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NEU: Sonderdruck "Orofazile Dysfunktionen" - dr. hinz

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Orofaziale Dysfunktionen<br />

Die Therapie orofazialer Dysfunktionen<br />

DZW Ausgabe 38/12 vom 19.09.2012<br />

DZW Ausgabe 39/12 vom 26.09.2012<br />

Orofaziale Dysfunktionen<br />

Frühzeitiges Erkennen und Behandeln sind eine interdisziplinäre Aufgabe von Medizinern<br />

und Therapeuten (1)<br />

Das frühzeitige Erkennen und Behandeln der orofazialen<br />

Dysfunktionen erfordert eine Zusammenarbeit<br />

zwischen Zahnärzten/Kieferorthopäden, Sprachtherapeuten,<br />

Hals-Nasen- Ohrenärzten, Orthopäden, Physiotherapeuten,<br />

Kinderärzten und Ernährungswissenschaftlern.<br />

Im ersten Teil eines Beitrags zur Erkennung<br />

und Behandlung von orofazialen Dysfunktionen<br />

beschreibt Sprachtherapeutin Ulrike Kopp Ursachen<br />

und Auswirkungen dieser Störungen.<br />

Das stomatognathe System ist eine funktionelle Einheit. Es bestehen<br />

Zusammenhänge zwischen der Morphologie der oralen<br />

Strukturen und der Funktion der umgebenden Weichteile [1]. Form<br />

und Funktion bedingen sich gegenseitig. Weichgewebe ver<strong>dr</strong>ängt und<br />

