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Metrik - Joachimschmid.ch

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Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

<strong>Metrik</strong><br />

<strong>Metrik</strong><br />

1. Gebundene Rede und Prosa<br />

Unter gebundener Rede versteht man eine Art des Spre<strong>ch</strong>ens, bei dem die Spra<strong>ch</strong>e zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

formalen Anforderungen unterworfen wird. Grundsätzli<strong>ch</strong> kann Spra<strong>ch</strong>e in allen ihren Aspekten<br />

geformt sein, also in rhythmis<strong>ch</strong>-lautli<strong>ch</strong>er, syntaktis<strong>ch</strong>er, semantis<strong>ch</strong>er, textbauli<strong>ch</strong>er und inhaltli<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t. Während z. B. östli<strong>ch</strong>e Lyrik oft vor allem dur<strong>ch</strong> bestimmte inhaltli<strong>ch</strong>e Forderungen<br />

geformt ist (etwa das japanis<strong>ch</strong>e Haiku, das mit einer Tages- oder Jahreszeitangabe beginnen<br />

muss), sind in Europa hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> rhythmis<strong>ch</strong>e und lautli<strong>ch</strong>e Vorgaben bekannt. Einzelne<br />

Gedi<strong>ch</strong>tformen enthalten allerdings au<strong>ch</strong> hier inhaltli<strong>ch</strong>e Anforderungen; Z. B. sollte ein Sonett<br />

in den letzten drei Zeilen eine inhaltli<strong>ch</strong>e Pointe formulieren.<br />

Lyrik ist jene Textsorte, die dur<strong>ch</strong> ein besonders hohes Mass an Formung in allen Spra<strong>ch</strong>aspekten<br />

gekennzei<strong>ch</strong>net ist. Während früher die rhythmis<strong>ch</strong>-lautli<strong>ch</strong>en Vorgaben im Vordergrund<br />

standen, liegt der Akzent in moderner Lyrik oft vor allem auf semantis<strong>ch</strong>er (z. B. dur<strong>ch</strong> komplexe<br />

und besonders rei<strong>ch</strong>haltige Metaphorik) und inhaltli<strong>ch</strong>er Verdi<strong>ch</strong>tung, die beide oft bis an die<br />

Grenze der Verständli<strong>ch</strong>keit getrieben werden.<br />

2. Rhythmis<strong>ch</strong>e Formung<br />

Alle Ordnung basiert auf Wiederholung. Unter ›Rhythmus‹ versteht man eine zeitli<strong>ch</strong>e Ordnung<br />

der Spra<strong>ch</strong>e, so dass in ähnli<strong>ch</strong>en Zeitintervallen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Einheiten mit ähnli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

– oder Gruppen von sol<strong>ch</strong>en – wiederholt werden.<br />

In vielen anderen europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en, vor allem im Latein, ist für die Rhythmisierung die<br />

Anordnung von langen und kurzen Vokalen (Vokalquantität) Auss<strong>ch</strong>lag gebend, im Deuts<strong>ch</strong>en<br />

hingegen auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Anordnung von betonten und unbetonten Vokalen (Vokalqualität).<br />

Wenn Gedi<strong>ch</strong>tformen aus sol<strong>ch</strong>en anderen Spra<strong>ch</strong>en ins Deuts<strong>ch</strong>e übernommen wurden, wurden<br />

meist lange Vokale dur<strong>ch</strong> betonte und kurze Vokale dur<strong>ch</strong> unbetonte wiedergegeben.<br />

2.1. Verss<strong>ch</strong>ema und Vers<br />

Ein Verss<strong>ch</strong>ema besteht aus einer Reihe von betonten und unbetonten Silben, gibt also einen bestimmten<br />

Spre<strong>ch</strong>rhythmus vor. Die Silben, die na<strong>ch</strong> dem Verss<strong>ch</strong>ema betont werden sollten, heissen<br />

Hebungen, die anderen Senkungen. Im Normalfall sollte vor allem der natürli<strong>ch</strong>e Hauptakzent<br />

jedes bedeutungsrelevanten Worts (also alles ausser Partikeln und einfa<strong>ch</strong>en Pronomen) auf<br />

eine Hebung fallen.<br />

Notation: Hebungen werden im Verss<strong>ch</strong>ema dur<strong>ch</strong> x´, Senkungen dur<strong>ch</strong> x wiedergegeben.<br />

