04.11.2013 Aufrufe

Stoellger, Stiftungen kurz - Aidgovernance.org

Stoellger, Stiftungen kurz - Aidgovernance.org

Stoellger, Stiftungen kurz - Aidgovernance.org

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

STIFTUNGEN UND IHRE ROLLE IN DER GESELLSCHAFT<br />

WENN DER ‚GUTE WILLE’ IN FORM GEBRACHT WIRD:<br />

ÜBER GRÜNDE UND ABGRÜNDE DES STIFTUNGSWESEN<br />

VON<br />

PHILIPP STOELLGER<br />

Bern, 9.11.2010<br />

1. Zur Einleitung: Wovon wir leben<br />

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren<br />

kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ (sagte<br />

der Staatsrechtler Böckenförde). 1<br />

Die These trifft. Denn auch die Schweiz lebt von Voraussetzungen, die nicht sicher<br />

sind, auch nicht von Staats wegen garantierbar:<br />

Vertrauen vor allem,<br />

Werte, zur Orientierung im Zusammenleben,<br />

Verantwortungsgefühl und ein sensibles Gewissen,<br />

und Gemeinsinn, der Sinn für das Gemeinwohl der Kultur, in der wir leben.<br />

Diese fragilen Voraussetzungen sind eine unkäufliche und unbezahlbare Ressource, die<br />

das Gemeinwesen im innersten zusammenhält.<br />

Man kann sie leicht verlieren; aber kaum noch zurückgewinnen, wenn sie einmal weg<br />

sind. (Beunruhigend wäre, wenn sie immer öfter verspielt werden …)<br />

1<br />

E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatslehre und zum Verfassungsrecht,<br />

Frankfurt a.M. 1976, 60: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht<br />

garantieren kann. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er<br />

seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität<br />

der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich<br />

aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen,<br />

ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch<br />

zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“


2<br />

Wir leben von Vertrauen, und der Staat braucht solch eine ätherische, leicht flüchtige<br />

Substanz. Denn wenn sich nichts mehr von selbst versteht, wird alles zum Problem<br />

und das Leben absurd (wie in Kafkas Schloß).<br />

Wenn zwischen Menschen die Regel gelten würde ‚Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />

besser’ – dann würde uns das Gemeinwesen zerbröseln. Man stelle sich das nur einmal<br />

in Ehe und Familie vor …<br />

Aber – nicht nur in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft wird zunehmend auf Kontrolle<br />

gesetzt. Das behebt nicht nur Vertrauensprobleme, es befördert sie auch. Denn zu<br />

den gefährlichen Nebenwirkungen von Kontrolle gehört, daß sie immer noch mehr<br />

Kontrollbedarf weckt. Die grassierende Evaluationswut, der morbus evaluitis, zeigt<br />

das.<br />

Meist ohne bösen Willen verbreiten Kontrollmaßnahmen Vertrauensverlust. Dann<br />

verläßt man sich auf die Kontrollen, das Risiko des Vertrauens wird ents<strong>org</strong>t und<br />

Mißtrauen breitet sich aus (nicht nur der Politik gegenüber). Zwischenmenschlich ist<br />

das fatal.<br />

Wenn man diese Voraussetzungen nicht einfach herstellen und garantieren kann –<br />

kann man sie nur pflegen und kultivieren, auf daß sie gut gedeihen.<br />

Manchen gelten die Kirchen als Garanten für das, was der Staat nicht garantieren<br />

kann, etwa Werte, Vertrauen und Verantwortung zu pflegen.<br />

Wenn dem so wäre, wären <strong>Stiftungen</strong> nicht weniger wichtig. Denn ein Staat lebt<br />

von gemeinnützigem Handeln, das er nicht erzwingen kann, aber dringend braucht<br />

(vor allem ‚atmosphärisch’). Das ist im Grunde die entscheidende Legitimation von<br />

<strong>Stiftungen</strong>: daß ein Gemeinwesen nicht überleben würde, wenn sich alle nur egoistisch<br />

verhielten.<br />

Warum eigentlich?<br />

Manchen gilt der Mensch als ‚homo oeconomicus’, der nur seinen Eigennutz suche.<br />

Das funktioniere doch bestens, wie der Markt zeige. Ob das stimmt, darf man be-


3<br />

zweifeln. Denn in Ökonomie, Psychologie und Theologie wird in Zürich kräftig daran<br />

geforscht, ob und wie der Mensch nicht vielmehr ‚von Natur aus altruistisch’ sei. 2<br />