formt Hartgewebe [2].<br />

Orofaziale Dysfunktionen müssen stets mit der Gesamtpersönlichkeit,<br />

dem Gesamterscheinungsbild des Betroffenen gesehen werden. Sie<br />

beeinflussen das Schlucken, die Atmung, das Kauen, die Körperhaltung<br />

und können Auswirkungen auf die Artikulation sowie die Zahnund<br />

Kieferentwicklung haben. Konzentrationsprobleme und daraus<br />

resultierende Auswirkungen auf das Lernverhalten können auftreten.<br />

Orofaziale Dysfunktionen können vom Betroffenen als ästhetisches<br />

Problem empfunden werden und folglich die Emotionen beeinflussen.<br />

Das Geschehen und seine Auswirkungen sind komplex und erfordern<br />

eine interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung.<br />

Ziel der Zusammenarbeit zwischen zum Beispiel Zahnärzten, Kieferorthopäden<br />

und Sprachtherapeuten ist die Herstellung eines<br />

orofazialen Muskelgleichgewichts, um mögliche schädliche Auswirkungen<br />

auf die Dentition und Okklusion sowie die Artikulation zu<br />

vermeiden beziehungsweise zu beheben.<br />

Abb. 1: Mundvorhofplatten aus Kunststoff und Silikon<br />

Foto: Prof. Hinz


Abb. 2: Position Trainer (T4K TM )<br />

Foto: Prof. Hinz<br />

So kann oftmals eine vorausgehende kieferorthopädische Frühbehandlung<br />

durch Zahnmediziner oder die therapiebegleitende Anwendung<br />

konfektionierter Prophylaxegeräte (zum Beispiel durch<br />

Mundvorhofplatten oder Position Trainer (T4K TM ), alle Dr. Hinz Dental,<br />

Herne) durch Logopäden und Sprachtherapeuten unterstützt<br />

werden (Abb. 1 und 2).<br />

Auswirkungen auf die primären Funktionen<br />

Orofaziale Dysfunktionen haben Auswirkungen auf die primären<br />

Funktionen der Atmung, des Schluckens, Kauens und Beißens. Die<br />

Atmung geschieht bei Kindern mit einer orofazialen Dysfunktion<br />

häufig durch den Mund (Abb. 3 und 4), und es liegt eine Hochatmung<br />

(Brustatmung, Clavicular-Atmung) vor. Folgen der Mundatmung<br />

sind häufige Erkältungskrankheiten und Entzündungen im Nasen-Rachenraum.<br />

Entscheidend für eine gesunde Atmung, die den Körper mit ausreichend<br />

Sauerstoff versorgt, ist die Nasenatmung. Durch sie wird<br />

die Luft gesäubert, angefeuchtet und erwärmt. Die Nasenatmung unterstützt<br />

die Bauchatmung und somit die Funktion des Zwerchfells<br />

als Hauptatemmuskel.<br />

Positive Auswirkungen der Nasenatmung sind der vorhandene<br />

Mundschluss, das Belüften und Säubern der Nasennebenhöhlen<br />

sowie die Förderung eines besseren Kieferwachstums. Eine offene<br />

Mundhaltung, die häufig mit einer Mundatmung einhergeht, kann<br />

sich schädlich auf die Frontzähne auswirken. Die Zahnoberflächen<br />

trocknen aus, die Speichelsubstanz verändert sich, der Schutz des<br />

Zahnschmelzes wird verhindert, was wiederum kariöse Defekte sowie<br />

Verfärbungen an den Zähnen zur Folge haben kann [3]. Ebenfalls<br />

betroffen können die Lippen sein, die trocken, rissig und spröde<br />

werden, mit der Folge, dass ständiges Lippenlecken zu einem Habit<br />

mit Schädigung der Hautareale um den Mund herum führt.<br />

Bei Betroffenen mit Mundatmung liegt ein viszerales Schluckmuster<br />

vor. Dies bedeutet, dass ein funktional irreguläres Bewegungsmuster<br />

der Zunge in der oralen Phase des Schluckmusters vorliegt.<br />

Die Zungenspitze liegt beim Schlucken nicht an der Rugae,<br />

sondern an oder zwischen den Schneidezähnen. Die Zungenränder<br />

<strong>dr</strong>ücken gegen oder zwischen die Seitenzähne. Die Folgen können<br />

durch die vielen bewussten und unbewussten Schluckvorgänge<br />

frontal offene Bisse sein, die zu weiteren funktionellen Störungen<br />

führen [4]. Die Kraft der Zunge wird nicht vom Gaumen aufgefangen,<br />

sondern gegen die Zähne gerichtet und wirkt wie eine „falsche<br />

Zahnspange“ [5]. Dem Druck der Zunge ist nicht nur beim viszeralen<br />

Schluckmuster Beachtung zu schenken, sondern ebenso der<br />

Kraft der Zunge bei der unphysiologischen Zungenruhelage (interdental<br />

oder addental an den Zähnen des Unter- oder Oberkiefers<br />

und nicht an der Rugae).<br />

Eine offene Mundhaltung geht immer mit einer unphysiologischen<br />

Zungenruhelage einher. Dies kann zu Veränderungen des<br />

umliegenden Hartgewebes führen in Bezug auf die Zahnstellung<br />

(zum Beispiel offener Biss) oder Einfluss nehmen auf die Entwicklung<br />

der Gaumenform und der Gaumenfalten (hoher, spitzer Gaumen<br />

mit stark ausgeprägten Gaumenfalten). Folgen können ein zu<br />

schmaler Oberkiefer und ein- oder beidseitige Kreuzbisse sein.<br />

Liegt eine offene Mundhaltung mit einhergehender Mundatmung<br />

vor, ist über den Hals-Nasen-Ohrenarzt abzuklären, ob die Nasenatmung<br />

aufgrund von organischen Ursachen (zum Beispiel chronische<br />

Entzündungen der Tonsillen, Adenoide oder Allergien) behindert<br />

ist.<br />

Die Hypotonie im orofazialen Bereich zeigt sich häufig ebenso beim<br />

Musculus masseter, der einseitig oder beidseitig hypoton ist. Betroffene<br />

Kinder bevorzugen häufig weiche und süße Kost oder weichen<br />

die Nahrung durch Getränke bei den Mahlzeiten auf oder<br />

Abb. 3 u. 4: Offene Mundhaltung mit sichtbaren unteren Schneidezähnen und aufgerollter Unterlippe


