Q213 - AIPPI
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Arbeitsrichtlinien<br />
von Jochen E. BÜHLING, Generalberichterstatter<br />
Dariusz SZLEPER und Thierry CALAME, Stellvertreter des Generalberichterstatters<br />
Nicolai LINDGREEN, Nicola DAGG, Shoichi OKUYAMA und Sarah MATHESON, Assistenten<br />
des Generalberichterstatters<br />
Frage <strong>Q213</strong><br />
Der Durchschnittsfachmann im Zusammenhang mit dem Erfordernis der erfinderischen<br />
Tätigkeit im Patentrecht<br />
1) Einführung<br />
Der <strong>AIPPI</strong>-Kongress 2010 in Paris wird sich mit einem der wichtigsten Themen im Patentrecht<br />
beschäftigen: der erfinderischen Tätigkeit.<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss der <strong>AIPPI</strong> entschied bei seinem Treffen in Buenos Aires im<br />
Oktober 2009, eine Untersuchung zum Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit mit der Analyse<br />
der gegenwärtigen Definition für den Durchschnittsfachmann in den nationalen<br />
Rechtsordnungen zu beginnen.<br />
Es sprechen sowohl historische, als auch zeitgenössische Gründe für diese Untersuchung,<br />
welche einen der grundlegendsten Aspekte der Patentierbarkeit von neuen Erfindungen betrifft.<br />
2) Die bisherige Arbeit von <strong>AIPPI</strong>:<br />
In ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte hatte <strong>AIPPI</strong> nicht viele Gelegenheiten, die<br />
Patentierbarkeitskriterien zu untersuchen.<br />
Frage Q35: „Methode und Vorbereitung einer Studie im Hinblick auf die Vereinheitlichung von<br />
Gesetzen über Erfindungspatente“, welche beim Kongress in London 1960 begann und die<br />
Entschließung beim Kongress in Berlin 1963 hervorbrachte, behandelte die Frage der<br />
erfinderischen Tätigkeit.<br />
Diese Entschließung führte zur ersten vereinheitlichten Definition der erfinderischen Tätigkeit<br />
hervor, befasste sich aber nicht mit der Definition des Durchschnittsfachmanns.
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Die nächsten Fragen bezogen auf die Patentierbarkeitskriterien waren:<br />
−<br />
Q69 bezüglich der ausreichenden Beschreibung der Erfindung, welche die Annahme der<br />
<strong>AIPPI</strong>-Entschließung beim Kongress in München 1978 ermöglichte.<br />
−<br />
und Q126 bezüglich der Methoden und Regeln zur Beurteilung der Neuheit im<br />
Patentrecht, welche während des Kongresses in Montreal 1995 diskutiert wurde.<br />
In jüngerer Zeit arbeitete <strong>AIPPI</strong> an den gegenwärtigen Standards für die Offenbarung im Stand<br />
der Technik bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit bei der Sitzung des<br />
Geschäftsführenden Ausschusses in Lissabon 2002 und nahm die Entschließung zu dieser<br />
Frage unter der Nummer Q 167 an.<br />
Während des Kongresses in Genf 2004, der Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses in<br />
Berlin 2005 und des Kongresses in Göteborg 2006 arbeitete <strong>AIPPI</strong> an den Entschließungen<br />
bezogen auf Frage Q180: Inhalt und Bedeutung der gewerblichen Anwendbarkeit und/oder<br />
Nützlichkeit als Patentierungsvoraussetzungen.<br />
Trotz der Tatsache, dass <strong>AIPPI</strong> bei mehreren Gelegenheiten an Themen in Bezug auf die<br />
Patentierbarkeit der neuen Technologiefelder arbeitete, in denen die menschliche<br />
Erfindungsgabe ihre Leistungsfähigkeit ausdrücken konnte, wie Biotechnologie, Software oder<br />
Geschäftsmethoden, ist überraschenderweise die Frage der erfinderische Tätigkeit und<br />
insbesondere die Definition des Durchschnittsfachmanns seit langem nicht durch die<br />
Vereinigung untersucht worden.<br />
3) Diskussion<br />
- Die Notwendigkeit, die Angemessenheit der theoretischen Definition der erfinderischen<br />
