Intergenerative Medienarbeit - MuK
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INTERGENERATIVE<br />
MEDIENARBEIT<br />
Karsten Krügler<br />
07.09.2010
7.9.2010<br />
INTERGENERATIVE MEDIENARBEIT<br />
Wenn junge und ältere Menschen zusammen kommen, um gemeinsam zu<br />
lernen, dann können dafür mindestens zwei Gründe vorliegen. Zum einen<br />
interessiert ein gemeinsames Thema, eine Themenstellung oder eine<br />
Fragestellung. Zum anderen versucht man die Form der Begegnung zu<br />
überdenken, das System der Zeichen, die Symbole, den Schlüssel der<br />
Verständigung, also die kulturelle Ausprägung von Kommunikation.<br />
Kommunikation aber ist aber ein Teil variabler Kultur des Menschen und<br />
unterliegt der Veränderung. Vor dem Hintergrund tief greifender Veränderungen<br />
unserer Telekommunikationssysteme in den letzten Jahrzehnten haben sich<br />
hauptsächlich bei jungen Menschen völlig neue und bisher unbekannte<br />
Kommunikationsstrukturen herausgebildet und im Kontext zu den sonstigen<br />
gesellschaftlichen Veränderungen zu einer neuen, und für Erwachsene<br />
stellenweise unverständlichen Sicht auf Welt geführt.<br />
<strong>Intergenerative</strong> Medienpädagogik führt Menschen unterschiedlichen Alters,<br />
unterschiedlicher Lebenserfahrung und unterschiedlicher<br />
Kommunikationskulturen zusammen, arbeitet mit ihnen an selbst gewählten<br />
Themenstellungen und fördert dabei gegenseitige Einsichtnahme in die jeweils<br />
andere Kultur des Kommunizierens, des Verstehens und auch in die Formen des<br />
dabei abgeleiteten Handelns.<br />
Medienkompetenz, als Synonym für den selbst bestimmten, selbst<br />
verantworteten und partizipierenden Gebrauch unterschiedlichster Medienund<br />
Telekommunikationssysteme ist Leitgedanke bei dem Versuch, junge<br />
und ältere Menschen durch medienpädagogische Interventionen in ihrer<br />
kommunikativen Kompetenz zu fördern. Dabei können einerseits<br />
Jugendliche zu Lotsen für ältere Menschen im elektronischen<br />
Mediendschungel werden und anderseits werden ältere Menschen für<br />
jüngere Menschen als tradierende Instanz soziokultureller Entwicklungen<br />
erfahrbar.<br />
Differenziert man diese Überlegungen nach politischen, soziologischen,<br />
entwicklungspsychologischen und kulturellen Kategorien ergeben sich sieben<br />
Fragestellungen, die einerseits scheinbar Unveränderbares und Konstanten<br />
verifizieren, aber andererseits auch Veränderung, Zugewinn und Respekt vor<br />
Andersartigkeit und Vielfalt generieren und damit Anstiften zu<br />
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intergenerativer Kommunikation.<br />
1. Suche, Sinn und Wandel<br />
Die moderne Soziologie und Sozialpsychologie halten zur Ausbildung<br />
menschlicher Identität zwei Aspekte für unverzichtbar. Da ist zum einen die<br />
angestrebte Zugehörigkeit des einzelnen Menschen zu einer Gruppe, Schicht<br />
oder Gemeinschaft und zum anderen die wahrgenommene Selbstwirksamkeit<br />
als Form der Selbstüberprüfung von Existenz.<br />
Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit sind aber an die jeweils herrschenden<br />
kulturellen und vor allem auch kommunikationskulturellen Bedingungen<br />
geknüpft. Mit der Herausbildung neuer Kommunikationsräume und im<br />
vorliegenden Fall sind das besonders die kommunikativen Räume des Internets,<br />
ändern sich auch die Merkmale von Zeichen von Zugehörigkeit und auch die<br />
existenten Formen der Selbstwirkung. Sind die gebräuchlichen Formen der<br />
Erwachsenen und älteren Menschen für Sinn und Suche noch reale und real<br />
existente Sozialräume, finden wir jungen Menschen vermehrt in pseudorealen<br />
und virtuellen Orten.<br />
Die letzten Jahre haben in Zivilgesellschaften eine starke Individualisierung des<br />
einzelnen Menschen bewirkt und ihn vermehrt auf Eigenverantwortlichkeit und<br />
Selbstverantwortung hinsichtlich seiner Lebensrisiken verwiesen. Diese, auch<br />