spülen die Nahrung damit hinunter. Folge ist, dass die Kaumuskulatur<br />

kaum oder gar nicht gekräftigt wird.<br />

In einem triangulären Kraftfeld wirken also unterschiedliche<br />

Kräfte auf den orofazialen Komplex ein. Dass diese sich im Gleichgewicht<br />

befinden, ist Voraussetzung dafür, dass keine strukturellen<br />

Veränderungen auftreten. Form und Funktion bedingen sich gegenseitig.<br />

„Die Form ist gegeben für eine Funktion und durch eine<br />

Funktion“ [6].<br />

Auswirkungen auf die sekundären Funktionen<br />

Die Auswirkungen auf die Sekundärfunktionen können die Artikulation<br />

sowie die Stimme betreffen. Häufig betroffen sind die S-<br />

Laute (Sigmatismus), die zum Beispiel interdental, addental oder<br />

lateral gebildet werden.<br />

Fehlgebildet werden zum Teil auch die Laute der zweiten Artikulationszone<br />

„l, t, d, n“ (multiple Interdentalität). Diese Fehlbildung<br />

ist nicht hörbar, sondern nur sichtbar. Ein schwacher Musculus orbicularis<br />

oris kann zur Folge haben, dass der Sch-Laut durch ein „S“<br />

ersetzt wird, da zum Beispiel die Kraft zum Vorstülpen der Lippen<br />

nicht gegeben ist.<br />

Schwierigkeiten in der Bewegungskoordination der Zunge können<br />

zudem zu Lautersetzungen bei folgenden Konsonanten und Konsonantenverbindungen<br />

führen: „ch“ durch „ß“, „k, g“ durch „t, d“,<br />

„kr, gr“ durch „tr, <strong>dr</strong>“. Die Artikulation kann verwaschen und undeutlich<br />

sein, in den Mundwinkeln kann Speichel sichtbar werden,<br />

schließlich kann der Stimmklang gestört sein.<br />

Auswirkungen auf das Hören<br />

Die offene Mundhaltung, verbunden mit einem viszeralen Schluckmuster,<br />

hat negative Auswirkungen auf das Hören, was in der Praxis<br />

leider häufig übersehen beziehungsweise vernachlässigt wird.<br />

Die Ohrtrompete (Eustachische Röhre oder auch Tube genannt) verbindet<br />

das Mittelohr mit dem Nasenrachen und vermeidet Druckunterschiede<br />

zwischen beiden Räumen.<br />

Beim Schluckakt beteiligte Muskeln (Gaumensegelmuskeln,<br />

Schlundheber) sind mit der Tubenwand verbunden, und so ist es möglich,<br />

den Druckunterschied durch mehrfaches Schlucken zu beseitigen,<br />

zum Beispiel beim Flugzeugstart [7]. Durch die ungenügende<br />

Belüftung der Eustachischen Röhre beim viszeralen Schluckmuster<br />

können Tubenfunktionsstörungen und Schleimhautansammlungen<br />

im Mittelohr entstehen, die wiederum zu einer verminderten<br />

Hörfähigkeit führen [6]. Nachfolgend können geringgradige<br />

Schallleitungsschwerhörigkeiten auftreten [8].<br />

Gesamtkörperspannung<br />

Kinder mit Bewegungseinschränkungen im orofazialen Bereich<br />

haben häufig Schwierigkeiten, Bewegungsabläufe des gesamten<br />

Körpers zu steuern [9]. Bewegungsmangelerscheinungen des Gesamtorganismus<br />

bei Kindern sind mitverantwortlich für Fehlformen<br />

im Mund- und Kieferbereich [10]. Fehlende Körperspannung<br />

kann zu Energie- und Lustlosigkeit sowie zu fehlender Motivation<br />

führen.<br />

Kinder mit orofazialen Störungen hatten in ihrer motorischen<br />

Entwicklung häufig keine oder nur eine kurze „Krabbelphase“. Die<br />

Phase des physiologischen Krabbelns ist jedoch wichtig, um Gelenke<br />

und Muskeln zu trainieren, die im Zusammenhang mit der<br />

orofazialen Muskulatur stehen.<br />

Ein weiterer Meilenstein der motorischen Entwicklung ist der Ellbogen-Becken-Stütz.<br />