Tätigkeit, und insbesondere des Durchschnittsfachmanns in Bezug auf die erfinderische<br />
Tätigkeit erneut zu prüfen, scheint derzeit besonders wichtig.<br />
Nur die verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Entwicklung stellen periodisch die<br />
Angemessenheit und Relevanz der Patentsysteme für die sozialen Bedürfnisse in Frage,<br />
sondern die Erscheinung neuer Technologiefelder gebietet auch die Notwendigkeit der<br />
Neubewertung der Regeln des Patentrechts.<br />
Im Zentrum des Patentrechts befindet sich der Begriff der erfinderischen Tätigkeit, der nicht<br />
ohne Verweis auf die Person bewertet werden kann, deren Einstellung und Verhalten den
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Standard begründet, um die Existenz oder Nichtexistenz der erfinderischen Tätigkeit zu<br />
bestimmen.<br />
- Es sollte nicht vergessen werden, dass die Berücksichtigung des Durchschnittsfachmanns in<br />
Bezug auf die Bewertung der Rechtsbeständigkeit des Patents bei mehreren Stufen stattfindet.<br />
Zuerst wird er während der Stufe der Prüfung der Anmeldung herangezogen. Er kann auch bei<br />
Verfahren nach Erteilung herangezogen werden, in denen die Rechtsbeständigkeit des Patents<br />
angefochten wird.<br />
Das Konzept des Durchschnittfachmanns kann auch im Zusammenhang mit der Auslegung der<br />
Ansprüche sowohl bei der Bewertung der Rechtsbeständigkeit des Patents als auch der<br />
Bestimmung des Schutzbereichs angewandt werden.<br />
Neben der Frage der Patentierbarkeitskriterien wird das Konzept des Durchschnittsfachmanns<br />
auch bei der Bewertung der hinreichenden Offenbarung in der Beschreibung zugrunde gelegt.<br />
Daher ist seine Rolle bei der Bestimmung des Schutzes, welcher durch ein Patent verliehen<br />
wird, grundlegend.<br />
- Es muss auch unterstrichen werden, dass diese theoretische Konstruktion des<br />
Durchschnittsfachmanns, welche anderen im Recht verwendeten theoretischen Modellen<br />
entspricht, wie dem Verweis auf den bonus pater familias im Zivilrecht, ihre Konturen durch die<br />
Veränderungen modifiziert sehen kann, welche in der Art und Weise auftreten, wie die<br />
Erfindungen heutzutage gemacht werden, wo sie selten die Frucht der Anstrengungen einer<br />
einzelnen Person sind, sondern häufiger das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit eines Teams<br />
von Leuten.<br />
Und es scheint angemessen, die verschiedenen Wege zu berücksichtigen, wie Erfindungen<br />
tatsächlich gemacht werden (wie: gemeinsame Forschung zwischen Unternehmen und<br />
Universitäten, Forschungsteams der privaten Investoren, welche mit anderen Unternehmen in<br />
verschiedenen Technologiefeldern zusammenarbeiten, aber auch, selbst wenn sie selten sind,<br />
die einzelnen Erfinder, welche die Jahre ihrer Erfahrung usw. nutzen), um als Folge die<br />
Definition des Durchschnittsfachmanns an diese Umstände anzupassen.<br />
Diese Neubewertung kann auch das Prinzip der Definition des Durchschnittsfachmanns als<br />
theoretischer Standard in Frage stellen, da argumentiert werden kann, dass die Anerkennung<br />
der erfinderischen Tätigkeit in concreto unter Bewertung der faktischen Situation erfolgen sollte,<br />
in welche sich der Erfinder selbst versetzte.<br />
- Als Folge wird die zu untersuchende Hauptfrage im Bereich von <strong>Q213</strong> sein, ob die bestehende
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Definition und Eigenschaften des Durchschnittsfachmanns noch angemessen und geeignet<br />
sind, oder ob sie an die verschiedenen oben skizzierten Entwicklungen angepasst werden<br />
müssen. Ebenso geht es darum zu erkennen, ob die Methoden und Mittel, die verwendet<br />
werden, um diese Definition anzuwenden, noch angemessen sind.<br />