Auch wenn man darüber streiten kann: ohne Gemeinsinn würden die Wirklichkeiten,<br />

in denen wir leben, zerfallen und irgendwann öd und leer werden. Zwischen<br />

Freunden und in Familien versteht sich das von selbst – warum eigentlich nicht auch<br />

darüber hinaus?<br />

Vermutlich, weil das ‚Gemeinsame’ und der ‚Sinn’ dessen nicht mehr so offensichtlich<br />

sind. Je komplexer und pluraler das Gemeinwesen wird, desto geringer die Identifikation<br />

und Bereitschaft, sich dafür zu engagieren. Die Erosion der Solidargemeinschaft<br />

ist ein Symptom dessen. (vgl. Universitäten und deren ‚Nutzen’).<br />

2. Der gute Wille – und seine Verkörperung (als Stiftung)<br />

<strong>Stiftungen</strong> sind ein Beispiel für die ‚beste (?) aller möglichen’ Lösungen dieses Problems.<br />

Nehmen wir einen ‚imaginären Stifter’: sein guter Wille ist Ausdruck von<br />

Werten und Verantwortung. Sein Vermögen wird in Form gebracht, in die Form<br />

einer Stiftung, auf daß ‚sein Wille geschehe, in Ewigkeit’.<br />

Da möchte man doch gerne ‚Amen’ sagen und in guter Hoffnung leben, daß man<br />

der Stiftung getrost vertrauen kann.<br />

Wenn es denn so einfach wäre…<br />

„Jesus verkündete das Reich Gottes, – gekommen ist die Kirche“, meinte der Theologe<br />

Alfred Loisy (1902). So wird es den meisten Stiftern gehen: sie wollten etwas zum<br />

Reich Gottes beitragen – und gekommen sind die <strong>Stiftungen</strong>.<br />

Auch das Christentum geht auf einen Stifter zurück, einen ‚Religionsstifter’. 3 Der hatte<br />

einen Willen, den er zu Lebzeiten kundgetan hat etwa in den Gleichnissen vom<br />

Reich Gottes. Den Stiftungszweck kann man <strong>kurz</strong>fassen: als Liebe – zum Nächsten,<br />

2 http://www.socialbehavior.uzh.ch/index.html<br />

3<br />

Auch wenn der die instiutionelle Form seiner Stiftung nicht im Sinn gehabt haben dürfte


4<br />

zu Gott und sogar zu Fremden und Feinden. So zu leben, so zu lieben – ist so ‚gemeinnützig’<br />

wie es nur geht.<br />

Das Problem ist die Institutionalisierung des guten Willens.<br />

Dabei kommt es zu Entfremdungserfahrungen – wie Verwaltungsprobleme und juristische<br />

Konflikte. 4<br />

Denn eine Stiftung ist im Laufe der Zeit immer mehr mit sich selbst beschäftigt (wie<br />

die Kirchen) – und damit werden Mittel und Kräfte verspielt.<br />

So kann es dazu kommen, daß sie ‚zaghaft’ wird: vor lauter Kontrollbedarf, Problemen<br />

und Bedenken, ihr Potential unterschreitet. Schlicht gesagt, daß sie es nicht<br />

mehr wagt, etwas zu riskieren: auf produktive Weise ‚Unruhe’ zu stiften.<br />

Nun – ‚Ordnung muß sein’. Auch der beste Wille kann auf Dauer nicht wirksam<br />

werden, ohne in ‚Form’ gebracht zu werden.<br />

„Jesus verkündete das Reich Gottes, – [und] gekommen ist [immerhin] die Kirche“.<br />

Es hätte ja auch schlimmer kommen können.<br />

Der gute Geist braucht Form – aber die Form braucht auch Geist. Und der wird<br />

nicht von der Institution garantiert. Die Stiftung ist daher immer ‚auf der Suche nach<br />

dem guten Geist’. Sie steht unter dem Anspruch ‚in diesem Geiste’ zu handeln – den<br />

sie aber immer wieder neu finden muß.<br />

Stiftungsleben braucht ‚esprit’ – sonst würde es zur toten Form.<br />

Die Kirchen haben zur ‚Beschwörung’ des Geistes ‚Wort und Sakrament’ erfunden:<br />

sie feiern Feste, jeden Sonntag und übers Jahr, um den Geist herbei zu rufen, von<br />

4<br />

Wenn <strong>Stiftungen</strong> (wie Kirchen und Schulen) zum sozialen Kapital einer Gesellschaft gehören, wenn<br />

sie Verantwortung, Gemeinsinn und Vertrauen kultivieren – ist natürlich die Meisterfrage: kann man<br />

den <strong>Stiftungen</strong> selber vertrauen?<br />

Wenn da auch nur der leiseste Zweifel entsteht, wird es hochnotpeinlich. Daher muß allen, den <strong>Stiftungen</strong><br />

zuförderst, daran gelegen sein, hier keine Zweifel aufkommen zu lassen. Daher ist es auch so<br />

besonders beunruhigend, wenn <strong>Stiftungen</strong> in Skandale verwickelt werden oder sich Priester und<br />

Pädagogen als Prügler oder Päderasten entpuppen. Wem soll man dann noch vertrauen können.


