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Link zum Vortrag von Prof. Dr. Albach - Erich-Gutenberg-Berufskolleg

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<strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> und die Finanzkrise<br />

Horst <strong>Albach</strong><br />

A. Einleitung<br />

Viele Menschen, darunter mehr kleine Investoren als reiche Kapitalisten,<br />

haben im letzten Jahr ihre Ersparnisse, <strong>zum</strong>indest einen großen Teil da<strong>von</strong>,<br />

am Kapitalmarkt verloren. Viele Politiker und andere Ignoranten haben das<br />

als ein Versagen der Marktwirtschaft bezeichnet. Populisten haben die<br />

„Spekulanten“ für die Krise verantwortlich gemacht. Auch die<br />

„Heuschrecken“ sind schuldig gesprochen worden.<br />

Ich möchte meinen Glückwunsch <strong>zum</strong> 125-jährigen Bestehen des <strong>Erich</strong>-<br />

<strong>Gutenberg</strong>-<strong>Berufskolleg</strong>s mit der Frage verbinden: „Könnte die Lektüre <strong>von</strong><br />

<strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s ‚Grundlagen der Betriebswirtschafts-lehre’ dazu beitragen,<br />

die gegenwärtige Krise zu überwinden?“. Ich werde versuchen, die Antwort<br />

aus dem 1. Band „Die Produktion“, und aus dem 3. Band „Die<br />

Finanzierung“ abzuleiten.<br />

Wenn die Antwort auf diese Frage nicht ein schlichtes „Ja“ wäre, hätte sie<br />

der ehemalige Assistent <strong>Gutenberg</strong>s und Schwiegersohn wohl kaum gestellt.<br />

Aber auch eine rhetorische Frage bedarf gelegentlich einer etwas<br />

ausführlicheren Antwort. Und zwar schon deshalb, weil ich Ihnen zu Ihrem<br />

Geburtstag wünschen möchte, dass Sie weiterhin stolz auf Ihren Namen sein<br />

können und das trotz aller wohlfeilen Kritik an den Wirtschaftswissenschaften,<br />

die nach verbreitetem Urteil in der Öffentlichkeit in der gegenwärtigen<br />

Krise (und vorher) auf der ganzen Linie versagt haben.<br />

Im ersten Teil meines <strong>Vortrag</strong>s möchte ich fünf Ursachen der gegenwärtigen<br />

Krise nennen. Im zweiten Teil werde ich zeigen, dass keine dieser Ursachen<br />

1


eingetreten wäre, hätte man sich an <strong>Gutenberg</strong>s Regeln für verantwortliches<br />

Finanzmanagement in Industrie und Kreditwesen gehalten.<br />

B. Die Finanzkrise<br />

Fünf Ursachen sind es, die die gegenwärtige Krise ausgelöst haben:<br />

1. Vertrauensverlust<br />

2. Verstoß gegen klassische Finanzierungsregeln<br />

3. Risiko-Diversifikation<br />

4. Risiko-Konzentration<br />

5. Securitization bzw. Risikoüberwälzung<br />

1. Vertrauensverlust<br />

Ich beginne mit dem Vertrauensverlust. Ausgangspunkt der Krise war nach<br />

Ansicht vieler Beobachter die „Sub-Prime-Crisis“ in den USA. Zur<br />

Erläuterung: Die Sub-Prime - Krise entstand in der Folge einer<br />

unverantwortlichen Sozialpolitik der amerikanischen Regierung. Sie zwang<br />

die amerikanischen Banken, Menschen aus Schichten mit niedrigeren<br />

Einkommen zinsverbilligte Immobilienkredite <strong>zum</strong> Kauf und Bau <strong>von</strong><br />

