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Arbeitsbelastung - Lehrerinnen und Lehrer Bern LEBE

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dossier schulpraxis 8<br />

<strong>Arbeitsbelastung</strong><br />

Werden die Reserven knapp?<br />

L E H R E R I N N E N U N D L E H R E R B E R N<br />

E n s e i g n a n t e s e t e n s e i g n a n t s B e r n E


dossier schulpraxis<br />

1<br />

<strong>Arbeitsbelastung</strong><br />

Werden die Reserven knapp?<br />

Sind Lehrpersonen objektiv betrachtet<br />

hoch belastet oder überlastet?<br />

1. Einführung<br />

Laut einem verbreiteten Klischee sind <strong>Lehrer</strong>Innen überbezahlt, faul <strong>und</strong> haben<br />

eine Menge Ferien. Die Realität sieht anders aus. In den Medien häufen<br />

sich Berichte über randalierende Schulklassen, ausgebrannte <strong>Lehrer</strong>Innen <strong>und</strong><br />

vermehrte Frühpensionierungen. Die Beratungsstellen sind mit dramatischen<br />

Fällen konfrontiert. In Studien ist die Rede von hoch belasteten, psychisch <strong>und</strong><br />

physisch angeschlagenen Lehrkräften – <strong>und</strong> das zu einem Zeitpunkt, zu dem<br />

die Schule nicht nur hohen Ansprüchen genügen muss, sondern auch mit<br />

vielen Veränderungen konfrontiert ist.<br />

Wenn man die zusätzlichen St<strong>und</strong>en, die an Schulen für die Vorbereitung<br />

von Projekten, Elterngesprächen <strong>und</strong> Koordinationssitzungen aufgewendet<br />

werden, zuzsammenzählte, würde mancher Angestellter mit 42-St<strong>und</strong>en-<br />

Woche staunen. Die Pflichtst<strong>und</strong>enzahl der Lehrkräfte wurde in den letzten<br />

Jahren heraufgesetzt. Eine finanzielle Entschädigung dafür gab es nicht. Und<br />

jedes Jahr kommen neue Aufgaben dazu. <strong>Lehrer</strong>Innen sind hohen <strong>und</strong> nicht<br />

ausreichend kompensierten seelischen <strong>und</strong> körperlichen Anforderungen ausgesetzt.<br />

Über wenige Berufsjahrzehnte hinweg führen diese Bedingungen<br />

zu einem Verschleiss an psychischer <strong>und</strong> physischer Leistungsfähigkeit <strong>und</strong><br />

zwingen einen beachtlichen Teil der Lehrkräfte zum beruflichen Time-out oder<br />

vorzeitigen Ende ihres Erwerbslebens.<br />

Sind Lehrpersonen objektiv betrachtet hoch belastet oder überlastet? Wie<br />

sehen erfolgsversprechende Vorsorge- <strong>und</strong> Behandlungsmassnahmen aus?<br />

Welchen Beitrag müssen Betroffene, SchulleiterInnen <strong>und</strong> die politischen Behörden<br />

leisten, damit die berufstypischen Belastungen nicht im Burnout enden?<br />

Diesen Fragen gehen wir in diesem Dossier Schulpraxis aus wissenschaftlicher<br />

Sicht nach <strong>und</strong> suchen Antworten.<br />

2. Begriffsklärung <strong>und</strong> erste Fakten<br />

Arbeitszufriedenheit<br />

Unter Arbeitszufriedenheit versteht man in der Organisationspsychologie die<br />

Einstellung einer Person gegenüber ihrer Arbeit. Je höher die Zufriedenheit,<br />

umso weniger wird geleistete Arbeit als verlorene Zeit, sondern als Bereicherung<br />

empf<strong>und</strong>en. Die Arbeitszufriedenheit steht in engem Zusammenhang mit der<br />

Arbeitsmotivation. Ist beides nicht mehr vorhanden, erscheint der Angestellte<br />

zwar noch am Arbeitsplatz, kann aber die Leistung nicht mehr erbringen:<br />

der absolute Nullpunkt der Arbeitszufriedenheit. Man spricht dann auch von<br />

«innerer Kündigung».<br />

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dossier schulpraxis<br />

2<br />

Nach Bruggemann ist Arbeitszufriedenheit das Ergebnis eines inneren<br />

Vergleichs der erfahrenen Umwelt mit den eigenen Ansprüchen. Demnach<br />

entwickelt sich einerseits aus äusseren Einflüssen die innere Erfahrung einer<br />

Situation. Andererseits entsteht durch die Erziehung <strong>und</strong> Vergangenheit<br />

eines Menschen <strong>und</strong> aus seinen persönlichen Ansprüchen ein gewünschter<br />

Soll-Zustand. Die Übereinstimmung resp. Abweichung dieser beiden Bilder<br />

ergeben nach Bruggemann Arbeitszufriedenheit oder -unzufriedenheit.<br />

Äussere Einflüsse<br />

z.B. Gesetzgebung<br />

<br />

Erlebte Merkmale<br />

der eigenen<br />

Situation<br />

<br />

Ist-Wert<br />

<br />

Ausmass der Arbeitszufriedenheit<br />

bzw.<br />

-unzufriedenheit<br />

<br />

Äussere Einflüsse<br />

z.B. Erziehung<br />

<strong>und</strong> Umwelt<br />

<br />

Persönliche<br />

Ansprüche<br />

<br />

Soll-Zustand<br />

Grafiken: Bruggemann<br />

Sollen wir lange arbeiten, um<br />

uns neben erholsamen Ferien alle<br />

anderen Annehmlichkeiten gönnen<br />

zu können, oder wenig arbeiten,<br />

um die verlängerte Freizeit zu<br />

geniessen?<br />

Dem Ausgleich zwischen Arbeit <strong>und</strong> Freizeit ist ein Konflikt immanent: Sollen<br />

wir lange arbeiten, um uns neben erholsamen Ferien alle anderen Annehmlichkeiten<br />

gönnen zu können, oder wenig arbeiten, um die verlängerte Freizeit<br />

zu geniessen? Auf die Frage nach Luxus geben die einen materielle Dinge an,<br />

für andere ist wahrer Luxus schlicht Zeit. Diese unterschiedlichen Haltungen<br />

verdeutlichen die Schwierigkeit, einen Ausgleich zwischen Arbeit <strong>und</strong> Freizeit im<br />

Rahmen gesellschaftlicher <strong>und</strong> ökonomischer Zwänge zu erreichen. Sprichworte<br />

wie «erst die Arbeit, dann das Vergnügen» sind nichts anderes als verbalisierte<br />

Normen unserer leistungsorientierten Erwerbsgesellschaft.<br />

In seiner berühmten Pyramide hat der amerikanische Psychologe Abraham<br />

Maslow 1958 die Rangfolge menschlicher Bedürfnisse vom nackten Überleben<br />

bis zum (immateriellen) Luxus dargestellt. Sie verdeutlicht den Wunsch des<br />

Menschen nach Entwicklung: vom Arbeitstier zum Kulturwesen; vom wirtschaftlichen<br />

Zwang hin zur Selbstbestimmung <strong>und</strong> -verwirklichung.<br />

Work-Life-Balance<br />

Der Begriff Work-Life-Balance stellt ein komplexes Themengebiet in der wissenschaftlichen<br />

Auseinandersetzung dar. Beschäftigt man sich mit dieser Ausgeglichenheit,<br />

ist es erforderlich, gr<strong>und</strong>legende Überlegungen zu den beiden<br />

Begriffspaaren «Arbeit» <strong>und</strong> «Freizeit» anzustellen. Die Begriffe Arbeits- <strong>und</strong><br />

Lebenszufriedenheit als Indikatoren für Wohlbefinden sind in der Arbeits- <strong>und</strong><br />

Organisationspsychologie nicht eindeutig definiert. Wir gehen hier von Arbeitszufriedenheit<br />

(AZ) als einer gefühls- <strong>und</strong> erkenntnisbezogenen Empfindung<br />

aus, die Teilaspekt der Lebenszufriedenheit (LZ) ist. Das Modell verdeutlicht,<br />

dass die AZ sich auf einen kurzen bis mittleren Zeithorizont bezieht, während<br />

die LZ ein langfristiger Prozess ist.<br />

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dossier schulpraxis<br />

3<br />

Laut den empirischen Untersuchungen von Diener (1984) korreliert AZ mit<br />

allgemeiner LZ <strong>und</strong> gilt daher als arbeitsbezogene Komponente des Wohlbefindens.<br />

Nach Hackman <strong>und</strong> Oldham haben die Wichtigkeit (Relevanz) der Arbeitsaufgabe<br />