5<br />

dem sie leben. Ob das immer gelingt, ist eine andere Frage. Aber – wäre das ein<br />

Hinweis für die Kultur des Stiftungslebens?<br />

Sicher nicht so, daß die Worte des Stifters gepredigt werden und er sakramental verzehrt<br />

wird. Aber vielleicht doch so, daß <strong>Stiftungen</strong> ein Leben brauchen, das mit Fest<br />

und Feier, auch mit gemeinsamem Leben einher geht. Wie sollte sonst der Geist des<br />

Stifters eine Gelegenheit finden, lebendig zu bleiben?<br />

– ‚Stiftungsleben braucht esprit’. Das provoziert eine<br />

Randbemerkung zur ‚Psychopathologie des Stiftungslebens’<br />

In den Kirchengemeinden Deutschlands mangelt es mittlerweile überall an Geld, in<br />

den protestantischen vor allem. Das wird mit allerlei Maßnahmen zu kompensieren<br />

versucht: <strong>Stiftungen</strong> sind eine davon.<br />

Was soll man dazu sagen? Es ist ja erst einmal nur zu begrüßen. Aber was sich in der<br />

einen oder anderen Stiftung so abspielt, ist gelegentlich beunruhigend. Die Mitarbeit<br />

in <strong>Stiftungen</strong> ist meist ehrenamtlich. Es gibt daher nichts zu gewinnen – außer Anerkennung,<br />

Geltung und Einfluß. Und das ist ja nicht wenig. Daher sind <strong>Stiftungen</strong><br />

manchmal auch ein ‚Jahrmarkt der Eitelkeiten’. Ehr- und Rumsucht gehört zu den<br />

klassischen Todsünden – und manche <strong>Stiftungen</strong> drohen an dieser Sünde einzugehen,<br />

oder zumindest allen das Leben schwer zu machen. Wo es um Gemeinnutz<br />

geht, geht es auch um Eigennutz und Selbstdarstellung, um Macht eben, um deren<br />

kleine und große Abgründe.<br />

Die Moral von der Geschicht’ ist schlicht: Gemeinnutz zieht Eigennutz an wie das<br />

Licht die Motten. Das Problem ist nicht der Eigennutz derer, die etwas ‚wollen’ und<br />

‚brauchen’ von der Stiftung. Das gehört zum Spiel des Stiftungslebens. Das Problem<br />

ist der Eigennutz im ‚guten Herzen’ der Stiftung, der ihre ‚schöne Seele’ gefährdet.<br />

Wie kann man dem begegnen?<br />

Durch psychologische Screenings der Stiftungsräte? Durch Analysen, in denen deren<br />

Psyche geprüft wird auf die Lauterkeit ihrer Motivationen?<br />

So spannend das sein dürfte, es wäre unpassend, wenn nicht unanständig.


6<br />

Es geht auch schlichter: christlich wie kantianisch kennt man seit jeher die Gewissenserforschung:<br />

ganz schlicht die ehrliche Frage, warum tue ich dies und lasse jenes?<br />

Was bewegt mich dabei, und woran hängt mein Herz?<br />

Sollten solche Exerzitien der Selbstbefragung vielleicht zum ‚Qualitätssicherung’ der<br />

<strong>Stiftungen</strong> gehören?<br />

3. Macht, Zweck und Gabe: drei Grundfragen<br />

Mit der Institutionalisierung kommen die Probleme. Wie an denen gearbeitet wird,<br />

wird letztlich über Gründe und Abgründe einer Stiftung entscheiden. In diese Untiefen<br />

möchte ich mich mit Ihnen etwas vorwagen – auch wenn ich (leider) nicht<br />

‚übers Wasser laufen’ kann. Wenigstens können wir in den Untiefen zusammen ‚baden<br />

gehen’ – will sagen: weiterdenken.<br />

3.1. Macht<br />

Ein Grundproblem von <strong>Stiftungen</strong> ist ihre Macht, und zwar besonders, weil die nicht<br />