Bsp.: (Rainer M. Rilke, Der Panther)<br />

usf.<br />

A x x´ x x´ x x´ x x´ x x´ x<br />

Sein Blick ist vom Vor- -ü- -ber- gehn der Stä- be<br />

B x x´ x x´ x x´ x x´ x x´<br />

so müd ge- -wor- den, dass er ni<strong>ch</strong>ts mehr hält.<br />

A Ihm ist, als ob es tau- send Stä- be gä- be<br />

B und hin- ter tau- send Stä- ben kei- ne Welt.<br />

A Der wei- <strong>ch</strong>e Gang ge- -s<strong>ch</strong>mei- dig star- ker S<strong>ch</strong>rit- te,<br />

B der si<strong>ch</strong> im al- -ler- -klein- sten Krei- se dreht,<br />

A ist wie ein Tanz von Kraft um ei- ne Mit- te<br />

B in der be- täubt ein gro- ßer Wil- le steht.<br />

Unter einem Vers versteht man eine einzelne Zeile eines Verss<strong>ch</strong>emas, also eine Zeile, die dur<strong>ch</strong><br />

2.2 · ©2012-05 J. S<strong>ch</strong>mid 1


Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

<strong>Metrik</strong><br />

eine bestimmte Anzahl Silben, eine bestimmte Anzahl Hebungen oder eine bestimmte Kombination<br />

von !Versfüssen rhythmis<strong>ch</strong> geordnet ist. Ausserdem ist das Versende in der Regel dadur<strong>ch</strong><br />

hervorgehoben, dass es mit einem syntaktis<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>nitt zusammenfällt und oft einen klangli<strong>ch</strong>en<br />

Effekt, z. B. einen Reim, aufweist.<br />

In moderner Lyrik entspre<strong>ch</strong>en die Einzelzeilen des S<strong>ch</strong>riftbildes, die man meist ebenfalls Verse<br />

nennt, oft weder rhythmis<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> syntaktis<strong>ch</strong>en Einheiten, sondern nur Sinn- oder Erfahrungseinheiten.<br />

Als Strophe bezei<strong>ch</strong>net man eine Zusammenstellung mehrerer Verse zu einer grösseren metris<strong>ch</strong>en<br />

Einheit, so dass das gesamte Gedi<strong>ch</strong>t in mehrere Strophen gegliedert ist, die oft rhythmis<strong>ch</strong><br />

glei<strong>ch</strong>artig sind. Das Strophenende kann – wie das Versende dur<strong>ch</strong> den Reim – dur<strong>ch</strong> einen Refrain,<br />

eine wörtli<strong>ch</strong>e Wiederholung eines Textteils, markiert sein.<br />

Rhythmis<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>nitte im Versinnern heissen Zäsuren. Wenn im Verss<strong>ch</strong>ema eine Zäsur vorgesehen<br />

ist, sollte an dieser Stelle au<strong>ch</strong> ein syntaktis<strong>ch</strong>er Eins<strong>ch</strong>nitt sein. Notation: Zäsuren werden<br />

dur<strong>ch</strong> doppelte vertikale Stri<strong>ch</strong>e (||) gekennzei<strong>ch</strong>net.<br />

Am Versende kann meist, au<strong>ch</strong> wenn im Verss<strong>ch</strong>ema eine Hebung vorgesehen ist, eine zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Senkung stehen. Man bezei<strong>ch</strong>net, von den französis<strong>ch</strong>en Adjektiven herkommend (grand: x´ –<br />

grande: x´ x), die Versenden ohne zusätzli<strong>ch</strong>e Senkung als männli<strong>ch</strong>e –, die anderen als weibli<strong>ch</strong>e<br />

Kadenzen.<br />

2.2. Verstösse gegen das Verss<strong>ch</strong>ema<br />

Wenn der natürli<strong>ch</strong>e Wortakzent im Verss<strong>ch</strong>ema missa<strong>ch</strong>tet wird, spri<strong>ch</strong>t man von Tonbeugung;<br />

am stärksten nimmt man Tonbeugungen wahr, bei denen der natürli<strong>ch</strong>e Hauptakzent eines<br />

