die PDF - Ulmer Echo
die PDF - Ulmer Echo
die PDF - Ulmer Echo
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
THEMEN<br />
im Kopf hat: einen umzubringen, damit<br />
er in der Knast-Hierarchie endlich aufsteige,<br />
dann ist das Unheil vorprogrammiert.<br />
Der Knast war sein Zuhause, seine<br />
Welt. In geschlossenen Einrichtungen war<br />
er schon so oft, dass ihm das Leben draußen<br />
nichts mehr bedeutete. Ichtershausen,<br />
in dessen Subkultur es brutaler zuging als<br />
im schlimmsten Milieu draußen, war eine<br />
veraltete Einrichtung noch aus den Zeiten<br />
der ehemaligen DDR. Ebenso das<br />
Personal, das unwillig und desinteressiert<br />
seinen Dienst absaß. Knapp zwei Monate<br />
vor dem Prozeß hatte <strong>die</strong> selbe Erfurter<br />
Kammer einen versuchten<br />
Mord in <strong>die</strong>sem Gefängnis zu<br />
verhandeln, und jedem Kenner<br />
der Verhältnisse war klar, dass es<br />
beim nächsten Mal nicht mehr<br />
glimpflich enden würde und<br />
dass <strong>die</strong>ses nächste Mal schon<br />
vor der Tür stand. Was wird gegen<br />
solche Zustände getan? Der<br />
damalige thüringische Innenminister<br />
kündigte nach dem Prozess<br />
überraschend seinen Rücktritt<br />
an. Gleichzeitig teilte er<br />
aber mit, eine Kommission habe<br />
festgestellt, dass <strong>die</strong> Situation in<br />
der Jugendstrafanstalt den gewaltsamen<br />
Tod des sechzehnjährigen<br />
Häftlings nicht begünstigt<br />
habe. Mittlerweile gibt<br />
es für Langsträfler eine neue Anstalt,<br />
<strong>die</strong> mit viel Pomp eröffnet<br />
wurde. Doch bereits zu der Zeit<br />
war sie schon wieder zu klein,<br />
was nicht auf ein friedliches Zusammenleben<br />
der Insassen hoffen<br />
lässt.<br />
Bloß nicht das Thema Knast<br />
In Ichtershausen ist weiter alles beim<br />
Alten. Straftäter haben keine Lobby. Wer<br />
sich für sie einsetzt, verhält sich inzwischen<br />
geradezu politisch unkorrekt, verletzt<br />
er doch damit <strong>die</strong> Gefühle und Erwartungen<br />
der Opfer. Das Opfer hat heute<br />
Konjunktur, woran wir Me<strong>die</strong>n nicht unschuldig<br />
sind, denn es <strong>die</strong>nt uns vorzüglich<br />
als Unterhaltungsstoff. Es liefert Emotionen<br />
und vor allem Bilder. Doch es hat<br />
nicht nur Me<strong>die</strong>nkonjunktur. Auch <strong>die</strong><br />
Rechte der Opfer werden immer mehr<br />
gestärkt. In dem Prozess gegen den jungen<br />
Russlanddeutschen, der im Dresdner<br />
Landgericht eine gegen ihn aussagende<br />
Zeugin aus Ägypten erstochen und ihren<br />
Ehemann schwer verletzt hatte - der<br />
Prozess endete vor zwei Wochen mit einer<br />
Im Knast kein Entrinnen: Gewalt unter Inhaftierten<br />
Verurteilung zu Lebenslang mit besonderer<br />
Schwere der Schuld -, saßen dem Angeklagten<br />
sage und schreibe acht Anwälte,<br />
deutsche, französische, ägyptische, gegenüber,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Familie der Getöteten vertraten.<br />
Zum Plädoyer kam noch ein neunter<br />
hinzu, ein arabischer Rechtsanwalt, der als<br />
Vertreter seines Berufsstandes für 15.000<br />
arabische Anwälte sprach und <strong>die</strong> Höchststrafe<br />
forderte. Der Angeklagte hatte einen<br />
Pflichtverteidiger, der seinen Job redlich<br />
erledigte, und einen Wahlverteidiger, der<br />
nur sporadisch erschien und wenn, dann<br />
verärgerte er das Gericht. Bei allem Verständnis<br />
für das Leid der Hinterbliebenen<br />
der jungen Ägypterin - <strong>die</strong> Balance zwischen<br />