in demokratischen Verfahren legitimiert ist. Das ist eine Mitgift der Herkunft, ein Erbe,<br />

das mit den Stiftungsmitteln verbunden ist. Denn schon zu Lebzeiten seiner Besitzer<br />

zieht die Macht des Geldes Verdacht auf sich.<br />

Das kannte schon Aristoteles: „So ziemlich überall sind es die Reichen, die die Guten<br />

zu ersetzen scheinen“ 5 , meinte er. So spricht ein guter Philosoph.<br />

Nun ist gegen Ressentiment kein Kraut gewachsen. Das wird es immer geben und<br />

sollte einen nicht stören. Zumal die <strong>Stiftungen</strong> sicher das beste Argument sind dagegen:<br />

nicht immer, aber doch oft sind die Reichen auch mal die Guten.<br />

Nicht Ressentiment ist das Problem, sondern Macht ohne demokratische Legitimation.<br />

Daher ist es wahrhaft, würdig und recht, daß die <strong>Stiftungen</strong> sich Regeln geben:<br />

‚Grundsätze’ zur Transparenz, Kontrolle (wie Gewaltenteilung) und Effizienzsteigerung.<br />

5<br />

Aristoteles, Politik, 1294 a 17-19.


7<br />

Dergleichen kann manchen Verdacht ausräumen – aber ohne Vertrauen wird das<br />

alles zu einer möglichst korrekten Äußerlichkeit, die von der Vertrauensfrage ablenkt.<br />

Wenn Kontrolle sogar das Vertrauen untergraben kann, wird es abgründig. Was an Vertrauen<br />

verloren wurde, wird durch Kontrolle nie zurückgewonnen. 6<br />

Anerkennung und Vertrauen werden durch Kontrollverfahren nur ermöglicht – aber<br />

nicht schon verwirklicht. Das zeigt die Politik nur zu deutlich.<br />

Erst die Wirkungen einer Institution und lange Erfahrungen mit ihr lassen Vertrauen<br />

entstehen. Daraus folgt, daß bei Vertrauenskrisen Regeln zur Transparenz und Kontrolle<br />

zwar notwendig sind, aber nie gut genug.<br />

Im Gegenteil: wenn erstmal eine Vertrauenskrise da ist, sind Kontrollmaßnahmen bestenfalls<br />

‚erste Hilfe’, die die Krise sogar verschärfen kann. Das ist eine paradoxe Nebenwirkung<br />

von Kontrolle – daß sie Vertrauen untergraben kann.<br />

Es gibt kein Verfahren, das ein für allemal Beruhigung verschaffen könnte. Es bedarf<br />

dauernder Bewährung des Vertrauens und der Arbeit an der Anerkennung. Sonst<br />

sind alle Regeln nur Äußerlichkeiten – ‚good design’, mehr nicht. (Vgl. EU)<br />

Wenn Kirchen, Hilfs<strong>org</strong>anisationen oder andere <strong>Stiftungen</strong> beginnen, ihr ‚corporate<br />

design’ zu tunen – streut das Zweifel, warum bloß die Kosmetik so wichtig wird.<br />

Wie also kann man Anerkennung und Vertrauen begünstigen – wenn es für <strong>Stiftungen</strong><br />

keine demokratischen Legitimationsverfahren gibt? Darauf kann es keine beruhigende<br />

Antwort geben.<br />

Aber - Vertrauen ermöglicht man, wenn man sich angreifbar macht und zeigt, wie<br />

verletzlich man ist. Offenheit und darauf hoffen, daß das Beistand weckt. Das wäre<br />

eine vertrauensvolle Geste. Und die ist gefährlich. Wer vertraut, riskiert etwas (im Äußersten<br />

sich selbst); wer hingegen auf Kontrolle setzt, will das Risiko verringern.<br />

6 Das Problem ist nur: selbst bei noch so kontrolliertem Gebrauch der Macht kann der Verdacht auf<br />

Mißbrauch nicht ausgeschlossen werden. Selbst demokratisch legitimierte Machtinstanzen wie Parlamente<br />

und Regierungen sind ja bekanntlich – bei aller Legitimation durch Verfahren – davor nicht<br />

geschützt.