<strong>und</strong> die Identifikation mit derselben, Autonomie <strong>und</strong> Feedback über<br />

das Arbeitsergebnis eine positive Wirkung auf die AZ. Für eine befriedigende<br />

Work-Life-Balance steht also nicht nur die kurzfristige (tägliche, wöchentliche)<br />

AZ im Vordergr<strong>und</strong>, sondern die Sinngebung <strong>und</strong> Befriedigung eines ganzen<br />

Arbeitslebens.<br />

Arbeitszufriedenheit<br />

➠<br />

Lebens-<br />

zufriedenheit<br />

➠<br />

Wohlbefinden<br />

Arbeitszufriedenheit ist<br />

überwiegend einstellungs- <strong>und</strong><br />

motivationsbedingt, während Stress<br />

<strong>und</strong> Burnout stärker von externen<br />

Belastungsfaktoren abhängig sind.<br />

Neben dem wirtschaftlichen Fortkommen verschafft Arbeit dem Menschen<br />

Strukturen innerhalb seiner Lebenszeit <strong>und</strong> in der Gesellschaft <strong>und</strong> ist – zumindest<br />

in der Phase des Erwerbslebens – wichtig(st)er Bestandteil seines<br />

Selbstverständnisses.<br />

• Zeitstrukturierung: Arbeit strukturiert die Lebenszeit, so z.B. offensichtlich<br />

in den rein arbeitszeitbezogenen Begriffen wie Freizeit, Urlaub, Rente.<br />

• Kooperation <strong>und</strong> Kontakt: Arbeit mit anderen Menschen schafft soziale<br />

Kontakte <strong>und</strong> fördert kooperative <strong>und</strong> kommunikative Fähigkeiten.<br />

• Soziale Anerkennung: Reflexion der eigenen <strong>und</strong> der zusammen mit<br />

anderen erbrachten Leistung kann das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung<br />

befriedigen.<br />

• Identität <strong>und</strong> Selbstwertgefühl: Berufsrolle, Arbeitsaufgabe sowie das<br />

Bewusstsein über die eigene berufliche Qualifikation können das Selbstwertgefühl<br />

<strong>und</strong> die Selbstverwirklichung fördern.<br />

<strong>Arbeitsbelastung</strong><br />

Unter <strong>Arbeitsbelastung</strong> versteht man die Gesamtheit aller Einflüsse, die in<br />

einem Arbeitssystem auf den Menschen einwirken. Die <strong>Arbeitsbelastung</strong> fasst<br />

die Teilbelastungen aus der Arbeitsumwelt zusammen <strong>und</strong> umfasst quantitativ<br />

erfassbare <strong>und</strong> quantitativ nicht erfassbare Faktoren. Quantifizierbare Teilbelastungen<br />

(Überst<strong>und</strong>en) werden auch als Belastungsgrössen bezeichnet. Nur<br />

qualitativ erfassbare Teilbelastungen (z.B. grössere Verantwortung) bezeichnet<br />

man als Belastungsfaktoren (vgl. auch: Ergonomie, Arbeitsschutz, Arbeits- <strong>und</strong><br />

Organisationspsychologie).<br />

Burnout-Syndrom<br />

Der Begriff Burnout («Ausbrennen») wurde im klinischen Bereich durch den<br />

amerikanischen Psychoanalytiker Freudenberger (1974) eingeführt. Er umschrieb<br />

mit Burnout berufliche Belastungssymptome von Therapeuten freier<br />

Drogenkliniken, die am Beginn ihrer Tätigkeit grosses Engagement für ihre<br />

Arbeit aufzeigten, nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit jedoch physisch<br />

<strong>und</strong>/oder psychisch «zusammenbrachen».<br />

Das Burnout-Syndrom ist eine Belastungsreaktion auf chronischen Stress<br />

am Arbeitsplatz. Dabei gibt es drei Kernsymptome: Erstens eine emotionale<br />

Erschöpfung, d.h. man ist häufig müde <strong>und</strong> abgespannt, hat keine Energie<br />

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dossier schulpraxis<br />

4<br />

Vom Burnout bedrohte Menschen<br />

haben die Fähigkeit verloren,<br />

nach Arbeitsschluss innerlich<br />

Abstand zu gewinnen. Sie haben<br />

meist ein unterentwickeltes<br />

Privatleben <strong>und</strong> büssen daher ihre<br />

Erholungsfähigkeit ein.<br />

Burnout erleiden Personen, die<br />

bei der Arbeit besonders hohe<br />

Ansprüche an sich stellen, die zum<br />

Perfektionismus neigen <strong>und</strong> sich<br />

übermässig engagieren.<br />

mehr <strong>und</strong> entwickelt psychosomatische Beschwerden. Zweitens distanziert<br />

man sich zunehmend von der Arbeit <strong>und</strong> sieht keinen Sinn mehr in der eigenen<br />

Tätigkeit. Schliesslich verliert man das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

erlebt ein Gefühl beruflichen Versagens.<br />

«Die Gefahr eines Burnout ist besonders gross, wo Menschen bei ständigem<br />

hohem Einsatz nur wenig Erfolge der eigenen Arbeit sehen oder wo es<br />

keine Anerkennung für den geleisteten Einsatz gibt. Ein solcher Dauerzustand<br />

des Zuviel-Gebens <strong>und</strong> Zuwenig-Bekommens kann in der betreffenden Person<br />

liegende Ursachen haben. Es können aber auch in den Arbeitsbedingungen<br />

Gründe vorliegen. Meist ist es eine Mischung aus beidem. Burnout erleiden<br />

Personen, die bei der Arbeit besonders hohe Ansprüche an sich stellen, die<br />

zum Perfektionismus neigen <strong>und</strong> sich übermässig engagieren.» (Bauer)<br />

83% aller Arbeitskräfte in der Schweiz fühlen sich laut einer aktuellen Studie<br />

des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) gestresst. Eine allgemeine Statistik<br />

über Burnout-Fälle gibt es bislang nicht, auch nicht im internationalen Rahmen.<br />

Vorläufige Ergebnisse der Universitätsklinik Zürich zeigen, dass bis zu 25% der<br />

Mitarbeitenden in der psychiatrischen Versorgung in hohem Masse unter emotionaler<br />

Erschöpfung leiden. Ein internationaler Review konstatiert zudem, dass<br />

Burnout seit den ersten Studien in den 1980er Jahren im Ansteigen begriffen<br />

ist, <strong>und</strong> führt dies auf steigende <strong>Arbeitsbelastung</strong>en in den letzten zehn Jahren<br />

zurück. Ein Bef<strong>und</strong>, den die seco-Studie zu Stressbelastungen in der Schweiz<br />

teilt. Burnout-Prävention ist also aktueller denn je.<br />

Stressbedingte Beschwerden kosten die Schweiz jährlich 4,2 Milliarden<br />

Franken. Das sind 1,2% des Bruttoinlandsprodukts. Burnout <strong>und</strong> seine Folgen<br />

sind für ein grosses Stück dieses Kuchens verantwortlich. Besonders hohe Kosten<br />

entstehen, wenn Burnout lange nicht erkannt wird <strong>und</strong> sich in der Folge<br />

psychische Erkrankungen, wie z.B. eine Depression entwickeln. Den Löwenanteil<br />

der Kosten, nämlich 95%, machen gemäss einer aktuellen englischen Studie<br />

Absenzen <strong>und</strong> Produktivitätseinbussen aus. Burnout ist also nicht nur aus<br />

medizinischer Sicht ein Problem, sondern auch ein nicht zu unterschätzender<br />

Wirtschaftsfaktor.<br />

Das Syndrom kam ins Blickfeld der Medien, nachdem einige Fälle unter<br />

Sportlern, Musikern <strong>und</strong> Politikern bekannt wurden. Der Jazz-Pianist Herbie<br />

Hancock hat eine jahrelange Zwangspause eingelegt, der Rapper Eminem<br />

eine Tournee abgesagt. In der Schweiz wurde die Krankheit breiter bekannt,<br />

nachdem der Kabarettist Marco Rima <strong>und</strong> der ehemalige FDP-Präsident Rolf<br />

Schweiger ihre Erkrankung öffentlich machten.<br />

3. Wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

«Die recht häufig gestellte <strong>und</strong> diskutierte Frage, ob <strong>Lehrer</strong>Innen objektiv<br />

überbelastet seien, lässt sich [...] kaum eindeutig beantworten» (Rudow 1990,<br />

S. 80). Dieses Zitat verdeutlicht, wie schwierig dem Thema wissenschaftlich<br />

beizukommen ist. Studien zur Befindlichkeit der <strong>Lehrer</strong>Innen haben Konjunktur.<br />

