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25 Jahre Freiwilligendienst in Monte Azul

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<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Freiwillige <strong>in</strong> <strong>Monte</strong> <strong>Azul</strong> 6<br />

Das Chaos des Anfangs: die erste<br />

K<strong>in</strong>dergruppe <strong>in</strong> der Favela “Pe<strong>in</strong>ha”<br />

Aus der Arbeit <strong>Monte</strong> <strong>Azul</strong>s heraus entstand das<br />

Bedürfnis, dieselbe auch auf andere Favelas auszubreiten.<br />

Und so nahm mich Ende September Julieta,<br />

die Sozialfürsorger<strong>in</strong> von <strong>Monte</strong> <strong>Azul</strong>, mit <strong>in</strong> die ca.<br />

15 M<strong>in</strong>uten entfernte Favela Pe<strong>in</strong>ha. Dort lernte ich<br />

langsam immer mehr Frauen, und vor allem K<strong>in</strong>der<br />

kennen.<br />

Bald kam das Gespräch auf e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>derspielgruppe,<br />

und die Frauen äußerten den Wunsch e<strong>in</strong>es<br />

Strickkurses. Doch blieb das Raumproblem, da<br />

damals für uns noch ke<strong>in</strong>e eigene Hütte zur<br />

Verfügung stand. Doch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch wurde dies<br />

vorerst mal gelöst: die Strickgruppe fand e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der<br />

Woche <strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en Holzkirche statt. Und Silvio,<br />

e<strong>in</strong> Junggeselle, stellte uns se<strong>in</strong>e Hütte für die K<strong>in</strong>dergruppe<br />

zur Verfügung.<br />

Dann kam der große Tag, an dem es losgehen sollte!<br />

Auf e<strong>in</strong>mal bekamen wir e<strong>in</strong> wenig Angst vor der<br />

eigenen Courage, vor allem, da zu dieser Zeit unser<br />

Portugiesisch noch eher schlecht war. Doch „mutig“<br />

machten wir uns bewaffnet mit Papier und Wachsstiften<br />

auf den Weg, um zur ausgemachten Zeit anzukommen.<br />

Was wir da erlebten, ist mir noch nie passiert.<br />

In e<strong>in</strong>em Raum von höchstens drei Quadratmetern,<br />

waren sämtliche Stühle, die man f<strong>in</strong>den konnte,<br />

here<strong>in</strong>gequetscht worden. Und obendrauf etwa 60<br />

K<strong>in</strong>der, die, wie e<strong>in</strong>e Mutter sagte, schon seit zwei<br />

Stunden warteten. Wir kamen weder here<strong>in</strong>, noch<br />

liess sich irgend e<strong>in</strong> Bild dort malen. So g<strong>in</strong>g die<br />

Hälfte der K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong> paar Stühlen nach draußen<br />

<strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>en Hof, wo sie dann als Tische benutzt<br />

wurde. Auf diese Weise bestanden wir die erste<br />

Feuerprobe, von kritisch-neugierigen Müttern am<br />

Fenster beobachtet.<br />

Die Ergebnisse dieser Arbeit waren für mich<br />

erschütternd. Es gab K<strong>in</strong>der, denen man ansah, dass<br />

sie noch nie e<strong>in</strong>en Buntstift <strong>in</strong> der Hand gehabt,<br />

geschweige denn e<strong>in</strong> Bild gemalt hatten. Wir brauchten<br />

viel Geduld und Zeit, ihnen Malen beizubr<strong>in</strong>gen.<br />

So liegt auch heute noch unsere Hauptarbeit mit<br />

ihnen beim Malen. Wir erzählen e<strong>in</strong>e Geschichte,<br />

stellen e<strong>in</strong> Thema oder lassen den Inhalt e<strong>in</strong>es Liedes<br />

malen. Ich male dann immer e<strong>in</strong> zum Thema passendes<br />

Bild vorher auf e<strong>in</strong> großes Blatt und hänge es an<br />

die Wand, damit die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> Beispiel zum eventuellen<br />

Abmalen haben.<br />

Da für die K<strong>in</strong>derarbeit ke<strong>in</strong> eigener Raum vorhanden<br />

war, spielte ich mit ihnen bei schönem Wetter<br />

auf der Strasse Ball- Gelände- oder Reigenspiele,<br />

machte Tonarbeiten, wofür wir vorher geme<strong>in</strong>sam<br />

den Ton <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nahen Fluss holten. Bei schlechtem<br />

Wetter konnten wir <strong>in</strong> die Hütte von Dona Iracema<br />

gehen und dort wurden dann auf dem Fussboden die<br />

Bilder hergestellt, richtige Spiele gemacht, gesungen<br />

und Märchen erzählt. Zu Weihnachten gab es e<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e Feier. H<strong>in</strong>terher durfte jedes K<strong>in</strong>d etwas mit<br />

nach Hause nehmen, und das <strong>Jahre</strong>sende wurde mit<br />

e<strong>in</strong>em Besuch im Zoo beendet, der bei den K<strong>in</strong>dern<br />

bis heute e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>druck h<strong>in</strong>terlassen hat.<br />

Das Bedürfnis nach e<strong>in</strong>er eigenen „Schulhütte“<br />

wurde aber immer größer. Und im Februar wurde<br />

diese von e<strong>in</strong>igen Favelabewohnern verwirklicht. So<br />

konnten wir das neue Schuljahr richtig beg<strong>in</strong>nen und<br />

hatten somit auch die Möglichkeit e<strong>in</strong>er wirkungsvolleren<br />

und geregelteren Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern. Die<br />

Arbeit mit den Müttern wurde zugunsten der K<strong>in</strong>der<br />

beendet und die Frauen nahmen von da ab an den<br />

Kursen der Favela <strong>Monte</strong> <strong>Azul</strong> teil.<br />

Bei e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftsarbeit im April mit den<br />

Bewohnern der Favela wurde die Hütte e<strong>in</strong>gezäunt,<br />

angestrichen, das Dach ausgebessert (bis dah<strong>in</strong><br />

schwammen wir förmlich bei Regen), e<strong>in</strong> Sandkasten<br />

gebaut und Licht <strong>in</strong>stalliert. Bei solchen Geme<strong>in</strong>schaftsarbeiten<br />

g<strong>in</strong>g es immer sehr fröhlich und lustig<br />

zu. Wer von den Eltern helfen wollte, half und somit<br />

konnte auch das Verhältnis der Erwachsenen, vor<br />

allem der Männer, die uns immer etwas kritisch und<br />

sogar misstrauisch von weitem zusahen, zu unserer<br />

Arbeit gestärkt werden.<br />

Marion Stett<strong>in</strong>er, 1984

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