8<br />

Vertrauen entsteht durch Öffnung, nicht durch Schließung;<br />

indem man sich der Kritik aussetzt, nicht indem man sich gegen sie absichert;<br />

<strong>kurz</strong>um: durch Wagnisse, nicht durch Kontrolle. Das kennt jeder aus den Beziehungen,<br />

in denen wir leben.<br />

In Zeiten, da ‚charity’ schick ist und gute Presse bringt, befolgen viele die Regel: Tue<br />

Gutes und rede viel davon. Denn je mehr Kameras, um so größer wird der Wert der<br />

guten Tat. ‚Ich bin im Fernsehen, also bin ich …’<br />

– Wer das glaubt, kommt in die Hölle.<br />

Ich würde lieber im Sinne von Karl Kraus sagen:<br />

‚Es kommt gewiß nicht bloß auf das Äußere einer Stiftung an.<br />

Auch die Dessous sind wichtig’.<br />

Aber – was sind die ‚Dessous’ einer Stiftung – und welche wären passend? Das ist<br />

natürlich bei <strong>Stiftungen</strong> ebenso wenig zu verallgemeinern wie bei Frauen.<br />

Die inneren Werte sind im Stiftungszweck geklärt: ein gutes Herz und eine schöne<br />

Seele. Das gehört zum Wesen von gemeinnützigen <strong>Stiftungen</strong>, wie bei einer Nonne<br />

im Hospiz. Nur, wenn die zuviel Haut zeigen würde oder gar Spitze – könnte das<br />

Zweifel wecken.<br />

Selbstredend ist eine solide Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll 7 . Die spannende Frage ist<br />

nur: welche Form paßt zu welchem Inhalt – welche Darstellungsweise paßt zum Stiftungszweck?<br />

Das ist eine Aufgabe von geradezu poetischer Dimension, die nicht allein mit corporate<br />

design gelöst wird. Die Passung von Form und Inhalt ist eine der klassischen Regeln<br />

der Poesie. Die Anmutung eines Auftritts muß zum Ansinnen passen – sonst<br />

stimmt etwas nicht. Vom Reich Gottes etwa erzählt man in Gleichnissen – und nicht<br />

mit gewaltigem Glamour wie Hollywood es liebt.<br />

7<br />

Grundsatz III: Transparenz: „indem sie die Öffentlichkeit in geeigneter Form möglichst gut informieren.


9<br />

Wäre nicht passend zu sagen: ‚<strong>Stiftungen</strong> machen keinen Lärm’? Sie tun Gutes – und<br />

bleiben diskret?<br />

Ein Kriterium für die Selbstdarstellung wäre: dient sie wirklich dem Stiftungszweck –<br />

oder vor allem der Stiftung (ihrer Selbstbehauptung)?<br />

Über Vertrauen und Anerkennung einer Stiftung, wird immer im Rückblick entschieden:<br />

von den Werken und Wirkungen her. Das ist auch gut biblisch: ‚An ihren<br />

Früchten sollt ihr sie erkennen’. <strong>Stiftungen</strong> werden durch ihre Werke gerechtfertigt<br />

– und sind es nicht schon durch ihren guten Willen des Stifters.<br />

Denn die ‚Heiligkeit’ des Stifterwillens geht nicht auf die Institution über – auch<br />

wenn die den vertreten möchte.<br />

3.2. Der ‚Wille des Stifters’<br />

‚Absolut gut ist aber nur allein der gute Wille’ meinte Kant 8 -<br />

und alles andere bleibt daher immer zweideutig.<br />

Das heißt: jede Verwirklichung, und sei es eine ehrenwerte Stiftung, ist nie und<br />

nimmer ‚absolut gut’ zu nennen. Denn sie ist nicht der gute Wille selber, sondern nur<br />

Mittel zum Zweck. Wer mehr fordert und erwartet – wird enttäuscht werden.<br />

Aber die Neigung einer Institution, Selbst-Zweck zu werden, ist fast unwiderstehlich.<br />

Am Vergleich mit den Kirchen wird das schnell klar: wenn eine Kirche meint, ihren<br />

Zweck in sich selbst zu haben und sich selbst zu gehören, wird das (m.E.) zweifelhaft.<br />

Das Reich Gottes ist im Kommen, aber nicht schon gekommen in Gestalt der<br />

Kirche. Und so steht es auch mit den <strong>Stiftungen</strong>: ihr Sinn und Zweck ist außen – in<br />

der Zukunft.<br />

Deswegen würde ich übrigens den Grundsatz II (des Swiss Foundation Code 2009)<br />

leicht korrigieren. Dort heißt es, eine Stiftung gehöre nicht Dritten, sondern „gewis-<br />

8<br />

I. Kant, AA 27, 134.


10<br />

sermassen sich selbst“. Ist es nicht eher so, daß sie nicht sich selbst gehört, sondern<br />

einem anderen: ihrem Sinn und Zweck? Und der ist nicht in ihr, sie ist ja kein<br />