Worts auf ein Senkung im Verss<strong>ch</strong>ema fällt. Da in den ersten paar Silben eines Gedi<strong>ch</strong>ts das<br />

Verss<strong>ch</strong>ema no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fixiert ist, fallen dort Tonbeugungen kaum ins Gewi<strong>ch</strong>t.<br />

Wenn die Folge von Hebungen und Senkungen im Verss<strong>ch</strong>ema zugunsten einer bestimmten<br />

Ausdrucksabsi<strong>ch</strong>t oder einer natürli<strong>ch</strong>en Satzmelodie über ganze Passagen hinweg in den Hintergrund<br />

gedrängt wird, heisst dies s<strong>ch</strong>webende Betonung.<br />

Von Enjambement spri<strong>ch</strong>t man, wenn die syntaktis<strong>ch</strong>en Einheiten ni<strong>ch</strong>t mit den Versgrenzen<br />

zusammenfallen.<br />

Bsp. (Rainer M. Rilke, Das Karussell)<br />

Mit einem Da<strong>ch</strong> und seinem S<strong>ch</strong>atten ! dreht<br />

si<strong>ch</strong> eine kleine Weile ! der Bestand<br />

von bunten Pferden, ! alle aus dem Land, !<br />

das lange zögert, ! eh es untergeht. !<br />

!: syntaktis<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>nitte. Die Versgrenzen 1-2 und 2-3 zeigen Enjambement.<br />

2.3. Versfuss (Metrum)<br />

Im Deuts<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>net man mit ›Versfuss‹ eine feststehende Kombination von einer Hebung<br />

und einer oder mehrerer Senkungen in einem Verss<strong>ch</strong>ema. Meist ist ein einzelner Vers aus lauter<br />

glei<strong>ch</strong>en Versfüssen zusammengesetzt, do<strong>ch</strong> gibt es au<strong>ch</strong> kompliziertere Anordnungen. Man unters<strong>ch</strong>eidet<br />

zwis<strong>ch</strong>en steigenden Versfüssen, die mit Senkung beginnen, und fallenden, die mit<br />

Hebung beginnen. Ausserdem grenzt man die zwei- von den dreisilbigen Versfüssen ab:<br />

zweisilbige Versfüsse<br />

dreisilbige Versfüsse<br />

steigende Versfüsse Jambus: x x´ z. B. Ge-sang Anapäst: x x x´ z. B. Pa-ra-dies<br />

fallende Versfüsse Tro<strong>ch</strong>äus: x´ x z. B. Lie-be Daktylus: x´ x x z. B. Kö-ni-gin<br />

Notation: Versfüsse werden dur<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>e vertikale Stri<strong>ch</strong>e (|) voneinander getrennt.<br />

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Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

<strong>Metrik</strong><br />

2.4. Versmass<br />

Unter dem Versmass versteht man die rhythmis<strong>ch</strong>e Ordnung eines ganzen Verses. Im Deuts<strong>ch</strong>en<br />

kann man unters<strong>ch</strong>eiden zwis<strong>ch</strong>en sogenannten füllungs- oder senkungsfreien Versmassen, die<br />

nur eine bestimmte Anzahl Hebungen (mit oder ohne Reim als Versendsignal) vors<strong>ch</strong>reiben, und<br />

sol<strong>ch</strong>en, die aus Kombinationen von Versfüssen aufgebaut sind. Wenn bei gedi<strong>ch</strong>tartigen, in Einzelzeilen<br />

präsentierten Texten weder das eine no<strong>ch</strong> das andere vorliegt, spri<strong>ch</strong>t man von freien<br />

Rhythmen (so vor allem im Grossteil der modernen Lyrik). Versmasse, die regelmässigen We<strong>ch</strong>sel<br />

von Hebungen und Senkungen zeigen, also nur aus Jamben oder Tro<strong>ch</strong>äen (! Versfuss) bestehen,<br />

heissen alternierend.<br />

Füllungsfreie Versmasse<br />

a) Knittelvers: vier Hebungen mit beliebig vielen Senkungen; gereimt.<br />

(seit dem Mittelalter, ursprüngli<strong>ch</strong> alternierend, seit dem 18. Jhd. senkungsfrei; v. a. im Drama)<br />