teilweise als Entsolidarisierung verstehbare Veränderung passiert auch auf der<br />
neuen Entwicklung einer globalen Massen – Medien – Gesellschaft.<br />
Authentizität und Avatar – Künstlichkeit, Individualisierung und Vermassung,<br />
Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit sind Fragestellungen der heutigen Zeit und<br />
betreffen Menschen aller Altersgruppen, unterliegen dem historischen Exkurs<br />
und sind Gegenstand medienpädagogischer Strategien hinsichtlich allgemeinen<br />
gegenseitigen Verstehens.<br />
2. Von der Buch- zur Bildkultur<br />
Kulturanthropologisch lässt sich der kommunikationskulturelle Umbruch mit<br />
dem Übergang der bisher dominierenden, durch Schriftzeichen gestützten Buchund<br />
Lesekultur zur ikonographischen Bildzeichen –Kultur beschreiben. Die<br />
heute vorrangig bestgehenden kommunikativen Oberflächen sind visuell<br />
konzipiert, verlassen weitgehend den linearen Kontext von Schrift und Sprache<br />
und verlangen durch den neuen medialen Algorithmus auch andere<br />
Kompetenzen hinsichtlich ihrer Rezeptionsereignisse. Diese Veränderungen<br />
werden auch weiterhin sehr kritisch und warnend von Philologen und<br />
Kulturkritikern begleitet und sind nicht selten ein Anlass für grundsätzliche Kritik<br />
an elektronischen Medien, für das Beschreiben von Szenarien geistiger<br />
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Verflachung und dem Ruf nach Umlenken und Gegensteuern in Bildung und<br />
Erziehung.<br />
Im Kontext intergenerativen Lernens ist es deshalb um so wichtiger, einerseits<br />
die zwar unbestrittenen Veränderungen innerhalb der Kommunikationskultur<br />
und ihre, sie dominierenden Plattformen zu behandeln, aber andererseits um so<br />
betonter, auch die kommunikative Interessenslage aller Beteiligten innerhalb<br />
der Gesellschaft zu berücksichtigen. Unbestritten bleibt dabei die Tatsache, das<br />
Kommunikationstechniken eine Rolle in der Übermittlung von Inhalten spielen,<br />
das Medium selbst so zur „Nachricht“ wird, aber von größerer Wichtigkeit<br />
erscheint dabei immer noch die kommunikative Intention des Menschen, sein<br />
gestalterisches Anliegen, seine soziale Suche und seine zwischenmenschliche<br />
Interaktion.<br />
3. Erinnerung trifft Antizipation<br />
In einer vereinfachenden Ansicht auf die Begegnung von jungen und älteren<br />
Menschen stellt man fest, die einen sehen das Leben verstärkt mit Rück - Sicht<br />
und die anderen mehr mit Vor - Sicht. Ältere und Erwachsene haben eine schon<br />
memorierte Vergangenheit und entwickeln daraus Perspektiven und weitere<br />
Schritte. Junge Menschen dagegen haben natürlicherweise eine verkürzte<br />
Erfahrungsstrecke und antizipieren Zukunft und Machbares<br />
unvoreingenommener.<br />
Die Dialektik von Erfahrung ist bekannt. Verhindert diese „Rückschau“ doch<br />
bestenfalls das Wiederholen schon gemachter Fehler und verkürzt stellenweise<br />
die Wege zum angestrebten Ziel, andererseits verhindert sie neuartige<br />
Versuche, lähmt das Experimentieren und beschränkt die denkbare Vielfalt.<br />
Jugendliche Lebensentwürfe sind dagegen immer stark von einer „Vorschau“<br />
geprägt und unterliegen umständehalber weniger einem Erfahrungsbudget.<br />
Medienpädagogische Interventionen können die Sichtweisen der beiden<br />
Gruppen auf Zukunft und Vergangenheit sehr kreativ verkreuzen, den<br />
Stellenwert von Vorbehalt und Unbekümmertheit transparent machen, das<br />
Wechselverhältnis von Bedenken, Bedachtem und Gedachten kommunizieren<br />
und menschliche und soziale Selbstfindung öffentlich machen.<br />
4. Zum Paradigmenwechsel<br />
Was heute in der Benennung und Eingrenzung paradigmatischer Wechsel bei<br />
Jugendlichen und Erwachsenen hinsichtlich der Auswirkungen durch neue und<br />
neuartige Kommunikationssystem auffällt sind vorrangig drei Aspekte:<br />
Der überwiegende Gebrauch und die Nutzung Neuer Medien führt bei<br />
Jugendlichen zu einer temporären Beschleunigung von Fühlen, Denken und<br />