‚Selbstzweck’, sondern der ist draußen, außer ihr, in der Zukunft.<br />

Daher kann die Zweckmäßigkeit auch in Konflikt geraten mit einen (zu eng) definierten<br />

Stifterwillen. Das Problem ist Juristen bekannt, und sie haben eine entsprechende<br />

Methode entwickelt: die teleologische Auslegung: sich nicht am subjektiven<br />

(historischen) Willen (des Gesetzgebers) zu orientieren, sondern am objektiven Sinn<br />

und Zweck.<br />

Es kann schmerzhaft sein, so zu unterscheiden. Denn der historische Stifterwille, das<br />

Testament der Stiftung, ist ihr Allerheiligstes. Nur veraltet der mit der Zeit. Daher<br />

muß man den Buchstaben vom Geist unterscheiden – und kann dann auch in Widerstreit<br />

mit dem Buchstaben geraten.<br />

Das ‚Woher’ (der subjektive Wille) und das ‚Wohin’ (der objektive Zweck) legitimieren<br />

das Dasein einer Stiftung.<br />

Ihr Sosein aber, also wie sie ist und operiert – bleibt immer zweifelhaft und von neuem<br />

rechtfertigungsbedürftig. Nur genau diese prekäre Lage darf nicht zu Zaghaftigkeit<br />

und maximaler Absicherung (ver)führen – sonst würde sie unter ihren Möglichkeiten<br />

bleiben.<br />

Der Stifterwille mag rein und unbefleckt sein – aber er konnte das nicht bleiben.<br />

Denn auch der beste Wille will wirklich werden, und damit mächtig, selbst der Wille<br />

Jesu. Es gibt keinen Willen, der nicht auch Wille zur Macht ist. Ein guter Wille will<br />

eben dem Guten zur Macht verhelfen. Das macht einen gewichtigen Unterschied,<br />

ändert aber nichts an dem Machtproblem.<br />

Wenn man dem gänzlich entkommen wollte, müsste man es halten wie Wittgenstein.<br />

Als er geerbt hatte und nicht wußte wohin mit dem vielen Geld, das ihm zur Last


11<br />

fiel, hat er es schlicht verschenkt, alles auf einmal (an seine Geschwister und an einige<br />

Künstler). – Und danach war er auf Unterstützung angewiesen.<br />

Es sich so leicht zu machen, riecht nach Kapitulation vor der Aufgabe der Gestaltung<br />

und der Verantwortung, die Vermögen mit sich bringt.<br />

Wer es sich nicht so leicht macht, hat Probleme.<br />

Das ging nicht erst vermögenden Stiftern so, sondern schon Gott selbst:<br />

wie kann man die eigene Macht den Menschen zugute kommen lassen – ohne sie zu<br />

übermächtigen und zu ewigem Jubel und Lobpreis des Stifters zu verpflichten.<br />

Dahinter steckt ein Grundproblem unserer Kultur, zumal in allzu ökonomischen Zeiten:<br />

Wie kann man geben, ohne zu herrschen (und nur zu tauschen)?<br />

Wie können <strong>Stiftungen</strong> etwas hin- und weggeben, ohne die Empfänger zu verschulden,<br />

und eigentlich etwas dabei für sich zu gewinnen?<br />

Der ‚Fluch der bösen Tat’ ist bekanntlich, daß sie auf einen zurückfällt (wenn dem<br />

so wäre…); ein Fluch der guten Tat kann sein, daß sie einen seltsamen Beigeschmack<br />

bekommt, wenn von ihr viel Aufhebens gemacht wird: als sollte vor allem etwas auf<br />

einen zurückfallen. Dann riecht es nach untergründigem Egoismus. Wie kann man<br />

diesen Geruch vermeiden?<br />

3.3. Wie ist Gabe möglich, wo doch alles immer als Tausch erscheint?<br />

Ist eine ‚Stiftung als solche’ nicht Gabe statt Tausch? Schließlich bekommt der (verstorbene)<br />

Stifter nichts zurück, er ist doch längst nicht mehr ‚da’. Und dennoch –<br />

gerade <strong>Stiftungen</strong> können wie Institutionen der Gabe aussehen, aber doch vom<br />

Tauschkalkül bestimmt sein: wenn der Stifter damit sich selbst verewigen und seinen<br />

Namen postum verbreiten wollte. (Vgl. Empfehlungen, 25: der „dynastische Wunsch einer<br />

Thronfolge“)<br />

Möglichst selbstlose Gabe, Hingabe an den Zweck – hat ein anderes Gravitationszentrum:<br />

es soll eigentlich nichts zurückkommen, sondern das Gewicht liegt außen, ganz<br />

beim Anderen.


