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St. Thomas von Aquin: Über das Böse (Sth I, qu. 48f - deutsch)

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<strong>St</strong>. <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>A<strong>qu</strong>in</strong>:<br />

Summa theologiae, Prima Pars, <strong>qu</strong>aestio 48:<br />

Von der Unterscheidung der Dinge im Besonderen<br />

(<strong>Über</strong>tragung durch Herbert Huber, ad usum auditorum tantum)<br />

Art. 1: Ob <strong>das</strong> Übel eine bestimmte Natur sei.<br />

So gelangen wir zum Ersten: Es scheint, als sei <strong>das</strong> Übel eine gewisse Natur.<br />

1. Denn jede Gattung ist eine bestimmte Natur. Das Übel aber ist eine Gattung: Es wird nämlich<br />

in der Kategorienschrift [des Aristoteles, Kapitel 11] gesagt, <strong>das</strong>s Gut und Übel nicht in<br />

einer Gattung [als Arten] sind, sondern selber Gattungen für andere [Arten] sind. Deshalb ist<br />

<strong>das</strong> Übel eine bestimmte Natur.<br />

2. Außerdem ist jede spezifische Differenz irgendeiner Art eine bestimmte Natur. Das Übel<br />

aber ist die spezifische Differenz im Bereich des Sittlichen: Es unterscheidet sich nämlich der<br />

schlechte Habitus vom guten der Art nach, wie die Freiheit <strong>von</strong> der Unfreiheit. Deshalb bedeutet<br />

<strong>das</strong> Übel eine bestimmte Natur.<br />

3. Außerdem ist jedes <strong>von</strong> zwei Konträren eine bestimmte Natur. Aber Übel und Gutes stehen<br />

nicht gegeneinander wie Nichthaben und Haben, sondern wie Konträre: wie der Philosoph in<br />

der Kategorienschrift dadurch beweist, <strong>das</strong>s zwischen Gutem und Übel etwas Mittleres ist,<br />

und <strong>das</strong>s man vom Übel zum Guten zurückkehren kann.<br />

4. Außerdem: Was nicht ist, wirkt nicht. Das Übel aber wirkt: denn es verdirbt <strong>das</strong> Gute.<br />

Folglich ist <strong>das</strong> Übel etwas Seiendes und eine bestimmte Natur.<br />

5. Außerdem gehört zur Vollkommenheit des Alls der Dinge nur <strong>das</strong>, was ein Seiendes und<br />

eine bestimmte Natur ist. Aber <strong>das</strong> Übel gehört zur Vollkommenheit des Alls der Dinge: Es<br />

sagt nämlich Augustinus, im „Enchiridion“, <strong>das</strong>s die Schönheit des bewunderungswürdigen<br />

Alls aus allen [Seienden] besteht, und <strong>das</strong>s in dieser auch jenes, was Übel heißt, wohl geordnet<br />

und an seinem [gehörigen] Platz in <strong>St</strong>ellung gebracht, <strong>das</strong> Gute in noch hervorragenderer<br />

Weise zur Geltung bringt. Folglich ist <strong>das</strong> Übel eine bestimmte Natur.<br />

Dagegen aber spricht, was Dionysius im vierten Kapitel der Schrift „<strong>Über</strong> die Göttlichen<br />

Namen“ sagt: Das Übel ist nicht existierend und auch nicht gut.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s eines <strong>von</strong> zwei Entgegengesetzten durch <strong>das</strong> andere erkannt<br />

wird, wie durch <strong>das</strong> Licht die Finsternis. Daher muss man auch, was <strong>das</strong> Übel sei, vom<br />

Begriff des Guten her erfassen. Wir haben vorhin [<strong>qu</strong>. 5,1] gesagt, <strong>das</strong>s gut alles <strong>das</strong> ist, was<br />

erstrebenswert ist: und so, weil aber jedes Wesen sein Sein und seine Vollkommenheit anstrebt,<br />

muss man notwendigerweise sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Sein und die Vollkommenheit eines jeden<br />

Wesens die Eigenschaft der Gutheit haben. Von daher kann es nicht sein, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel<br />

ein bestimmtes Sein oder eine bestimmte Form oder Natur ist. Deswegen bleibt nur übrig,<br />

<strong>das</strong>s mit dem Namen des <strong>Böse</strong>n eine bestimmte Abwesenheit des Guten bezeichnet<br />

wird. Und insofern wird gesagt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel weder existierend noch gut ist: denn, weil <strong>das</strong><br />

Seiende, insoweit es solches ist, gut ist, schließt es beides aus.<br />

Zum Ersten ist deshalb zu sagen, <strong>das</strong>s Aristoteles dort gemäß der Meinung der Pythagoräer<br />

1


spricht, die glaubten, <strong>das</strong> Übel sei eine bestimmte Natur und deshalb Gut und <strong>Böse</strong> als Gattungen<br />

ansetzten. Aristoteles pflegte nämlich, und zwar vor allem in den Logikbüchern, Beispiele<br />

zu wählen, die zu seiner Zeit gemäß der Meinung gewisser Philosophen als wahrscheinlich<br />

galten. – Oder man muss sagen, wie der Philosoph im Buch X der Metaphysik sagt<br />

der Philosoph, <strong>das</strong>s die erste Kontrarietät diejenige ist, die zwischen Haben und Beeinträchtigung<br />

besteht, weil diese in allen Fällen <strong>von</strong> Konträrsein mit eingeschlossen ist, da immer<br />

eines der Konträren dem anderen gegenüber unvollkommen ist, wie <strong>das</strong> Schwarze angesichts<br />

des Weißen und <strong>das</strong> Bittere angesichts des Süßen. Und insofern werden Gut und Übel Gattungen<br />

nicht schlechthin, sondern <strong>von</strong> Konträren genannt. Denn so, wie jede Form gut ist, so<br />

ist jeder Mangel als solcher schlecht.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s Gut und Übel keine spezifischen Differenzen sind außer im<br />

Sittlichen, <strong>das</strong> seine Art aus dem Handlungsziel gewinnt, <strong>das</strong> Gegenstand des Willens ist, <strong>von</strong><br />

dem <strong>das</strong> Sittliche abhängt. Weil <strong>das</strong> Gute <strong>von</strong> der Art eines Zieles ist [es ist <strong>das</strong> Ziel eines<br />

<strong>St</strong>rebens], deshalb sind Gut und Übel spezifische Differenzen im Sittlichen; <strong>das</strong> Gute an sich<br />

selbst, <strong>das</strong> Übel aber insoweit es <strong>das</strong> Verfehlen des gesollten Zieles ist. Aber auch <strong>das</strong> Verfehlen<br />

des gesollten Zieles konstituiert keinen Artunterschied im Sittlichen, außer in Verbindung<br />

mit einem nichtgesollten Ziel: Wie auch bei den Naturwesen keine Verfehlung [privatio]<br />

der Wesensform stattfindet, außer in Verbindung mit einer anderen Form. Deshalb ist <strong>das</strong><br />

Übel, <strong>das</strong> im Sittlichen die spezifische Differenz ausmacht, ein bestimmtes Gutes, <strong>das</strong> mit der<br />

Beeinträchtigung [privatio] eines anderen Gutes verbunden ist: wie <strong>das</strong> Ziel des<br />

Unbeherrschten nicht etwa <strong>das</strong> Entbehren des vernünftigen Guten ist, sondern <strong>das</strong><br />

Sinnenvergnügen unabhängig <strong>von</strong> der Vernunftordnung. Von daher ist <strong>das</strong> Übel als solches<br />

keine spezifische Differenz [es eröffnet keine eigene Gattung], sondern bleibt an den<br />

Gesichtspunkt des Guten gebunden [es ist eine defiziente, verfälschte Form des Guten].<br />

Dadurch ist auch die Antwort auf <strong>das</strong> Dritte klar. Denn dort spricht der Philosoph vom Guten<br />

und vom Übel im Bereich des Sittlichen. So wird nämlich zwischen Gut und Übel ein Mittleres<br />

gefunden: insoweit gut genannt wird, was der Ordnung entspricht; übel aber <strong>das</strong>, was<br />

nicht nur ohne Ordnung ist, sondern auch dem Anderen [aktiv] schadend. Deshalb sagt der<br />

Philosoph im Buch IV der Ethik, <strong>das</strong>s der Verschwender zwar töricht [vanus: eitel, d. h. einer<br />

eingebildeten, unrichtigen Ordnung folgend], aber nicht böse ist. – Vom sittlichen Übel aus<br />

geschieht es, <strong>das</strong>s man zum Guten zurückkehrt; nicht aber <strong>von</strong> jedem Übel aus. Aus der<br />

Blindheit nämlich geschieht keine Rückkehr zum Sehvermögen, obgleich die Blindheit ein<br />

Übel ist.<br />

Zum Vierten ist zu sagen, <strong>das</strong>s man „etwas wirken“ auf dreifache Weise sagt. [a] Auf eine<br />

formale Weise, wie wenn man sagt, die Weiße mache weiß. In diesem Sinn wird gesagt, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Übel, auch in seiner Eigenschaft als Mangel, <strong>das</strong> Gute verderbe: denn es ist selbst ja die<br />

Verderbnis oder Beeinträchtigung des Guten. [b] Auf eine andere Weise wird „etwas wirken“<br />

im Sinne des tatsächlichen Bewirkens [effective] ausgesagt: so wie man sagt, der Maler mache<br />

die Wand weiß. [c] Drittens auf die Weise der Zweckursache: wie man sagt, der Zweck<br />

wirke, indem er den, der wirkt, bewegt. Auf die beiden letzteren Weisen wirkt <strong>das</strong> <strong>Böse</strong> nicht<br />

durch sich selbst, d. h. insofern es ein gewisser Mangel ist, sondern nur sofern es mit einem<br />

Guten verbunden ist: Denn alles Wirken stammt <strong>von</strong> einer Form, und alles, was als Ziel ersehnt<br />

wird, ist irgendeine Vollkommenheit. Und so, wie Dionysius im vierten Kapitel der<br />