Eigenheimen zu geben. Diese Kredite wurden jedoch <strong>von</strong> den Banken nicht<br />

langfristig genug gewährt. Nach Ablauf der Kreditdauer wurden die Zinsen<br />

erhöht. Das Einkommen der Hausbesitzer reichte nicht mehr aus, die<br />

Kredite zu bedienen. Die Banken stellten die Kredite fällig, die Eigentümer<br />

wurden aus ihren Häusern vertrieben. Die Häuser selbst wurden auf einem<br />

Markt, der eigentlich gar nicht existierte, verschleudert. Die amerikanischen<br />

Banken aber hatten nun Forderungen aus Immobilienkrediten in ihren<br />

Bilanzen, die nichts mehr wert waren. Sie mussten Abschreibungen auf diese<br />

Kredite vornehmen. Sie mussten in ihren Geschäftsberichten hohe Verluste<br />

2


ausweisen. Andere Banken gaben ihnen folglich auch keine Kredite mehr.<br />

Der Inter-Bank-Handel brach zusammen.<br />

Die Regierung – und in der Folge auch die deutsche Regierung – versuchte,<br />

durch Hilfsprogramme, die aus Staatskrediten, Garantien und Bürgschaften<br />

und schließlich sogar aus der Enteignung <strong>von</strong> Aktionären bestanden, das<br />

Vertrauen wieder herzustellen. Der Erfolg war eher bescheiden – Vertrauen<br />

ist keine käufliche Ware.<br />

Mehr als dreißig bankrotte amerikanische Banken und mehr als zehn<br />

bankrotte deutsche Kreditinstitute einschließlich der Landesbanken sind die<br />

Spuren, die die Krise auf dem Weg zur Wiederherstellung <strong>von</strong> Vertrauen<br />

auf den Kapitalmärkten bisher hinterlassen hat. Wir sind noch lange nicht<br />

am Ende des Weges.<br />

2. Verstoß gegen Finanzierungsregeln<br />

Die Finanzkrise nahm ihren Ausgang bei den privaten Immobilien. Sie griff<br />

über auf die Industrie-Immobilien, zunächst auf den Markt für Büroraum,<br />

dann auf Immobilienfonds mit Lagerhäusern. Die Werte dieser Objekte<br />

verfielen am Markt. Massive Abschreibungen in den Bilanzen waren die<br />

Folge des durchgängig geltenden Fair Value Accounting. Es brach Panik an<br />

den Immobilienmärkten aus – wider alle Vernunft. Auch Objekte, die<br />

wirtschaftlich absolut gesund waren, wurden im Sog nach unten mitgerissen.<br />

Aus Bilanzrelationen <strong>von</strong> 50 zu 50 bei vielen börsennotierten<br />

Immobilienfonds wurden über Nacht Bilanzrelationen <strong>von</strong> 5 zu 95. Das<br />

verstieß gegen die vereinbarten Eigenkapital : Fremdkapital-Relationen. Die<br />

Banken stellten ihre Kredite sofort fällig. Der Markt für Hypothekenkredite,<br />

Pfandbriefe und so genannte CMBSs (Commercial Mortgage-Based<br />

3


Securities) trocknete restlos aus. Die Immobiliengesellschaften und –fonds<br />

standen vor dem Aus.<br />

Ganz unschuldig waren die Immobiliengesellschaften an diesem Ergebnis<br />

nicht. Sie hatten im Vertrauen darauf, daß die Anschlussfinanzierung<br />

gelingen würde, gegen den Finanzierungsgrundsatz der Fristenkongruenz<br />

verstoßen und die Fälligkeitstermine der aufgenommenen Kredite nicht auf<br />

den Strom der jährlichen Miet- und Leasing-Einnahmen abgestimmt. Ich<br />

muß gestehen, ich hatte mit einer so dramatischen und noch dazu<br />

plötzlichen Weigerung der Banken, die Kredite an ein kerngesundes reales<br />

Unternehmen zu prolongieren, auch nicht gerechnet. Das Verhalten der<br />

Banken war unverantwortlich, das Verhalten der Regierungen, die bei<br />

Wachstum dem <strong>Dr</strong>ängen <strong>von</strong> Managern auf Übergang auf die strikte<br />

