Trierischer Volksfreund | 11.4.2011 Mutter Courage ... - Theater Trier
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<strong><strong>Trier</strong>ischer</strong> <strong>Volksfreund</strong> | <strong>11.4.2011</strong><br />
<strong>Mutter</strong> <strong>Courage</strong> hat den Blues<br />
von unserem Redakteur Dieter Lintz<br />
Neuer Blick auf ein altes Bühnen-Schlachtross: Brechts "<strong>Mutter</strong> <strong>Courage</strong>" kommt im<br />
<strong>Trier</strong>er <strong>Theater</strong> mit ungewohnten Perspektiven und frischer Musik auf die Bühne -<br />
und erweist sich als zeitlos-aktuelle Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschäft.<br />
Warum ist der Krieg nicht auszurotten, obwohl es am Ende doch nur Verlierer gibt?<br />
Weil, so sieht es Brecht, zu viele Menschen glauben, dass sie vom Krieg einen<br />
Vorteil haben. <strong>Mutter</strong> <strong>Courage</strong>, die an der Front ihre Handelsgeschäfte macht. Der<br />
Feldprediger, der davon lebt, dass er ein Regiment schwindlig reden kann, so dass<br />
es wie eine Hammelherde in den Tod geht. Der Werber, der für jedes neue<br />
Kanonenfutter seine Prämie einsackt. Der Feldwebel, für den nur im Krieg alles seine<br />
Ordnung hat, weil "Frieden Schlamperei ist". <strong>Courage</strong>s Sohn Eilif, der gerne ein Held<br />
werden will - und am Ende daran zugrunde geht, dass eine Tat, die im Krieg mit<br />
Orden belohnt wird, in zivilisierteren Zeiten als Verbrechen gilt.<br />
Brecht lässt sie alle durch das Elend des Dreißigjährigen Kriegs ziehen, Regisseurin<br />
Judith Kriebel macht daraus ein zeitloses Roadmovie. Immer wieder steht ihre<br />
Titelfigur an einer gesichtslosen, anonymen Straße, ruhelos, stets dem Krieg und<br />
damit ihrem "Business" hinterherlaufend. Nicht mit dem traditionellen Karren,<br />
sondern mit Roll-schrankkoffern, die - je nach Konjunktur - mal besser, mal<br />
schlechter mit Waren ausgestattet sind.<br />
Barbara Ullmann ist keine alte, gebeugte Marketenderin, sondern eine (auf<br />
Neudeutsch würde man sagen: taffe) Geschäftsfrau, alleinerziehend, gewitzt, nie um<br />
Antworten verlegen. Aber doch auch ein unendlich einsamer, zwischen Profitstreben,<br />
Angst um ihre Kinder und tief versteckter Liebessehnsucht zerrissener Charakter.<br />
Also eine ausgesprochen moderne Figur, ohne dass man Brecht dafür auch nur<br />
minimal verbiegen müsste. Das ist eine spannende Sichtweise, von krampfhafter<br />
Aktualisierung ebenso weit entfernt wie von gemütlicher Musealität.<br />
Regie und Ausstattung spielen mit den Zeiten: Gerd Friedrichs offene, rohe Bühne ist<br />
dominiert von verbogenen Masten, die an die Überreste eines Bombenangriffs<br />
erinnern, die Uniformen (Kostüme: Carola Vollath) skizzieren den "Universal soldier",<br />
der schon mal durch Wenden der Jacke die Farben und Fronten wechselt. Der<br />
Werber ist "Uncle Sam", von der Decke hängt ein großer Wallenstein-Prospekt, im<br />
Hintergrund werden Luftüberwachungsbilder projiziert, der Feldprediger trägt die<br />
Friedenstaube auf der Jutetasche. Klare Botschaft: Die Zeiten mögen sich geändert<br />
haben, der Krieg ist geblieben, was er schon immer war: die Fortführung der<br />
Geschäfte mit radikaleren Mitteln.<br />
Dass bei der jungen Regisseurin zwischendurch Stringenz und Spannungsbogen<br />
etwas schwanken, wird mehr als wettgemacht durch die bestechende musikalische<br />
Einrichtung von Angela Händel. Die abgehangenen Paul-Dessau-Melodien rocken,<br />
swingen, erzählen ihre ganz eigenen Geschichten. <strong>Mutter</strong> <strong>Courage</strong> hat den Blues,<br />
aber die starke Band (Christoph Haupers, Peter Kasper, Matthias Lang) wird nie glatt<br />
oder gefällig, Händel verrät das Original nicht. Der Gesang bleibt brechtisch-spröde<br />
und dissonant, ist allerdings manchmal zu leise ausgesteuert.
Das Schauspielensemble (Helge Gutbrod, Tim Olrik Stöneberg, Peter Singer,<br />
Michael Ophelders, Hans-Peter Leu, Manfred-Paul Hänig, Sabine Brandauer, Elke<br />
Becker) ist konzentriert bei der Sache, neben Barbara Ullmann ragt Antje-Kristina<br />
Härle heraus. Sie spielt <strong>Courage</strong>s stumme Tochter Kattrin nicht als mitleiderregendes<br />
Opfer, sondern als junge Frau, deren vehementer, manchmal fast aufmüpfiger<br />
Anspruch ans Leben durch den Krieg ruiniert wird.<br />
Am Ende lässt Judith Kriebel, genialer Kunstgriff, die <strong>Courage</strong> das Schlusslied alleine<br />
singen, fast besinnungslos vor Trauer um den Verlust ihrer Kinder und dann doch<br />
wieder dem Krieg und ihren Geschäften hinterherlaufend. Täterin oder Opfer? Hat sie<br />
die Wahl, etwas anderes zu sein als eine "Hyäne der Schlachtfelder"? Es gibt keine<br />
wohlfeile Moral. "Von allen Figuren auf der Bühne war ja keine richtig sympathisch",<br />
sagt meine 14-jährige Tochter verwundert beim Rausgehen. So hätte es Brecht<br />
gefallen. Ausgiebiger Beifall beim Premierenpublikum.<br />
Weitere Vorstellungen: 12., 13. und 15. April, jeweils 20 Uhr.