Schrift „<strong>Über</strong> die Göttlichen Namen“ sagt, wirkt <strong>das</strong> Übel weder, noch wird es erstrebt, außer<br />

in Verbindung vermittelst der Kraft eines verbundenen Guten; für sich selbst ist es ohne Ziel<br />

[in-finitum], und außerhalb <strong>von</strong> Wille und Absicht.<br />

2


Zum Fünften ist zu sagen, <strong>das</strong>s (wie oben schon gesagt worden ist) die Teile des Universums<br />

untereinander eine Ordnung aufweisen, insoweit ein Teil auf den anderen wirkt und Ziel und<br />

Beispiel des anderen ist. Das aber kann (wie gesagt wurde [„Zum Vierten“]) nicht durch <strong>das</strong><br />

Übel geschehen, außer insoweit es in Verbindung steht mit einem Guten. Deshalb gehört <strong>das</strong><br />

Übel nicht zur Vollkommenheit des Universums und ist in dieser Vollkommenheit nicht eingeschlossen,<br />

außer als Begleiterscheinung des Guten.<br />

Art. 2: Ob <strong>das</strong> Übel in den Dingen gefunden werde.<br />

So gelangen wir zum Zweiten. Es scheint, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel nicht in den Dingen gefunden werde.<br />

1. Was immer nämlich in den Dingen gefunden wird, ist entweder ein bestimmtes Seiendes<br />

oder die Beeinträchtigung [privatio] eines bestimmten Seienden, was dann ein nicht-Sein ist.<br />

Aber Dionysius sagt im vierten Kapitel der Schrift „Von den Göttlichen Namen“, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Übel vom Existierenden unterschieden ist und sich noch mehr vom nicht-Existierenden unterscheidet.<br />

Deshalb wird <strong>das</strong> Übel auf keine Weise in den Dingen gefunden.<br />

2. Außerdem kommen Seiendes und Sache überein. Wenn daher <strong>das</strong> Übel ein Seiendes unter<br />

anderen ist, folgt daraus, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel selbst eine bestimmte Sache sei. Was gegen <strong>das</strong> vorher<br />

Gesagte [Art. 1] verstößt.<br />

3. Außerdem ist <strong>das</strong>jenige weißer, was mit der Schwärze unvermischter ist, wie im dritten<br />

Buch der Topik des Aristoteles gesagt wird. Folglich ist auch <strong>das</strong>jenige besser, was mit dem<br />

Übel unvermischter ist. Aber Gott macht stets, was besser ist, viel mehr als die Natur. Deshalb<br />

wird in den <strong>von</strong> Gott geschaffenen Dingen kein Übel gefunden.<br />

Aber dagegen steht, <strong>das</strong>s dem zufolge alle Verbote und <strong>St</strong>rafen verschwinden müssten, die ja<br />

nur wegen der Übel[täter] existieren.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, was oben gesagt wurde: Die Vollkommenheit des Universums<br />

macht es erforderlich, <strong>das</strong>s in den Dingen Ungleichheit herrscht, damit alle Grade<br />

<strong>von</strong> Gutheit vorkommen. Es ist aber ein Grad <strong>von</strong> Gutheit, <strong>das</strong>s etwas so gut ist, <strong>das</strong>s es niemals<br />

versagen kann. Ein anderer Grad <strong>von</strong> Gutheit aber besteht darin, <strong>das</strong>s etwas auf die<br />

Weise gut ist, <strong>das</strong>s es vom Guten abweichen kann. Welche Grade im Sein ja auch tatsächlich<br />

gefunden werden: Einige Wesen gibt es nämlich, die ihr Sein nicht verlieren können, wie die<br />

unkörperlichen Wesen; es gibt aber auch welche, die es verlieren können, wie die körperlichen<br />

Wesen. Wie deshalb die Vollkommenheit des Kosmos verlangt, <strong>das</strong>s es nicht nur<br />

unzerstörbare Seiende, sondern auch zerstörbare gebe; so verlangt die Vollkommenheit<br />

des Kosmos, <strong>das</strong>s es Wesen gibt, die hinter ihrer Gutheit zurückbleiben können; was<br />

zur Folge hat, <strong>das</strong>s sie manchmal tatsächlich dahinter zurückbleiben. Eben darin aber<br />

besteht <strong>das</strong> Wesen [ratio] des Übels, <strong>das</strong>s etwas hinter dem Guten zurückbleibt. Daher ist es<br />

offensichtlich, <strong>das</strong>s in den Dingen <strong>das</strong> Übel gefunden wird, wie auch die Verderbnis: denn<br />

auch die Verderbnis ist ein bestimmtes Übel.<br />

Zum Ersten ist deshalb zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel sich vom Seienden schlechthin unterscheidet<br />

und auch vom Nichtseienden schlechthin: denn es ist weder wie <strong>das</strong> Haben <strong>von</strong> etwas, noch<br />

ist es wie die reine Verneinung, sondern wie eine Beraubung.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s, wie im fünften Buch der Metaphysik gesagt wird, vom Sei-<br />

3


enden in zweierlei Bedeutung die Rede ist. Einmal, wenn es die Seiendheit [entitas] einer<br />

Sache bezeichnet, insofern diese durch die zehn Kategorien ausgesagt wird: und so stimmt<br />

<strong>das</strong> Sein mit dem Dingsein überein. 1 In dieser Bedeutung bezeichnet „Seiendes“ keinen<br />

Mangel: und folglich auch kein Übel. Zum anderen bedeutet „Sein“ die Wahrheit einer Aussage,<br />

die in einer Zusammenstellung besteht, die <strong>das</strong> Wort „ist“ ausdrückt: Und dies ist <strong>das</strong><br />

Sein, mit dem auf die Frage, ob etwas der Fall ist, geantwortet wird. Und in dieser Bedeutung<br />

<strong>von</strong> „Sein“ sagen wir, <strong>das</strong>s die Blindheit im Auge ist, oder welche andere Beeinträchtigung<br />

auch immer. Und gemäß dieser Bedeutung wird auch <strong>das</strong> Übel seiend genannt. – Wegen der<br />

Unkenntnis dieser Unterscheidung jedoch sind einige aus der <strong>Über</strong>legung heraus, <strong>das</strong>s bestimmte<br />

Dinge schlecht genannt werden, oder <strong>das</strong>s gesagt wird, es gebe Übles unter den Dingen,<br />

zu der Auffassung gelangt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel selber ein eigene Sache sei.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s Gott und Natur und welches Wirkende auch immer, <strong>das</strong> Bessere<br />

macht, aber nur auf‘s Ganze gesehen; nicht jedoch <strong>das</strong> Bessere in jedem einzelnen Teil,<br />

außer insofern es in seinem Bezug [ordo] auf‘s Ganze gesehen wird, wie oben gesagt wurde.<br />

Das Ganze aber – der Kosmos des Geschaffenen – ist besser und vollkommener, wenn in ihm<br />

Wesen existieren, die hinter dem Guten zurückbleiben können und mitunter zurückbleiben,<br />

wenn Gott es nicht verhindert. Weil es aber nicht Sache der Vorsehung ist, die Natur zu zerstören,<br />

sondern sie als <strong>das</strong> zu bewahren, was sie ist (wie Dionysius im vierten Kapitel der<br />

Schrift „Von den Göttlichen Namen“ sagt): deswegen verhalten sich die Dinge so, <strong>das</strong>s die,<br />

die hinter sich zurückbleiben können, dies manchmal tatsächlich tun. Das kann auch deswegen<br />

geschehen, weil Gott schließlich so mächtig ist (wie Augustinus im „Enchiridion“ sagt),<br />

<strong>das</strong>s er auch aus Übeln Gutes hervorgehen lassen kann. Daher würde es viele Güter nicht<br />

geben, wenn Gott keinerlei Übel zulassen würde. Es würde etwa kein Feuer geben, wenn die<br />

Luft nicht aufgezehrt werden dürfte; es könnte <strong>das</strong> Leben des Löwen nicht erhalten werden,<br />

wenn kein Esel getötet werden dürfte; und es könnte die strafende [vergeltende] Gerechtigkeit<br />

oder die zum Ertragen bereite Geduld nicht gelobt werden, wenn <strong>das</strong> <strong>Böse</strong> nicht wäre.<br />

Art. 3: Ob <strong>das</strong> Übel im Guten wie in einem Zugrundeliegenden ist.<br />

So gelangen wir zum Dritten. Es scheint, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel sich nicht im Guten wie in einem<br />

Zugrundeliegenden befindet.<br />

1. Alle Güter sich nämlich Daseiende. Aber Dionysius sagt im vierten Kapitel der Schrift<br />

„Von den Göttlichen Namen“, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel kein Daseiendes und nicht in den Daseienden<br />

ist. Folglich befindet sich <strong>das</strong> Übel nicht im Guten wie in seinem Zugrundeliegenden.<br />

2. Außerdem ist <strong>das</strong> Übel kein Seiendes, wohl aber ist ein Gut ein Seiendes. Aber ein Nichtseiendes<br />

erfordert kein Seiendes, in dem es sich als in einem Zugrundeliegenden befände.<br />

Also ist auch für <strong>das</strong> Übel kein Gut erforderlich, in dem es wie in einem Zugrundeliegenden<br />

sich befände.<br />

1 „Vom Sein an sich spricht man in so vielen Bedeutungen, als es Formen der Aussageweisen gibt. Denn wievielfach<br />

diese ausgesagt werden, sovielfach bezeichnen sie <strong>das</strong> Sein. Da nun <strong>das</strong> Ausgesagte teils ein Was bezeichnet,<br />

teils ein ‚Quale’, teils ein ‚Quantum’, teils ein ‚Bezügliches’, teils ein ‚Bewirken’ oder Affiziertwerden,<br />

teils ein ‚Wo’, teils ein ‚Wann’, so bezeichnet <strong>das</strong> Sein <strong>das</strong>selbe, was jedes <strong>von</strong> diesem Ausgesagten bezeichnet.<br />

