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St. Thomas von Aquin: Über das Böse (Sth I, qu. 48f - deutsch)

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2. Außerdem: In den vernunftlosen Wesen findet sich weder Schuld noch <strong>St</strong>rafe. Aber man<br />

findet in ihnen Verderbnis und Mangel, die doch zum Übel gehören. Folglich ist nicht jedes<br />

Übel <strong>St</strong>rafe oder Schuld.<br />

3. Außerdem: Die Versuchung ist ein gewisses Übel. Aber sie ist doch keine Schuld: weil<br />

„eine Versuchung, der nicht nachgegeben wird, nicht Sünde ist, sondern <strong>St</strong>off zur Übung der<br />

Tugend“ wie es im Kommentar zu 2 Kor 12,7 heißt [?]. Sie ist auch keine <strong>St</strong>rafe: denn die<br />

Versuchung geht der Schuld vorher, die <strong>St</strong>rafe aber folgt ihr nach. Unzureichend ist es deshalb,<br />

<strong>das</strong> Übel nur in <strong>St</strong>rafe und Schuld einzuteilen.<br />

Aber dagegen scheint es, als sei die Unterscheidung [zwischen Übel als Schuld und Übel als<br />

<strong>St</strong>rafe] überflüssig. Wie nämlich Augustinus im „Enchiridion“ sagt, heißt alles <strong>das</strong> ein Übel,<br />

was Schaden anrichtet. Was aber schadet, ist <strong>von</strong> der Art einer <strong>St</strong>rafe. Alles Übel fällt folglich<br />

unter den Begriff <strong>St</strong>rafe.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel, wie vorhin gesagt wurde, eine Beraubung des<br />

Guten ist, <strong>das</strong> grundsätzlich und aus sich heraus in Vollkommenheit und Vollzug [dessen,<br />

was es ist] besteht. Der Vollzug [actus] aber ist doppelt: erster und zweiter. Der erste Vollzug<br />

ist die Wesensform und Unversehrtheit der Sache: Der zweite Vollzug aber ist <strong>das</strong> Wirken.<br />

Deshalb kann <strong>das</strong> Übel <strong>von</strong> zweierlei Art sein. Einmal durch Beeinträchtigung der Wesensform<br />

oder irgendeines Teiles, der zur Unversehrtheit der Sache erforderlich ist; wie die<br />

Blindheit ein Übel ist oder <strong>das</strong> Fehlen einer Gliedmaße. Zum anderen durch Beeinträchtigung<br />

des gehörigen Wirkens; entweder weil es gar nicht stattfindet; oder weil es gehöriges Maß<br />

und Ordnung nicht hat.<br />

Weil ja nun <strong>das</strong> Gute überhaupt Gegenstand des Willens ist, findet sich <strong>das</strong> Übel, welches<br />

eine Beraubung des Guten ist, auf eine besondere Weise in den vernunftbegabten, mit Willen<br />

ausgestatteten Geschöpfen. Deshalb ist <strong>das</strong> Übel, <strong>das</strong> in der Beeinträchtigung der Wesensform<br />

oder der Unversehrtheit einer Sache [d. h. hier: des Willens] besteht, <strong>St</strong>rafe; und dies<br />

vor allem unter der Voraussetzung, <strong>das</strong>s alles der göttlichen Vorsehung und Gerechtigkeit<br />

unterworfen ist, wie oben gezeigt wurde: Denn es gehört zum Begriff der <strong>St</strong>rafe, <strong>das</strong>s sie dem<br />

Willen zuwiderläuft. Das Übel aber, <strong>das</strong> in der Beeinträchtigung des gehörigen Wirkens in<br />

willensabhängigen Dingen besteht, ist Schuld. Es wird jemandem nämlich als Schuld zugerechnet,<br />

wenn er hinter der vollkommenen Handlung zurückbleibt, deren Vollbringung in der<br />

Macht seines Willens stünde [cuius dominus est secundum voluntatem]. So ist deshalb jedes<br />

Übel in Willensdingen entweder <strong>St</strong>rafe oder Schuld.<br />

Zum Ersten ist daher zu sagen: Das Übel ist eine Beraubung des Guten, nicht jedoch seine<br />

reine Verneinung, wie oben gesagt wurde. Deshalb ist nicht jedes Zurückbleiben hinter dem<br />

Guten ein Übel, sondern nur <strong>das</strong> Zurückbleiben hinter demjenigen Guten, <strong>das</strong> angeboren ist<br />

und gehabt werden muss. Das Fehlen des Sehvermögens ist schließlich kein Übel beim <strong>St</strong>ein,<br />

wohl aber beim Tier: denn es ist gegen <strong>das</strong> Wesen des <strong>St</strong>eines, ein Sehvermögen zu haben. In<br />

ähnlicher Weise ist es gegen <strong>das</strong> Wesen des Geschöpfes, <strong>von</strong> sich selbst im Sein gehalten zu<br />

werden: denn <strong>das</strong>selbe gibt und erhält <strong>das</strong> Sein. Von daher ist jener Mangel kein Übel für <strong>das</strong><br />

Geschöpf.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>St</strong>rafe und Schuld nicht <strong>das</strong> Übel überhaupt einteilen, sondern<br />

nur <strong>das</strong> Übel in den willensabhängigen Dingen.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s die Versuchung, insofern sie eine Verlockung zum Übel be-<br />

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