Bsp. (Johann W. Goethe, Faust I)<br />

Habe nun, a<strong>ch</strong>! Philosophie, x´ x x x´ x x x´<br />

Juristerei und Medizin x´ x x x´ x x´ x x´<br />

Und leider au<strong>ch</strong> Theologie x x´ x x´ x x x´<br />

Dur<strong>ch</strong>aus studiert, mit heissem Bemühn. x x´ x x´ x x´ x x x´<br />

b) Volksliedverse: alternierende Versmasse, meist dreihebig, in denen gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Doppelsenkungen<br />

auftreten; normalerweise gereimt.<br />

Bsp. (Heinri<strong>ch</strong> Heine, „Loreley“)<br />

I<strong>ch</strong> weiss ni<strong>ch</strong>t, was soll es bedeuten, x x´ x x x´ x x x´ x<br />

Dass i<strong>ch</strong> so traurig bin x x´ x x´ x x´<br />

Ein Mär<strong>ch</strong>en aus alten Zeiten,<br />

x x´ x x x´ x x´ x<br />

Das geht mir ni<strong>ch</strong>t aus dem Sinn. x x´ x x´ x x x´<br />

Versmasse mit festen Senkungen<br />

c) Blankvers: fünf Jamben; ungereimt.<br />

(seit dem 16. Jhd. in England (Shakespeare), seit dem 18 Jhd. in Deuts<strong>ch</strong>land; v. a. im Drama)<br />

Bsp. (Friedri<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>iller, Wilhelm Tell)<br />

I<strong>ch</strong> hab den Hut ni<strong>ch</strong>t aufgesteckt zu Altdorf x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

Des S<strong>ch</strong>erzes wegen, oder um die Herzen x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

Des Volks zu prüfen, diese kenn i<strong>ch</strong> längst. x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

d) Jambis<strong>ch</strong>er Trimeter: se<strong>ch</strong>s Jamben mit männli<strong>ch</strong>em S<strong>ch</strong>luss; ungereimt.<br />

(Mass der antiken Dramen, in Deuts<strong>ch</strong>land erst na<strong>ch</strong> der Klassik, also na<strong>ch</strong> 1805; eher selten)<br />

Bsp. (Eduard Mörike, Auf eine Lampe)<br />

No<strong>ch</strong> unverrückt , o s<strong>ch</strong>öne Lampe, s<strong>ch</strong>mückest du, x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

An lei<strong>ch</strong>ten Ketten zierli<strong>ch</strong> aufgehangen hier, x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

Die Decke des nun fast vergessnen Lustgema<strong>ch</strong>s. x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´ | x x´<br />

e) Alexandriner: se<strong>ch</strong>s Jamben, mit Zäsur na<strong>ch</strong> dem dritten Jambus; normalerweise gereimt.<br />

(Aus Frankrei<strong>ch</strong>, Italien und Spanien, dort seit dem 12. Jhd., in Deuts<strong>ch</strong>land seit dem 16. Jhd.;<br />

im Barock in Drama und Lyrik das meistverwendete Versmass)<br />

Bsp. (Andreas Gryphius, Einsamkeit)<br />

In diser Einsamkeit / der mehr denn öden Wüsten / x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´<br />

Gestreckt auff wildes Kraut / an die bemoßte See: x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´<br />

Bes<strong>ch</strong>au’ i<strong>ch</strong> jenes Thal und diser Felsen Höh’ x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´<br />

Auff wel<strong>ch</strong>em Eulen nur und stille Vögel nisten. x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´<br />

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<strong>Metrik</strong><br />

f) Hexameter: fünf Daktylen und ein Tro<strong>ch</strong>äus; die ersten vier Daktylen können dur<strong>ch</strong> Tro<strong>ch</strong>äen<br />

ersetzt sein; ungereimt: x´ x (x) | x´ x (x) | x´ x (x) | x´ x (x) | x´ x x | x´ x<br />