Die vorliegenden Arbeitsrichtlinien haben zum Ziel, die Umrisse der Untersuchung<br />
auszuarbeiten, die durch <strong>AIPPI</strong> durchgeführt werden sollte.<br />
Nach Beantwortung der Fragen bezogen auf die Statuten der gegenwärtigen nationalen Rechte<br />
werden die Gruppen gebeten, ihre Ideen für zukünftige Lösungen vorzuschlagen, die als<br />
Hintergrund für die harmonisierten Regeln verwendet werden könnten.<br />
4) Die Situation in den nationalen Rechtsordnungen:<br />
Die vorgeschlagenen Fragen werden versuchen, die Definition des „Durchschnittsfachmanns“ in<br />
drei Schritten zu analysieren und zu verstehen: der Begriff der „Person“, die Frage seiner<br />
persönlichen „Fähigkeiten“ (skills) und schließlich der „technische Bereich“ (technical field), in<br />
welchem diese Fähigkeiten ausgeübt werden.<br />
1) Die durch <strong>AIPPI</strong> vorgeschlagene Studie beginnt mit der Erörterung der Person als einem<br />
der Elemente der Definition des Durchschnittsfachmanns.<br />
Die Gruppen werden daher gebeten anzugeben, ob der Durchschnittsfachmann eine<br />
oder mehrere Personen ist.<br />
Falls ein Durchschnittsfachmann ein Team von Leuten ist, sind die Team-Mitglieder<br />
dann alle gleich oder können sie sich in ihren verschiedenen Attributen unterscheiden,<br />
insbesondere falls solch ein Team Personen aus verschiedenen Disziplinen oder mit<br />
unterschiedlichen Qualifikationsgraden umfasst?<br />
2) Ist der Durchschnittsfachmann eine reale Person (oder Team von Personen) oder eine<br />
hypothetische Person?<br />
3) Der Durchschnittsfachmann muss im Rahmen seiner/ihrer persönlichen Fähigkeiten und<br />
Attribute analysiert werden.<br />
Zunächst ist es notwendig zu wissen, ob, und falls ja bis zu welchem Ausmaß, diese<br />
Person Fähigkeiten des logischen Denkens und/oder kreative Fähigkeiten hat, oder ob<br />
er/sie lediglich die Fähigkeit hat, die Anweisungen oder Instruktionen anderer Leute
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durchzuführen oder auszuführen.<br />
Ein weiterer Punkt, der diskutiert werden kann, ist, ob die persönlichen Attribute des<br />
Durchschnittsfachmanns auch für andere Umstände gleich sind, in welchen der<br />
Durchschnittsfachmann eine Rolle spielen kann, wie Auslegung des Patents oder für die<br />
Erwägung der ausreichenden Offenbarung in der Beschreibung, selbst wenn dieser<br />
letzte Punkt über den Umfang der vorliegenden Untersuchung hinaus geht.<br />
Schließlich kann die Frage diskutiert werden, ob die persönlichen Attribute des<br />
Durchschnittsfachmanns für verschiedene Rechte des Geistigen Eigentums, welche<br />
technische Schöpfungen wie Patente oder Gebrauchsmuster, Sorten usw. abdecken,<br />
die gleichen sind, sofern diese in den nationalen Rechten existieren.<br />
4) Ein weiterer wichtiger Aspekt der Frage ist zu wissen, was die persönlichen Fähigkeiten<br />
(personal skills) des „Durchschnittsfachmanns“ sind?<br />
Mindestens zwei wichtige Themen verdienen es, analysiert zu werden:<br />
−<br />
Was ist der Grad der Qualifikation oder Fähigkeiten der Person?<br />
−<br />
Und was sind Natur und Reichweite seines/ihres Fachwissens?<br />
Das zweite Thema umfasst genauer die Frage der Fähigkeit, die Dokumente zu<br />
verstehen und zu analysieren, welche dem Durchschnittsfachmann zugänglich sind,<br />
wobei diese Fähigkeit „das Allgemeinwissen“ (general knowledge) genannt wird und den<br />
Nachweis des Inhalts des „Allgemeinwissens“ betrifft:<br />
a) Was ist der allgemeine Umfang eines solchen Fachwissens?<br />
b) Ist solch ein Fachwissen auf die allgemeine technische Ausbildung einer solchen<br />
Person begrenzt?<br />
c) Bis zu welchem Umfang werden Informationen in Dokumenten – Artikeln oder<br />