Bewertung <strong>von</strong> Anlagevermögen zu Marktwerten nachgegeben hatten, war<br />

unverantwortlich. Das Verhalten <strong>von</strong> bekannten Betriebswirten, die eine<br />

Gewinnermittlung nach IFRS für besser hielten als die nach dem alten<br />

deutschen HGB, war unverantwortlich.<br />

Ob das gegenwärtige Zurückrudern auf die Bewertung zu historischen<br />

Anschaffungskosten noch viel nützt, steht auf einem Blatt. Daß es langfristig<br />

betriebswirtschaftlich richtig ist, steht auf einem anderen: auf einem Blatt, auf<br />

dem eine wichtige Regel für die Vermeidung zukünftiger Krisen steht: Man<br />

soll nicht mit Marktwerten bewerten, wenn es keinen Markt für die zu<br />

bewertenden Objekte gibt.<br />

3. Risikodiversifikation<br />

Immobilien-Fonds wurden nach dem Prinzip der Risiko-Diversifikation<br />

strukturiert: Sie enthielten (und enthalten) nach Region, Währungsgebiet,<br />

Mietern, Laufzeit, Größe der Objekte und Branche der Kunden<br />

4


verschiedene Immobilien. Man nahm bei der Strukturierung dieser Fonds<br />

an, daß die Einzelrisiken aus den Objekten sich untereinander nicht<br />

aufschaukeln, sondern kompensieren. In der Krise erwies sich das als ein<br />

fundamentaler Fehler. Von Amsterdam bis Moskau, <strong>von</strong> Stockholm bis<br />

Mailand stürzten die Immobilien-Werte ab. Die „Monster-Pandämie“<br />

erfasste alle Immobilien-Fonds und alle Immobilien in den Fonds<br />

gleichzeitig und mit tödlicher Wucht. „Default Risk“ wurde <strong>zum</strong> Unwort der<br />

Branche.<br />

4. Risikokonzentration<br />

Nicht nur Immobilien rutschten tief in die Krise. Die Banken waren in ihrer<br />

Habgier auch besonders innovativ: Sie konstruierten neue Wertpapiere, so<br />

genannte Derivate. Sie entwickelten Fonds, „Töpfe“, wie sie Matthey 1 nennt,<br />

in die sie alle möglichen und unmöglichen Wertpapiere einbrachten, und sie<br />

verkauften verbriefte Ansprüche auf die Gewinne, die diese „Töpfe“ erzielen<br />