12<br />

So zumindest war der Stiftungsgedanke Christi. Daß auch auf ihn nicht gerade wenig<br />

zurückgefallen ist und sein Name nur zu groß wurde – zeigt das Dilemma. Bei noch<br />

so selbstloser ‚Hin- und Weggabe’ wird der Dank und der Ruf um so größer. Als<br />

wäre die Macht, die in der guten Tat liegt, unentrinnbar.<br />

Da liegt das Problem: daß ein Stifter – und sei es Christus – sich immer weiter in<br />

Macht verstrickt. Mit der Weggabe seines Geldes ist nicht die Macht weg, sondern<br />

wächst immer weiter und bringt den guten Willen ins Zwielicht. 9<br />

Wie könnte das Band zwischen Geber und Gabe gelöst werden – um die Zweideutigkeit<br />

loszuwerden, mit der Gabe andere zu beherrschen?<br />

Die jüdisch-christliche Antwort ist: indem der Geber geheim bleibt, sein Name ungenannt.<br />

– Das ist wohl kaum einer Stiftung zuzumuten. Aber bedenkenswert ist es<br />

dennoch: tue Gutes und rede bloß nicht darüber. Diese Diskretion ist ein Machtverzicht,<br />

der wohl jedem schwer fällt (selbst einem Gott).<br />

Die andere Antwort findet sich im freiheitlichen Staat – und hat einen schlechten<br />

Ruf: Steuern. Auch wenn die nicht immer ganz freiwillig gegeben werden, sind sie<br />

eine gute Antwort auf das Machtproblem. Denn mit dem Steuersystem wird die<br />

Herrschaft der Geber unterbrochen und die Gabe anonymisiert (vgl. Kirchensteuer).<br />

Die Gabe wird so vom Geber gelöst, so daß sie nicht mehr dessen Herrschaftsmittel<br />

sein kann.<br />

Beide Antworten sind nicht die der <strong>Stiftungen</strong>, die einen Namen tragen und den sie<br />

zu verbreiten haben. Sie können nicht selbstlos sein bis zur Selbsthingabe. Ihr Sinn<br />

und Zweck gebietet ihnen die Selbsterhaltung – sonst könnten sie dem Zweck und<br />

Gemeinwohl nicht auf Dauer dienen. Daher muß man zugestehen, daß sie nicht ohne<br />

jeden Egoismus überleben können. Als Regel zur Orientierung aber kann eine<br />

Unterscheidung dienen: wo liegt das Gravitationszentrum des Stiftungshandelns, au-<br />

9 Das wird deutlich in kleineren Dimensionen. Wenn ein Ortsverein eine üppige Spende erhält,<br />

wird meist der Spender gefeiert und sein Name aus- und angerufen. So wird die Spende zweideutig –<br />

denn die Macht des Spenders manifestiert sich in der Spende und wird durch sie nicht geringer, sondern<br />

größer. Die Gabe wird zur Demonstration der Macht des Gebers.


13<br />

ßen oder innen, beim Anderen oder beim Eigenen? Selbsterhaltung kann nur Mittel<br />

zum Zweck sein, zum Zweck der Fremderhaltung, also um des Anderen willen.<br />

3.4. Gutes Tun und tun Lassen: Delegation<br />

Im Verhältnis zur Gesellschaft bekommen <strong>Stiftungen</strong> mit der Zeit ein Problem der<br />

Delegation: Wenn sie soviel Gutes tun und Verantwortung zeigen, dann entlastet das,<br />

und zwar manchmal zu sehr (den Einzelnen, der sich damit beruhigen kann, andere<br />

Gutes tun zu lassen, statt sich selber beansprucht zu sehen; es entlastet teils auch den<br />