Denn es bedeutet keinen Unterschied, ob man sagt, der Mensch im Zustand der Gesundheit, oder, der<br />

Mensch ist gesund, oder ob man sagt, der Mensch ist schreitend oder schneidend, oder, der Mensch schreitet<br />

oder schneidet und ähnlich bei anderen Fällen“ (Aristoteles: Metaphysik, Buch V, Kapitel 7; <strong>Über</strong>tragung <strong>von</strong><br />

Franz F. Schwarz, <strong>St</strong>uttgart: Reclam 1970, 126).<br />

4


3. Außerdem ist <strong>von</strong> zwei konträren Dingen keines <strong>das</strong> Zugrundeliegende des anderen. Aber<br />

Gut und Übel sind Konträre. Also ist <strong>das</strong> Übel nicht im Guten als seinem Zugrundeliegendem.<br />

4. Außerdem wird gesagt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong>, worin die Weiße als seinem Zugrundeliegenden ist, weiß<br />

ist. Also ist auch <strong>das</strong>, worin <strong>das</strong> Übel wie in einem Zugrundeliegenden sich befindet, übel.<br />

Wenn also <strong>das</strong> Übel im Guten wie in einem Zugrundeliegenden ist, folgt daraus, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Gute übel ist: Entgegen dem, was [der Prophet] Isaias 5,20 sagt: „Wehe euch, die ihr <strong>das</strong><br />

Schlechte gut und <strong>das</strong> Gute schlecht nennt“.<br />

Aber dagegen steht, was Augustinus im „Enchiridion“ sagt, <strong>das</strong>s nämlich <strong>das</strong> Übel nicht sei,<br />

außer im Guten.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, wie schon ausgeführt wurde [Art. 1], <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel eine Entfernung<br />

vom Guten bedeute. Aber nicht jede Entfernung vom Guten heißt ein Übel. Die Entfernung<br />

vom Guten kann nämlich im Sinne eines Mangels oder im Sinne einer Verneinung<br />

aufgefasst werden. Im Sinne der Verneinung hat die Entfernung vom Guten nicht den Charakter<br />

[rationem] des Übels; ansonsten würde folgen, <strong>das</strong>s alles, was nicht existiert, schlecht<br />

ist; und weiterhin, <strong>das</strong>s jede Sache insoweit schlecht wäre, als sie nicht <strong>das</strong> Gut einer anderen<br />

Sache besitzt, so <strong>das</strong>s der Mensch schlecht wäre, weil er nicht über die Schnelligkeit der Gazelle<br />

oder die <strong>St</strong>ärke des Löwen verfügt. Im Sinne eines Mangels verstanden, bedeutet jedoch<br />

die Entfernung vom Guten ein Übel: Wie <strong>das</strong> Fehlen der Sehkraft Blindheit ist. Das<br />

Zugrundeliegende des Mangels wie der Form ist ein und <strong>das</strong>selbe, nämlich <strong>das</strong> Seiende<br />

hinsichtlich dessen, was es sein kann und soll: sei es <strong>das</strong> potentielle Seiende einfachhin<br />

[simpliciter], wie die erste Materie, die <strong>das</strong> Zugrundeliegende der Wesensform und der gegen<br />

sie gerichteten Beraubung [privatio] ist; sei es <strong>das</strong> potentielle Seiende als bestimmtes [secundum<br />

<strong>qu</strong>id] und in seiner typischen Daseinsäußerung [in actu simpliciter], wie ein durchscheinender<br />

Körper <strong>das</strong> Zugrundeliegende für Finsternis und Licht ist. Es ist aber offenkundig,<br />

<strong>das</strong>s die Form, wodurch etwas sein Dasein äußert [est actu], eine bestimmte Vollkommenheit<br />

und ein bestimmtes Gut ist. Und auf ähnliche Art und Weise ist jedes Seiende hinsichtlich<br />

dessen, was es sein kann und soll, wenn man es nur insoweit betrachtet, ein bestimmtes Gut,<br />

weil es auf Gutes hingeordnet ist: wie es nämlich ein Seiendes mit bestimmten Möglichkeiten<br />

und Anlagen [ens in potentia] ist, so ist es ein als Möglichkeit und Anlage gegebenes Gut<br />

[bonum in potentia]. So ergibt sich, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Zugrundeliegende des Übels ein Gut ist.<br />

Zum Ersten ist deshalb zu sagen, <strong>das</strong>s Dionysius meint, <strong>das</strong> Übel sei nicht in den existierenden<br />

Dingen wie ein Teil oder wie eine wesensmäßige [naturalem] Eigenschaft irgendeines<br />

Existierenden.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s wenn man „nichtseiend“ im Sinne einer Verneinung versteht,<br />

gar kein Zugrundeliegendes erforderlich ist. Die Beeinträchtigung [privatio] jedoch ist eine<br />

Verneinung innerhalb des Zugrundeliegenden, wie im vierten Buch der Metaphysik gesagt<br />

wird: Und ein in diesem Sinne nicht-Seiendes ist <strong>das</strong> Übel.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel nicht in demjenigen Gut, <strong>das</strong> ihm entgegengesetzt ist,<br />

als seinem Zugrundeliegenden sich befindet, sondern in einem anderen Gut: Das Zugrundeliegende<br />

der Blindheit ist nämlich nicht die Sehkraft, sondern <strong>das</strong> Lebewesen. – Es<br />

scheint dennoch, wie Augustinus sagt, hier die Regel der Dialektiker zu versagen, die besagt,<br />

<strong>das</strong>s Konträre nicht gleichzeitig sein können. Dies [Versagen] ist aber nur der Fall, wenn man<br />

Gut und Übel allgemein versteht: nicht jedoch <strong>von</strong> diesem besonderen Gut und diesem be-<br />

5


sonderen Übel her. Weiß und schwarz, süß und sauer und dergleichen Konträre werden nur<br />

als besondere verstanden: da sie ja zu gewissen festbestimmten Gattungen gehören. [Deshalb<br />

kann etwas nicht gleichzeitig weiß und schwarz sein.] Das Gute aber umschließt alle Gattungen:<br />

<strong>von</strong> daher kann ein Gut gleichzeitig sein mit der Beeinträchtigung eines anderen Gutes.<br />

Zum Vierten ist zu sagen, <strong>das</strong>s der Prophet „Wehe“ über jene ausruft, die sagen, <strong>das</strong>, was ein<br />

Gut ist, sei genau in dem, worin es gut ist, schlecht. Das aber folgt nicht aus den Voraussetzungen,<br />

wie aus dem eben Gesagten hervorgeht.<br />

Art. 4: Ob <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> ganze Gut zerstört.<br />

So gelangen wir zum Vierten. Es scheint, als zerstöre <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> ganze Gut.<br />

1. Eines <strong>von</strong> Konträren wird nämlich durch <strong>das</strong> andere völlig aufgehoben. Gut und Übel aber<br />

sind Konträre. Folglich kann <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> Gute ganz zerstören.<br />

2. Außerdem sagt Augustinus im „Enchiridion“, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel schade, insoweit es <strong>das</strong> Gute<br />

wegnimmt. Aber <strong>das</strong> Gute ist sich selbst ähnlich und gleichgestaltig. Folglich wird es völlig<br />

aufgehoben durch <strong>das</strong> Übel.<br />

3. Außerdem schadet <strong>das</strong> Übel, solange es ist, und tut dem Guten Eintrag. Aber etwas, <strong>von</strong><br />

dem ständig etwas weggenommen wird, ist irgendwann ganz erschöpft, außer es ist unendlich;<br />

was aber <strong>von</strong> keinem geschaffenen Gut gesagt werden kann. Folglich verzehrt <strong>das</strong><br />

Übel <strong>das</strong> Gute völlig.<br />

Aber dagegen steht, was Augustinus im „Enchiridion“ sagt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> Gute nicht<br />

ganz aufzehren kann.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> Gute nicht völlig aufzehren kann. Um dies<br />

einzusehen, muss man überlegen, <strong>das</strong>s es ein dreifaches Gutes gibt. Eines, welches durch<br />

<strong>das</strong> Übel völlig aufgehoben wird: und dies ist <strong>das</strong> dem Übel entgegengesetzte Gute; so<br />

wie <strong>das</strong> Licht völlig durch die Finsternis aufgehoben wird, und <strong>das</strong> Sehvermögen durch die<br />

Blindheit. Es gibt aber ein Gutes, <strong>das</strong> nicht völlig vom Übel aufgehoben und auch nicht<br />

gemindert wird: nämlich <strong>das</strong> Gut, welches <strong>das</strong> Zugrundeliegende des Übels ist; nicht<br />

wird nämlich durch die Dunkelheit <strong>das</strong> Wesen der Luft irgend vermindert. Es gibt aber auch<br />

ein Gutes, <strong>das</strong> zwar durch Übel vermindert, jedoch nicht völlig aufgehoben wird: und<br />

dieses Gut ist die Befähigung des Zugrundeliegenden zum Vollzug dessen, was es ist<br />

[habilitas subiecti ad actum].<br />

Die Verminderung dieses Gutes ist aber nicht wie ein Wegnehmen zu verstehen, wie es die<br />

Verminderung einer Menge ist: sondern im Sinne eines Zurückbleibens [remissio], wie es die<br />

Verminderung bei Eigenschaften und Wesensformen ist. Das Zurückbleiben hinter dieser<br />

[genannten] Befähigung ist zu verstehen im Sinne einer zu ihr konträren Ausdehnung [est<br />

accipienda e contrario intensioni ipsius]. Eine Befähigung dieser Art wird ausgeübt durch die<br />

Eigenschaften, mittels welcher die Materie zum Vollzug instandgesetzt wird; je mehr solcher<br />