Anklage und Verteidigung war hier<br />
nicht mehr gewahrt. Je mehr das Opfer im<br />
öffentlichen Bewusstsein in den Vordergrund<br />
tritt, desto mehr wird als Gegenpart<br />
der Täter der Böse. Denn wo ein Opfer, da<br />
ist auch ein Täter, egal ob er schon verurteilt<br />
oder noch nicht verurteilt ist.<br />
Siegburg ist überall<br />
Die Gefängnisse sind überfüllt, obwohl<br />
<strong>die</strong> Zahl der schweren Straftaten<br />
zurückgeht, und wenn heute ein spektakuläres<br />
Verbrechen bekannt wird, fordern<br />
Politiker sogleich reflexhaft, der Täter<br />
müsse <strong>die</strong> volle Härte des Gesetzes zu<br />
spüren bekommen und er dürfe nie wieder<br />
<strong>die</strong> Freiheit erlangen. Dass <strong>die</strong> gebetsmühlenhafte<br />
Forderung nach härterem Strafen<br />
nicht folgenlos bleibt, ist heute in jedem<br />
Gerichtssaal zu erleben. Als sich 2007 in<br />
der Jugendstrafanstalt Siegburg ein ganz<br />
ähnliches Verbrechen wie in Ichtershausen<br />
ereignete - wieder hatte ein 17jähriger<br />
<strong>die</strong> Idee, einen Zellengenossen »wegzuhängen«,<br />
und <strong>die</strong> anderen machten bei<br />
der zwölfstündigen Quälerei und Erniedrigung<br />
des Opfers mit -, hieß es in den<br />
Me<strong>die</strong>n, ein solch brutales Delikt habe es<br />
noch nie in einer deutschen Strafanstalt<br />
gegeben. Kurz darauf gab es einen ähnlichen<br />
Vorfall in Siegen: Wieder flammte<br />
<strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Me<strong>die</strong>n kurz auf,<br />
erlosch aber rasch wieder. Unter<br />
dem Strich bleibt beim Bürger<br />
der Eindruck zurück: Na ja,<br />
in den Gefängnissen sitzen eben<br />
<strong>die</strong> Monster, <strong>die</strong> Bestien, und<br />
<strong>die</strong> bringen sich eben auch mal<br />
gegenseitig um. Nachdem der<br />
Angeklagte im Fall »Stephanie«<br />
in Dresden aufs Dach des Untersuchungsgefängnisses<br />
gestiegen<br />
war und den Me<strong>die</strong>n damit einen<br />
großen Gefallen getan hatte,<br />
zögerte <strong>die</strong> Justiz nicht, ihn zur<br />
Hauptverhandlung wie ein wildes<br />
Tier oder eine Art Hannibal<br />
Lecter gefesselt und verschnürt<br />
in den Saal zu führen vorbei am<br />
Me<strong>die</strong>npranger der Fernsehanstalten<br />
und Fotoagenturen. Seht<br />
her, sollte das wohl heißen, wir<br />
tun etwas zum Schutz derMenschen<br />
vor dem Bösen; <strong>die</strong> Justiz<br />
ist stark und lässt sich nicht<br />
aufs Dach steigen. Es war erniedrigend<br />
und entwürdigend<br />
- und alles nur für <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n,<br />
<strong>die</strong> schließlich be<strong>die</strong>nt sein wollten. Nicht<br />
viel anders verhielt es sich jetzt im Fall der<br />
Ägypterin. Der Angeklagte, gefesselt an<br />
Händen und Füßen, das Gesicht hinter<br />
einer Sturmhaube verborgen, ein Mann<br />
ohne Gesicht, er sah aus wie ein mittelalterlicher<br />
Henker, bewacht von mindestens<br />
sechs von Waffen starrenden Polizisten<br />
- so wurde er in den Saal gebracht. Ein<br />
Teufel in Menschengestalt. Muss das sein?<br />
Nein, es muss nicht sein, es sollte nicht<br />
sein, es verletzt <strong>die</strong> Würde aller Menschen.<br />
Der Fall Stephanie ist nur einer von unzähligen<br />
anderen, in denen Straftäter -<br />
oder auch Unschuldige wie im Fall Pascal<br />
in Saarbrücken - heute vorgeführt und benützt,<br />
geschlachtet und ausgeweidet werden<br />
fürs Geschäft, zur Unterhaltung, zu<br />
politischen Zwecken.<br />
14 ULMER ECHO 2-2012