Staat, der dann etwa die Kulturförderung anderen überläßt etc.). ‚Wenn die das tun,<br />

warum sollen wir dann noch?’ Tun und es andere tun Lassen – das kann zur Delegation<br />

der Verantwortung führen. Beunruhigend eigentlich, auch wenn viele das beruhigend<br />

finden.<br />

Die Antwort darauf ist unbequem: bestimmtes nicht zu tun, um Staat und Gesellschaft<br />

nicht zu entlasten, d.h. um sie nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Nur dann<br />

bleibt bewußt: was <strong>Stiftungen</strong> tun, ist exemplarisch, also vorbildlich für andere, aber nicht<br />

stellvertretend für sie. Sonst kommen <strong>Stiftungen</strong> in die Gefahr, mißbraucht zu werden<br />

als Kompensation von Kultur- und Sozialabbau.<br />

Wenn eine Stiftung der öffentlichen Erwartung folgt, wird sie leicht einer Versuchung<br />

erliegen: der Leistungsschau: zu zeigen, was sie alles erreicht hat. Aber wäre<br />

nicht angemessen, vielmehr zu zeigen, was alles nicht erreicht wurde und von ihr nicht<br />

geleistet werden kann? Damit würde deutlich, daß sie nur exemplarisch ist, nicht stellvertretend.<br />

<strong>Stiftungen</strong> brauchen einigen Mut, sich der Delegation zu entziehen. Ist ihnen dabei<br />

zu helfen? – Man sollte <strong>Stiftungen</strong> vertrauen (können), aber man sollte sich nie und<br />

nimmer auf sie verlassen, weder als Einzelner noch als Staat. Denn dann würde man ihr<br />

überlassen (an sie delegieren), was doch gemeinsame Sache ist. Genau solch eine Delegation<br />

der Verantwortung – andere verantwortlich sein lassen, statt es selber zu sein –<br />

müssen die <strong>Stiftungen</strong> vermeiden helfen.<br />

Dazu gehört, nicht vor allem ihre Macht, ihre Potenz zu zeigen, sondern auch ihre<br />

Ohnmacht (ihre Impotenz). Sie können (und wollen) nicht kompensieren, wenn in


14<br />

Staat und Gesellschaft Verantwortung und Vertrauen erodieren. Aber sie können ein<br />

lockendes und reizvolles Gegenbeispiel geben. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.<br />

4. Ein Ausblick<br />

Ein Stifter hat viel riskiert mit der gewagten Übergabe seines Vermögens an eine Stiftung.<br />

- Daher haben <strong>Stiftungen</strong> viel zu verlieren: nicht nur Geld, sondern vor allem<br />

den Geist, in dem sie leben sollen und können. Und wenn sie zuwenig riskieren, haben<br />

sie schon verloren: eben diesen Geist.<br />

Nicht allein der Buchstabe des Stifterwillens entscheidet, sondern sein Geist. 10<br />

Das eröffnet schließlich die Frage, nach der Zukunft der <strong>Stiftungen</strong>, nach ihren<br />

künftigen Möglichkeiten. Dazu nur eine Bemerkung:<br />

<strong>Stiftungen</strong> haben (hoffentlich) Sinn und Geschmack für eine kommende Welt. Sie sind<br />

der Sinn fürs Imaginäre einer Gesellschaft: ihr Möglichkeitssinn. Sie dürfen mehr hoffen<br />

als Politik und Ökonomie, mehr wagen, zeitlich wie geographisch.<br />

Darin begegnen <strong>Stiftungen</strong> den Künstlern, Wissenschaftlern und Literaten.<br />

Wer über die Gegenwart hinaus zu hoffen wagt, stellt die Gegenwart auch in Frage. Wir<br />

leben eben noch nicht in der ‚besten aller möglichen Welten’ – selbst in der Schweiz<br />

nicht.<br />

Deswegen brauchen wir Institutionen mit Sinn für Utopie, für kommende Gemeinschaft,<br />

Gerechtigkeit und eine bessere Welt (und zwar nicht nur global, sondern<br />

auch vor Ort und in guter Nachbarschaft). So gesehen ist der Auftrag von <strong>Stiftungen</strong><br />

ganz außerordentlich (bedeutsam und riskant). Diese Position ‚außer der Ordnung’ über<br />

sie hinaus – sollte geschützt und gestärkt werden.<br />

Würden die <strong>Stiftungen</strong> eingeordnet – würden sie integriert in die Ordnung. Sie wären<br />

nur noch ‚in Ordnung’ und mehr nicht. Dann wäre ihre Lizenz zur Horizontüberschreitung<br />

verkürzt. Man kann nur hoffen, daß die <strong>Stiftungen</strong> es weiterhin wagen,<br />

10<br />

Um hier recht zu unterscheiden, bedarf es der Interpretation. Und das ist nicht nur Sache von Juristen,<br />

sondern von Hermeneuten: Interpretationsprofis.


15<br />

sich ihrer Imagination zu bedienen und über die Gegenwart hinauszugehen. Denn<br />

<strong>Stiftungen</strong> sind nicht Bedenkenträger, sondern Hoffnungsträger.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!