Eigenschaften in einem Zugrundeliegenden vorhanden sind, desto mehr kann es an Vollkommenheit<br />

und Wesensform aufnehmen. Und umgekehrt wird die Befähigung durch konträr<br />

wirkende Eigenschaften beeinträchtigt [remittitur]; je mehr solche in der Materie sich<br />

vorfinden und je ausgedehntere, desto mehr sind Fähigkeit und Anlage zum Daseinsvollzug<br />

[potentia ad actum] beeinträchtigt.<br />

Wenn aber konträre Eigenschaften nicht in‘s Unendliche vermehrt und ausgedehnt werden<br />

6


können, sondern nur bis zu einer bestimmten Grenze, dann wird auch die genannte Befähigung<br />

nicht in‘s Unendliche vermindert oder beeinträchtigt [remittitur]. Wie es in den tätigen<br />

und leidenden Eigenschaften der Elemente sich zeigt: Kälte nämlich und Feuchtigkeit, durch<br />

welche die Befähigung der Materie zur Form des Feuers gemindert oder beeinträchtigt [remittitur]<br />

wird, können nicht in‘s Unendliche mehr werden. – Wenn jedoch konträre Eigenschaften<br />

in‘s Unendliche mehr werden können, wird auch die genannte Befähigung in‘s Unendliche<br />

vermindert oder beeinträchtigt. Nicht aber wird sie völlig aufgehoben: weil sie stets<br />

in ihrer Wurzel bleibt, welche <strong>das</strong> Wesen [substantia] des Zugrundeliegenden ist. So wird<br />

dann, wenn in‘s Unendliche undurchsichtige Körper zwischen Sonne und Erdatmosphäre<br />

gebracht werden, die Befähigung der Luft zum Licht in‘s Unendliche vermindert: trotzdem<br />

wird sie niemals völlig aufgehoben, weil die Atmosphäre Luft bleibt, die gemäß ihrer Wesensnatur<br />

durchsichtig ist. Auf ähnliche Weise kann eine in‘s Unendliche gehende Anhäufung<br />

<strong>von</strong> Sünden stattfinden, durch welche stets mehr und mehr die Befähigung der Seele zur<br />

Gnade gemindert wird: diese Sünden sind gleichsam zwischen uns und Gott errichtete Hindernisse,<br />

gemäß jenem Isaias-Vers 59,2: „Unsere Sünden haben zwischen uns und Gott getrennt“.<br />

Dennoch wird <strong>von</strong> der Seele die genannte Befähigung nicht völlig weggenommen:<br />

weil sie aus ihrer Wesensnatur folgt.<br />

Zum Ersten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gut, welches dem Übel entgegensteht, völlig aufgehoben<br />

wird: aber andere Güter werden nicht völlig aufgehoben, wie gesagt wurde [im corpus articuli].<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s die genannte Befähigung <strong>das</strong> Vermittelnde ist zwischen dem<br />

Zugrundeliegendem und seinem Daseinsvollzug. Daher wird sie, insoweit sie den Daseinsvollzug<br />

betrifft, durch <strong>das</strong> Übel gemindert: aber insoweit es <strong>das</strong> Zugrundeliegende betrifft,<br />

bleibt sie. Deshalb, wenn <strong>das</strong> Gute auch in sich ähnlich ist, wird es dennoch nicht völlig aufgehoben,<br />

weil es ja auf Verschiedenes bezogen wird.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s einige, die sich die Beeinträchtigung des besagten Gutes so<br />

ähnlich vorgestellt haben wie die Verringerung einer Menge, sagten, <strong>das</strong>s, wie <strong>das</strong> <strong>St</strong>etige<br />

in’s Unendliche geteilt wird, dann, wenn man eine Teilung nach jenem Verhältnis [in‘s Unendliche]<br />

macht (also [immer wieder] die Hälfte vom Halben oder <strong>das</strong> Drittel vom Dritteil<br />

nimmt), es auch hier so der Fall sei. – Aber dieses Argument passt hier nicht. Denn bei einer<br />

Teilung, in der immer dieselbe Proportion eingehalten wird, wird immer weniger und weniger<br />

abgezogen: weniger nämlich ist die Hälfte des Halben als die Hälfte des Ganzen. Aber in<br />

Betreff der Sünde ist es nicht notwendig, <strong>das</strong>s sie weniger <strong>von</strong> der genannten Befähigung<br />

wegnimmt als die vorige: sondern vielleicht gleich viel oder mehr. – Man muss also sagen,<br />

<strong>das</strong>s jene Befähigung, wenn sie auch etwas Endliches ist, dennoch in‘s Unendliche vermindert<br />

wird, nicht an sich selbst, sondern durch äußere Umstände, weil ja konträre Eigenschaften<br />

auch in‘s Unendliche wachsen können, wie gesagt wurde.<br />

Art. 5: Ob <strong>das</strong> Übel in ausreichender Weise in Schuld und <strong>St</strong>rafe eingeteilt wird.<br />

So gelangen wir zum Fünften. Es scheint, <strong>das</strong>s es nicht zureichend ist, <strong>das</strong> Übel in <strong>St</strong>rafe und<br />

Schuld einzuteilen.<br />

1. Jeder Mangel scheint nämlich ein gewisses Übel zu sein. Aber in allen Geschöpfen besteht<br />

der gewisse Mangel, <strong>das</strong>s sie sich im Sein nicht erhalten können, welcher Mangel doch weder<br />

<strong>St</strong>rafe noch Schuld ist. Folglich wird <strong>das</strong> Übel nicht zureichend in <strong>St</strong>rafe und Schuld eingeteilt.<br />

7


2. Außerdem: In den vernunftlosen Wesen findet sich weder Schuld noch <strong>St</strong>rafe. Aber man<br />

findet in ihnen Verderbnis und Mangel, die doch zum Übel gehören. Folglich ist nicht jedes<br />

Übel <strong>St</strong>rafe oder Schuld.<br />

3. Außerdem: Die Versuchung ist ein gewisses Übel. Aber sie ist doch keine Schuld: weil<br />

„eine Versuchung, der nicht nachgegeben wird, nicht Sünde ist, sondern <strong>St</strong>off zur Übung der<br />

Tugend“ wie es im Kommentar zu 2 Kor 12,7 heißt [?]. Sie ist auch keine <strong>St</strong>rafe: denn die<br />

Versuchung geht der Schuld vorher, die <strong>St</strong>rafe aber folgt ihr nach. Unzureichend ist es deshalb,<br />

<strong>das</strong> Übel nur in <strong>St</strong>rafe und Schuld einzuteilen.<br />

Aber dagegen scheint es, als sei die Unterscheidung [zwischen Übel als Schuld und Übel als<br />

<strong>St</strong>rafe] überflüssig. Wie nämlich Augustinus im „Enchiridion“ sagt, heißt alles <strong>das</strong> ein Übel,<br />

was Schaden anrichtet. Was aber schadet, ist <strong>von</strong> der Art einer <strong>St</strong>rafe. Alles Übel fällt folglich<br />

unter den Begriff <strong>St</strong>rafe.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel, wie vorhin gesagt wurde, eine Beraubung des<br />

Guten ist, <strong>das</strong> grundsätzlich und aus sich heraus in Vollkommenheit und Vollzug [dessen,<br />

was es ist] besteht. Der Vollzug [actus] aber ist doppelt: erster und zweiter. Der erste Vollzug<br />

ist die Wesensform und Unversehrtheit der Sache: Der zweite Vollzug aber ist <strong>das</strong> Wirken.<br />

Deshalb kann <strong>das</strong> Übel <strong>von</strong> zweierlei Art sein. Einmal durch Beeinträchtigung der Wesensform<br />

oder irgendeines Teiles, der zur Unversehrtheit der Sache erforderlich ist; wie die<br />

Blindheit ein Übel ist oder <strong>das</strong> Fehlen einer Gliedmaße. Zum anderen durch Beeinträchtigung<br />

des gehörigen Wirkens; entweder weil es gar nicht stattfindet; oder weil es gehöriges Maß<br />

und Ordnung nicht hat.<br />

Weil ja nun <strong>das</strong> Gute überhaupt Gegenstand des Willens ist, findet sich <strong>das</strong> Übel, welches<br />

eine Beraubung des Guten ist, auf eine besondere Weise in den vernunftbegabten, mit Willen<br />

ausgestatteten Geschöpfen. Deshalb ist <strong>das</strong> Übel, <strong>das</strong> in der Beeinträchtigung der Wesensform<br />

oder der Unversehrtheit einer Sache [d. h. hier: des Willens] besteht, <strong>St</strong>rafe; und dies<br />

vor allem unter der Voraussetzung, <strong>das</strong>s alles der göttlichen Vorsehung und Gerechtigkeit<br />

unterworfen ist, wie oben gezeigt wurde: Denn es gehört zum Begriff der <strong>St</strong>rafe, <strong>das</strong>s sie dem<br />

Willen zuwiderläuft. Das Übel aber, <strong>das</strong> in der Beeinträchtigung des gehörigen Wirkens in<br />

willensabhängigen Dingen besteht, ist Schuld. Es wird jemandem nämlich als Schuld zugerechnet,<br />

wenn er hinter der vollkommenen Handlung zurückbleibt, deren Vollbringung in der<br />

Macht seines Willens stünde [cuius dominus est secundum voluntatem]. So ist deshalb jedes<br />

Übel in Willensdingen entweder <strong>St</strong>rafe oder Schuld.<br />

Zum Ersten ist daher zu sagen: Das Übel ist eine Beraubung des Guten, nicht jedoch seine<br />

reine Verneinung, wie oben gesagt wurde. Deshalb ist nicht jedes Zurückbleiben hinter dem<br />

Guten ein Übel, sondern nur <strong>das</strong> Zurückbleiben hinter demjenigen Guten, <strong>das</strong> angeboren ist<br />

und gehabt werden muss. Das Fehlen des Sehvermögens ist schließlich kein Übel beim <strong>St</strong>ein,<br />

wohl aber beim Tier: denn es ist gegen <strong>das</strong> Wesen des <strong>St</strong>eines, ein Sehvermögen zu haben. In<br />