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Handeln. Dem gegenüber erkennen Erwachsene den Wert der Langlebigkeit,<br />
also den Umstand der Beständigkeit und des Verharrens.<br />
Neue Medien und deren Nutzung führen bei jungen Menschen zu einer großen<br />
Aufgeschlossenheit gegenüber allem neuen und damit zu einer Art von<br />
Xenophilie. Dem gegenüber konstatieren wir den Erwachsenen große<br />
Vorbehalte hinsichtlich neuer Entwicklungen, Trends und Erscheinungsbildern<br />
und damit eine Art der Xenophobie.<br />
Als dritten und mit am bedeutendsten Paradigmenwechsel in<br />
Mediengesellschaften nennen wir den Wechsel vom Vorbild hin zum Abbild als<br />
dem vom Menschen akzeptierten Original und damit die Hinwendung der<br />
meisten Jugendlichen zum Primat der Künstlichkeit, dem Pseudorealen der<br />
Virtualität.<br />
An dieser Stelle können Kommunikations- Medienpädagogik viel zum<br />
Verständnis und Aufklärung dieser Veränderungen beitragen. Mittelbare<br />
Kommunikation, also auch das Buch, waren und sind immer schon Instrumente<br />
der Glaubhaftmachung, verschlüsseln die Realität und lassen durch Encodieren<br />
beim Rezipienten eine Wirklichkeit entstehen. Medienpädagogik greift hier in<br />
einer der zentralen Fragen von menschlicher Selbstvergewisserung ein und<br />
überdenkt seine Voraussetzungen von Welt- und Selbstverständnis.<br />
5. Die anthropologische Konstante<br />
Als anthropologische Konstanten verstehen wir gleich bleibende Wesensarten<br />
beim Menschen die unabhängig von äußeren Einflüssen existent bleiben und<br />
sich beispielhaft in Begriffen wie Angst, Flucht, Hilfsbedürftigkeit oder<br />
Geborgenheit darstellen lassen. Im Zusammenhang mit der schon an dieser<br />
Stelle erwähnten und noch weiteren bekannten Umfaltungen durch die sich<br />
ändernde Kommunikationskultur, sind diese Konstanten von größter Bedeutung<br />
und erlauben innerhalb pädagogisch intendierter Arbeitsvorhaben einen<br />
emanzipierten Abgleich bei Jugendlichen und Erwachsenen hinsichtlich ihrer<br />
unveräußerlichen Gemeinsamkeiten.<br />
Unabhängig von Kommunikationsstrategien, Plattformen und Mediensystemen<br />
lassen sich die besagten Konstanten sowohl in alten und analogen Medien wie<br />
Buch, Musik und Film aber auch neuen Multimedien ausmachen und sind damit<br />
auch kulturanthropologische Konstante. Das, was dem einen das Haus, das Nest,<br />
die Geborgenheit, ist dem anderen die Homepage oder der Web-Log. Das was<br />
also alte und neueste Medien eint, was junge, alte und ältere Menschen<br />
verbindet, was Unterbewusstsein und analytischen Geist aussöhnt sind diese<br />
besagten sozialen und humanen Grundkonstanten.<br />
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Bekanntermaßen verursachen medialisierte Kulturräume bei Menschen eine<br />
immer stärkere Segmentierung vormals ganzheitlicher Lebendräume und lösen<br />
vormalige Geschlossenheiten von Welt auf. Die Anthropologische Konstanten<br />
aber werden dabei nicht tradiert und die Formen ihrer Distribution und ihrer<br />
Symbolisierung mögen dabei angesichts der sich ändernden Medienkultur<br />
variieren, die anthropologischen Konstanten selbst sind sozial – ästhetische<br />
Archetype.<br />
6. Suche, Sucht, Versuchung<br />
Das Internet, also das Netz als Kommunikationsplattform wird von beiden<br />
Altersgruppen mit völlig unterschiedlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht<br />
und wird in seiner Definition als Kommunikationsraum grundsätzlich anders<br />
erlebt. Ältere Menschen verstehen das Internet als elektronische Erweiterung<br />
schon bekannter Telekommunikationssysteme mit Rückkanal und eine Plattform<br />
zum Informationsaustausch und Verbreitung von Nachrichten und<br />
Informationen. Damit steht das Netz neben einer realen Wirklichkeit, gibt diese<br />
bestenfalls wieder, kommentiert diese und besitzt auch die Möglichkeit einer<br />
Einflussnahme auf Realität. In Summe ist das eine Wahrnehmung und<br />
