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Allegorie - Joachimschmid.ch

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Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

Stilmittel · <strong>Allegorie</strong><br />

<strong>Allegorie</strong><br />

Man unters<strong>ch</strong>eidet zwei Formen der <strong>Allegorie</strong>: die Personifikationsallegorie und die literaris<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Allegorie</strong>. In literaturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Texten ist unter ›<strong>Allegorie</strong>‹ meist die literaris<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Allegorie</strong> zu verstehen, sonst, vor allem in der Kunstwissens<strong>ch</strong>aft, die Personifikationsallegorie.<br />

1. Personifikationsallegorie/ Personifikation<br />

In der Kunstwissens<strong>ch</strong>aft versteht man unter einer Personifikationsallegorie die Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung<br />

eines (abstrakten) Begriffs in einer Gestalt, die mit typis<strong>ch</strong>en Attributen ausgestattet ist.<br />

Als Attribute gelten Kleidung, Gegenstände, die die Gestalt bei si<strong>ch</strong> führt, aber au<strong>ch</strong> Gesten, die<br />

sie ausführt; jedes Attribut verweist auf eine bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aft des Begriffs. Es gibt eine grosse<br />

Zahl vorgeprägter Personifikationsallegorien, für die die Attribute festgelegt<br />

sind.<br />

Bsp.: Die <strong>Allegorie</strong> der Gere<strong>ch</strong>tigkeit (Iustitia): Eine Frau mit folgenden<br />

Attributen: verbundene Augen, in der einen Hand eine Waage, in der<br />

anderen ein S<strong>ch</strong>wert. Die verbundenen Augen deuten darauf hin, dass<br />

sie ohne Ansehen der Person wirkt, die Waage weist auf den Ausglei<strong>ch</strong><br />

von S<strong>ch</strong>uld und das gere<strong>ch</strong>te „Abwägen“ der Interessen, das<br />

S<strong>ch</strong>wert auf die staatli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t, mit der sie ausgestattet ist.<br />

Die Personifikationsallegorien sind normalerweise mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gestalten,<br />

deren Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> meist na<strong>ch</strong> dem grammatis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t des (lateinis<strong>ch</strong>en)<br />

Ausdrucks ri<strong>ch</strong>tet. Vereinzelt können au<strong>ch</strong> Tiere, Fabelwesen<br />

oder phantastis<strong>ch</strong>e Gestalten als Personifikationsallegorien dienen. Häufig<br />

ist ausserdem die Verwendung von Gottheiten als Darstellungen der ihnen<br />

zugeordneten Begriffsfelder.<br />

Bsp. Ares/Mars als <strong>Allegorie</strong> des Kriegs, Aphrodite/Venus als <strong>Allegorie</strong> der<br />

S<strong>ch</strong>önheit oder der Liebe usf.<br />

Da die Personifikationsallegorien Begriffe in ihrer Allgemeinheit vorstellen sollen, tragen die Darstellungen<br />

kaum individuelle Züge und können deshalb lei<strong>ch</strong>t etwas „blutleer“ wirken. Um die<br />

allegoris<strong>ch</strong>en Gestalten anhand ihrer Attribute ents<strong>ch</strong>lüsseln zu können, ist ausserdem ein gewisses<br />

Vorwissen nötig; Sie ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> also an ein gelehrtes Publikum und führen einen Bildungsanspru<strong>ch</strong><br />

mit si<strong>ch</strong>.<br />

Personifikationsallegorien kommen vor allem bei folgenden Begriffen vor:<br />

1. Abstrakte Begriffe<br />

Bsp.: Welt, Zeit, Tod, Tugenden (Gere<strong>ch</strong>tigkeit, Besonnenheit), Liebe, Glaube, Laster (Neid,<br />

Zwietra<strong>ch</strong>t), Künste (Poesie, Musik) und Wissens<strong>ch</strong>aften (Medizin, Grammatik), Temperamente<br />

und Gemütsverfassungen (Melan<strong>ch</strong>olie), Freiheit, Forts<strong>ch</strong>ritt, Republik usf.<br />

2. Begriffe, die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Einheiten bezei<strong>ch</strong>nen (Kollektiva)<br />

Bsp.: Völker (Helvetia, Germania, Britannia), Städte<br />

3. Naturers<strong>ch</strong>einungen und Ordnungsbegriffe der Natur<br />

Bsp.: Flüsse, Erdteile, Elemente, Winde, Tageszeiten, Monate, Jahreszeiten usf.<br />

Personifikationsallegorien kommen vor allem in der bildenden Kunst vor, wo sie zur direkten<br />

Darstellung abstrakter Begriffe dienen. Sie lassen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der Literatur realisieren, indem Begriffe<br />

als handelnde und spre<strong>ch</strong>ende Personen auftreten (z. B. die Na<strong>ch</strong>t in Mörike, Um Mitterna<strong>ch</strong>t,<br />

1827). Sol<strong>ch</strong>e Personifikationsallegorien können in der Regel als !literaris<strong>ch</strong>e <strong>Allegorie</strong>n<br />

gelten, da sie systematis<strong>ch</strong>en Doppelsinn haben und der Rezipient dazu aufgefordert ist, alle Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

der Figur auszudeuten. Als Beispiel hierfür mag die <strong>Allegorie</strong> des Gerü<strong>ch</strong>ts (fama)<br />