ähnlicher Weise ist es gegen <strong>das</strong> Wesen des Geschöpfes, <strong>von</strong> sich selbst im Sein gehalten zu<br />

werden: denn <strong>das</strong>selbe gibt und erhält <strong>das</strong> Sein. Von daher ist jener Mangel kein Übel für <strong>das</strong><br />

Geschöpf.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>St</strong>rafe und Schuld nicht <strong>das</strong> Übel überhaupt einteilen, sondern<br />

nur <strong>das</strong> Übel in den willensabhängigen Dingen.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s die Versuchung, insofern sie eine Verlockung zum Übel be-<br />

8


deutet, im Versucher immer ein Übel der Schuld ist. Im Versuchten aber ist sie es nicht eigentlich,<br />

außer er wird [durch die Versuchung] irgendwie verändert: so [d. h., ohne <strong>das</strong>s der<br />

Versuchte der Versuchung nachgibt und sich so verändert] ist sie nämlich die Handlung des<br />

Handelnden in einem [bloß] Leidenden. Insofern jedoch der Versuchte vom Versucher zum<br />

Schlechten verwandelt wird, fällt er in Schuld [begeht er selber die schuldhafte Handlung].<br />

Art. 6: Ob die <strong>St</strong>rafe mehr <strong>von</strong> Übel ist als die Schuld.<br />

So gelangen wir zum Sechsten. Es scheint, <strong>das</strong>s die <strong>St</strong>rafe mehr <strong>von</strong> Übel ist als die Schuld.<br />

1. Die Schuld verhält sich nämlich zur <strong>St</strong>rafe wie <strong>das</strong> Verdienst zum Lohn. Aber der Lohn hat<br />

mehr vom Guten an sich als <strong>das</strong> Verdienst, weil er dessen Ziel ist. Folglich ist die <strong>St</strong>rafe mehr<br />

<strong>von</strong> Übel als die Schuld.<br />

2. Außerdem: Jenes ist <strong>das</strong> größere Übel, <strong>das</strong> dem größeren Gut entgegengesetzt ist. Aber die<br />

<strong>St</strong>rafe, wie gesagt wurde [im Art. 5], ist dem Gut des Handelnden entgegengesetzt: die<br />

Schuld jedoch dem Gut der Handlung. Weil nun aber der Handelnde besser ist als die Handlung,<br />

scheint es, als sei die <strong>St</strong>rafe übler als die Schuld.<br />

3. Außerdem: Die Beeinträchtigung des Zieles, welche Mangel an göttlicher Schau heißt, ist<br />

eine <strong>St</strong>rafe. Das Übel der Schuld hingegen liegt in der Beraubung der Hinordnung auf <strong>das</strong><br />

Ziel [nicht in der Beraubung des Zieles selber]. Folglich ist die <strong>St</strong>rafe ein größeres Übel als<br />

die Schuld.<br />

Aber dagegen steht, <strong>das</strong>s der weise Künstler geringeres Übel zur Vermeidung eines größeren<br />

einsetzt; wie der Arzt ein Glied abschneidet, damit nicht der [ganze] Körper zugrundegehe.<br />

Gottes Weisheit aber setzt die <strong>St</strong>rafe zum Zweck der Vermeidung der Schuld ein. Folglich ist<br />

die Schuld ein größeres Übel als die <strong>St</strong>rafe.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s die Schuld mehr <strong>von</strong> Übel ist als die <strong>St</strong>rafe: und nicht<br />

nur als die fühlbare <strong>St</strong>rafe, die in der Beraubung körperlicher Güter besteht, welcher Art<br />

man mehrere <strong>St</strong>rafen kennt; sondern als <strong>St</strong>rafe ganz allgemein, insofern auch die Beraubung<br />

an Gnade oder ewiger Herrlichkeit <strong>St</strong>rafen sind. Das hat einen doppelten Grund.<br />

Der erste besteht darin, <strong>das</strong>s jemand durch <strong>das</strong> Übel der Schuld schlecht wird, nicht jedoch<br />

durch <strong>das</strong> Übel der <strong>St</strong>rafe; nach jenem Spruch des Dionysius im vierten Kapitel der Schrift<br />

„Von den Göttlichen Namen“: „Bestraft werden ist kein Übel, aber <strong>das</strong> der <strong>St</strong>rafe würdig<br />

Werden“. Und dies ist deswegen so, weil – da <strong>das</strong> Gute überhaupt in der Verwirklichung besteht<br />

und nicht in der bloßen Möglichkeit, die äußerste Verwirklichung aber die Handlung ist<br />

oder der Gebrauch all der Sachen, über die man verfügt – <strong>das</strong> Gut des Menschen überhaupt in<br />

der guten Handlung oder im guten Gebrauch dessen, worüber er verfügt, besteht. 2 Man benützt<br />

die Sachen aber gemäß dem Willen. Daher wird der Mensch durch den guten Willen,<br />

mit dem er sich des Verfügbaren auf rechte Weise bedient, guter Mensch genannt; und durch<br />

den schlechten Willen schlechter. Es kann nämlich jemand, der schlechten Willens ist, auch<br />

<strong>das</strong> Gute, über <strong>das</strong> er verfügt, schlecht benützen; wie wenn der Grammatikkundige willentlich<br />

unrichtig spricht. Weil aber Schuld im ungeordneten Willensvollzug besteht, die <strong>St</strong>rafe<br />

aber in der Beraubung an dem, dessen der Wille sich bedient, ist die Schuld mehr <strong>von</strong> Übel<br />

als die <strong>St</strong>rafe.<br />

2 „verfügt“: Diese Formulierung verdanke ich der dt. Ausgabe Summe der Theologie, hgg. <strong>von</strong> Joseph Bernhart,<br />

Bd. I (<strong>St</strong>uttgart 1985 [Körners Taschenausgabe, Bd. 105] 217).<br />

9


Der zweite Grund kann daraus gewonnen werden, <strong>das</strong>s Gott der Urheber des Übels der<br />

<strong>St</strong>rafe ist, nicht aber des Übels der Schuld. Der Grund dafür liegt darin, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel der<br />

<strong>St</strong>rafe <strong>das</strong> Gut der Kreatur verdirbt: sei es, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gut der Kreatur als etwas Geschaffenes<br />

verstanden wird, wie die Blindheit <strong>das</strong> Sehvermögen verdirbt; sei es ein ungeschaffenes Gut,<br />

wie durch <strong>das</strong> Entbehren der göttlichen Schau <strong>das</strong> ungeschaffene Gut der Kreatur aufgehoben<br />

wird. Das Übel der Schuld jedoch ist eigentlich dem ungeschaffenen Gut entgegengesetzt: es<br />

richtet sich nämlich gegen die Erfüllung des göttlichen Willens und gegen die göttliche Liebe,<br />

mit welcher <strong>das</strong> göttliche Gut in sich selbst geliebt wird: und nicht nur in der Hinsicht,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Geschöpf an ihm Anteil hat. So wird klar, <strong>das</strong>s die Schuld mehr <strong>von</strong> Übel ist als die<br />

<strong>St</strong>rafe.<br />

Zum Ersten ist daher zu sagen, <strong>das</strong>s, wenn auch die Schuld auf die <strong>St</strong>rafe hintreibt, wie <strong>das</strong><br />

Verdienst auf den Lohn, die Schuld dennoch nicht wegen der <strong>St</strong>rafe begangen wird, wie <strong>das</strong><br />

Verdienst um des Lohnes willen erworben wird: sondern eher umgekehrt wird die <strong>St</strong>rafe verhängt,<br />

um der Schuld vorzubeugen. Und so ist die Schuld schlechter als die <strong>St</strong>rafe.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s die Ordnung des Handelns, die durch die Schuld aufgehoben<br />

wird, ein vollkommeneres Gut des Handelnden ist (weil es die zweite Vollendung ausmacht),<br />

als <strong>das</strong> Gut, <strong>das</strong> durch die <strong>St</strong>rafe aufgehoben wird (und <strong>das</strong> nur die erste Vollendung ausmacht).<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s zwischen Schuld und <strong>St</strong>rafe nicht <strong>das</strong> Verhältnis <strong>von</strong> Ziel und<br />

Hinordnung auf <strong>das</strong> Ziel besteht, weil beides auf gewisse Weise beeinträchtigt werden kann,<br />

sowohl durch die Schuld wie durch die <strong>St</strong>rafe. Durch die <strong>St</strong>rafe dadurch, <strong>das</strong>s der Mensch<br />

vom Ziel und <strong>von</strong> der Hinordnung auf <strong>das</strong> Ziel zurückgehalten wird: durch die Schuld jedoch<br />

dadurch, <strong>das</strong>s jene Beraubung zu einer Handlung gehört, die nicht auf <strong>das</strong> gehörige Ziel hingeordnet<br />

ist.<br />

Quaestio 49: Von der Ursache des Übels<br />

Art. 1: Ob <strong>das</strong> Gute Ursache des Übels sein kann.<br />

So gelangen wir zum Ersten: Es scheint, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gute nicht Ursache sein kann des Übels.<br />

1. Es sagt nämlich Matth, 7,18: Nicht kann ein guter Baum schlechte Früchte hervorbringen.<br />

2. Außerdem kann eines <strong>von</strong> [zwei] Konträren nicht die Ursache des anderen sein. Das Übel<br />

aber ist <strong>das</strong> Konträre zum Guten. Folglich kann <strong>das</strong> Gute nicht die Ursache des <strong>Böse</strong>n sein.<br />

3. Außerdem geht eine beeinträchtigte Wirkung nur aus einer beeinträchtigten Ursache hervor.<br />

Das Übel aber, wenn es eine Ursache hat, ist eine beeinträchtigte Wirkung. Folglich hat<br />

es eine beeinträchtigte Ursache. Aber alle Beeinträchtigung ist ein Übel. Folglich ist die Ursache<br />

des Übels nur <strong>das</strong> Übel [nicht jedoch <strong>das</strong> Gute].<br />

