Ausgabe 74 (pdf) - Raiffeisenbank Leibnitz
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<strong>Raiffeisenbank</strong> <strong>Leibnitz</strong><br />
11<br />
Gastkommentar von<br />
Wirtschaftsredakteur<br />
Helmut Spudich<br />
Das Unbehagen<br />
in der Uni-Kultur<br />
Was ist bloß in tausende Studenten<br />
in Österreich gefahren, dass sie in<br />
diesem Herbst Hörsäle besetzt haben<br />
und auf die Straße gegangen sind?<br />
Im Vergleich zu früheren Studentenprotesten,<br />
überhaupt den nostalgisch<br />
verklärten 68ern, kam der Aufstand<br />
unerwartet und als fast unpolitische,<br />
romantische Art der Weltverbesserung<br />
daher.<br />
Man solidarisierte sich wahlweise mit<br />
demonstrierenden Kindergärtnerinnen<br />
und lohnverhandelnden Metallern<br />
und abgesehen davon, dass alles<br />
besser werden soll, ist es schwer<br />
die konkreten Forderungen auszunehmen,<br />
über die verhandelt werden<br />
könnte.<br />
Am ehesten lassen sich die studentischen<br />
Proteste, um den Titel eines<br />
Werkes von Sigmund Freud zu borgen,<br />
als „Unbehagen in der Uni-Kultur“<br />
begreifen. Die Universitäten sind<br />
seit vielen Jahren und Jahrzehnten in<br />
einem Zustand politischer Verwahrlosung:<br />
Kontinuierlich steigenden Studierendenzahlen<br />
steht nicht einmal<br />
die annähernd gleiche Steigerung der<br />
finanziellen Mittel gegenüber. Dabei<br />
sind die Unis seit Menschengedenken<br />
unterdotiert. Das bedeutet an vielen<br />
Unis oder Instituten zu wenig Platz,<br />
manchmal heruntergekommene Ausstattung,<br />
und noch viel bestürzender:<br />
Eine personelle akademische Unterschicht<br />
(zeitgemäß ausgedrückt: ein<br />
universitäres Prekariat), die hundsmiserabel<br />
bezahlt wird und kaum eine<br />
berufliche Perspektive an den „Hohen<br />
Schulen“ hat.<br />
Das geht seit Jahren so, und im heurigen<br />
Herbst gab es einfach den berühmten<br />
Tropfen, der das Fass zum<br />
Überlaufen brachte: Den Protest von<br />
Studierenden der Akademie der bildenden<br />
Künste gegen die Einführung<br />
von Bachelor-Studien. Dazu passte<br />
das allgemeine Umfeld der Verunsicherung<br />
durch die größte Wirtschaftskrise<br />
seit 1945, riesige Bankenhilfspakete<br />
und andere Konjunkturmaßnahmen,<br />
die verständlich machen,<br />
warum man plötzlich das ewige<br />
Gürtelengerschnallen an den Unis<br />
nicht mehr hinnehmen will.<br />
Auf eine Milliarde bezifferte Christoph<br />
Badelt, der Vorsitzender der<br />
Rektorenkonferenz, die Finanzierungslücke<br />
an den heimischen Unis.<br />
Finanzierungslücke meint: Damit diese<br />
ihren Job gut machen können –<br />
Luxus oder üppig dotierte Beschäftigungsverhältnisse<br />
brechen damit<br />
noch nicht aus. Die mickrige Antwort<br />
des nach Brüssel abziehenden Wissenschaftsministers:<br />
34 Millionen<br />
Euro – und die hat er in den Budgetverhandlungen<br />
zuerst den Unis als<br />
einen „Notgroschen“ abgeknöpft.<br />
Schöner Notgroschen, der die Not<br />
noch steigert.<br />
Dabei hat die Regierung selbst erklärt,<br />
was sie für eine angemessene<br />
Finanzierung der Universitäten halten<br />
würde: Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(die Summe aller in<br />
Österreich produzierten Waren und<br />
Dienstleistungen), was bis 2015 erreicht<br />
werden soll. Derzeit sind es 1,3<br />
Prozent. Nimmt man zwei Prozent als<br />
guten Wert für die Unis, dann müssten<br />
das im nächsten Jahr 5,6 Milliarden<br />
Euro sein (BIP 2010: 281 Mrd.<br />
Euro). Das zeigt das riesige Loch: Im<br />
Budget sind im nächsten Jahr 3,7 Mrd.<br />
Euro für Wissenschaft und Forschung<br />
vorgesehen (nicht alles davon geht<br />
an die Unis). Legte man die von Badel<br />
genannte Milliarde drauf, dann fehlt<br />
immer noch eine Milliarde.<br />
So ist zu verstehen, dass es irgendwann<br />
„reicht“, dass sich das allgemeine<br />
Unbehagen plötzlich in handfesten<br />
Protesten niederschlägt, auch<br />
wenn die realen Zustände an den<br />
Unis im Herbst 2009 wahrscheinlich<br />
nicht viel anders sind als zehn Jahre,<br />
oder 30 Jahre davor (auch schon miserabel).<br />
Dabei ist Österreich, dass<br />
sich in Sonntagsreden gerne seiner<br />
Bildung und Kultur als Basis seines<br />
Wohlstandes berühmt (weil ja mangels<br />
Bodenschätze Wissen unser eigentliches<br />
Kapital sei), im internationalen<br />
Vergleich dafür gar nicht berühmt.<br />
Ja, es gibt Ausnahmebereiche, und<br />
die Musik zählt wohl dazu, wie auch<br />
andere Institute und Studienrichtungen<br />
da und dort. Aber unsere Unis<br />
schneiden bei internationalen Vergleichen<br />
auf den hintersten Plätzen<br />
ab (die Uni Graz z.B. in Hundertschaft<br />
zwischen 303 und 401 unter den Top<br />
500, die Uni Wien als beste heimische<br />
im Segment 152 bis 200). Und auch<br />
wenn sie überfüllt sind, ist der Anteil<br />
der Studierenden in der Bevölkerung<br />
vergleichsweise deutlich geringer als<br />
in anderen Industriestaaten.<br />
Auch wenn die Forderungen unscharf,<br />
die Aktionen auch von Aktionismus<br />
getragen sind: Sie verdienen<br />
Unterstützung, denn die Investitionen<br />
in Ausbildung kommen als Überschuss<br />
zurück. Für einen Akademiker<br />
nimmt der Staat Österreich 25.300<br />
Euro mehr ein, als er ausgibt (37.430<br />
Euro). Wissen ist eben tatsächlich<br />
das Kapital unserer Gesellschaft. Und<br />
eine ordentliche Basis für die Unis<br />
hilft auch unserem belasteten Pensionssystem:<br />
Durch größeren Wohlstand<br />
zu dessen Finanzierung.<br />
Helmut Spudich