sollten, an das Publikum. Diese Ansprüche nennt man „Collateralized Debt<br />

Obligations (CDO). Die Banken wussten, daß in diesen Töpfen ziemlicher<br />

Mist war, und verkauften daher die Töpfe so schnell wie möglich an andere<br />

Banken. Diese schütteten den Inhalt der Töpfe so schnell wie möglich in<br />

wieder andere Töpfe und finanzierten die neuen Töpfe mit Geld der<br />

ahnungslosen Anleger. Diese Töpfe wurden „strukturierte Wertpapiere“<br />

genannt. Das hörte sich auch gut an. Es gelang den Banken immer wieder,<br />

die Töpfe so zu strukturieren, daß einige mit Triple A bewertet wurden. Ob<br />

sie dieses Rating verdienten, wussten schließlich die Banker selbst nicht<br />

mehr. Der Rest war Schund wurde in wieder neue Töpfe geschüttet, so<br />

lange geschüttelt, bis dabei wieder AAA-Papiere herauskamen, die verkauft<br />

werden konnten. Die Spreu wurde in neue Töpfe geschüttet usw. Ich zitiere<br />

Matthey: Bis zu 6 Verbriefungen waren üblich, um auf jeder Stufe aus dem<br />

1 Matthey, Dirk: Finanz- und Wirtschaftskrise – Lehren für herausfordernde Zeiten, Manuskript<br />

5


immer gehaltloser werdenden Brei an Ansprüchen noch ein paar AAA-<br />

Papiere herausquetschen zu können. Angeblich gibt es CDO-Papiere, die 24<br />

Verbriefungsstufen hinter sich haben“. Siebzig Prozent der CDO-Papiere<br />

hatten ein AAA-Rating, obwohl die durchschnittliche Bewertung der Papiere,<br />

die für die Bildung der CDO-Töpfe verwendet wurden, nur bei B+ lag, was<br />

die CDOs fast unverkäuflich gemacht hätte. Die riskanten CDOs wurden<br />

immer stärker konzentriert, je weiter sie hierarchisch nach unten rutschten.<br />

Sie waren wie heiße Kartoffeln, die schließlich das Vertrauen in alle Papiere<br />

erschütterte. Mit vollem Bewusstsein schufen die Banken „Tempel des<br />

Turbo-Kapitalismus“ auf Säulen, die nach unten hin immer fauler und<br />

verrotteter wurden.<br />

5. Securitization<br />

Auf einigen dieser faulen Papiere blieben die Banken sitzen. Diese sollen<br />

jetzt auf Bad Banks übertragen werden. Natürlich zu Preisen, die über den<br />

Werten dieser Papiere liegen. So sollen die Verluste der Banken sozialisiert<br />

werden. Aber Non-Valeurs sind auch keine Werte in den Bilanzen der Bad<br />

Banks! Bad Banks sind Parafisci, sind nichts anderes als Schattenhaushalte.<br />

Die CDOs waren aber nur die höchste und schlimmste Folge einer<br />

Entwicklung, die spätestens im Jahre 1986 begonnen hatte. In diesem Jahre<br />

begann Alfred Herrhausen seine Vorlesungen über „Internationale<br />

Finanzierungen“ in Bonn. Er wies darauf hin, daß die sog. „Securitization“<br />

ein neues, ganz wesentliches Instrument zur Belebung der internationalen<br />

Kapitalmärkte sei. Tatsächlich wurde die Securitization zu einem Instrument<br />

der Verlagerung <strong>von</strong> Risiken <strong>von</strong> den Banken auf die Anleger am<br />

Kapitalmarkt und zu einem Instrument der Gewinnmaximierung durch<br />

Erhebung <strong>von</strong> Gebühren, die weniger stark als Zinsen vom Wettbewerb der<br />

Banken untereinander betroffen sind. Diese Kombination <strong>von</strong> hohen<br />

6


Gebühren bei niedrigem Risiko war natürlich eine Strategie des Himmels für<br />

die Banken und eine Strategie der Hölle für die Anleger: Die Banken<br />

verlagerten ihr Geschäftsmodell <strong>von</strong> dem Kreditgeschäft auf das Investment<br />

Banking, und statt ihren Kunden als Hausbank zu dienen, drehten sie ihnen<br />

hoch riskante Kapitalmarktpapiere an, ohne dafür haften zu müssen. Die<br />

jüngsten Schritte der deutschen Banken in Sachen Haftung beweisen, daß<br />

dieser Prozeß weitergeht. Nun wird das Risiko nicht nur auf die Kunden,<br />

sondern auch auf die Angestellten der Banken überwälzt.<br />

Ich fasse den ersten Teil meiner Ausführungen zusammen: Die Krise brach<br />

aus wegen<br />

1. des Vertrauensverlustes im Interbank-Geschäft als Folge der Sub-Prime-<br />

Crisis,<br />

2. des Verstoßes gegen klassische Finanzierungsregeln bei Banken, die<br />

mittelfristige Kredite für langfristige Anlagen hergaben<br />

3. wegen der irrtümlichen Anwendung der Portfolio-Theorie auf hoch<br />

korrelierte Anlagen<br />

4. wegen der aus Habgier resultierenden Innovation <strong>von</strong> Kapitalmarktpapieren<br />

mit hoher Risikokonzentration<br />

5. wegen der sträflichen V’ernachlässigung der Hausbankfunktion<br />

C. Die Lehre <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s<br />

1. Der Kombinationsprozeß<br />

Im ersten Band seines Werkes „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre hat<br />

<strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> die sechs Kriterien genannt, die ein Unternehmen in der<br />

Marktwirtschaft kennzeichnen. Für meine Beweisführung brauche ich nur<br />

zwei, und zwar den Kombinationsprozeß und das finanzielle Gleichgewicht.<br />

7


Im Kombinationsprozeß werden die Produktionsfaktoren „Ausführende<br />

Arbeit’“, „Leitende Arbeit“, „Betriebsmittel“ und „Werkstoffe“ miteinander<br />

verbunden mit dem Ziel, Produkte zu schaffen, die <strong>von</strong> den Kunden zur<br />

Befriedigung ihrer Bedürfnisse nachgefragt werden. Der Dienst am Kunden<br />

steht also im Zentrum des Kombinationsprozesses. In diesem Ziel sind sich<br />

ausführende Arbeit und leitende Arbeit einig. Insoweit herrscht zwischen<br />

diesen beiden Produktionsfaktoren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit,<br />

kein Misstrauen. Es geht <strong>Gutenberg</strong> um den Dienst am Kunden, nicht um<br />

die Ausbeutung des Kunden.<br />

Vertrauen herrscht auch auf den Kapitalmärkten. Dieses Vertrauen wird<br />

durch die Rechtsordnung und ihre Dogmen sowie durch die Verträge<br />

zwischen Finanzierungsinstitut und Kapitalnehmer geschützt. Der ehrbare<br />

Banker dient seinem Kunden; er beutet ihn nicht aus. Ausbeutung der<br />

asymmetrisch verteilten Information über den Kapitalmarkt kennt<br />

<strong>Gutenberg</strong>s Lehre nicht.<br />

<strong>Gutenberg</strong>s Theorie der Unternehmung baut also auf dem Grundgedanken<br />

der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten <strong>zum</strong> Wohle<br />

der Gesellschaft und der nachhaltigen Befriedigung der Bedürfnisse der<br />

Menschen in ihr auf. Es war seine Überzeugung, daß die Unternehmung und<br />

ihre Mitarbeiter im Rahmen und in den Grenzen der jeweils geltenden<br />

Rechtsordnung verpflichtet sind, mit dem Ziel höherer Produktivität im<br />

Kombinationsprozeß zusammenzuarbeiten. Wenn sie diese Pflicht verletzen,<br />

endet ihre Legitimation als Institution der Gesellschaft. Das ist keine<br />

blauäugige Harmonielehre, das ist bittere Realität: wer andere ausbeutet,<br />

verliert seine Daseinsberechtigung in der Marktwirtschaft. Das Wort <strong>von</strong><br />

Karl Marx <strong>von</strong> der „Expropriation der Expropriateure“, kann man als ernste<br />

Warnung auch aus <strong>Gutenberg</strong>s Lehre ableiten.<br />

8


<strong>Gutenberg</strong> setzt in seiner Betriebswirtschaftslehre dieses Vertrauen voraus.<br />

Es muß nicht immer wieder neu in Einzelverträgen gesucht, gefestigt und<br />

schriftlich bekundet werden. Noch schärfer formuliert: <strong>Gutenberg</strong> setzt Ur-<br />

Vertrauen in der Gesellschaft durch Rationalität und Einsicht eines jeden<br />

voraus.<br />

Der Kombinationsprozeß ist also eine völlig andere Vorstellung <strong>von</strong> der<br />

Natur der Unternehmung als die Auffassung, die Unternehmung sein ein<br />

„Netz <strong>von</strong> Verträgen“ zur Verhinderung <strong>von</strong> Ausbeutung jedes Menschen<br />

durch jeden anderen Menschen. Homo homini lupus ist nicht die Basis der<br />

Betriebswirtschaftslehre <strong>von</strong> <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>. Es ist aber leider das<br />

