die PDF - Ulmer Echo
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PRESSESPIEGEL<br />
Atmosphäre ist <strong>die</strong> halbe Sicherheit<br />
Interview mit Gefängnispfarrer Spiegel<br />
Aus: RP vom 29.Oktober 2012<br />
Reiner Spiegel wurde 1952 in Düsseldorf geboren, 1980 wurde er zum Priester geweiht.<br />
Nach einer Tätigkeit als Kaplan in Dormagen wurde er1984 Gefängnispfarrer in Düsseldorf.<br />
Er arbeitete in überregionalen Fachgremien mit, unter anderem im Vorstand der Katholischen<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe und in der Bundeskonferenz der<br />
Katholischen Seelsorge bei den JVAen<br />
Sicherheitsvorschriften und lange Wege<br />
binden zu viel Personal, es fehlt Zeit für<br />
<strong>die</strong> Betreuung der Inhaftierten, eine Vorbereitung<br />
auf das Leben nach dem Knast ist<br />
kaum möglich - das ist <strong>die</strong> erste Bilanz von<br />
Gefängnispfarrer Reiner Spiegel nach dem<br />
Umzug in <strong>die</strong> neue Strafanstalt.<br />
Herr Spiegel, vor neun Monaten<br />
war der Umzug von der <strong>Ulmer</strong> Höh‘<br />
in <strong>die</strong> neue Justizvollzugsanstalt<br />
(JVA). Sind sie inzwischen in den<br />
neuen Räumen angekommen?<br />
Spiegel: Angekommen bin ich schon,<br />
aber ich fühle mich dort noch unwohl.<br />
Das neue Gefängnis ist ein steriler, kalter,<br />
unpersönlicher Zweckbau, ähnlich<br />
wie auch andere moderne Bauten, bei<br />
denen nur auf reibungslos ablaufende<br />
Funktionen geachtet wird. Auch <strong>die</strong><br />
Brandschutzauflagen tragen dazu bei.<br />
Als ich als Zeichen für mehr Gemütlichkeit<br />
einen Schaukelstuhl mit Tisch<br />
und Kerzen im Flur vor meinem Büro<br />
stellte, mussten <strong>die</strong> entfernt werden,<br />
wegen des Brandschutzes.<br />
Wirkt sich <strong>die</strong> Sterilität auch auf <strong>die</strong><br />
Menschen aus?<br />
Spiegel: Sicherlich. Aber es ist auch<br />
festzuhalten, dass in dem modernen<br />
Bau vieles besser ist. Die Beamten<br />
haben beispielsweise anständige Büros,<br />
<strong>die</strong> Zellen sind heller, haben abgetrennte<br />
Toiletten, <strong>die</strong> Treppenhäuser<br />
sind breit genug. Es ist in <strong>die</strong>sen<br />
Punkten gut geplant worden. Aber <strong>die</strong><br />
Wege zu den einzelnen Abteilungen<br />
und zu den Räumen sind ungeheuer<br />
weit. Das kostet Zeit. Ich bin beispielsweise<br />
an einem Tag sicherlich<br />
zwischen fünf und zehn Kilometer unterwegs.<br />
Das Zurücklegen der Wege<br />
frisst so viel Zeit, dass das Personal<br />
knapp ist.<br />
Wurde falsch geplant?<br />
Spiegel: Die Planer legten den<br />
Schwerpunkt auf Sicherheit und<br />
Überwachung und bauten dafür viel<br />
Technik ein, <strong>die</strong> das Personal entlasten<br />
soll. Aber das braucht viel mehr<br />
Zeit, Inhaftierte auf den langen Fluren<br />
zu begleiten. Zudem gibt es sehr viel<br />
mehr Türen und Schleusen, <strong>die</strong> geöffnet<br />
und geschlossen werden müssen.<br />
Von den drei oder vier Beamten für<br />
eine Abteilung sind immer zwei unterwegs,<br />
um Inhaftierte irgendwo<br />
hinzubringen. Sie haben dann keine<br />
Zeit mehr für <strong>die</strong> eigentlich wichtige<br />
Arbeit.<br />
Welche ist das?<br />
Spiegel: Inhaftierte auf das Leben nach<br />
dem Knast vorzubereiten. Man muss<br />
sie durch Betreuung und Behandlung<br />
stärken, mit ihnen versuchen, ihre persönlichen<br />
Schwächen auszugleichen,<br />
damit sie im Leben bestehen können.<br />
Es reicht nicht, dass nur auf Sicherheit<br />
geachtet wird. Deswegen brauchen<br />
wir mehr Geld und mehr Personal.<br />
Aber <strong>die</strong>se Forderungen sind kaum<br />
durchzusetzen.<br />
Man kann politisch Druck machen.<br />
Spiegel: Da bin ich skeptisch. Denn<br />
gegen den Stimmungstrend in der<br />
Gesellschaft können sich Politiker<br />
nur schwer stemmen. Auch wegen<br />
der Berichterstattung vor allem über<br />
spektakuläre Kriminalfälle entsteht der<br />
Eindruck, dass alles schlimmer wird,<br />
obwohl <strong>die</strong> Zahl der Fälle nicht gestiegen<br />
ist. Die Gesellschaft will Täter<br />
möglichst nur wegsperren. Sicherheit<br />
hat Vorrang, auch im neuen Gefängnis<br />
und sehr viel mehr als in der <strong>Ulmer</strong><br />
Höh‘. Insassen, <strong>die</strong> mit umgezogen<br />
sind, fragen schon, ob sie gefährlicher<br />
geworden sind.<br />
Wie ist <strong>die</strong>se Änderung einzuschätzen?<br />
Spiegel: Die Inhaftierten leiden mehr<br />
unter Einsamkeit. Weil durch <strong>die</strong> Sicherheitsbestimmungen<br />
viel Personal<br />
gebunden ist, sitzen sie länger als in<br />
der <strong>Ulmer</strong> Höh‘ allein und ohne Beschäftigung<br />
in den verschlossenen<br />
Zellen. Darunter leidet auch das Personal<br />
im neuen Gefängnis. Es sind<br />
engagierte Mitarbeiter, <strong>die</strong> sich mehr<br />
um <strong>die</strong> Gefangenen kümmern wollen.<br />
Aber sie sind an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit<br />
angekommen. Noch<br />
einmal: Wir brauchen mehr Personal.<br />
Das klingt nach einem Allheilmittel.<br />
Spiegel Nein, das ist es nicht. Aber mit<br />
mehr Mitarbeitern könnten <strong>die</strong> ungeheuer<br />
vielen Möglichkeiten genutzt<br />
werden, <strong>die</strong> das neue Gefängnis bietet.<br />
Es gibt mehr Gemeinschaftsräume<br />
für Gesprächs- und Arbeitsgruppen,<br />
größere Sportplätze und -hallen,<br />
aber sie können nicht genutzt werden,<br />
weil <strong>die</strong> Mitarbeiter meist unterwegs<br />
sind, um Gefangene zu beglei-<br />
34 ULMER ECHO 2-2012