(Hingegen gibt es z.B. kaum Studien zur Belastung von Bauarbeitern.) Es gibt<br />

zahlreiche Studien mit arbeitspsychologischen, medizinischen oder pädagogisch-didaktischen<br />

Schwerpunkten, wobei die meisten dieser Arbeiten jeweils<br />

nur einen Aspekt in den Vordergr<strong>und</strong> rücken: Zufriedenheit oder Belastung<br />

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5<br />

<strong>und</strong> – damit verb<strong>und</strong>en – die Gefahr von Burnout? Es zeigt sich aber, dass die<br />

beiden Begriffe untrennbar miteinander verknüpft sind.<br />

Hohe Belastungen können durchaus<br />

mit hoher Berufszufriedenheit<br />

einhergehen.<br />

In allen Untersuchungen werden<br />

gleichgültige <strong>und</strong> demotivierte<br />

SchülerInnen als höchste<br />

empf<strong>und</strong>ene Belastung genannt.<br />

Lehrkräfte – hoch zufrieden <strong>und</strong> belastet<br />

Thomas Bieri vom Institut für Pädagogik der Universität <strong>Bern</strong> hat in seiner<br />

Studie (Sind <strong>Lehrer</strong> überlastet, <strong>Bern</strong> 2002) beide Konzepte mit einbezogen:<br />

Wie hängen Belastung <strong>und</strong> Zufriedenheit im Lehrberuf zusammen? Verlassen<br />

Lehrpersonen ihren Beruf, weil sie damit unzufrieden sind? Sind Frauen die<br />

besseren Lehrpersonen? Ist Berufszufriedenheit ein Schutz vor Kündigungen?<br />

Um diese Fragen zu beantworten, hat Bieri während mehreren Jahren über<br />

3000 Lehrpersonen in den Kantonen Freiburg, Aargau <strong>und</strong> Luzern befragt<br />

– solche, die kündigten, <strong>und</strong> solche, die ihre Stelle behielten. Eine der Kernaussagen<br />

der Studie lautet: «Hohe Belastungen können durchaus mit hoher<br />

Berufszufriedenheit einhergehen.»<br />

Untermauert wird dieser Bef<strong>und</strong> in einer viel zitierten These von B. Rudow:<br />

Der Widerspruch zwischen der erlebten (hohen) Arbeitszufriedenheit<br />

als Bestandteil des Wohlbefindens <strong>und</strong> den gleichzeitig stärker ausgeprägten<br />

Stresserscheinungen ist darauf zurückzuführen, dass Arbeitszufriedenheit überwiegend<br />

einstellungs- <strong>und</strong> motivationsbedingt ist, während Stress <strong>und</strong> Burnout<br />

stärker von Belastungsfaktoren abhängig sind (S. 43). Belastung beeinflusst die<br />

Arbeitszufriedenheit erst dann stark, wenn sie hoch <strong>und</strong> anhaltend ist <strong>und</strong> die<br />

Bewältigungsaussichten gering erscheinen bzw. als gering erlebt werden. Auch<br />

J. Bauer kommt zum selben Schluss (Freiburger Schulstudie, 2004): «<strong>Lehrer</strong>Innen<br />

zeigen eine überwiegend hohe berufliche Verausgabungsbereitschaft, aber<br />

auch eine hohe Burnout-Rate.»<br />

3.1. Was belastet Lehrpersonen?<br />

Über zwei Drittel der befragten Lehrpersonen der Freiburger Schulstudie<br />

klagen über schwierige Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler. Fast die Hälfte gibt hohe<br />

Belastungen durch das Kollegium an, 40% fühlen sich diesbezüglich allein gelassen.<br />

R<strong>und</strong> ein Drittel belastet die Vorstellung, den Erwartungen von Eltern,<br />

Behörden <strong>und</strong> der Gesellschaft nicht gewachsen zu sein. Über ein Viertel fühlt<br />

sich von Reformen <strong>und</strong> Veränderungen bedroht. Sowohl Bauers Studie als auch<br />

die Untersuchungen von Bieri zeigen, dass <strong>Lehrer</strong>Innen allen voran eines auf<br />

die Nerven geht: das negative Verhalten eines Teils ihrer SchülerInnen. «Die<br />

von <strong>Lehrer</strong>Innen erlebten Hauptbelastungsfaktoren sind Klassengrösse <strong>und</strong><br />

destruktives resp. disruptives Schülerverhalten» (Bauer).<br />

Vergleicht man diese Ergebnisse mit weiteren Untersuchungen von Bieri in<br />

den Kantonen Zürich, Luzern, Genf, Waadt <strong>und</strong> Freiburg, zeigt sich die gleiche<br />

Verteilung bezüglich Schulstufe <strong>und</strong> Ausmass der Belastungen: In allen Untersuchungen<br />

werden gleichgültige <strong>und</strong> demotivierte SchülerInnen als höchste<br />

empf<strong>und</strong>ene Belastung genannt (vgl. dazu auch Kramis-Aebischer). Häufigste<br />

Belastungsfaktoren sind nach Bieri:<br />

• negatives Verhalten von SchülerInnen<br />

• Klassengrösse, Schülerzahl<br />

• Erwartungshaltung der Eltern<br />

• ausserunterichtliche Faktoren<br />

• Reformen <strong>und</strong> Veränderungen<br />

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6<br />

Die von <strong>Lehrer</strong>Innen erlebten<br />

Hauptbelastungsfaktoren sind<br />

Klassengrösse <strong>und</strong> destruktives resp.<br />

disruptives Schülerverhalten.<br />

Lehrkräfte, die grosse Klassen<br />

unterrichten, fühlen sich durch<br />

diesen Umstand sehr stark belastet<br />

<strong>und</strong> sind mit der Grösse ihrer Klasse<br />

auch äusserst unzufrieden.<br />

3.1.1. Störendes Verhalten von SchülerInnen<br />

Die grösste Belastungsquelle innerhalb des Unterrichts sind die vielen verhaltensauffälligen<br />

oder -gestörten Kinder in den Klassen. Immer mehr SchülerInnen<br />

legen im Klassenzimmer ein nachweislich interruptives, d.h. den<br />

Ablauf störendes oder sogar destruktives Verhalten an den Tag. Der Katalog<br />

der «Störmanöver» reicht von Arbeitsverweigerung, Hyperaktivität <strong>und</strong> Konzentrationsmängel<br />

über Passivität <strong>und</strong> Desinteresse bis hin zu unsozialem<br />

Verhalten <strong>und</strong> Tätlichkeiten gegenüber MitschülerInnen <strong>und</strong> Lehrpersonen.<br />

Klar ist, dass es Schulstreiche bereits früher gegeben hat. Nachgewiesen ist<br />

aber auch, dass diese an vielen Schulen mittlerweile in ihrer Heftigkeit die<br />

Toleranzgrenze deutlich überschritten haben. Gert Lohmann unterscheidet<br />

aus der Sicht von <strong>Lehrer</strong>Innen vier Kategorien von störendem Verhalten von<br />

SchülerInnen: verbales Störverhalten; mangelnder Lerneifer, Desinteresse;<br />

motorische Unruhe; aggressives Verhalten. (Lohmann: Mit Schülern klarkommen,<br />

2003, S. 13f.) Lohmann zufolge entfallen die meisten Störungen auf die<br />

drei erstgenannten Kategorien. Dabei nimmt das verbale Störverhalten eine<br />

deutliche Spitzenstellung ein. Dagegen sind aggressive Verhaltensweisen der<br />

SchülerInnen, insbesondere körperliche Gewalt, eher selten zu beobachten<br />

(ebenda, S. 13; ferner Jürgens 2000, S. 15ff.).<br />

Lehrpersonen von Klassen mit einem hohen Anteil an fremdkulturellen<br />

SchülerInnen beklagen sich über die mangelhaften Deutschkenntnisse (sehr<br />

hoher Belastungswert). Sie klagen auch vermehrt über Lärm <strong>und</strong> Unruhe <strong>und</strong><br />

über problembeladene oder sozialauffällige SchülerInnen (im Vergleich zu<br />

ihren KollegInnen mit einem geringen Anteil fremdkultureller SchülerInnen).<br />

Der Anteil fremdkultureller SchülerInnen hat demzufolge Einfluss auf die erlebte<br />

Belastung der befragten Lehrkräfte. Der Kanton Zürich ist bei der Lösung<br />

dieses Sprach- <strong>und</strong> Integrationsproblems schweizweit führend <strong>und</strong> hat mit dem<br />