Qualifizierung des Netzes mit den Maßstäben und dem Verständnis über<br />
analoge Medien, vergleichbar mit deren Bedeutung und auch den Möglichkeiten<br />
einer wirksamen Kontrolle.<br />
Ganz anders bei Jugendlichen. Das Netz steht nicht neben einer realen<br />
Wirklichkeit, sondern ist Realität und damit Teil der Wirklichkeit. Das Netz ist<br />
nicht Informationsraum sondern Kultur- und Erlebniswelt. In ihr sich zu<br />
entfalten, entspricht realer sozialer Entfaltung und nicht das Verweilen in<br />
Scheinwelten.<br />
Diesem Unterschied im Verständnis von Netz als Informationsmaschine<br />
einerseits bei Erwachsenen und als Kulturwelt bei Jugendlichen andererseits<br />
folgen auch die medienpädagogischen Ansätze. Zwar kennen auch Jugendliche<br />
die massiven Bedenken der Erwachsenen hinsichtlich der<br />
Gefährdungspotentiale in und mit Neuen Medien, aber eine praktikable<br />
Alternative zu deren Nutzung erscheint ihnen quasi unmöglich. In gemeinsamen<br />
praktischen Arbeiten mit Neuen Medien und in und mit dem Netz können ältere<br />
Menschen und Jugendliche ihre jeweilige Standortbestimmung vorstellen und<br />
sie gegenseitig respektieren lernen. Gleiche Ein- und Wertschätzung von<br />
Medienwelten wird sich hier nicht einstellen, aber von größerer Wichtigkeit<br />
erscheinen konkrete und praktische Erfahrungen mit Medien, gepaart mit einem<br />
sich gegenseitigem Erleben in der Suche nach erweiterten menschlichen<br />
Beziehungen.<br />
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7. Dem Leben auf der Spur<br />
Entwicklungspsychologie und Soziologie kennen drei, für die jugendliche<br />
Entwicklung unverzichtbare Erfahrungsfelder. Der Umgang mit Gefahren, das<br />
Suchen nach Abenteuer und der Hang zur Eskapade werden hier genannt. Im<br />
jugendgemäßen Suchen nach Normen und Grenzen und im Ringen zwischen<br />
Anpassung und Widerstand sind gefährliche Situationen, abenteuerliche<br />
Verhältnisse und eigenwilliges Auftreten demnach notwendiges Handeln in<br />
Sinne eigenen Erprobens. Das heute existierende Umfeld, mit seinen hoch<br />
strukturierten, teilweise komplexen und tief und breit organisierten<br />
Rahmenbedingungen lässt aber kaum noch Spielräume für die oben genannten<br />
Forderungen. Ob nun urbane Wohnlage oder mehr ländlicher Raum, überall<br />
treffen Kinder und Jugendliche auf Beschränkungen, Behinderungen und<br />
räumliche und soziale Enge. Abenteuer findet auf DIN-geprüften<br />
Abenteuerspielplätzen statt, Gefahrensuche wird sozialpädagogisch begleitet<br />
und um Eskapaden kümmert sich inzwischen eine gut verdienende<br />
Eventindustrie. Bricht ein Jugendlicher hier trotzdem noch aus, dann droht im<br />
der Jugendrichter, das Krankenhaus oder der Schulpsychologe.<br />
Diese den Jugendlichen umgebende durch Erwachsene rationell organisierte<br />
Welt ist aus jugendlicher Sicht in hohem Maße anregungsarm, nicht gestaltbar<br />
und kaum veränderbar. Aber die Jugendlichen erlösen sich selbst und in<br />
Ermangelung eines anregungsreichen Umfeldes bekommen Scheinwelten durch<br />
Jugendliche einen Realitätscharakter verliehen und werden als Realität<br />
behandelt. Das wiederum rügen die Erwachsenen und sprechen warnend von<br />
opto-elektronischen Opiaten, zitieren als Alternative ihre eigene ach so<br />
abenteuerliche und gefährliche, wunderbar aufregende Jugendzeit.<br />
Reale Spielräume aber sind längst verstellt und das Ausweichen auf virtuelle<br />
Medienräume passiert massenhaft und das weltweit. Im intergenerativen<br />
Kontext ist es an dieser Stelle von großer Bedeutung, dass die Erwachsenen von<br />
den vitalen Interessen der Jugendlichen an einem gestaltbaren und<br />
facettenreichen Leben erfahren und mit ihnen gemeinsam überprüfen, in wie<br />
weit mediale Räume als Ersatzfelder aufgrund noch, oder wieder vorhandener<br />
Realräume zu suspendieren sind.<br />
Karsten Krügler, 07.09.10<br />
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