4. Außerdem sagt Dionysius im vierten Kapitel der Schrift „Von den göttlichen Namen“, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Übel keine Ursache habe. Folglich ist [auch] nicht <strong>das</strong> Gute die Ursache des Übels.<br />

Dagegen aber spricht, was Augustinus in „Contra Iulianum“ sagt: Es gibt überhaupt nichts,<br />

woraus <strong>das</strong> Übel entstehen kann, außer aus dem Guten.<br />

10


Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s es notwendig ist, zu sagen, <strong>das</strong>s jedes Übel auf irgendeine<br />

Weise eine Ursache habe. Das Gute ist eine Beeinträchtigung [Beschädigung] des<br />

Guten, <strong>das</strong> dazu entstanden ist, <strong>das</strong>s man es hat, und <strong>das</strong> gehabt werden muss. Dass aber etwas<br />

hinter seiner natürlichen und gehörigen Veranlagung zurückbleibt, kann nur aus irgendeiner<br />

Ursache heraus vorkommen, welche diese Sache aus ihrem Veranlagungsbereich herauszieht:<br />

Nicht wird nämlich <strong>das</strong> Schwere in die Höhe bewegt, außer durch etwas <strong>St</strong>oßendes,<br />

und auch der Handelnde versagt in seiner Handlung nur wegen irgendeiner Behinderung.<br />

Ursache zu sein kann aber nur dem Guten zukommen: weil ja nichts Ursache sein kann, außer<br />

insoweit es seiend ist, alles Seiende aber ist als solches gut. Und wenn wir die besonderen<br />

Arten <strong>von</strong> Ursachen betrachten, so bedeuten <strong>das</strong> Bewirkende und die Form und der Zweck<br />

eine gewisse Vollkommenheit, die zum Wesen des Guten gehört: und sogar auch die Materie,<br />

insofern sie die Möglichkeit zum Guten ist, gehört zum Bereich des Guten.<br />

Und so ist auch schon aus den Voraussetzungen klar, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gute die Ursache des Übels<br />

im Sinne der Materialursache ist: es wurde nämlich gezeigt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gute <strong>das</strong> Zugrundeliegende<br />

des Übels ist. Eine Formalursache aber hat <strong>das</strong> Übel nicht: Denn es ist eher eine<br />

Beraubung der Form. Und in ähnlicher Weise [hat <strong>das</strong> Übel] auch keine Finalursache: sondern<br />

es ist eher eine Beeinträchtigung der Hinordnung auf <strong>das</strong> gehörige Ziel; nicht nur <strong>das</strong><br />

Ziel gehört zum Guten, sondern auch <strong>das</strong> Nützliche, <strong>das</strong> auf <strong>das</strong> Ziel hingeordnet ist. Das<br />

Übel aber hat eine Ursache nach Art des Bewirkenden: nicht jedoch <strong>von</strong> sich her, sondern<br />

<strong>das</strong> ist ihm äußerlich.<br />

Um dies einzusehen, muss man wissen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel in der Tätigkeit auf andere Weise<br />

verursacht ist, als in der Wirkung. In der Tätigkeit kommt es nämlich zum Übel wegen des<br />

Versagens [der Beeinträchtigung] irgendeines der Prinzipien, auf denen die Tätigkeit beruht,<br />

sei es dessen, woraus die Tätigkeit ihren Ausgang nimmt, sei es der Werkzeuge, mit denen<br />

die Tätigkeit durchgeführt wird: Wie <strong>das</strong> Versagen in der Bewegung des Lebewesens wegen<br />

der Schwäche der bewegenden Kraft vorkommen kann, wie bei noch nicht Ausgewachsenen<br />

Jungen; oder bloß wegen der Ungeeignetheit des Werkzeugs, wie bei den Lahmen. – Das<br />

Übel aber in irgendeiner Sache, nicht freilich in dem, was ein Tätiges ureigen hervorbringt,<br />

wird manchmal aus der Kraft des Tätigen verursacht; manchmal aus der Beeinträchtigung<br />

dieser selbst, oder [aus einer Beeinträchtigung] der Materie. Aus der Tätigkeitskraft oder der<br />

Vollkommenheit des Tätigen aber dann, wenn auf die vom Tätigen beabsichtigte Form notwendigerweise<br />

die Beeinträchtigung einer anderen Form folgt; wie auf die Form des Feuers<br />

die Beraubung der Form der Luft oder des Wassers folgt. So wie deshalb <strong>das</strong> Feuer, je vollkommener<br />

es in seiner Kraft ist, umso vollkommener seine Form [anderem] aufprägt, so zerstört<br />

es auch umso vollkommener sein Gegenteil: Von daher stammen <strong>das</strong> Übel und die Verderbnis<br />

<strong>von</strong> Luft und Wasser aus der Vollkommenheit des Feuers. Aber dies ist dem Feuer<br />

äußerlich: weil ja <strong>das</strong> Feuer nicht beabsichtigt, die Form des Wassers zu berauben, sondern<br />

nur, seine eigene Form hineinzubringen 3 ; aber indem es dieses [aus sich heraus, per se] tut,<br />

verursacht es jenes nebenher [d. h. nicht aus seiner eigenen Intention heraus, per accidens]. –<br />

Aber wenn es ein Versagen in der eigenen Wirkung des Feuers gibt, indem es z. B. nicht richtig<br />

wärmt, so geschieht dies entweder wegen eines Versagens der Tätigkeit, <strong>das</strong> auf den Defekt<br />

eines ihrer Prinzipien zurückgeht, wie gesagt worden ist; oder aus dem Unvermögen des<br />

<strong>St</strong>offes [Materie], der die Tätigkeit des tätigen Feuers nicht richtig aufnimmt. Aber eben dieses<br />

versagende Sein geschieht dem Gut, dem es an sich zukommt, tätig zu sein [dem <strong>das</strong> Versagen<br />

also nur per accidens zukommt]. Daher also ist es wahr, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel auf keine Weise<br />

verursacht ist, als äußerlich [<strong>das</strong> Übel ist Nebeneffekt des intendierten Guten]. So<br />

aber ist <strong>das</strong> Gute Ursache des Übels.<br />

3 Beides geht nicht: Darin besteht <strong>das</strong>, was Leibniz <strong>das</strong> malum metaphysicum nennt.<br />

11


Zum Ersten ist deshalb zu sagen, <strong>das</strong>s, wie Augustinus im „Contra Iulianum“ sagt: der Herr<br />

den bösen Willen einen schlechten Baum nennt, und einen guten Baum den guten Willen.<br />

Aus einem guten Willen wird keine moralisch schlechte Handlung hervorgebracht: weil ja<br />

gerade wegen der Gutheit des Willens die moralische Handlung als gut beurteilt wird. Aber<br />

dennoch wird sogar die Bewegung des bösen Willens <strong>von</strong> der vernünftigen Kreatur verursacht,<br />

die gut ist. Und so ist sie die Ursache des [moralischen] Übels.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gute nicht jenes Übel verursacht, <strong>das</strong> ihm gegenüber<br />

konträr ist, sondern ein anderes: Wie die Güte des Feuers <strong>das</strong> Übel für <strong>das</strong> Wasser verursacht<br />

[nicht für <strong>das</strong> Feuer]; und wie der <strong>von</strong> seinem Wesen her gute Mensch <strong>das</strong> moralische Übel 4 .<br />

Und dies nur nebenher, wie gesagt worden ist [im corpus articuli]. – Es finden sich sogar<br />

Fälle, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> eine <strong>von</strong> [zwei] Konträren <strong>das</strong> andere nebenher verursacht: Wie die Kälte<br />

dem, der draußen umhergeht, wärmer macht, insofern die Wärme in‘s Innere zurückgezogen<br />

wird.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel eine [je] andere beeinträchtigte Ursache in Willensdingen<br />

und Naturdingen hat. Das natürliche Tätige nämlich führt seine Hervorbringung genau<br />

in der Beschaffenheit herauf, wie es selbst beschaffen ist, wenn <strong>das</strong> nicht <strong>von</strong> etwas Äußerem<br />

verhindert wird: Und gerade dies ist ein gewisser Mangel an ihm. Daher folgt niemals ein<br />

Übel in der Hervorbringung, wenn nicht irgendein anderes Übel im Tätigen oder im <strong>St</strong>offe<br />

schon da ist, wie gesagt worden ist. Aber in Willensdingen geht der Mangel der Tat aus dem<br />

Willen hervor, der in seiner Ausübung mangelhaft ist, insoweit er sich in seinem Tätigsein<br />

nicht seiner Regel unterwirft. Welcher Mangel jedoch keine Schuld ist: sondern die Schuld<br />

folgt daraus, <strong>das</strong>s er mit solchem Mangel handelt.<br />

Zum Vierten ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel keine Ursache an sich selbst hat, sondern nur nebenher,<br />

wie gesagt wurde.<br />

Art. 2: Ob <strong>das</strong> höchste Gut, <strong>das</strong> Gott ist, die Ursache des <strong>Böse</strong>n sei.<br />

So gelangen wir zum Zweiten. Es scheint, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> höchste Gut, welches Gott ist, die Ursache<br />

des Übels sei.<br />

1. Es heißt nämlich bei Isaias 45,6f: Ich bin der Herr und es ist kein anderer Gott, der ich <strong>das</strong><br />

Licht forme und die Finsternisse schaffe, den Frieden mache und <strong>das</strong> Übel schaffe. Und A-<br />

mos 3,6: Wird es ein Übel im Volk geben, <strong>das</strong> Gott nicht gemacht hätte?<br />

2. Außerdem wird die Wirkung der Zweitursachen auf die Erstursache zurückgeführt. Das<br />

Gute ist aber die Ursache des <strong>Böse</strong>n, wie gesagt wurde [Art. 1]. Deshalb, da alles Guten Ursache<br />