älteren Patenten – als Teil eines solchen Fachwissens angesehen?<br />
d) Kann solch ein Wissen Informationen einschließen, welche die Person vielleicht<br />
nicht auswendig gelernt hat, aber leicht nachschlagen kann?<br />
5) Die Frage des Durchschnittsfachmanns wirft auch das Problem des<br />
Bewertungszeitpunkts dieser Fähigkeiten auf: sollten sie alle zum maßgeblichen
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Zeitpunkt der Gültigkeit des Patents bewertet werden, also zum Prioritätszeitpunkt, oder<br />
könnten sie auch an dem Datum bewertet werden, wenn das Patent durch den Richter<br />
zum Beispiel im Verletzungsverfahren beurteilt wird, wo die Rechtsbeständigkeit<br />
zusammen mit dem Verletzungsanspruch diskutiert werden kann? Dies kann zu<br />
Unterschieden in der Bewertung führen, falls der Begriff der Äquivalenz in Bezug auf<br />
den Stand der Technik angewandt wird.<br />
6) Das nächste Thema bezogen auf die Definition des Durchschnittsfachmanns ist der<br />
technische Bereich oder das Fach (the art), in welchem seine oder ihre Fähigkeiten<br />
umgesetzt werden.<br />
Die erste Teilfrage ist, ob diese Fähigkeiten in einem oder mehreren technischen<br />
Bereichen konzentriert sind.<br />
Die zweite bezieht sich auf die Art und Weise, wie die Grenzen zwischen verschiedenen<br />
technischen Bereichen gezogen werden können: wie wird diese Bestimmung durch<br />
Richter oder Patentämter vorgenommen?<br />
7) Die Frage lautet auch zu wissen, was die Art seiner/ihrer Kompetenz in dem<br />
technischen Bereich ist und insbesondere, ob diese Kompetenz theoretisch oder<br />
praktisch ist?<br />
8) Die Gruppen werden gebeten anzugeben, wie in der Praxis die Beurteilung der<br />
Fähigkeiten des Durchschnittsfachmanns gehandhabt wird. Welche Rolle spielt die<br />
Meinung der Sachverständigen in diesem Punkt?<br />
9) Schließlich sind die Gruppen ebenfalls eingeladen, alle anderen Fragen zu erörtern,<br />
welche im Zusammenhang mit dem Durchschnittsfachmann auftreten können.<br />
5) Zukünftige Harmonisierung<br />
Nach Bewertung der nationalen Lösungen sind die Gruppen eingeladen, ihre Vorschläge für die<br />
mögliche Harmonisierung und speziell die harmonisierte Definition des Durchschnittsfachmanns<br />
zu präsentieren. Das Ziel dieses Abschnitts ist es nicht, alle Fragen bezogen auf das<br />
gegenwärtige nationale Recht zu wiederholen, sondern die grundlegendsten Punkte zu finden,<br />
in welchen die internationale Harmonisierung angestrebt werden könnte.<br />
1) Speziell sind die Gruppen eingeladen zu präzisieren, bei welchen Punkten sie die<br />
besondere Notwendigkeit der internationalen Harmonisierung zum Thema des
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Durchschnittsfachmanns sehen.<br />
2) Die Gruppen können angeben, ob der Standard eines „Durchschnittsfachmanns" als<br />
hypothetisches Modell bewertet oder im Gegensatz dazu in concreto anerkannt werden<br />
sollte.<br />
3) Sollten die Fähigkeiten des „Durchschnittsfachmanns“ sein, nur die Anweisungen<br />
anderer Personen auszuführen, oder sollten sie kreativ und sowohl praktisch als auch<br />
theoretisch sein?<br />
4) Sollte das Fach, in welchem der Durchschnittsfachmann tätig ist, nur aus einer Disziplin<br />
stammen oder sollte es mehrere technische Gebiete abdecken?<br />
5) Die Gruppen sind ebenfalls eingeladen, alle anderen Vorschläge zu präsentieren,<br />
welche sich im Zusammenhang mit der möglichen internationalen Harmonisierung der<br />
Definition des Durchschnittsfachmanns ergeben können.<br />
Anmerkung: Es wird hilfreich sein und geschätzt werden, wenn die Gruppen der Reihenfolge<br />
der Fragen in ihren Berichten folgen und die Fragen und Nummern für jede Antwort verwenden.<br />
Dezember 2009