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komplette Museumsbuch - Museum für Energiegeschichte(n)

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Medizin | Der Zahnbohrer<br />

Die Erkenntnisse, so berichtete die Zeitschrift „Nature“ im Jahr 2006,<br />

entstammen einer Radiokarbon-Datierung von mindestens neun<br />

Schädeln mit elf Zahn-Bohrlöchern aus einem Friedhof in Pakistan.<br />

Ob es sich um eine Behandlung aus Krankheitsgründen oder zu dekorativen<br />

Zwecken gehandelt hat, bleibt offen. Vielleicht ein weiteres Kontinuum in<br />

der Gattungsgeschichte: Glitzersteine und Diamanten schmücken inzwischen<br />

die Zähne einiger Zeitgenossen: Smiley, Herzen und Hufeisen, Ying Yang und<br />

Sterne sind allerdings nur aufgeklebt.<br />

Rund dreißig Jahre lang verursachten diese Maschinen konkurrenzlos eine Zahnarzt-<br />

Phobie nach der anderen. Erst 1901 konnte das Wehklagen gemildert werden: Die Triumpf-<br />

Bohrmaschine von Siemens kam in die Praxen. Der kleine Elektromotor ersparte dem Zahnarzt<br />

die Fitnessübungen und dem Patienten die größten Qualen. Die fortan tendenziell und kontinuierlich<br />

schwanden. In steigender Linie bis zu jenen triumphalen 400000 Umdrehungen freilich<br />

brauchte der Fortschritt noch einige Zeit. Die Angst wiederum, <strong>für</strong> die objektiv betrachtet<br />

keine Ursache mehr besteht, ist allgemein gültig verewigt in dem Stoßseufzer, den Wilhelm<br />

Busch in seiner Geschichte von Balduin Bählamm gedichtet hat:<br />

Zurück zum Zahnarzt. Schuld an dem Magengrummeln, den<br />

Schweißausbrüchen und dem einst quälenden Schmerz sind die so genannten<br />

Bohrschmerzen. Sie entstehen durch Schwingungen, die durch<br />

den vibrierenden Bohrer ausgelöst und auf die Nerven übertragen werden.<br />

Mittlerweile weiß man, dass erst ab einer Umdrehungszahl von 175000<br />

Umdrehungen pro Minute die Vibrationen<br />

schnell genug sind, um<br />

die Nerven zu schonen. Als 1871 der<br />

amerikanische Zahnarzt B. Morrison<br />

seine Tretbohrmaschine entwickelte,<br />

Zwischen 7000 und 5500 vor stand seiner Kundschaft also noch<br />

einiges Leid bevor: Über eine Fußwippe<br />

trieb der sportliche Dentist<br />

Christus, so der positive Fund der<br />

das Schwungrad an, ein Keilriemen<br />

Forschung, bohrten Dentisten übertrug die Umdrehungen auf den<br />

kleinen Metallbohrkopf. Glaubt man<br />

bereits fast perfekte Löcher in die den Überlieferungen, soll er durch<br />

das schnelle Treten der Fußwippe<br />

Zähne lebender (!) Patienten. bis zu 2000 Umdrehungen pro Minute<br />

entfesselt haben – leider immer<br />

noch 173000 zu wenig <strong>für</strong> eine<br />

komfortable Behandlung.<br />

Das Zahnweh, subjektiv genommen,<br />

ist ohne Zweifel unwillkommen.<br />

Doch hat‘s die gute Eigenschaft,<br />

dass sich dabei die Lebenskraft,<br />

die man nach außen oft verschwendet,<br />

auf einen Punkt nach innen wendet<br />

und hier energisch konzentriert.<br />

Kaum wird der erste Stich verspürt,<br />

kaum fühlt man das bekannte Bohren,<br />

das Rucken, Zucken und Rumoren,<br />

und aus ist‘s mit der Weltgeschichte.<br />

Vergessen sind die Kursberichte,<br />

die Steuern und das Einmaleins.<br />

Kurz, jede Form gewohnten Seins,<br />

die sonst real erscheint und wichtig,<br />

wird plötzlich wesenlos und nichtig.<br />

Ja, selbst die alte Liebe rostet.<br />

Man weiß nicht, was die Butter kostet.<br />

Denn einzig in der engen Höhle<br />

des Backenzahnes weilt die Seele,<br />

und unter Toben und Gesaus<br />

reift der Entschluss: Er muss heraus.<br />

Die moderne Zahnarztpraxis aus dem Jahre 1907 war bereits<br />

mit der Triumph-Bohrmaschine (l.) von Siemens ausgestattet.<br />

| Mechanischer Zahnbohrer mit Fußwippe, um 1900

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