Gott ist, wie oben gezeigt wurde, folgt, <strong>das</strong>s auch alles Übel <strong>von</strong> Gott ist.<br />

3. Außerdem, wie es im Buch II der Physik [des Aristoteles] heißt, ist <strong>das</strong>selbe die Ursache<br />

des Heiles wie der Gefahr für ein Schiff. Aber Gott ist die Ursache des Heiles aller Dinge.<br />

Folglich ist er auch die Ursache allen Verderbens und allen Übels.<br />

Dagegen aber steht, <strong>das</strong>s Augustinus im Buche der dreiundachtzig Fragen sagt, <strong>das</strong>s Gott<br />

nicht der Urheber des Übels ist, weil er nicht die Ursache des <strong>St</strong>rebens zum Nichtsein ist.<br />

4 Er macht nicht sein Wesen als Mensch schlecht, sondern nur sein Verhalten.<br />

12


Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s (wie aus dem Gesagten klar ist) <strong>das</strong> Übel, welches im<br />

Mangel der Tätigkeit besteht, immer durch einen Mangel des Tätigen verursacht ist. In Gott<br />

aber ist kein Mangel, sondern höchste Vollkommenheit, wie oben gezeigt worden ist. Deshalb<br />

wird <strong>das</strong> Übel, <strong>das</strong> im Mangel der Tätigkeit besteht, oder aus einem Mangel des<br />

Tätigen verursacht ist, nicht [zu Recht] auf Gott als Ursache zurückgeführt.<br />

Aber <strong>das</strong> Übel, <strong>das</strong> in der Verdorbenheit [Verfälschung, Vernichtung, Zerfall] irgendwelcher<br />

Dinge besteht, wird [zu Recht] auf Gott als Ursache zurückgeführt. Und<br />

<strong>das</strong> zeigt sich im Natürlichen wie im Willentlichen. Es wurde nämlich gesagt [Art. 1], <strong>das</strong>s<br />

irgendein Tätiges, insoweit es durch seine [spezifische] Tätigkeitskraft irgendeine Form hervorbringt,<br />

auf welche Zerstörung und Beeinträchtigung folgen, durch seine eigene Tätigkeitskraft<br />

jene Zerstörung und Beeinträchtigung verursacht. Offenkundig ist aber, <strong>das</strong>s die Form,<br />

welche Gott <strong>von</strong> Anfang an und in erster Linie [principaliter, <strong>von</strong> primum und capere] in den<br />

geschaffenen Dingen beabsichtigt, <strong>das</strong> Gut der Ordnung des Alls ist [bonum ordinis universi].<br />

Die Ordnung des Alls aber erfordert, wie oben gesagt wurde [<strong>qu</strong>. 48, art. 2], <strong>das</strong>s es einiges<br />

gibt, was mangelhaft sein kann und bisweilen tatsächlich mangelhaft ist. Und so verursacht<br />

Gott, indem er in den Dingen <strong>das</strong> Gut der Ordnung des Alls verursacht, als Folge und gleichsam<br />

als Begleiterscheinung [per accidens] die Verdorbenheit der Dinge; entsprechend jenem<br />

Schriftwort im Ersten Buch der Könige 2,6: „Der Herr tötet und macht lebendig“. Aber was<br />

im Buch der Weisheit 1,13 gesagt wird, <strong>das</strong>s Gott den Tod nicht geschaffen habe, ist so zu<br />

verstehen, <strong>das</strong>s er ihn nicht als solchen [per se] beabsichtigt [sondern als Begleiterscheinung<br />

in Kauf genommen] hat. 5 – Zur Ordnung des Alls gehört aber auch die Ordnung der Gerechtigkeit,<br />

die erfordert, <strong>das</strong>s den Sündern <strong>St</strong>rafe auferlegt wird. Und demzufolge ist Gott der<br />

Urheber des Übels, <strong>das</strong> <strong>St</strong>rafe ist: nicht jedoch des Übels, <strong>das</strong> die Schuld darstellt, aus dem<br />

oben angeführten Grund [Anfang des corpus articuli und 48, 6].<br />

Zum Ersten ist daher zu sagen, <strong>das</strong>s jene Autoritäten vom Übel der <strong>St</strong>rafe reden, nicht jedoch<br />

vom Übel, <strong>das</strong> die Schuld darstellt.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s eine mangelhafte Wirkung der Zweitursache nur hinsichtlich<br />

dessen, was sie an Sein und Vollkommenheit besitzt, auf die nicht beeinträchtigte Erstursache<br />

zurückgeht: nicht jedoch hinsichtlich dessen, was sie an Mangelhaftigkeit an sich hat. So wie<br />

<strong>das</strong>, was an Bewegung im Hinken ist, <strong>von</strong> der Bewegungskraft verursacht wird; aber was an<br />

Schiefheit in ihm ist, stammt nicht aus der Bewegungskraft, sondern aus der Verkrümmung<br />

des Schenkelknochens. Und ähnlich wird, was auch immer einer schlechten Handlung an<br />

Seinskraft und Tätigkeit zukommt, auf Gott als Ursache zurückgeführt: Was dort aber Mangel<br />

ist, wird nicht <strong>von</strong> Gott, sondern <strong>von</strong> der versagenden Zweitursache verursacht<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s der Untergang des Schiffes dem Seemann als der Ursache zugeschrieben<br />

wird, insofern er <strong>das</strong> zum Heil des Schiffes Erforderliche nicht getan hat. Gott<br />

jedoch versagt nicht darin, <strong>das</strong> zu tun, was zum Heile notwendig ist. Deshalb liegt hier keine<br />

Ähnlichkeit vor [zwischen dem Seemann, der in Personalunion Ursache des Heiles wie des<br />

Unheils für <strong>das</strong> Schiff sein kann; und Gott, der nur zum Heile wirkt].<br />

Art. 3: Ob es ein höchstes Übel gebe, <strong>das</strong> die Ursache allen Übels ist.<br />

So gelangen wir zum Dritten. Es scheint, <strong>das</strong>s es ein höchstes Übel gibt, <strong>das</strong> die Ursache al-<br />

5 <strong>Thomas</strong> zufolge geht der Leib <strong>von</strong> Natur aus zwangsläufig der schließlichen Auflösung entgegen, auch im Paradies. Die<br />

Unsterblichkeit Adams vor dem Sündenfall war ein übernatürliches Gnadengeschenk, <strong>das</strong> durch den Fall der Ureltern verloren<br />

ging. Vgl. die <strong>deutsch</strong>e Ausgabe der Summe der Theologie, hgg. <strong>von</strong> Joseph Bernhart, Bd. I, 221 Anmerkung 3.<br />

13


len Übels ist.<br />

1. Konträre Wirkungen haben nämlich konträre Ursachen. Nun aber finden sich in den Dingen<br />

Konträre, gemäß jenem Schriftwort aus dem Buch Ecclesiastes 33,15: „Gegen <strong>das</strong> Übel<br />

ist <strong>das</strong> Gute, und gegen <strong>das</strong> Leben der Tod; und so auch gegen den Gerechten der Sünder.“<br />

Folglich gibt es konträre Urgründe, einen für <strong>das</strong> Gute, den anderen für <strong>das</strong> Übel.<br />

2. Außerdem, wenn eines der Konträren wirklich existiert, dann auch <strong>das</strong> andere, wie im<br />

Zweiten Buche „De caelo et de mundo“ [des Aristoteles] gesagt wird. Nun aber existiert <strong>das</strong><br />

höchste Gut wirklich, <strong>das</strong> die Ursache alles Guten ist, wie oben gezeigt worden ist. Deshalb<br />

gibt es auch ein ihm entgegengesetztes höchstes Übel, als Ursache allen Übels.<br />

3. Außerdem, wie in den Dingen Gutes und Besseres gefunden wird, so Übles und Übleres.<br />

Aber gut und besser wird im Hinblick auf ein Bestes gesagt. Folglich werden auch übel und<br />

übler im Hinblick auf ein höchstes Übel gesagt.<br />

4. Außerdem, alles, was durch Teilhabe existiert, geht auf <strong>das</strong> zurück, was seinem Wesen<br />

nach ist. Aber die Dinge, die bei uns schlecht sind, sind nicht <strong>von</strong> ihrem Wesen her übel,<br />

sondern durch Teilhabe [sie sind übel durch Verfälschung, nicht an sich]. Folglich muss etwas<br />

sein, <strong>das</strong> <strong>von</strong> seinem Wesen her höchstes Übel ist, und <strong>das</strong> die Ursache allen Übels ist. 6<br />

5. Außerdem, alles, was [einer Sache] äußerlich zukommt, geht zurück auf <strong>das</strong>, was [ihr] dem<br />

Wesen nach zukommt. Nun kommt es aber dem Guten äußerlich zu, die Ursache des <strong>Böse</strong>n<br />

zu sein. Also muss man ein höchstes Übel ansetzen, <strong>das</strong> die wesentliche Ursache der Übel ist.<br />

– Auch kann nicht gesagt werden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel keine Ursache <strong>von</strong> sich her habe, sondern<br />

nur äußerlich: weil daraus folgen würde, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel nicht bei den meisten, sondern nur<br />

den wenigeren [Exemplaren einer Art] vorkommt.<br />

6. Außerdem wird <strong>das</strong> Übel der Wirkung auf <strong>das</strong> Übel der Ursache zurückgeführt: weil eine<br />

mangelhafte Wirkung ja <strong>von</strong> einer mangelhaften Ursache stammt, wie oben gesagt worden ist<br />

[1, 2]. Nun kann man hier aber nicht in‘s Unendliche gehen. Folglich ist s erforderlich, ein<br />

erstes Übel anzusetzen, <strong>das</strong> Ursache allen Übels ist.<br />

Dagegen aber steht, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> höchste Gut die Ursache alles Seienden ist, wie oben gezeigt<br />

worden ist. Folglich kann es keinen ihm entgegengesetzten Urgrund geben, der die Ursache<br />

der Übel wäre.<br />

Ich antworte, <strong>das</strong>s zu sagen sei, <strong>das</strong>s aus dem Vorangegangen klar wird, <strong>das</strong>s es keinen ersten<br />