Sozialindex bisher gute Resultate erzielt.<br />

3.1.2. Klassengrösse, Schülerzahl<br />

In allen Umfragen wird die Klassengrösse neben störendem Verhalten von<br />

SchülerInnen als zweit- <strong>und</strong> dritthäufigster Belastungsgr<strong>und</strong> genannt (Bieri,<br />

2004, S.187). «Lehrkräfte, die grosse Klassen unterrichten, fühlen sich durch<br />

diesen Umstand sehr stark belastet <strong>und</strong> sind mit der Grösse ihrer Klasse auch<br />

äusserst unzufrieden.» Hingegen hat die Klassengrösse keinen weiteren Einfluss<br />

auf die allgemeine Berufszufriedenheit. Bieri konnte auch nachweisen, dass die<br />

Grösse der Schule einen – allerdings geringen – Einfluss auf die empf<strong>und</strong>ene<br />

Belastung hat: Lehrkräfte in einem kleinen Kollegium empfinden weniger<br />

Belastung als solche an grossen Schulen. Dies ist umso bemerkenswerter, da<br />

die Klassengrösse ein höchst brisantes bildungspolitisches Thema ist. Etliche<br />

Lehrkräfte sind überzeugt, dass in grossen Klassen die Qualität ihrer pädagogischen<br />

Arbeit leidet.<br />

3.1.3. Weitere Belastungsfaktoren<br />

Erwartungshaltung der Eltern<br />

<strong>Lehrer</strong>Innen stehen von drei Seiten unter Erwartungsdruck: von der Öffentlichkeit<br />

(Kantone, Medien, Gesellschaft, etc.), von ihren SchülerInnen <strong>und</strong><br />

von deren Eltern. Der Einfluss <strong>und</strong> Druck der Eltern hat in den letzten Jahren<br />

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7<br />

zugenommen. Selektionsentscheide der Schule werden oft angefochten. Es<br />

gibt Fälle, wo Eltern eines nicht beförderten Schülers die Lehrperson mit einem<br />

Verfahren belasten. Die betroffene Lehrkraft hat möglicherweise juristische<br />

Unterstützung vom Berufsverband. Für ein mentales Coaching oder psychologische<br />

Entlastung fehlen der Schule häufig die Fachleute.<br />

Reformen <strong>und</strong> Veränderungen<br />

Viele befragte <strong>Lehrer</strong>Innen klagten über die vielen Reformen, die in immer<br />

kürzeren Abständen ihren gewohnten Schulalltag verändern. «Ganz allgemein<br />

wünschen sich die Lehrpersonen eine Reduktion sowohl des Tempos als auch<br />

der Menge an Reformen» (Thurgauer Studie; Kap. 3.4.4.). Reformen sind zweifellos<br />

notwendig. Offenbar gibt es aber Bereiche, wo der Reformeifer an den<br />

Bedürfnissen der Betroffenen vorbei zielt. Ein Teil der Befragten gab zudem<br />

an, das Ziel vieler Reformen nicht zu verstehen.<br />

3.1.4. Fazit<br />

Natürlich erleben alle <strong>Lehrer</strong>Innen die unterschiedlichen Belastungen individuell<br />

anders. Übereinstimmend wurden aber in allen Untersuchungen folgende<br />

Faktoren genannt:<br />

• Verhalten schwieriger SchülerInnen<br />

• grosse Klassen, hohe Schülerzahlen an der Schule<br />

• Pensenumfang, Verwaltungsaufwand<br />

Dabei wurden die drei wichtigsten Belastungsquellen wie folgt differenziert:<br />

• Am stärksten fühlen sich <strong>Lehrer</strong>Innen der Realschule belastet;<br />

• «ausserunterrichtliches» (Erwartungen der Eltern <strong>und</strong> Gesellschaft)<br />

belastet stärker als «innerunterrichtliches» (Erwartungen der Schüler-<br />

Innen, wachsende Stoffmenge);<br />

• grösste Belastung im Unterricht ist negatives Verhalten der SchülerInnen.<br />

Psychische <strong>und</strong> psychosoziale Beschwerden<br />

werden im Rahmen des Arbeitsschutzes noch<br />

nicht anerkannt. Rechtliche Folgen haben<br />

sie erst, wenn eine – vorübergehende oder<br />

endgültige – Krankschreibung erfolgt.<br />

3.2. Wie sich die Belastungen auswirken<br />

Die ges<strong>und</strong>heitlichen Beschwerden <strong>und</strong> Beeinträchtigungen, die <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

aufgr<strong>und</strong> der dargestellten Belastungen beklagen, sind sehr<br />

vielfältig. Wie Uwe Schaarschmidt in seinen Untersuchungen zeigt, signalisieren<br />

die befragten r<strong>und</strong> 8000 deutsche Lehrkräfte eine ganze Fülle<br />

von Beschwerden, die zwar nicht jeden gleichermassen treffen, die aber<br />

gleichwohl nicht wenigen Lehrpersonen an die Substanz gehen. Folgende<br />

Hauptbeschwerden kristallisieren sich heraus (Schaarschmidt, 2004, S.<br />

53): Abgespanntheit, Übermüdung; Schmerzen im Nacken, Schultern<br />

<strong>und</strong> Rücken; Vergesslichkeit, Lustlosigkeit <strong>und</strong> Überforderungserleben<br />

bis hin zu Nervosität; Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankungen,<br />

Grübelei; Durchschlafprobleme <strong>und</strong> Zerstreutheit; depressive Verstimmung,<br />

Depression. Interessant ist, dass die Höhe der Beschwerden bei Frauen in allen<br />

Punkten über denen der Männer liegt. Frauen haben in Schaarschmidts Studie<br />

mit den skizzierten Belastungsfaktoren offenbar besonders zu kämpfen.<br />

Alle diesem Dossier zugr<strong>und</strong>e liegenden Studien aus der Schweiz <strong>und</strong> aus<br />

Deutschland lassen den Schluss zu, dass r<strong>und</strong> 60% der deutschen <strong>und</strong> r<strong>und</strong><br />

die Hälfte der schweizerischen Lehrkräfte mit erheblichen ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Problemen belastet sind. Psychische <strong>und</strong> psychosoziale Beschwerden stehen<br />

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8<br />

Rückzug aus dem Berufsalltag, wenn<br />

die Belastungsgrenze erreicht ist.<br />

dabei im Vordergr<strong>und</strong>. Noch werden diese Symptome im Rahmen des Arbeitsschutzes<br />

nicht anerkannt. Arbeitsrechtliche Folgen haben sie erst, wenn eine<br />

– vorübergehende oder endgültige – Krankschreibung erfolgt. Hier besteht<br />

also dringender Handlungsbedarf. Zieht man die Zahlen der zitierten Studie<br />

aus Nordrhein-Westphalen heran, schieden 50% der <strong>Lehrer</strong>Innen wegen solcher<br />

berufsbezogener Belastungsfaktoren vorzeitig aus dem Dienst aus. Die<br />

entsprechenden Zahlen für den Kanton <strong>Bern</strong> werden seit kurzem von der BLVK<br />

nicht mehr herausgegeben.<br />

In der Bremer Schulstudie (<strong>Bern</strong>dt, 2004) wurden r<strong>und</strong> 180 <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

an fünf Bremer Schulen eine bis zwei Wochen lang in ihrem Arbeitsalltag<br />

begleitet. Die Untersuchungsergebnisse zeigen vor allem eines: Die Mehrheit<br />

der <strong>Lehrer</strong>Innen leidet unter körperlichen <strong>und</strong> seelischen Belastungsfolgen<br />

<strong>und</strong> ist ges<strong>und</strong>heitlich beeinträchtigt. Auffällig ist der geringe Erholungswert<br />

von Unterrichtspausen, so dass die psychophysische Leistungsfähigkeit der<br />

<strong>Lehrer</strong>Innen im Laufe des Tages erheblich abnimmt. Bei der Mehrzahl der<br />

Testpersonen treten dauernde ges<strong>und</strong>heitliche Schwierigkeiten auf, wie Ernährungsstörungen,<br />

Beschwerden im Bewegungsapparat oder Kreislaufprobleme.<br />

Hinzu kommen psychische Probleme, wie erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen<br />

<strong>und</strong> verminderte Konzentrationsfähigkeit. Bei vielen Lehrkräften summieren<br />

sich diese Probleme zum Burnout-Syndrom, unter dem etliche <strong>Lehrer</strong>Innen so<br />

stark leiden, dass sie vor dem Eintritt ins Rentenalter arbeitsunfähig sind.<br />

Druck <strong>und</strong> unberechtigte Kritik – auch von offizieller Seite – sind ungeeignete<br />

