Landschaft ineinander. Die Ungargasse war in der<br />
Vergangenheit „die alte Hungargasse, in der die aus Ungarn einreisenden<br />
Kaufleute, Pferde-, Ochsen- und Heuhändler hier ihre Herbergen hatten, ihre<br />
Einkehrwirtshäuser“ 15 . Ivan, in den sich das weibliche Ich verliebt, wurde in<br />
Pécs/Ungarn geboren, hatte zwei Kinder - Belá und András - und wohnte in der<br />
Ungargasse, Nummer 9. Malina, der sogenannte männliche „Doppelgänger“ der<br />
weiblichen Figur, wurde von ihr ursprünglich „Eugenius“ genannt, er kam von<br />
der jugoslawischen Grenze, genau so wie das Ich und beide redeten manchmal<br />
auf Slowenisch oder Windisch. Sie bewohnten die gleiche Wohnung in der<br />
Ungargasse, Nummer 6. Es handelt sich um eine Projektion auf den<br />
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