(wi<strong>ch</strong>tigstes, ursprüngli<strong>ch</strong> quantitatives antikes Mass, in Deuts<strong>ch</strong>land in dieser Form seit dem<br />

18. Jhd.)<br />

Bsp. (Bertolt Bre<strong>ch</strong>t, Über den Frieden)<br />

Viele in unserer Zeit, entsetzt über Greuel des Krieges<br />

Wenden si<strong>ch</strong> heftig und klagend gegen den »krieg(e)ris<strong>ch</strong>en Geist« jetzt.<br />

Denn aus sol<strong>ch</strong>em Geiste sehen den Krieg sie entspringen<br />

x´ x x | x´ x x | x´ x | x´ x x | x´ x x | x´ x<br />

x´ x x | x´ x x | x´ x | x´ x x | x´ x x | x´ x<br />

x´ x | x´ x | x´ x | x´ x x | x´ x x | x´ x<br />

g) Disti<strong>ch</strong>on: Zweizeiliges Versmass, aus einem Hexameter und einem sogenannten Pentameter<br />

aufgebaut; der Pentameter entspri<strong>ch</strong>t einem Hexameter, bei dem die Senkungen bei der dritten<br />

und letzten Hebung fehlen. Na<strong>ch</strong> der dritten (einzelnen) Hebung sollte ausserdem eine Zäsur<br />

sein: x´ x (x) | x´ x (x) | x´ || x´ x (x) | x´ x x | x´<br />

(ursprüngli<strong>ch</strong> quantitatives antikes Mass, in Deuts<strong>ch</strong>land in dieser Form seit dem 18. Jhd.)<br />

Bsp. (Friedri<strong>ch</strong> Hölderlin, Brod und Wein)<br />

Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleu<strong>ch</strong>tete Gasse,<br />

Und, mit Fakeln ges<strong>ch</strong>mükt, raus<strong>ch</strong>en die Wagen hinweg.<br />

x´ x | x´ x x | x´ x | x´ x x | x´ x x | x´ x (Hexameter)<br />

x´ x | x´ x x | x´ || x´ x x | x´ x x | x´ (Pentameter)<br />

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<strong>Metrik</strong><br />

3. Lautli<strong>ch</strong>e Formung<br />

Ein Text kann ni<strong>ch</strong>t nur dur<strong>ch</strong> Rhythmisierung ausgezei<strong>ch</strong>net sein, sondern au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Klangwirkungen,<br />

d. h. dur<strong>ch</strong> bewusste lautli<strong>ch</strong>e Gestaltung. Die wi<strong>ch</strong>tigsten Klangwirkungen entstehen<br />

einerseits dur<strong>ch</strong> Lautmalerei, andererseits dur<strong>ch</strong> Lautwiederholungen.<br />

3.1. Lautmaleris<strong>ch</strong>e Wirkungen<br />

Von Lautmalerei (Onomatopoeie) spri<strong>ch</strong>t man, wenn die lautli<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>affenheit eines Texts<br />

seine Aussage na<strong>ch</strong>ahmt, wenn also bewusst Wörter gewählt werden, die vom Klang her der<br />

Textbedeutung entspre<strong>ch</strong>en; als einzelne Wörter leisten dies etwa zis<strong>ch</strong>en oder klirren.<br />

Bsp: (Johann Klaj, Freudenfeuerwerk zum Geburtstag des Friedens, ca. 1650)<br />

So reißet, zers<strong>ch</strong>meißet kein Hagel die Blätter;<br />

So rasselt, so prasselt kein donnerndes Wetter,<br />

So prallet, so knallet kein fallend Gemäuer,<br />

als knicket und knacket das knisternde Feuer.<br />

3.2. Lautwiederholungen: Reim und Reims<strong>ch</strong>ema<br />

Unter ›Reim‹ versteht man allgemein klangli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>laut. Der Stabreim besteht in einem<br />

Glei<strong>ch</strong>klang der Wortanfänge, entspri<strong>ch</strong>t also einer Anapher (! Unterlagen Stilmittel: Anapher);<br />