Mittel, die berufliche Leistung von <strong>Lehrer</strong>Innen zu verbessern. Gute<br />

pädagogische Arbeit setzt gute Arbeitsbedingungen voraus, die nach den<br />

Ergebnissen der vorgestellten Studien in vielen Details verbesserungsfähig sind<br />

(z.B. die Organisation des Schultages, des Schuljahres <strong>und</strong> des Arbeitslebens,<br />

der Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge, der Weiterbildung).<br />

Was geschieht, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist? Kann es hingenommen<br />

werden, dass in einem für Erziehung <strong>und</strong> Bildung so zentralen Beruf<br />

die Mehrzahl der Angestellten das reguläre Pensionsalter nicht erreicht? Zwar<br />

hat jede <strong>Lehrer</strong>in <strong>und</strong> jeder <strong>Lehrer</strong> individuelle Bewältigungsstrategien. Das<br />

ändert aber nichts an den Belastungen an sich. Ausserdem kann Selbsthilfe<br />

allein nicht die Antwort auf ein gesellschaftliches Problem sein. Hier sind neben<br />

den Betroffenen selbst die organisierte <strong>Lehrer</strong>schaft sowie allen voran der<br />

Arbeitgeber gefordert.<br />

4. Erkenntnisse, Folgerungen für die Praxis<br />

Die hier zitierten Untersuchungen münden in Folgerungen, die auf eine Verbesserung<br />

der beruflichen Situation von <strong>Lehrer</strong>Innen ausgerichtet sind. Erstens,<br />

wie die Betroffenen selbst dem berufsbedingten Verschleiss entgegenwirken<br />

können. Zweitens verlangen die Studien (erneut) nach bildungspolitischen<br />

Reformen. Soweit die Ursachen für das Burnout-Syndrom jetzt besser bekannt<br />

sind, sollten sie beseitigt werden: sowohl durch die <strong>Lehrer</strong>Innen bzw. das<br />

Kollegium als auch durch Massnahmen von Seiten des Arbeitgebers. Dieser ist<br />

letztlich für den Schutz seiner Angestellten vor berufstypischen Krankheiten<br />

<strong>und</strong> Unfällen zuständig. Die Folgerungen lassen sich gr<strong>und</strong>sätzlich in zwei<br />

Gruppen einteilen:<br />

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dossier schulpraxis<br />

9<br />

Einerseits können die Betroffenen<br />

dem berufsbedingten Verschleiss<br />

selbst entgegenwirken…<br />

…andererseits verlangen<br />

die Studien nach<br />

bildungspolitischen Reformen<br />

<strong>und</strong> Massnahmen von Seiten<br />

des Arbeitgebers.<br />

Stress- <strong>und</strong> Zeitmanagement-<br />

Trainings können wertvolle<br />

Fähigkeiten im Umgang mit<br />

<strong>Arbeitsbelastung</strong> vermitteln.<br />

Selbstinduzierte Massnahmen<br />

Diese sind ohne Kostenfolge oder mit geringem finanziellen Aufwand umsetzbar.<br />

Sie können zudem rasch angegangen werden, da es keiner gesetzlichen<br />

Änderung bedarf.<br />

• Ergonomie <strong>und</strong> Arbeitsökonomie: Optimieren der Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge,<br />

um die psychische <strong>und</strong> physische Leistungsfähigkeit zu erhalten. Grenzen<br />

setzen, Mut zum Nein-Sagen.<br />

• Zeit- <strong>und</strong> Selbstmanagement: Klare Abgrenzung <strong>und</strong> strikte Prioritätensetzung.<br />

Wie optimiert man einen Arbeitstag? Wie viel Vorbereitungszeit für<br />

eine Unterrichtslektion aufwenden?<br />

• Beziehungsgestaltung zwischen Schüler – <strong>Lehrer</strong>Innen – Eltern <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

– Kollegium, wirksame Teamarbeit fördern, neue Wege in kooperativem<br />

Lehren gehen.<br />

• Intelligentes Schulmanagement: Effektivere Konferenzen, Teamfortbildung,<br />

Synergien nutzen, Abbau von Verwaltungsaufwand.<br />

Fremdinduzierte Massnahmen<br />

• Niederschwellige Beratung für <strong>Lehrer</strong>Innen durch die Schulleitung, kantonale<br />

Behörden, Anlaufstellen in Gemeinden. Die Beratung muss in jedem<br />

Fall neutral sein, d.h. sie soll nicht etwa ans Mitarbeitergespräch gekoppelt<br />

sein.<br />

• Synergien nutzen: einheitliches Schulmodell für die ganze Schweiz, Taktst<strong>und</strong>enpläne,<br />

Tagesschulstrukturen, Überdenken der Zusatzaufgaben.<br />

• Administrative Unterstützung durch Hilfspersonal <strong>und</strong> Entlastung in ausserunterrichtlichen<br />

Bereichen (Sekretariat, Sozialarbeit, Psychologie, Lernhilfe,<br />

etc.). <strong>Lehrer</strong>Innen sollen sich auf ihre Kernkompetenz, das Unterrichten,<br />

konzentrieren können. Eine Bürokraft pro Schule kostet weniger als eine<br />

zusätzliche oder eine frühpensionierte Lehrkraft (vgl. auch «Bildungsbericht»<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe).<br />

• Reformen bremsen: Den mit Schulreformen, Leitbildern <strong>und</strong> Evaluationen<br />

verb<strong>und</strong>enen Organisationsaufwand reduzieren. Radikaler: vorübergehender<br />

Reformstopp zugunsten einer vertrauenbildenden Konsolidierungsphase.<br />

• Stärkere Selektion <strong>und</strong> Aufklärung der Interessenten für den Lehrberuf.<br />

Die Vorstellungen vieler PH-AbsolventInnen <strong>und</strong> die Realität erfahrener<br />

Berufsleute klaffen noch zu oft auseinander.<br />

• Bildungsausgaben: keine prozentuale Schmälerung nach unten; Löhne der<br />

Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelstufe verbessern, Berufsbild stärken, Qualität verbessern.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

An erster Stelle steht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit <strong>und</strong> Erholung.<br />

In akuten Stresssituationen ist es hilfreich, sich mittels Unterstützung<br />

von Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen oder von der Schulleitung von Aufgaben zu<br />

entlasten. Auch ein ges<strong>und</strong>er Lebensstil bezüglich Ernährung, Bewegung<br />

<strong>und</strong> Schlafhygiene stärkt die Stressresistenz <strong>und</strong> Belastbarkeit. Stress- <strong>und</strong><br />

Zeitmanagementtrainings können wertvolle Fähigkeiten im Umgang mit <strong>Arbeitsbelastung</strong><br />

vermitteln. Wichtig ist es zudem, sich regelmässig selbst den<br />

Spiegel vorzuhalten: Inwieweit stehen persönliche Ziele im Einklang mit den<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven des Berufs?<br />

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dossier schulpraxis<br />

10<br />

Zeitaufwand erfassen<br />

In der Jahresplanung sind schulische Aktivitäten <strong>und</strong> Freizeitgestaltung aufeinander<br />

abzustimmen. Es ist zu fragen, ob nicht eine Zurücknahme der eigenen<br />

Arbeitskraft sinnvoll ist. Man sollte mehr Mut haben zum Nein-Sagen: klare<br />

Abgrenzung gegenüber Aufgaben, die nicht im Pflichtenheft/Dienstauftrag<br />

stehen. Das Führen einer Arbeitszeitkontrolle ist zu empfehlen. Vor 15 Jahren<br />

galt ein Pflichtpensum/Unterrichtspensum von 27 bis 30 Lektionen als 100%<br />

Arbeitspensum. Dann kam eine neue Definition der Arbeitszeit. Das gleiche<br />

Pflichtpensum (sogar noch um eine Lektion erhöht) galt plötzlich nur noch<br />

als 85% Arbeitspensum, damit man die übrigen Aufgaben unterbringen<br />

konnte.<br />

Die Ausweitung der Zeugnisse hat<br />

u.a. dazu geführt, dass diese von<br />

den ausserschulischen Institutionen<br />

angezweifelt werden.<br />

Bewertungen reduzieren<br />

Früher genügten Zeugnisse zur Beschreibung von Schulleistungen: ein Schuljahr,<br />

eine Seite. Das genügte gewissen Schulfunktionären 2003 nicht mehr, denn<br />

das Kind sei mehr als ein knappes Dutzend Zahlen. Die Beurteilungen wurden<br />

ausgeweitet. Leistungen sollten differenzierter <strong>und</strong> qualifizierter bewertet<br />

werden. Mit entsprechendem Mehraufwand für die <strong>Lehrer</strong>Innen, der nicht<br />

honoriert wurde.<br />

Die Ausweitung der Zeugnisse hat u.a. dazu geführt, dass diese von den<br />

ausserschulischen Institutionen angezweifelt werden. Lehrmeister vieler Firmen<br />

machen mittlerweile zusätzlich eigene Leistungstests. Die Probleme mit SCHÜ-<br />