Grundaxiom der mikroökonomischen Theorie, die heute auf den<br />

betriebswirtschaftlichen Lehrstühlen als „herrschende Lehre“ vertreten wird.<br />

Was geschieht, wenn dieses Vertrauen zerstört wird, erleben wir in der<br />

gegenwärtigen Finanzkrise deutlich. Kein Vertragssystem ist so leistungsfähig,<br />

daß es gegen Vertrauensverlust schützen kann. Das Gut „Vertrauen“, das<br />

Gut „Reputation“ darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, wenn jedes Unternehmen<br />

mehr Wohlstand für die Menschen schaffen soll. Das ist die<br />

Botschaft <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s.<br />

2. Das finanzielle Gleichgewicht<br />

In seinem dritten Band hat sich <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> sehr eingehend mit dem<br />

finanziellen Gleichgewicht im Unternehmen auseinander gesetzt. In seiner<br />

einfachsten theoretischen Form heißt es: Das Finanzmanagement der<br />

Unternehmung muß zu jedem Zeitpunkt in der Entwicklungsgeschichte des<br />

Unternehmens gewährleisten, daß Kasse und Einnahmen die Ausgaben<br />

überdecken.<br />

9


Dieses finanzielle Gleichgewicht ist natürlich dann nicht gewahrt, wenn den<br />

fälligen Krediten keine liquiden Mittel, keine neuen Einlagen der<br />

Unternehmenseigner und keine Netto-Cash-Flows aus der operativen<br />

Tätigkeit des Unternehmens gegenüberstehen. Diese Bedingung für<br />

finanzielles Gleichgewicht läßt sich leicht aussprechen, aber was heißt das für<br />

die Praxis der Finanzierung? <strong>Gutenberg</strong> war ja ein Betriebswirt, der seine<br />

Theorie auf der Basis einer umfassenden Kenntnis der Unternehmenspraxis<br />

entwickelte!<br />

Es bedeutet <strong>zum</strong> einen, daß bei der Aufstellung des Finanzplans das Risiko<br />

einkalkuliert werden muß, das finanzielle Gleichgewicht könne durch äußere<br />

oder innere Faktoren gestört oder gar zerstört werden. Diese Risiken hat<br />

<strong>Gutenberg</strong> in seinen Simulationen des langfristigen finanziellen<br />

Gleichgewichts bei Risiko und Unsicherheit formuliert. Das Ergebnis lautet:<br />

Absolute Sicherheit gegen Insolvenz der Unternehmung gibt es nicht. Aber<br />

man kann Risikomanagement betreiben, das die Wahrscheinlichkeit einer<br />

Insolvenz unter einem vorher bestimmten Niveau hält. Die Instrumente für<br />

ein solches risiko-orientiertes Finanzmanagement hat <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong><br />

entwickelt.<br />

Heute haben wir es jedoch mit einer neuen Form der Verletzung des<br />

finanziellen Gleichgewichts zu tun: mit einer rein bilanztechnischen<br />

Verletzung <strong>von</strong> Bank Covenants, d.h., mit einer rein buchhalterischen<br />

Zerstörung <strong>von</strong> Bilanzrelationen, die zunächst nichtgs mit dem operativen<br />

Geschäft zu tun haben.<br />

3. Die Gewinnermittlung<br />

<strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> war Wirtschaftsprüfer. Er war auch Genossenschaftsprüfer.<br />

Die Gewinnermittlung des Unternehmens und ihre Eignung für die<br />

10


Unternehmenssteuerung waren also für ihn gleichermaßen wichtig. Er war in<br />

der Bilanztheorie Dynamiker: Der Gewinn, nicht die Substanz einer<br />

statischen Betrachtungsweise war für <strong>Gutenberg</strong> entscheidend. Bilanzrelationen<br />

stehen bei <strong>Gutenberg</strong> nicht im Zentrum der Unternehmenssteuerung.<br />

