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Download Handreichung (Markus Bundi/Lara ... - Haymon Verlag

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Helene Flöss: Dürre Jahre/Modul 2<br />

Was sind die Ursachen der Anorexia nervosa?<br />

Verschiedene Umstände können eine Anorexia nervosa auslösen. Dies können familiäre Spannungen sein,<br />

Verlusterlebnisse, Hänseleien wegen des Körperbaus oder pubertätsbedingte Störungen. Der eigene Wunsch nach<br />

Verselbständigung und Trennung von der Familie kann das Gleichgewicht des Familiensystems gefährden und wird<br />

mithilfe der Erkrankung abgewehrt. Rollenunsicherheit bezüglich der sexuellen weiblichen Identität kommt vor,<br />

ebenso kann die positive Identifikation mit der Mutter gestört sein. Die in der Familiensituation als negativ erlebte<br />

Mutterrolle wird von den Betroffenen abgelehnt und durch die Krankheit verdrängt. Das Ausbleiben der Menstruation<br />

erleben die erkrankten Frauen dann mitunter als angenehm.<br />

Durch übertrieben zwanghaft-kontrollierendes Körperbewusstsein und ritualisiertes Essverhalten wird versucht, Gefühle<br />

von Macht und Stärke zu erleben, die auf andere Weise im Familienverband nicht erreicht werden können.<br />

Im Vordergrund steht der Kampf um Autonomie – der Kampf des Geistes gegen den Trieb. Es ist ein subjektives<br />

Hochgefühl, der Krankheitsgewinn ist die eigene Vollkommenheit, die auf anderer Ebene nicht erreichbar erscheint.<br />

Die Patienten geraten oft in soziale Isolation. Die Isolation im Klassenverband wird durch Ehrgeiz kompensiert.<br />

Dieser Ehrgeiz wird auf die Gewichtskontrolle bzw. den Gewichtsverlust projiziert. In der Familie existiert häufig<br />

die Regel, über negative Gefühle (Spannungen, Wut, Angst, Machtlosigkeit, Überforderung etc.) nicht zu sprechen.<br />

Diese Gefühle werden durch dauernde Beschäftigung mit der Esskontrolle nicht wahrgenommen. Auch die positiven<br />

Gefühle (Freude, Geborgenheit etc.) werden immer weniger.<br />

Hinzu kommen Wahrnehmungsstörungen, Teilleistungsschwächen, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen<br />

sowie auch Störungen in der Gehirnentwicklung, die jedoch nach Normalisierung der Ernährung wieder rückgängig<br />

sind. Magersüchtige Mädchen zeichnen sich häufig durch einen hohen Ehrgeiz aus. Sie sind häufig außerordentlich<br />

hartnäckig, gewissenhaft, unbeirrt, setzen ihren Willen durch, sind fleißig, nach außen hin bescheiden und meist auch<br />

sehr intelligent. Bei Intelligenz geminderten Jugendlichen ist die Erkrankung auffällig selten.<br />

Wie wird die Diagnose gestellt?<br />

Magersüchtige haben in den meisten Fällen keine Krankheitseinsicht. Sie leugnen ihre Erkrankung und möchten ihr<br />

Verhalten nicht ändern. Daher wird eine Behandlung meist abgelehnt.<br />

Oft werden die Erkrankten von Angehörigen zur Therapie bei einem Arzt vorgestellt. Die Betroffenen sind dann<br />

häufig schon so abgemagert, dass nur eine stationäre Aufnahme und eine intravenöse Ernährung einen letalen Ausgang<br />

verhindern können. Aufgrund der mangelnden Krankheitseinsicht kommen Magersüchtige selten freiwillig<br />

zum Arzt, dies würde ja voraussetzen, dass ein wichtiger Teil des Problems durch die Betroffenen erkannt worden ist.<br />

In einem Gespräch zwischen Arzt und dem Betroffenen wird die Krankheitsgeschichte erfasst. Der Arzt versucht die<br />

Bedingungen, unter denen sich das gestörte Essverhalten entwickelte, zu ergründen. Wichtig ist auch zu erfragen,<br />

ob andere Probleme zusätzlich zur Essstörung vorliegen, wie zum Beispiel Alkohol-, Tabletten- oder Drogenmissbrauch.<br />

Wichtig ist auch, Angehörige zu befragen, um ein möglichst genaues Bild des Erkrankten zu erhalten, da die Magersüchtigen<br />

selbst auch dazu neigen, die Wahrheit zu verzerren.<br />

Um die optimale therapeutische Strategie zu wählen, muss der Arzt zudem wissen, welche bisherigen Therapien<br />

versucht wurden, wie diese von dem Betroffenen bewertet wurden und warum sie eventuell abgebrochen wurden.<br />

Wichtig ist auch zu wissen, welche Erwartungen der Patient an die jetzige Therapie hat. Bei Magersüchtigen ist<br />

es zwingend erforderlich, dass abgeklärt wird, ob die Notwendigkeit einer sofortigen Gewichtszunahme besteht.<br />

Diese Notwendigkeit besteht insbesondere dann, wenn durch die Mangelernährung starke körperliche Folgeschäden<br />

drohen oder bereits vorhanden sind. Ist dies der Fall, wird mit dem Betroffenen ein Mindestgewicht festgelegt, das<br />

dieser in möglichst kurzer Zeit erreichen muss. Gegebenenfalls ist ein stationärer Aufenthalt notwendig.<br />

Wie sieht die Behandlung aus?<br />

Bei der Behandlung von Anorexia nervosa müssen zwei Phasen unterschieden werden: einerseits die kurzfristige<br />

Behandlung mit dem Ziel, das Körpergewicht so zu steigern, dass die bereits eingetretenen körperlichen Störungen<br />

wieder zurückgehen, und andererseits die langfristige Therapie. Letztere zielt darauf ab, die psychischen Bedingungen<br />

zu verändern, die zur Entstehung der Magersucht geführt haben.<br />

Kurzfristige Behandlung<br />

Wegen des gefährlichen Gewichtsverlusts ist bei den meisten Patienten – wenn sie sich letztendlich doch in Behandlung<br />

begeben – zunächst ein Aufenthalt in einer Klinik notwendig. Ein weiterer Grund für eine stationäre Behandlung<br />

können starke depressive Verstimmung, Suizidgefahr oder schwierige soziale Verhältnisse sein. Häufig weigern<br />

sich die Erkrankten auch in einem lebensbedrohlichen Zustand noch zu essen. Fehlt den Magersüchtigen die Einsicht<br />

der Notwendigkeit, müssen die Nährstoffe gegebenenfalls über eine Infusion zugeführt werden.

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