BE sind ein Lehrbeispiel dafür, wie für Lehrpersonen Mehraufwand generiert<br />

wird. Der Freiburger Heilpädagoge Winfried Kronig kommt zum Schluss, dass<br />

Leistungsbeurteilung <strong>und</strong> Leistung zu oft nicht übereinstimmen (Kronig, Die<br />

systematische Zufälligkeit des Bildungserfolgs).<br />

Konferenzen überdenken<br />

Endlose Diskussionen an Gesamtlehrerkonferenzen mit 20 oder mehr Lehrkräften<br />

sind Zeitfallen. Bewährt haben sich in vielen Kollegien Stufen- <strong>und</strong><br />

Fachkonferenzen <strong>und</strong> die Zusammenarbeit in Projekt- <strong>und</strong> Arbeitsgruppen.<br />

Dort werden Vorschläge erarbeitet, welche zur Abstimmung an die Gesamtlehrerkonferenz<br />

kommen. Über die Arbeit in kleinen Gruppen, die Zahl der<br />

Konferenzen, Inhalte, Dauer, Protokolle <strong>und</strong> Verfahren wäre nachzudenken <strong>und</strong><br />

zu überlegen, wie man diese vereinfachen, kürzen <strong>und</strong> straffen könnte.<br />

Ein gutes soziales Klima im<br />

Kollegium ist der wichtigste<br />

entlastende Faktor.<br />

Unterstützung im Kollegium<br />

Eine gute Zusammenarbeit im Kollegium gibt <strong>Lehrer</strong>Innen Halt, Anerkennung<br />

<strong>und</strong> das Gefühl, mit ihren Problemen nicht allein zu sein. Probleme des kollegialen<br />

Zusammenhaltes betreffen vor allem den Umgang mit von aussen an die<br />

Schule herangetragener Kritik an einzelnen <strong>Lehrer</strong>Innen. Offenbar verfügen nur<br />

wenige Schulen – im Sinne eines Qualitätsmanagements – über Prozesse, solche<br />

Kritik konstruktiv aufzunehmen, ohne dabei Spaltungstendenzen innerhalb des<br />

Kollegiums zu fördern. Ein weiterer Schwachpunkt in den Kollegien ist die sog.<br />

«Dysfunktionale Interaktion» verschiedener Gruppen. U. Schaarschmidt hat<br />

diese in seinem Modell «Magisches Dreieck der <strong>Lehrer</strong>ges<strong>und</strong>heit» wie folgt<br />

dargestellt: hier die überengagierten, perfektionistischen <strong>Lehrer</strong>Innen (Typ A),<br />

dort die eher zurückgezogenen Kollegen (Typ S).<br />

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dossier schulpraxis<br />

11<br />

<br />

Identität<br />

Fachliche Kompetenz<br />

Mut zum persönlichen Stil<br />

Rolle <strong>und</strong> emotionale Authentizität<br />

Beziehungsarbeit<br />

Beziehungs-Monitoring<br />

Elternverantwortung<br />

Erkennen psychischer Störungsbilder<br />

Kollegiale Unterstützung<br />

Abwehr von Spaltungsversuchen<br />

Beziehung TypA- <strong>und</strong> TypS-Fraktion<br />

Hilfe anbieten; Führungsverhalten<br />

Grafik: Schaarschmidt<br />

Unter dem Eindruck einer oft wenig<br />

unterstützenden, eher misstrauischkontrollierenden<br />

Einstellung von<br />

Eltern neigen viele <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

dazu, sich auf eine Position der<br />

«identitätslosen Unangreifbarkeit»<br />

zurückzuziehen.<br />

Die Vorstellungen vieler PH-<br />

Absolventen <strong>und</strong> die Realität<br />

erfahrener Berufsleute klaffen noch<br />

zu oft auseinander.<br />

Beziehungen pflegen<br />

In der Beziehungsgestaltung mit SchülerInnen wurde deutlich, dass <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> – nicht zuletzt unter einem verstärkten Druck von aussen – dazu<br />

neigen, die Beziehungspflege der reinen Stoffvermittlung unterzuordnen <strong>und</strong><br />

zu vernachlässigen. Dies hat letztlich jedoch negative Auswirkungen auf das<br />

Unterrichtsgeschehen. Viele <strong>Lehrer</strong>Innen sind unsicher, wie viel persönliche<br />

Authentizität sie in den Unterricht einbringen können. Unter dem Eindruck einer<br />

oft wenig unterstützenden, eher misstrauisch-kontrollierenden Einstellung von<br />

Eltern neigen viele <strong>Lehrer</strong>Innen dazu, sich auf eine Position der «identitätslosen<br />

Unangreifbarkeit» zurückzuziehen. «Ein gutes soziales Klima im Kollegium ist<br />

der wichtigste entlastende Faktor.» (Schaarschmidt)<br />

Defizite in der Beziehungsgestaltung können durch ein entsprechendes<br />

Training im Rahmen von Coaching- bzw. Supervisionsgruppen verbessert werden.<br />

Nachdem aus früheren Untersuchungen Hinweise auf positive Effekte von<br />

Coaching- bzw. Supervisionsgruppen vorlagen (Schaarschmidt, 2001, 2004),<br />

wurden im Anschluss an die Freiburger Studie eine Reihe von <strong>Lehrer</strong>Innen-Coaching-Gruppen<br />

geführt. Am häufigsten thematisiert wurden gemäss Bauer:<br />

• Beziehungsgestaltung<br />

• Probleme im Kollegium<br />

• strukturelle Rahmenbedingungen<br />

Stärkere Selektion der PH-StudentInnen<br />

Die Forschung hat gezeigt, dass die Entscheidung für den Beruf oft von unrealistischen<br />

Vorstellungen, teilweise überzogenen Idealen geprägt ist. Diese<br />

stehen mit der Berufswirklichkeit wenig in Einklang (Ulich, 1996, S.10). «Aber<br />

laut Umfragen haben viele <strong>Lehrer</strong>Innen den Beruf nicht gewählt, weil sie gern<br />

unterrichten oder mit Kindern arbeiten, sondern wegen der Arbeitsplatzsicherheit,<br />

der flexiblen Zeiteinteilung, der Ferien, des vermeintlich leichten Studiums<br />

oder des Interesses für ein bestimmtes Fach.» (Vogt, zitiert nach Kraft, 1999, S.<br />

288) Nach der Ausbildung müssten sie sich in einem Beruf «herumschlagen»,<br />

von dem sie ganz andere Vorstellungen hätten. Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

diese PH-AbsolventInnen nach Jahren im falschen Job ausbrennen <strong>und</strong> physisch<br />

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dossier schulpraxis<br />

12<br />

oder psychisch erkranken, ist relativ gross. Die Hochschulen könnten dem begegnen,<br />

indem sie die Ausbildung stärker auf folgende Faktoren fokussieren:<br />

• mehr Veranstaltungen, die einen realistischen Einblick in die spätere Berufswelt<br />

geben;<br />

• adäquate Selektionsinstrumente, um Ungeeignete vor ihrem «Unglück» zu<br />

bewahren;<br />

• vermehrt ehrliches Feedback, kritische Auseinandersetzung <strong>und</strong> angemessene<br />

Beurteilung der Leistungen der Studierenden durch die DozentInnen<br />

<strong>und</strong> die betreuenden <strong>Lehrer</strong>Innen in den Praktika.<br />

Kollegien <strong>und</strong> Schulleitungen haben<br />

umfangreiche Möglichkeiten,<br />

weniger <strong>Arbeitsbelastung</strong> <strong>und</strong><br />

mehr Arbeitszufriedenheit in den<br />

Schulalltag zu bringen.<br />

5. Schlussfolgerungen <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

Die Empfehlungen der beigezogenen Studien zeigen auf, dass eine Entlastung<br />

der Lehrpersonen möglich ist. Kollegien <strong>und</strong> Schulleitungen haben umfangreiche<br />

Möglichkeiten, weniger <strong>Arbeitsbelastung</strong> <strong>und</strong> mehr Arbeitszufriedenheit<br />

in den Schulalltag zu bringen. Die Umsetzung dieser Massnahmen ist allerdings<br />

an unterstützende Rahmenbedingungen seitens der Schulverwaltung<br />

<strong>und</strong> der Politik gekoppelt. Rahmenbedingungen, die den Akteuren an der<br />

Basis Mut <strong>und</strong> Freude für ihre Arbeit machen sollen. Die hier abgegebenen<br />

