04.11.2013 Aufrufe

25 Jahre Freiwilligendienst in Monte Azul

25 Jahre Freiwilligendienst in Monte Azul

25 Jahre Freiwilligendienst in Monte Azul

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Freiwillige <strong>in</strong> <strong>Monte</strong> <strong>Azul</strong> 8<br />

Unfreundlichkeit oder ähnliches. Die Arbeit mit<br />

Ademario, dem Handwerker, gefiel mir sehr gut. Er<br />

war e<strong>in</strong>er der wenigen Menschen, mit denen ich mich<br />

komischerweise immer gut verständigen konnte. Wir<br />

lachten viel! Doch mit dem Baustil Ademarios war ich<br />

überhaupt nicht zufrieden. Es schien mir e<strong>in</strong>e<br />

Liebl<strong>in</strong>gsbeschäftigung Ademarios zu se<strong>in</strong>, Zäune um<br />

K<strong>in</strong>dergärten herum zu bauen. H<strong>in</strong> und wieder auch<br />

mal Stacheldraht. Künstlerisch konnte man se<strong>in</strong>en<br />

Arbeitsprodukten nur schwer etwas abgew<strong>in</strong>nen.<br />

Hauptsache schnell, und es muss halten.<br />

Darüber habe ich natürlich auch nachgedacht. Hier<br />

erkennt man vielleicht den globalen Baustil der<br />

Favela. E<strong>in</strong> Baustil, welcher e<strong>in</strong>em Provisorium<br />

gleicht. Drückt sich hier nicht die Ablehnung der<br />

Heimat aus? (Heimat=Favela). Natürlich spielen auch<br />

f<strong>in</strong>anzielle und geologische Gründe <strong>in</strong> diesem Fall<br />

e<strong>in</strong>e Rolle. Auf der e<strong>in</strong>en Seite hat dieses Ablehnen<br />

der Identifizierung mit der Heimat negative Auswirkungen.<br />

Sprich: wenig soziale Kontakte, ke<strong>in</strong>e Wahrnehmung<br />

des kulturellen Lebens. Doch man kann<br />

dem auch etwas Positives abgew<strong>in</strong>nen, wenn sich <strong>in</strong><br />

dem Baustil ausdrückt: „Ich nehme me<strong>in</strong> Schicksal so<br />

nicht an; ich werde hier, so schnell es geht wieder verschw<strong>in</strong>den!“<br />

Nach diesen Gedankengängen beschränkte ich<br />

mich darauf, das Künstlerische nicht unbed<strong>in</strong>gt im<br />

Produkt, sondern <strong>in</strong> der Arbeitsweise zu f<strong>in</strong>den. Nach<br />

kurzer Zeit merkte ich, dass Ademario e<strong>in</strong> talentierter<br />

Handwerker ist. Se<strong>in</strong>e Handbewegungen wurden<br />

sicher und ruhig geführt, und er dachte bei vielen se<strong>in</strong>er<br />

Handlungen lange nach.<br />

Me<strong>in</strong>e zweite Station <strong>in</strong>nerhalb der Pe<strong>in</strong>ha führte<br />

mich <strong>in</strong> die Pre-Escola. Die Pre-Escola ist e<strong>in</strong>e auch<br />

von der Associacao geführte Vorschule. K<strong>in</strong>der bis zu<br />

7 <strong>Jahre</strong>n besuchen diese Schule. Hatte ich zu diesem<br />

Zeitpunkt schon viele Begegnungen mit K<strong>in</strong>dern, so<br />

war die Arbeit <strong>in</strong> der Pre-Escola trotzdem e<strong>in</strong>e sehr<br />

<strong>in</strong>tensive Erfahrung. Was waren das für niedliche<br />

K<strong>in</strong>der! Ich werde diese neugierigen, <strong>in</strong>teressierten<br />

Blicke nicht vergessen. Man spürte förmlich, dass dort<br />

noch etwas ganz Unberührtes den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>newohnt.<br />

Ich hatte das Glück, dass ich an e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong><br />

geraten b<strong>in</strong>, die nicht nur ihren Job machte, sondern<br />

mit Herz an der Berufung des Lehrers h<strong>in</strong>g.<br />

Von Tag zu Tag begleitete mich der Gedanke, aus<br />

diesen Schülern können ganz besondere Menschen<br />

werden. Doch häufiger war die Vorstellung, diese<br />

Schüler würden gar nicht die Möglichkeit haben, ihr<br />

Potential zu nutzen, außer dass diese talentierten<br />

Menschen womöglich aus ihrem Leben e<strong>in</strong> Überleben<br />

machen müssen. Dieser Gedanke löst bei mir<br />

immer noch e<strong>in</strong> tiefes Trauergefühl aus.<br />

Was man selber bisher für e<strong>in</strong> Leben geführt hat,<br />

e<strong>in</strong> Bewusstwerden der eigenen Lebensumstände,<br />

sowie Gedanken der eigenen Lebensführung schlossen<br />

sich diesem Trauergefühl an. Die Tatsache, dass<br />

ich Mitglied e<strong>in</strong>er privilegierten Gesellschaft b<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft, die eigentlich die optimalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

hat. E<strong>in</strong>e Gesellschaft, die eigentlich den<br />

bestmöglichen Nährboden gibt, geistiges Leben zu<br />

entwickeln. Doch der Mensch <strong>in</strong> dieser Gesellschaft<br />

ist nicht zufrieden. Hat er vielleicht e<strong>in</strong>fach nicht die<br />

Möglichkeit, diesen privilegierten Status richtig zu<br />

erkennen? Was ist es, was ihm diese Erkenntnis vorenthält?<br />

E<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> der öffentlichen Schule verstärkte das<br />

Gefühl der Sprachlosigkeit. Ich traf auf müde, unmotivierte<br />

Lehrer. Mir wehte e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>d der Lethargie entgegen.<br />

„Schlechte Schüler“ werden gar nicht beachtet.<br />

Hier also ist der Ort, der die K<strong>in</strong>der eher dazu erzieht,<br />

sich mit ihrem Schicksal unkritisch abzuf<strong>in</strong>den, als<br />

sich diesem Schicksal mutig entgegenzustellen!<br />

Ich hoffe, dass auch die Pe<strong>in</strong>ha auf dem besten Weg<br />

ist, ihr Schicksal nicht e<strong>in</strong>fach so h<strong>in</strong>zunehmen, sondern<br />

versucht, voller Tatendrang diesem entgegenzuwirken.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!