Ein biographisch-kritischer Versuch von Ernst Freiherr von Wolzogen
Ein biographisch-kritischer Versuch von Ernst Freiherr von Wolzogen
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erechtigt, einen Teil der Auslassungen über die schädlichen Folgen des Sportwahnsinns und<br />
einen Teil der grotesk satirischen Beschreibungen seiner Äußerungen hierher zu setzen.<br />
Als Geoffrey dieses auf dem Wege nach dem Hotel erwog, gelangte er zu dem Entschluß, daß es<br />
richtig sein würde, Anne dadurch hinzuhalten, daß er ihr mitteilte, wie die Dinge augenblicklich<br />
stünden. Im Hotel angekommen, setzte er sich hin, um den Brief zu schreiben, wurde unschlüssig und<br />
zerriß das Geschriebene, wurde wieder unschlüssig und fing <strong>von</strong> neuem an, wurde zum dritten Male<br />
unschlüssig, zerriß den Brief wieder, sprang auf und gestand sich in nicht wiederzugebenden<br />
Ausdrücken, daß er, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte, nicht zu einem Entschluß darüber<br />
gelangen könne, was das Richtige sei, zu schreiben oder zu warten. In diesem kritischen Augenblick<br />
gab ihm sein gesunder physischer Instinkt physische Mittel als Erleichterung an die Hand. „Mir ist<br />
zumute, als stecke ich in einem Sumpfe, ich will ein Bad nehmen.“ Er ging in eine große, viele Räume<br />
umfassende und mit <strong>Ein</strong>richtungen zu allen möglichen Lagen und Körpermanipulationen eingerichtete<br />
Badeanstalt. Er nahm ein Dampfbad, dazu ein Vollbad, dann ein Regenbad und ein gewaltiges<br />
Sturzbad. Er legte sich auf den Rücken, dann auf den Bauch, die Badediener kneteten und rieben ihn<br />
voll Ehrerbietung vom Kopf bis zum Fuß mit wohlgeübten Händen. Nach diesen Prozeduren sah er<br />
glatt, rein, rosig und schön aus. Er kehrte nun ins Hotel zurück und fing an zu schreiben, aber siehe da,<br />
die unerträgliche Unentschlossenheit war nicht <strong>von</strong> ihm gewichen, hatte sich nicht wegbaden lassen<br />
wollen. Dieses Mal sollte Anne an allem Schuld sein. „Die verfluchte Person wird mich noch<br />
ruinieren“, sagte Geoffrey, indem er seinen Hut ergriff, „ich will es noch einmal mit den Hanteln<br />
versuchen.“ Um durch dieses neue Mittel sein träges Gehirn aufzustacheln, mußte er in ein<br />
benachbartes Gasthaus gehen, dessen Wirt ein Läufer war, der die Ehre gehabt hatte, ihn verschiedene<br />
Male zu öffentlichen athletischen Wettkämpfen einzuüben. „<strong>Ein</strong> Zimmer für mich und die schwersten<br />
Hanteln, die Sie haben!“ rief ihm Geoffrey entgegen.<br />
Er zog sich Rock und Weste aus und ging mit den schweren Gewichten in jeder Hand an die Arbeit,<br />
indem er sie auf und niederwärts, vorwärts und rückwärts nach jeder erdenklichen Richtung hin<br />
schwang, bis seine prachtvollen Muskeln so gespannt waren, daß die geschmeidige Haut bersten zu<br />
wollen schien. Allmählich fingen seine Lebensgeister an, wieder wach zu werden. Die starken<br />
Körperübungen wirkten berauschend auf den starken Mann. Seiner Aufregung gab er durch die<br />
heillosesten Flüche Ausdruck, indem er in Erwiderung der ihm reichlich gespendeten<br />
Beifallsbezeugungen des Gymnastikers und seines Sohnes abwechselnd Donner und Blitz, Pulver und<br />
Blei rief. „Tinte, Feder und Papier her!“ schrie er, als er endlich <strong>von</strong> der Körperübung erschöpft war,<br />
„ich habe mich entschlossen, ich will schreiben und die Sache los sein!“<br />
Wie gesagt, so getan; er ging ans Werk und beendigte den Brief auf der Stelle; im nächsten<br />
Augenblick hätte der Brief sicher im Postkasten gelegen. Aber gerade in diesem Augenblick ergriff<br />
ihn wieder seine krankhafte Unentschlossenheit. Er öffnete den Brief wieder, las ihn nochmals und<br />
zerriß ihn dann wieder. „Nun weiß ich doch noch nicht, was ich will!“ rief Geoffrey, indem er seine<br />
großen, wilden, blauen Augen auf den Professor der Gymnastik heftete. „Donner und Blitz, Pulver und<br />
Blei! Lassen Sie Crouch kommen.“ Crouch war überall da, wo englische Mannhaftigkeit respektiert<br />
wurde, ein bekannter und hochgeschätzter, ins Privatleben zurückgetretener Preisfechter. Er erschien<br />
jetzt mit dem dritten und letzten Geoffrey Delamayn bekannten Mittel, seinen Geist frei zu machen,<br />
nämlich mit zwei Paar Boxhandschuhen in einem Reisesack. Geoffrey und der Preisfechter zogen die<br />
Handschuhe an und stellten sich in der klassisch korrekten Stellung erprobter Faustkämpfer einander<br />
gegenüber. „Aber keine Spielerei!“ brummte Geoffrey; „schlagen Sie ordentlich, Sie Schuft! Als ob es<br />
wieder um Preise ginge.“<br />
Kein Mensch auf der Welt wußte besser, was wirkliches Schlagen heißt und welche furchtbaren<br />
Schläge selbst mit anscheinend so harmlosen Waffen, wie es wattierte Handschuhe sind, ausgeteilt<br />
werden können, als der große, schreckliche Crouch. Er tat aber auch nur, als ob er sich den Wünschen<br />
Geoffreys füge. Dieser belohnte ihn für seine Höflichkeit und Rücksichtsnahme damit, daß er ihn zu<br />
Boden schlug. Der große Schreckliche erhob sich wieder, ohne eine Miene zu verziehen.<br />
„Gut getroffen, gut getroffen! Mr. Delamayn!“ sagte er, „versuchen Sie es jetzt mit der anderen<br />
Faust.“<br />
Geoffrey war nicht so kaltblütig geblieben, indem er Tod und Verderben auf die schon oft genug<br />
braun und blau geschlagenen Augen Crouchs herniederrief, drohte er, ihm für immer seine Gunst und<br />
Protektion zu entziehen, wenn er nicht seine verfluchte Höflichkeit aufgebe und auf der Stelle<br />
gewaltig zuschlüge.