Empfehlungen sind nicht abschliessend. Sie sind nach ihrer Durchführbarkeit<br />

<strong>und</strong> Finanzierbarkeit aufgelistet.<br />

5.1. Entlastung durch Hilfspersonal<br />

Finnland kennt praktisch keine Burnout-Fälle bei <strong>Lehrer</strong>Innen. Warum ist das<br />

dort so? Dort unterrichten in der Gr<strong>und</strong>stufe teilweise zwei bis drei Personen<br />

eine Klasse. An jeder Schule werden die <strong>Lehrer</strong>Innen durch Fachpersonal<br />

unterstützt <strong>und</strong> entlastet (SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, PflegerInnen).<br />

Auffallend ist, dass Finnland parallel zur tiefen Burnout-Rate bei <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

am wenigsten Illetristen aufweist (gem. Statistik OECD-Länder). Dass das Erfolgsmodell<br />

Finnland bei der letzten PISA-Studie ganz oben lag, ist hinlänglich<br />

bekannt. Warum ist dies so, bleibt höchstens zu fragen, oder: Warum ist dies<br />

bei uns nicht so?<br />

5.2. Echte Vision, weniger Reformen<br />

Die 1985 vom Grossen Rat beschlossene Bildungsreform hat die Schule zwar<br />

modernisiert, aber auch in eine Grossbaustelle verwandelt. Ob die Bildungsinstitute<br />

am Ende dieser Reformoffensive effizienter <strong>und</strong> moderner sind, ist nach<br />

20 Jahren noch nicht absehbar. Seit 1985 sind mehr als 15 Reformen lanciert<br />

worden; die Mehrheit davon ist jedoch nicht vollständig umgesetzt.<br />

Die wichtigsten Projekte im Überblick:<br />

• 6/3-Modell<br />

• Lehrplan 95<br />

• SCHÜBE, Beurteilung 04<br />

• Aufhebung der Seminare, Aufbau der PH, tertiäre Bildung<br />

• neue Maturitätsverordnung, kant. Berufsschulen <strong>und</strong> Berufsmaturität<br />

• <strong>Bern</strong>er Fachhochschule<br />

• neue Rahmenlehrpläne Kindergarten <strong>und</strong> Maturitätsschulen<br />

• Integration<br />

• Neuorganisation der Schulaufsicht, Treffpunkte an Volksschulen<br />

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dossier schulpraxis<br />

13<br />

• Basisstufe<br />

• neues Personal- <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>anstellungsgesetz<br />

• zweite Fremdsprache in der Primarschule<br />

Ruhe <strong>und</strong> Musse für solides Lehren<br />

In den letzten Jahren haben Lehrkräfte <strong>und</strong> SchulleiterInnen also enorm viel<br />

Aufwand in Reformen gesteckt. Die Erfolgsbilanz vieler dieser Neuerungen ist<br />

zumindest durchzogen. Viele Reformen wurden eingeführt ohne abzuwarten,<br />

ob frühere auch tatsächlich Erfolge zeitigten.<br />

Das Integrationsgesetz wurde vor mehreren Jahren beschlossen, bisher<br />

aber nicht umgesetzt. Den Lehrkräften fehlen schlicht die Ressourcen, Integration<br />

unter der Prämisse der Chancengleichheit umzusetzen. Obwohl viele<br />

Schulen gute pädagogische <strong>und</strong> organisatorische Programme haben, wurden<br />

sie verpflichtet, neue nicht nur einzuführen, sonder auch ausführlich zu<br />

dokumentieren <strong>und</strong> laufend zu ergänzen. Das bedeutete neue Termine <strong>und</strong><br />

Verpflichtungen, nicht honorierten Mehraufwand.<br />

Die derzeitigen Veränderungen der Bildungspolitik haben gemäss Auskunft<br />

vieler Betroffener Unruhe – <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en auch Stress <strong>und</strong> Belastung<br />

– in die Schulen gebracht. Es könnte der verwegene Gedanke gefasst werden,<br />

einige Reformen einzufrieren, bis die neu geschaffenen Schulstrukturen sich<br />

dauerhaft etabliert haben. Die freigewordenen Mittel würden zugunsten von<br />

attraktiveren Löhnen in der Unter- <strong>und</strong> Mittelstufe sowie für den Einsatz von<br />

Hilfspersonal eingesetzt. Ob diese Umverteilung zwangsläufig zu einem Stillstand<br />

in der Schule führte, wäre zu prüfen.<br />

Bildungspolitik der Volksschule<br />

ist auch als Standortpolitik zu<br />

verstehen.<br />

5.3. Bringt mehr Geld Entlastung?<br />

Der Ruf nach mehr Mitteln wird angesichts der prekären pekuniären Lage des<br />

Kantons <strong>Bern</strong> wohl unerwidert verhallen. Trotzdem muss den Lehrkräften der<br />

Real- <strong>und</strong> Primarstufe ein Plus an wegweisender Unterstützung zufliessen.<br />

Das bedeutet, die Mittel staatlicher Bildungspolitik vermehrt von «oben nach<br />

unten» zu verschieben. Leider zeigt die letzte von den Eidgenössischen Räten<br />

beschlossene Erhöhung gerade in die andere Richtung. Nutzniesser des um<br />

r<strong>und</strong> 6% erhöhten Bildungsbudgets (2008-2011) sind die ETHZ/EPFL sowie<br />

die kantonalen Hochschulen.<br />

Man könnte sich fragen, ob es einer langfristig ausgerichteten, nachhaltigen<br />

Bildungspolitik entspricht, Forschung <strong>und</strong> Hochschulen prozentual mehr zu<br />

fördern als die unteren Schulstufen. Letztlich nimmt eine solche Priorisierung<br />

in Kauf, den Nachwuchs für jene Institutionen nicht mehr nur im eigenen<br />

Land, sondern auf dem globalisierten Wissensmarkt zu rekrutieren. Kantone<br />

<strong>und</strong> Gemeinden müssten den Wert einer qualitativ hochstehenden Volksschule<br />

erkennen. Diese sind gerade bei Gutverdienenden eines der wichtigsten<br />

Kriterien für eine Wohnsitznahme, nach Steuersatz, Verkehrsanbindung <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>stückkosten (UBS, 2007). Höhere Anteile der Ausgaben in diese Bildungsstufe<br />

fördern daher nicht nur die langfristige Versorgung der Hochschulen mit<br />

einheimischem Wissen, sondern sie fliessen als Steuersubstrat zum Teil zurück<br />

in die Kantons- <strong>und</strong> Gemeindekassen. Bildungspolitik der Volksschule ist daher<br />

auch als Standortpolitik zu verstehen.<br />

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dossier schulpraxis<br />

15<br />

Literatur<br />

Bardo, P. : The Pain of Teacher Burnout: A Case History, Delta, Phi.: Kappan, 1979.<br />

Barth, A.-R.: Burnout bei <strong>Lehrer</strong>n, Göttingen: Hogrefe, 1997.<br />

Barth, A.-R.: Was betrifft mich das «Burnout-Syndrom»? Untersuchungsergebnisse <strong>und</strong> Vorschläge zur Prävention <strong>und</strong><br />

Intervention. Sportunterricht, 44, 140-151, 1995.<br />

Bauer, J.: Die Freiburger Schulstudie, Freiburg i. Brs., 2004.<br />

<strong>Bern</strong>dt, J.: Bremer Schulstudie, 2004.<br />

Bieri, Th.: Lehrpersonen: Hoch belastet <strong>und</strong> trotzdem zufrieden? <strong>Bern</strong>: Huber, 2006.<br />

Bickhoff, M.: Psychische <strong>und</strong> körperliche Belastung bei Lehrkräften, 2000.<br />

Brähler, E., Schumacher, J. & Scheer, J. W.: Der Giessener Beschwerdebogen GBB-24, <strong>Bern</strong>: Huber, 2003.<br />

Bucher, B.: Arbeitszeit <strong>und</strong> <strong>Arbeitsbelastung</strong> der Lehrpersonen, Bildungsplanung Zentralschweiz, Luzern 2001.<br />

Buschmann, I. & Gamsjäger, E.: Determinanten des <strong>Lehrer</strong>-Burnout. Psychologie in Erziehung <strong>und</strong> Unterricht, 46, 281-<br />

292, 1999.<br />

Gamsjäger, E. & Sauer, J.: Burnout bei <strong>Lehrer</strong>n: Eine empirische Untersuchung bei Hauptschullehrern in Österreich. Psychologie<br />

in Erziehung <strong>und</strong> Unterricht, 43, 40-56., 1996.<br />

Dick, R. van: Stress <strong>und</strong> Arbeitszufriedenheit im <strong>Lehrer</strong>beruf, Marburg: Tectum, 1999.<br />