Gegen diese Grundsätze verstößt das Fair Value Accounting. Ausweis <strong>von</strong><br />

Gewinnen aus nicht realisierten Wertsteigerungen lehnte <strong>Gutenberg</strong> ab.<br />

Börsenkurssteigerungen auf der Grundlage <strong>von</strong> nicht realisierten Gewinnen<br />

kommen im Denken <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s nicht vor. Stock Options auf der<br />

Basis <strong>von</strong> Börsenkursen wären für <strong>Gutenberg</strong> sicher ein Greuel gewesen.<br />

4. Die Empfehlungen <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s<br />

Fragen wir nun: Helfen uns die behandelten Elemente der Betriebswirtschaftslehre<br />

<strong>von</strong> <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>, Wege aus der gegenwärtigen Krise zu<br />

finden?<br />

Das Prinzip des finanziellen Gleichgewichts verlangt, nicht nur kurzfristig,<br />

sondern auch langfristig das Unternehmen als „going concern“ zu führen.<br />

Nachhaltigkeit oder, wie es neu-deutsch heißt „Sustainability“ ist für alle, die<br />

<strong>Gutenberg</strong> als Wissenschaftler und als Wirtschaftsprüfer kennen, ein alter<br />

Hut. Die Annahmen, die in die langfristige Finanzplanung eingehen, sind<br />

laufend zu überprüfen. Es darf nicht nur ein Controlling <strong>von</strong> Zahlen geben.<br />

Es muß ein Controlling <strong>von</strong> Annahmen geben, die der Planung zugrunde<br />

gelegt werden. Jeder <strong>von</strong> uns weiß, daß es immer anders kommt, als man<br />

denkt. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht, worst-case-scenarios für die<br />

langfristige Planung zu entwickeln.<br />

11


<strong>Gutenberg</strong> empfiehlt Risikovermeidung statt Risikoüberwälzung auf die<br />

Kunden und allgemein auf die Partner des Unternehmens. Ein guter<br />

Unternehmer mutet seinen Kunden nicht Risiken zu, die er selbst nicht<br />

tragen will. Das gilt im Industriebetrieb z.B. für die Produktrisiken. Das gilt<br />

in der Kreditwirtschaft für die Risikoüberwälzung durch Securitization,<br />

insbesondere dann, wenn die Anleger die Risiken in den „Töpfen“, an<br />

denen sie Anteile halten, selbst nicht beurteilen können. „Produkte“ der<br />

Kreditwirtschaft müssen, so interpretiere ich <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>, genau so<br />

transparent sein wie die Produkte der Industrie. Die Banken unterliegen der<br />

Produkthaftung nicht anders als die Industrieunternehmen. Aus dem<br />

Kombinationsprozeß kommen sowohl in der Güter produzierenden<br />

Wirtschaft als auch in den Dienstleistungs-Unternehmen Produkte, die dem<br />

Wohle der Menschen dienen, so <strong>Gutenberg</strong>, und nicht Produkte mit<br />

unbekannten oder gar schädlichen Eigenschaften.<br />

Konkret heißt das:<br />

1. Das verlorene Vertrauen muß wieder hergestellt werden. Das ist die<br />

Aufgabe der Kunden im Wettbewerb. Insofern scheint mir die Aussage <strong>von</strong><br />

Josef Ackermann nicht falsch: Wer jetzt auf Staatshilfe angewiesen ist, hat in<br />

der Vergangenheit das in ihn gesetzte Vertrauen der Kunden verletzt. Die<br />

Kunden sollten zu anderen Instituten wechseln. Aber welchen?<br />

2. Mehr Transparenz bei den Produkten der Kreditinstitute wie CMBSs,<br />

CDOs und wie sie alle heißen, zu fordern, ist nicht hilfreich. Der Vertrieb<br />