Er ist in der altho<strong>ch</strong>deuts<strong>ch</strong>en Literatur no<strong>ch</strong> ein wi<strong>ch</strong>tiges Formungsmittel, wird aber na<strong>ch</strong>her<br />

immer seltener als Strukturprinzip verwendet. Der Endreim (normalerweise und im Folgenden<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t als ›Reim‹ bezei<strong>ch</strong>net) besteht in einem Glei<strong>ch</strong>klang von Wörtern ab dem letzten betonten<br />

Vokal eines Worts oder einer Wortgruppe (z. B. Kórn / Hórn oder verlássen / hássen). In Gedi<strong>ch</strong>ten<br />

werden in der Regel die Versenden gereimt. Tritt der Reim innerhalb eines Verses auf,<br />

z. B. bei Zäsur und Verss<strong>ch</strong>luss, spri<strong>ch</strong>t man von Binnenreim. Notation: die glei<strong>ch</strong> lautenden<br />

Verse, d. h. die Verse mit entspre<strong>ch</strong>endem Endreim, werden dur<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>e Kleinbu<strong>ch</strong>staben bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Die Endreime werden na<strong>ch</strong> der Gruppierung der Reime unterteilt in:<br />

a) Paarreim: (aa)<br />

b) Kreuzreim: (abab)<br />

c) Umarmender Reim: (abba)<br />

d) S<strong>ch</strong>weifreim: (aabccb)<br />

e) Kettenreim: (aba bcb cdc…)<br />

Ein Reims<strong>ch</strong>ema gibt an, wel<strong>ch</strong>e Reime in einem ganzen Gedi<strong>ch</strong>t vorkommen müssen.<br />

3.3. Verstösse gegen Reimregeln und Reims<strong>ch</strong>ema<br />

Ein Reim heisst unrein, wenn die betonten Vokale des Reims ni<strong>ch</strong>t vollständig übereinstimmen,<br />

sondern nur ähnli<strong>ch</strong> sind. Dies kann entweder die Lautquantität betreffen (z. B. hat / Rat) oder<br />

die Lautqualität (z. B. flieht / blüht oder bedeuten / Zeiten). Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en unreinem<br />

und reinem Reim betrifft nur das Lautli<strong>ch</strong>e; die S<strong>ch</strong>reibung der Wörter ist unerhebli<strong>ch</strong>; Gedränge<br />

/ Menge bilden also einen reinen Reim.<br />

Von Assonanz spri<strong>ch</strong>t man, wenn in Wörtern ab dem letzten betonten Vokal glei<strong>ch</strong>e Vokale auftreten,<br />

die Konsonanten aber vers<strong>ch</strong>ieden sind. Assonanz ist also eine Art unvollständiger Reim<br />

(z. B. verblühen / genügen).<br />

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Deuts<strong>ch</strong> · S<strong>ch</strong>mid<br />

<strong>Metrik</strong><br />

4. Strophen- und Gedi<strong>ch</strong>tformen<br />

Unter einer Strophen- bzw. Gedi<strong>ch</strong>tform versteht man eine feste Kombination von rhythmis<strong>ch</strong>en<br />

und lautli<strong>ch</strong>en Vorgaben, die si<strong>ch</strong> über eine ganze Strophe bzw. ein ganzes Gedi<strong>ch</strong>t erstreckt.<br />

Von den unzähligen Strophen- und Gedi<strong>ch</strong>tformen der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en und romanis<strong>ch</strong>en Literaturen<br />

haben nur wenige in Deuts<strong>ch</strong>land grössere Bedeutung erlangt. Das liegt z. T. daran, dass<br />

Reime in romanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en aufgrund der Endbetonung lei<strong>ch</strong>ter zu finden sind. Die wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

Gedi<strong>ch</strong>tformen in Deuts<strong>ch</strong>land sind:<br />

a) Stanze: Strophenform, die in Deuts<strong>ch</strong>land aus a<strong>ch</strong>t Versen mit je fünf Jamben und Zäsur<br />

na<strong>ch</strong> der zweiten oder dritten Hebung besteht; die letzte Hebung kann fehlen. Das Reims<strong>ch</strong>ema<br />

ist ab ab ab cc:<br />

Bsp. (Johann W. Goethe, Epilog zu S<strong>ch</strong>illers Glocke<br />

Und so ges<strong>ch</strong>ahs! Dem friedenrei<strong>ch</strong>en Klange, x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ | x a<br />