Urgrund der Übel gibt, wie es einen Urgrund der Güter gibt. Zuerst deswegen, weil<br />

der erste Urgrund der Güter seinem Wesen nach gut ist, wie oben gezeigt worden ist. Denn<br />

nichts kann <strong>von</strong> seinem Wesen her übel sein: Es ist nämlich gezeigt worden [48, 3], <strong>das</strong>s jedes<br />

Seiende, insofern es ist, gut ist; und <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel nicht ist, außer in einem Gut als<br />

Zugrundeliegendem.<br />

Zweitens deswegen, weil der Urgrund der Güter <strong>das</strong> höchste und vollkommene Gut ist, <strong>das</strong><br />

in sich alle Gutheit enthält, wie oben gezeigt worden ist. Ein höchstes Übel aber kann nicht<br />

sein: weil ja, wie gezeigt worden ist, wenn auch <strong>das</strong> Übel <strong>das</strong> Gute immer [weiter] vermin-<br />

6 Die Antwort des <strong>Thomas</strong> wird sein, <strong>das</strong>s ein Gut nicht schlecht wird durch Teilhabe an einem „Höchsten Übel“ – einem<br />

gemeinsamen „Übel“, <strong>das</strong> alle einzelnen Übel erst übel macht –, sondern dadurch, <strong>das</strong>s die eigentlich und allein stattfindende<br />

Teilhabe, nämlich die am Guten, zwar erfolgt, aber mangelhaft ausfällt (einer Beraubung unterliegt). Die „Teilhabe“ an<br />

einer Mangelhaftigkeit ist keine Teilhabe an einem „etwas“.<br />

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dert, es dieses dennoch niemals gänzlich aufzehren kann [<strong>qu</strong>. 48, art. 4]; und so, da stets ein<br />

Gutes übrigbleibt, kann es nichts geben, <strong>das</strong> insgesamt und vollkommen übel wäre. Weswegen<br />

der Philosoph im IV. Buch der Ethik sagt, <strong>das</strong>s, wenn ein vollständig Übles wäre, es sich<br />

selbst zerstören würde: weil, wenn alles Gute zerstört ist (was zur Ganzheit des Übels gefordert<br />

wäre), auch <strong>das</strong> Übel verschwunden wäre, dessen Zugrundeliegendes ja ein Gut ist.<br />

Drittens deswegen, weil der Begriff des Übels dem Begriff des ersten Urgrunds widerstreitet.<br />

Schließlich wird ja alles Üble aus einem Gut heraus verursacht, wie oben gezeigt worden<br />

ist [<strong>qu</strong>. 49, art. 1]. Und schließlich kann <strong>das</strong> Üble nicht Ursache sein, außer per accidens [äußerlich]:<br />

und so kann es nicht erste Ursache sein, weil die Ursache per accidens später ist als<br />

die Ursache per se, wie im II. Buch der Physik [des Aristoteles] klar wird.<br />

Diejenigen aber, die zwei Urgründe angenommen haben, einen guten und einen üblen, gerieten<br />

in diesen Irrtum aus derselben Wurzel heraus, aus welcher auch andere befremdliche<br />

Auffassungen der Alten entstanden sind: sie dachten nämlich nicht die allumfassende Ursache<br />

des ganzen Seins, sondern lediglich spezielle Ursachen für die Wirkungen bestimmter<br />

Teilbereiche. Und deswegen, wenn sie eine Sache fanden, die durch die Kraft ihres Wesens<br />

einer anderen Sache schädlich war, hielten sie <strong>das</strong> Wesen jener Sache für übel: so wie wenn<br />

jemand sagt, <strong>das</strong> Wesen des Feuers sei übel, weil es <strong>das</strong> Haus eines Armen verbrennt. – Das<br />

Urteil über die Güte einer Sache kann man aber nicht aus ihrem Bezug [secundum ordinem]<br />

auf irgendetwas Einzelnes [innerhalb des Universums] gewinnen; sondern aus ihr selbst und<br />

ihrem Bezug auf <strong>das</strong> ganze Universum, in welchem jede beliebige Sache ihren höchst geordneten<br />

Platz einhält, wie aus dem Gesagten erhellt.<br />

Ähnlich auch, wenn welche zwei spezielle konträre Ursachen für zwei spezielle konträre<br />

Wirkungen erfahren haben, so dachten sie nicht daran, die speziellen konträren Ursachen auf<br />

die gemeinsame allumfassende Ursache zurückführen. Und so urteilten sie, <strong>das</strong>s bis zu den<br />

ersten Gründen eine Kontrarietät [Gegensätzlichkeit] in den Ursachen bestünde. – Aber weil<br />

alle Konträren in einem Gemeinsamen zusammentreffen [in der Gattung und im Zugrundeliegenden],<br />

ist es notwendig, in ihnen, über die jeweils eigenen konträren Ursachen hinaus,<br />

eine gemeinsame Ursache zu finden: so wie über die konträren Eigenschaften der [irdischen]<br />

Elemente hinaus die Kraft des Himmelskörpers gefunden wird. 7 Und auf ähnliche Weise wird<br />

über allem, welches auf welche Weise auch immer ist, ein einziger erster Urgrund des Seins<br />

gefunden, wie oben gezeigt worden ist.<br />

Zum Ersten ist zu sagen, <strong>das</strong>s Konträre der Gattung nach zusammenfallen und ebenso dem<br />

Seinsgrund nach. Und so, wenn sie auch konträre Ursachen haben mögen, so muss man dennoch<br />

schließlich zu einer gemeinsamen ersten Ursache kommen.<br />

Zum Zweiten ist zu sagen, <strong>das</strong>s Beraubung und Haben naturgemäß in Bezug auf <strong>das</strong>selbe<br />

stattfinden. Das Zugrundeliegende der Beraubung aber ist <strong>das</strong> Sein in seinen Daseinsmöglichkeiten<br />

und Anlagen [in potentia], wie gesagt worden ist [48, 3]. Daher, wenn <strong>das</strong> Übel die<br />

Beraubung des Guten ist, wie aus dem Gesagten klar ist [48, 3], ist es demjenigen Gut entgegengesetzt,<br />

dem es zukommt, auch als Möglichkeit und Anlage zu existieren [cui adiungitur<br />

potentia]: nicht aber dem höchsten Gut, <strong>das</strong> immer schon reine Wirklichkeit ist.<br />

Zum Dritten ist zu sagen, <strong>das</strong>s jedes nach der ihm eigenen Logik [ratio] verstanden werden<br />

muss. Wie aber die Form eine gewisse Vollkommenheit [Vollendetheit] ist, so ist die Beraubung<br />

[die Mangelhaftigkeit] ein gewisses Zurückfallen. Deshalb werden jede Form, jede<br />

7 Himmelskörper haben nach dem Aristoteles eine reine Kreisbewegung an sich ohne Entgegensetzung (Kontrarietät). Deshalb<br />

können sie (ihm zufolge) nicht aus den vier Elementen bestehen, wie die irdischen Körper, denn irdische Körper können<br />

entgegengesetzte Bewegungen vollziehen (indem sie <strong>von</strong> der Kreislinie abweichen). Vgl. Summa theologiae I <strong>qu</strong>. 66,<br />

art. 2 (corpus articuli).<br />

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Vollkommenheit und jedes Gut als Zugehen auf einen vollendeten Endzustand verstanden:<br />

Beraubung aber und Übel als Sichentfernen vom [vollendeten] Endzustand. Daher wird übel<br />

und übler nicht als Zugehen auf ein höchstes Übel verstanden, wie gut und besser als Zugehen<br />

auf ein höchstes Gut verstanden werden.<br />

Zum Vierten ist zu sagen, <strong>das</strong>s kein Seiendes ein Übel aus Teilhabe [an einem „höchsten Ü-<br />

bel“] genannt wird, sondern aus der Mangelhaftigkeit der Teilhabe [am Guten]. Deshalb darf<br />

man keine Rückführung auf etwas unternehmen, <strong>das</strong> <strong>von</strong> seinem Wesen her schlecht wäre.<br />

Zum Fünften ist zu sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel keine andere Ursache haben kann als eine äußerliche<br />

[d. h. eben nicht dem Wesen der üblen Sache entsprechende: Keine Sache ist jemals übel,<br />

sondern wenn sie übel geworden ist, ist sie nicht mehr die Sache, die sie – eigentlich, an sich<br />

– ist], wie oben gezeigt worden ist [Art. 1]. Daher ist es unmöglich, eine Rückführung auf<br />

etwas zu machen, was <strong>von</strong> seinem Wesen her Ursache des <strong>Böse</strong>n wäre. – Dass aber gesagt<br />

wird, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Übel in den meisten ist, ist schlechthin falsch. Denn die Wesen, die entstehen<br />

und vergehen, in denen allein natürliches Übel vorkommen kann, sind nur ein kleiner Teil des<br />

Alls. Und außerdem kommt in jeder Art der natürliche Mangel bei wenigen vor. Nur bei den<br />

Menschen scheint <strong>das</strong> Übel bei den meisten vorzukommen: weil <strong>das</strong> Gut des Menschen hinsichtlich<br />

der Sinne nicht <strong>das</strong> Gut des Menschen als Menschen, d. h. als Vernunftwesen, ist;<br />

mehr aber folgen dem Sinn als der Vernunft.<br />

Zum Sechsten ist zu sagen, <strong>das</strong>s man bei den Ursachen des <strong>Böse</strong>n nicht in‘s Unendliche gehen<br />

darf: sondern alle Übel müssen auf irgendeine gute Ursache zurückgeführt werden, aus<br />

welcher dann <strong>das</strong> Übel äußerlich [nicht dem Wesen nach] folgt.<br />

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