Forneck, H.: Die individualisierte Profession. Untersuchung der <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>arbeitszeit <strong>und</strong> -belastung im<br />

Kanton Zürich, 2000.<br />

Hillert, A. & Schmitz, E. (Hrsg.): Psychosomatische Erkrankungen bei <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n, Stuttgart: Schattauer,<br />

2004.<br />

Klippert, H.: <strong>Lehrer</strong>entlastung: Strategien zur wirksamen Arbeitserleichterung in Schule <strong>und</strong> Unterricht, Basel: Beltz,<br />

2006.<br />

Körner, S.: Das Phänomen Burnout am Arbeitsplatz Schule, Berlin: Logos, 2003.<br />

Kraft, A.: Das Bedürfnis nach Hilfe ist groß. Stern, 1999.<br />

Kretschmann, R. (Hrsg.): Stressmanagement für <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>. Ein Trainingsbuch mit Kopiervorlagen. Weinheim:<br />

Beltz, 2000.<br />

Landert, Ch.: Zufriedenheit <strong>und</strong> Unzufriedenheit im <strong>Lehrer</strong>beruf. Ergebnisse einer Untersuchung bei Deutschschweizer<br />

<strong>Lehrer</strong>Innen, Zürich, 2002/04.<br />

Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen. Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen <strong>und</strong> Disziplinkonflikten, Berlin:<br />

Cornelsen, 2003.<br />

Neuenschwander, M. P.: Belastungen <strong>und</strong> Ressourcen bei Burnout von Lehrkräften der Sek<strong>und</strong>arstufe I <strong>und</strong> II. Psychologie<br />

in Erziehung <strong>und</strong> Unterricht, 50, 210-219., 2003.<br />

Rudow, B.: Die Arbeit des <strong>Lehrer</strong>s: zur Psychologie der <strong>Lehrer</strong>tätigkeit, <strong>Lehrer</strong>belastung <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>ges<strong>und</strong>heit, <strong>Bern</strong>:<br />

Huber, 1995.<br />

Schaarschmidt, U. (Hrsg.): Die Potsdamer Studie. Belastung <strong>und</strong> Beanspruchung von Lehrkräften in Niedersachsen, 1999<br />

/ 2004.<br />

Schaarschmidt, U., Kieschke, U. & Spörer, N.: Belastungen von <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n.<br />

In Hanckel, C. (Hrsg.): Schule zwischen Realität <strong>und</strong> Vision: Kongressbericht der 14. B<strong>und</strong>eskonferenz 2000 in Berlin (S.<br />

135-182), Bonn: Deutscher Psychologen-Verlag.<br />

Scherf, A.: Ges<strong>und</strong>heitsfördernde Schule als Lernende Organisation, Heidelberg, 2000.<br />

Steffgen, G. & Ewen, N.: Luxemburger Burnout-Studie. Zur Prävalenz von Burnout bei Luxemburger Sek<strong>und</strong>ar stufelehrern,<br />

Kurzbericht, 2004.<br />

Stöckli, G.: Wie ausgebrannt sind Schweizer Primarlehrkräfte? Bildungsforschung <strong>und</strong> Bildungspraxis, 20, 240-249,<br />

1998.<br />

Trachsler, E. u.a.: Arbeitsbedingungen, Belastungen <strong>und</strong> Ressourcen in der Thurgauer Volksschule. Teilstudie Lehrkräfte;<br />

Ergebnisse der zweiten Erhebung 2005; PHTG iafob, 2006.<br />

Wulk, J.: <strong>Lehrer</strong>belastung: qualitative <strong>und</strong> quantitative Aspekte der psychischen <strong>und</strong> physischen Belastung von <strong>Lehrer</strong>n,<br />

Frankfurt am Main/New York : Lang, 1988.<br />

BILDUNG SCHWEIZ 11a / 06: Sonderheft: Schule <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, «Balancieren im Lehrberuf» – LCH-Fachtagung in <strong>Bern</strong>,<br />

Dez. 2006.


dossier schulpraxis<br />

16<br />

Auswahl von Projekten<br />

ab 1990 zur Zufriedenheit, Belastung <strong>und</strong> Arbeitszeit im Lehrberuf aus der Forschungsdatenbank der SKBF. Weitere<br />

Informationen <strong>und</strong> je ein Abstract zu den erwähnten Projekten (nach Projekt-Nummer suchen) unter: www.skbf-csre.<br />

ch/datenbank_de.html<br />

Berufszufriedenheit von <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n in der Deutschschweiz. Untersuchung im Auftrag des LCH, durchgeführt<br />

von Hans-Jürgen Ipfling u.a., Universität Regensburg, Erhebung 1990, Publikation 1993. Projekt-Nr. 93:009<br />

Die Arbeitszeit der <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n in der Deutschschweiz. Untersuchung im Auftrag des LCH, durchgeführt von<br />

Charles Landert u.a., Erhebung 1997, Publikation 1999. Projekt-Nr. 99:025<br />

Arbeitszeiten <strong>und</strong> Belastung der <strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> im Kanton Zürich. Untersuchung im Auftrag der Bildungsdirektion<br />

des Kantons Zürich, Hermann Forneck & Friederike Schriever. Erhebung 1999, Publikation 2000. Projekt-Nr. 01:064<br />

Arbeitsbedingungen, Belastung <strong>und</strong> Ressourcen der Lehrkräfte des Kantons Basel-Stadt. Untersuchung im Auftrag des<br />

Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt. Eberhard Ulich u.a. Erhebung 2000, Publikation 2002. Projekt-Nr.<br />

02:018<br />

Arbeitsbedingungen, Belastung <strong>und</strong> Ressourcen der Thurgauer Volksschullehrkräfte. Untersuchungsreihe im Auftrag des<br />

Amts für Volksschulen des Kantons Thurgau. Eberhard Ulich u.a., erste Erhebung 2002, Publikation 2003. Projekt-Nr.<br />

04:021 – Die zweite Erhebung fand 2005 statt, Publikation Juni 2006.<br />

Stress, Belastungen <strong>und</strong> Belastungsverarbeitung im Lehrberuf. Dissertation von Kathrin Kramis-Aebischer an der Universität<br />

Freiburg. Publikation 1995. Projekt-Nr. 95:081<br />

Studie zur Berufszufriedenheit in Abhängigkeit vom Kohärenzgefühl. Untersuchung im Rahmen einer Ausbildung zum Master<br />

of Science, von Mark Niederdorfer. Erhebung 2004/5, Publikation 2006 in: Bündner Schulblatt, 6/2006, S. 7-16.<br />

Arbeitsüberforderung <strong>und</strong> Arbeitsunzufriedenheit von Lehrpersonen in der Schweiz. Untersuchung der SFA <strong>und</strong> des BAG.<br />

Marina Delgrande & Emmmanuel Kuntsche. Erhebung <strong>und</strong> Publikation 2005. Projekt Nr. 05:094<br />

Berufszufriedenheit <strong>und</strong> Kündigungsgründe von Lehrkräften in den Kantonen Aargau, Luzern <strong>und</strong> Solothurn. In Auftrag<br />

der beteiligten Kantone. Thomas Bieri u.a. (Universität <strong>Bern</strong>), Erhebungen 1994 bis 1996. Publikationen ab 1995. Projekt-Nr.<br />

97:073<br />

Links<br />

http://scholar.google.com<br />

www.iafob.ch<br />

www.paed.unizh.ch/ap/home/vortraege.html<br />

www.phtg.ch > Forschung > Projekte<br />

www.psyjournals.com<br />

www.blbs-bw.de/struktur/arbeitskreise/arbeitges<strong>und</strong>heit/ schaarschmidt-studie2003.pdf<br />

www.psy.unibe.ch/aop/index.htm<br />

www.skbf-csre.ch/datenbank_de.html<br />

www.phtg.ch/forschung/publikationen/forschungsberichte/<br />

www.erz.be.ch<br />

www.bern.ch/stadtverwaltung/bss/schule/kommunikation<br />

Impressum<br />

Autor<br />

Korrektorat<br />

Layout<br />

Druck<br />

Fachliche Betreuung<br />

Bestellung<br />

Michael Kummer<br />

Franziska Forster<br />

Higi Heilinger<br />

Schaub & Rüedi AG, <strong>Bern</strong><br />

Etienne Bütikofer<br />

Sekretariat <strong>LEBE</strong><br />

Monbijoustrasse 36<br />

Postfach 7163<br />

3011 <strong>Bern</strong><br />

Tel. 031 326 47 47

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