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St. Thomas von Aquin: Über das Böse (Sth I, qu. 48f - deutsch)

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enden in zweierlei Bedeutung die Rede ist. Einmal, wenn es die Seiendheit [entitas] einer<br />

Sache bezeichnet, insofern diese durch die zehn Kategorien ausgesagt wird: und so stimmt<br />

<strong>das</strong> Sein mit dem Dingsein überein. 1 In dieser Bedeutung bezeichnet „Seiendes“ keinen<br />

Mangel: und folglich auch kein Übel. Zum anderen bedeutet „Sein“ die Wahrheit einer Aussage,<br />

die in einer Zusammenstellung besteht, die <strong>das</strong> Wort „ist“ ausdrückt: Und dies ist <strong>das</strong><br />

Sein, mit dem auf die Frage, ob etwas der Fall ist, geantwortet wird. Und in dieser Bedeutung<br />

<strong>von</strong> „Sein“ sagen wir, <strong>das</strong>s die Blindheit im Auge ist, oder welche andere Beeinträchtigung<br />

auch immer. Und gemäß dieser Bedeutung wird auch <strong>das</strong> Übel seiend genannt. – Wegen der<br />

Unkenntnis dieser Unterscheidung jedoch sind einige aus der <strong>Über</strong>legung heraus, <strong>das</strong>s bestimmte<br />

Dinge schlecht genannt werden, oder <strong>das</strong>s gesagt wird, es gebe Übles unter den Dingen,<br />

zu der Auffassung gelangt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel selber ein eigene Sache sei.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s Gott und Natur und welches Wirkende auch immer, <strong>das</strong> Bessere<br />

macht, aber nur auf‘s Ganze gesehen; nicht jedoch <strong>das</strong> Bessere in jedem einzelnen Teil,<br />

außer insofern es in seinem Bezug [ordo] auf‘s Ganze gesehen wird, wie oben gesagt wurde.<br />

Das Ganze aber – der Kosmos des Geschaffenen – ist besser und vollkommener, wenn in ihm<br />

Wesen existieren, die hinter dem Guten zurückbleiben können und mitunter zurückbleiben,<br />

wenn Gott es nicht verhindert. Weil es aber nicht Sache der Vorsehung ist, die Natur zu zerstören,<br />

sondern sie als <strong>das</strong> zu bewahren, was sie ist (wie Dionysius im vierten Kapitel der<br />

Schrift „Von den Göttlichen Namen“ sagt): deswegen verhalten sich die Dinge so, <strong>das</strong>s die,<br />

die hinter sich zurückbleiben können, dies manchmal tatsächlich tun. Das kann auch deswegen<br />

geschehen, weil Gott schließlich so mächtig ist (wie Augustinus im „Enchiridion“ sagt),<br />

<strong>das</strong>s er auch aus Übeln Gutes hervorgehen lassen kann. Daher würde es viele Güter nicht<br />

geben, wenn Gott keinerlei Übel zulassen würde. Es würde etwa kein Feuer geben, wenn die<br />

Luft nicht aufgezehrt werden dürfte; es könnte <strong>das</strong> Leben des Löwen nicht erhalten werden,<br />

wenn kein Esel getötet werden dürfte; und es könnte die strafende [vergeltende] Gerechtigkeit<br />

oder die zum Ertragen bereite Geduld nicht gelobt werden, wenn <strong>das</strong> <strong>Böse</strong> nicht wäre.<br />

Art. 3: Ob <strong>das</strong> Übel im Guten wie in einem Zugrundeliegenden ist.<br />

So gelangen wir zum Dritten. Es scheint, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel sich nicht im Guten wie in einem<br />

Zugrundeliegenden befindet.<br />

1. Alle Güter sich nämlich Daseiende. Aber Dionysius sagt im vierten Kapitel der Schrift<br />

„Von den Göttlichen Namen“, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel kein Daseiendes und nicht in den Daseienden<br />

ist. Folglich befindet sich <strong>das</strong> Übel nicht im Guten wie in seinem Zugrundeliegenden.<br />

2. Außerdem ist <strong>das</strong> Übel kein Seiendes, wohl aber ist ein Gut ein Seiendes. Aber ein Nichtseiendes<br />

erfordert kein Seiendes, in dem es sich als in einem Zugrundeliegenden befände.<br />

Also ist auch für <strong>das</strong> Übel kein Gut erforderlich, in dem es wie in einem Zugrundeliegenden<br />

sich befände.<br />

1 „Vom Sein an sich spricht man in so vielen Bedeutungen, als es Formen der Aussageweisen gibt. Denn wievielfach<br />

diese ausgesagt werden, sovielfach bezeichnen sie <strong>das</strong> Sein. Da nun <strong>das</strong> Ausgesagte teils ein Was bezeichnet,<br />

teils ein ‚Quale’, teils ein ‚Quantum’, teils ein ‚Bezügliches’, teils ein ‚Bewirken’ oder Affiziertwerden,<br />

teils ein ‚Wo’, teils ein ‚Wann’, so bezeichnet <strong>das</strong> Sein <strong>das</strong>selbe, was jedes <strong>von</strong> diesem Ausgesagten bezeichnet.<br />

Denn es bedeutet keinen Unterschied, ob man sagt, der Mensch im Zustand der Gesundheit, oder, der<br />

Mensch ist gesund, oder ob man sagt, der Mensch ist schreitend oder schneidend, oder, der Mensch schreitet<br />

oder schneidet und ähnlich bei anderen Fällen“ (Aristoteles: Metaphysik, Buch V, Kapitel 7; <strong>Über</strong>tragung <strong>von</strong><br />

Franz F. Schwarz, <strong>St</strong>uttgart: Reclam 1970, 126).<br />

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