dieser Produkte muß verboten werden. Es wäre auch denkbar, den Verkauf<br />

solcher Produkte auf Kunden, die „well-informed“ sind, zu beschränken.<br />

Das sieht übrigens das Luxemburger Recht für einige dieser Papiere vor.<br />

12


3. Die Rückkehr <strong>zum</strong> Anschaffungskostenprinzip mit dem gemilderten<br />

Niederstwertprinzip für das Anlagevermögen ist zwingend geboten. Diese<br />

Rückkehr ist durch deutlich erhöhte Anforderungen an das materielle<br />

Risiko-management der Kreditinstitute abzufedern.<br />

4. Die Haftung der Banken für Geschäfte im Investment-Geschäft und im<br />

Effektengeschäft ist deutlich zu erhöhen. Die Abwälzung der Haftung auf<br />

Angestellte der Banken ist zu untersagen.<br />

5. Fondsmanager müssen bei der Kreditaufsicht Haftungssummen<br />

hinterlegen, die einen bestimmten Prozentsatz ihres Fondsvolumens<br />

ausmachen. Die Fondsmanager müssen noch zehn Jahre nach ihrem<br />

Ausscheiden aus der Fondsverwaltung für Schäden ihrer Kunden haften.<br />

6. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß <strong>Gutenberg</strong> uns eine Stärkung der<br />

Gläubiger- und der Aktionärs-Schutzvereinigungen in großen Aktiengesellschaften<br />

etwa durch Einsicht in die Geschäftsbücher empfehlen würde.<br />

Jedenfalls muß die Überwachung der Geschäftspolitik <strong>von</strong> Unternehmen<br />

verbessert werden. Sie darf nach den Erfahrungen mit ENRON wohl auch<br />

nicht den Wirtschaftsprüfern überlassen werden.<br />

7. <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> hat sich intensiv mit dem deutschen zweistufigen System<br />

<strong>von</strong> Aufsichtsrat und Vorstand im Vergleich mit dem amerikanischen Board-<br />

System beschäftigt. Er neigte dem einstufigen Board-System zu. Ich würde<br />

ihm auf der Grundlage meiner Erfahrungen zustimmen. Die Gründe liegen<br />

auf der Hand. Der Informationsfluß zwischen Vorstand und Aufsichtsrat in<br />

Deutschland ist schlecht. Das gilt vor allem für die Risiken, die<br />

Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Ausland eingehen. Eine<br />

effektive Überwachung der Unternehmensführung durch den Aufsichtsrat<br />

ist bei multinationalen Unternehmen nicht möglich. Das ist meiner Ansicht<br />

13


nach bei den amerikanischen Unternehmen besser geregelt. Der Übvergang<br />

auf das Board System ist allerdings ohne Abschaffung der Mitbestimmung<br />

nicht möglich. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Socété Européenne.<br />

D. Schlussbemerkung<br />

Meine Damen und Herren. Es gibt ein brasilianisches Sprichwort. Es lautet:<br />

Keine Krise ist so groß wie Brasilien. Ich wünschte mir, daß dieses<br />

Sprichwort auch für unser Europa gälte. Ich wünsche uns allen, daß das<br />

Misstrauen, das in Amerika durch Wissenschaft und Regierung gesät<br />

wurdeund das sich inzwischen wie die Schweinepest ausbreitet, überwunden<br />

werden kann und neues Vertrauen entsteht. Das wird geschehen, wenn wir<br />

das Werk <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>s lebendig erhalten und den Mikroökonomen<br />

ohne Bodenhaftung, die heute die betriebswirtschaftlichen Lehrstühle in<br />

Deutschland bevölkern, die Gefolgschaft verweigern.<br />

Den Wunsch, daß sich das <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong>-<strong>Berufskolleg</strong> auch in den<br />

kommenden Jahren des Namens <strong>Erich</strong> <strong>Gutenberg</strong> als würdig erweisen wird,<br />

möchte ich Ihnen als Geburtstagsgeschenk, als Glückwunsch und als<br />

Verpflichtung mit auf den Weg in die Zukunft geben.<br />

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