Bewegte si<strong>ch</strong> das Land, und segenbar x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ b<br />

Ein fris<strong>ch</strong>es Glück ers<strong>ch</strong>ien: im Ho<strong>ch</strong>gebirge x x´ | x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x a<br />

Begrüssten wir das junge Fürstenpaar; x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ b<br />

Im Vollgewühl, in lebensregem Drange x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ | x a<br />

Vermis<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> die tätge Völkers<strong>ch</strong>ar, x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ b<br />

Und festli<strong>ch</strong> ward an die ges<strong>ch</strong>mückten Stufen x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ | x c<br />

Die Huldigung der Künste vorgerufen. x x´ | x x´ || x x´ | x x´ | x x´ | x c<br />

b) Terzine: Strophenform, die in Deuts<strong>ch</strong>land aus drei Versen mit je fünf Jamben gebildet<br />

wird. Charakteristis<strong>ch</strong> ist der fortgesetzte ! Kettenreim; den S<strong>ch</strong>luss der Terzine bildet ein Einzelvers,<br />

der si<strong>ch</strong> auf den mittleren Vers der letzten Strophe reimt, also aba bcb … yzy z.<br />

c) Sonett: Gedi<strong>ch</strong>tform, die aus 14 Versen besteht, die in zwei Vierer- (Quartett) und zwei<br />

Dreiergruppen (Terzett) aufgeteilt sind. In Deuts<strong>ch</strong>land wird seit dem Barock vor allem der Alexandriner<br />

als Versmass verwendet, oft mit Zäsurreim. Es kommen vers<strong>ch</strong>iedene Reims<strong>ch</strong>emata<br />

vor, vor allem für die Terzette; die häufigsten sind abba abba ccd eed und abba abba ccd ede,<br />

do<strong>ch</strong> kommen au<strong>ch</strong> andere in Frage. Im Sonett sollten die Quartette mehr bes<strong>ch</strong>reibenden Charakter<br />

haben, und das erste Terzett sollte zu einer Pointe überleiten, die im zweiten Terzett formuliert<br />

wird.<br />

Bsp. (Andreas Gryphius, Thränen des Vaterlands / Anno 1636)<br />

WIr sind do<strong>ch</strong> nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret! a 1. Quartett<br />

Der fre<strong>ch</strong>en Völcker S<strong>ch</strong>aar / die rasende Posaun<br />

b<br />

Das vom Blutt fette S<strong>ch</strong>werdt / die donnernde Carthaun b<br />

Hat aller S<strong>ch</strong>weiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret.<br />

a<br />

Die Türme stehn in Glutt / die Kir<strong>ch</strong> ist umgekehret.<br />

a 2. Quartett<br />

Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun / b<br />

Die Jungfern sind ges<strong>ch</strong>änd’t / und wo wir hin nur s<strong>ch</strong>aun b<br />

Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist dur<strong>ch</strong>fihret. a<br />

Hir dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>antz und Stadt / rinnt allzeit fris<strong>ch</strong>es Blutt. c 1. Terzett<br />

Dreymal sind s<strong>ch</strong>on se<strong>ch</strong>s Jahr / als unser Ströme Flutt / c<br />

Von Lei<strong>ch</strong>en fast verstopfft / si<strong>ch</strong> langsam fort gedrungen<br />

d<br />

Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>weig i<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> von dem / was ärger als der Tod / e 2. Terzett<br />

Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth e<br />

Das au<strong>ch</strong> der Seelen S<strong>ch</strong>atz / so vilen abgezwungen.<br />

d<br />

Zum Versmass: ! Versmass, e)<br />

Eine Sonderform des Sonetts ist das englis<strong>ch</strong>e Sonett, wie es si<strong>ch</strong> z. B. bei Shakespeare findet.<br />

Es besteht ebenfalls aus 14 Zeilen, die aber in drei Quartette und ein frei stehendes Verspaar am<br />

S<strong>ch</strong>luss aufgeteilt sind. Das Reims<strong>ch</strong>ema ist abab cdcd efef gg.<br />

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