1.2 · ©2012-05 J. S<strong>ch</strong>mid 1


Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

Stilmittel · <strong>Allegorie</strong><br />

aus Vergil, Aeneis (17 v. Chr.) dienen:<br />

Na<strong>ch</strong>rede wandert soglei<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Libyens prä<strong>ch</strong>tige Städte,<br />

Fama, wel<strong>ch</strong>er kein anderes Untier an S<strong>ch</strong>nelligkeit glei<strong>ch</strong>kommt:<br />

S<strong>ch</strong>watzend Bewegung belebt sie: die Kräfte wa<strong>ch</strong>sen im Forts<strong>ch</strong>ritt.<br />

Klein ist sie anfangs aus Fur<strong>ch</strong>t; glei<strong>ch</strong> erhebt sie si<strong>ch</strong> drauf in die Lüfte,<br />

Eilt mit Füßen auf Erden und birgt das Haupt in den Wolken.<br />

Dies ist vor allem dann der Fall, wenn mehrere Personifikationsallegorien zu ganzen Handlungen<br />

zusammengestellt sind, etwa wenn die Tugenden gegen die Laster kämpfen (na<strong>ch</strong> dem Vorbild<br />

der Psy<strong>ch</strong>oma<strong>ch</strong>ia des Prudentius, 405).<br />

Ist das personale Verständnis des Begriffs ni<strong>ch</strong>t ausgeführt, sondern tritt nur punktuell auf, so<br />

spri<strong>ch</strong>t man von Personifikation.<br />

2. Literaris<strong>ch</strong>e <strong>Allegorie</strong><br />

Eine literaris<strong>ch</strong>e <strong>Allegorie</strong> ist ein Text, dem dur<strong>ch</strong>gängig zwei oder mehrere Bedeutungen zugeordnet<br />

werden können. Die literaris<strong>ch</strong>e <strong>Allegorie</strong> hat also neben der „manifesten“ Bedeutung<br />

(Text 1 ) no<strong>ch</strong> eine zweite, oft verdeckte Bedeutung (Text 2 ), die si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>liessen lässt,<br />

dass man den Text au<strong>ch</strong> als systematis<strong>ch</strong> metaphoris<strong>ch</strong> auffasst. Früher wurde die <strong>Allegorie</strong> deshalb<br />

einfa<strong>ch</strong> als fortgeführte bzw. ausgefaltete Metapher verstanden. Diese Auffassung ist insofern<br />

unangemessen, als die manifeste Bedeutung der <strong>Allegorie</strong> in vielen Fällen ni<strong>ch</strong>t nur dazu dient,<br />

auf eine verdeckte zu verweisen, sondern selbst ein Gewi<strong>ch</strong>t beanspru<strong>ch</strong>t (Cf. z.B. Musil, Das<br />

Fliegenpapier, 1936); die <strong>Allegorie</strong> ist demna<strong>ch</strong> mehr ein Text mit einem systematis<strong>ch</strong>en Doppeloder<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>sinn, der dur<strong>ch</strong> Metaphern hergestellt wird.<br />

Man unters<strong>ch</strong>eidet zwei Formen der literaris<strong>ch</strong>en <strong>Allegorie</strong>, nämli<strong>ch</strong> die reine <strong>Allegorie</strong> (tota allegoria)<br />

und die gemis<strong>ch</strong>te <strong>Allegorie</strong> (allegoria permixta). Die gemis<strong>ch</strong>te <strong>Allegorie</strong> enthält im<br />

Gegensatz zur reinen <strong>Allegorie</strong> au<strong>ch</strong> Audrücke, die zum Text 2 gehören. In vielen Fällen läuft dies<br />

darauf hinaus, dass gemis<strong>ch</strong>te <strong>Allegorie</strong>n Hinweise zu ihrer Ents<strong>ch</strong>lüsselung enthalten.<br />

Typis<strong>ch</strong>e gemis<strong>ch</strong>te <strong>Allegorie</strong>n entstehen z. B., wenn ein Bild entwickelt wird und zwis<strong>ch</strong>endur<strong>ch</strong><br />

immer wieder die Bedeutung (Text 2 ) einzelner Bildteile expliziert wird, wie im folgenden Beispiel,<br />

einem Kir<strong>ch</strong>enlied zur Adventszeit:<br />

Es kommt ein S<strong>ch</strong>iff geladen<br />

Bis an den hö<strong>ch</strong>sten Bord<br />

Es trägt Gotts Sohn voll Gnaden<br />

Des Vaters ewig Wort.<br />

Das S<strong>ch</strong>iff geht still im Triebe<br />

Es trägt eine theure Last.<br />

Das Segel ist die Liebe<br />

Der heilige Geist der Mast.<br />

Der Anker haft auf Erden,<br />

Da ist das S<strong>ch</strong>iff an Land<br />

Das Wort tut Fleis<strong>ch</strong> uns werden,<br />

Der Sohn ist uns gesandt.<br />

[…]<br />

2

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