Wird er nicht gelernt und geübt, kann eine hypotone<br />

Grundspannung im orofazialen Bereich die Folge sein, die<br />

mit einer Vorverlagerung der Zunge, einem fehlenden Mundschluss<br />

und Hypersalivation einhergeht.<br />

Von Bedeutung für die orofazialen Funktionen ist die Nackenaufrichtung<br />

bei Neugeborenen. Sie entscheidet über die Trennung<br />

von Unterkiefer- und Zungenbewegung [9]. Findet diese Trennung<br />

nicht statt, bewegt sich der Unterkiefer bei Zungenbewegungen<br />

mit. Kinder mit einer orofazialen Dysfunktion können neben möglicher<br />

Auffälligkeiten in der Grobmotorik auch Auffälligkeiten in der<br />

Feinmotorik zeigen. Die Stifthaltung ist zum Beispiel unsicher,<br />

Schwierigkeiten beim Malen und Schneiden werden sichtbar, und das<br />

Auffädeln von Perlen gelingt nur mühsam.<br />

Die Teile des Zentralen Nervensystems für die Mund- und Handfunktion<br />

liegen direkt nebeneinander und sind überproportional<br />

ausgebildet. Dies führt zu der Annahme, dass die Mund- und Han<strong>dr</strong>egion<br />

zusammenhängende Einheiten in ihren biologischen Strukturen<br />

und psychosozialen Funktionen darstellen [11]. Fingerspiele<br />

fördern folglich die Bewegungskoordination der Zunge. Eine hypotone<br />

Gesamtkörperspannung im Sinne einer ungünstigen Körperhaltung<br />

begünstigt zudem eine unphysiologische Atem- und<br />

Zwerchfellfunktion.<br />

Ulrike Kopp, akademische Sprachtherapeutin,<br />

Uetze<br />


Die Therapie orofazialer Dysfunktionen<br />

Früherkennung und Behandlung sind eine interdisziplinäre Aufgabe (Teil 2)<br />

Wie Sprachtherapeutin Ulrike Kopp im ersten Teil des<br />

Beitrags zur Erkennung und Behandlung orofazialer Dysfunktionen<br />

(DZW 38/12) beschrieb, können orofaziale<br />

Dysfunktionen als ein ästhetisches Problem empfunden<br />

werden und Einfluss auf die Emotionen nehmen. Insbesondere<br />

Jugendliche können unter Zahnfehlstellungen oder<br />

eines hyperaktiven Musculus mentalis leiden, was Auswirkungen<br />

auf ihr Selbstbewusstsein haben kann.<br />

Eine Hypotonie der Gesamtmuskulatur sowie der orofazialen Muskulatur<br />

beeinflusst die eigene Außenwirkung und kann somit Einfluss<br />

auf die Beziehungsebene nehmen. Diese Aspekte finden bisher<br />

in der Literatur kaum Eingang und können auch an dieser Stelle<br />

nicht weiter erläutert werden. Gegenstand dieses Beitrags ist die<br />

Ätiologie und Therapie orofazialer Dysfunktionen. Die Ursachen<br />

dieser Störungen sind multifaktoriell zu betrachten, da mehrere<br />

und nicht immer offensichtliche Ursachen zugrunde liegen.<br />

Mögliche Ursachen können sein:<br />

• eine lange Flaschenernährung, eventuell mit Vergrößerung des<br />

Sauglochs,<br />

• Schnabel-, Sigg- und Sportlerflaschen,<br />

• Habits (Lutschgewohnheiten, zum Beispiel Nuckeln am Daumen<br />

oder Schnuller),<br />

• vergrößerte Rachen- oder Gaumenmandeln,<br />

• persistierende frühkindliche Reaktionen,<br />

• vererbte Konstitution,<br />

• Nachahmung [4].<br />

Wichtig ist eine frühe Aufklärung der Eltern, dass zum Beispiel das<br />

Stillen über eine Dauer von sechs Monaten die orofaziale Muskulatur<br />

am Besten stärkt, und dass jegliche Lutschgewohnheiten spätestens<br />

im <strong>dr</strong>itten Lebensjahr abgewöhnt werden sollten, da schädliche Gewohnheiten<br />

zu weiteren Dysfunktionen und Zahnfehlstellungen führen.<br />

Die Bedeutung der Ernährung (harte, feste Nahrung, Brot mit Rinde)<br />

auf die orofaziale Muskulatur sollte den Eltern aufgezeigt werden.<br />

Von Bedeutung ist hierbei das gemeinsame Tätigwerden von Zahnmedizinern,<br />

Kinderärzten und Sprachtherapeuten. Die Erlangung des<br />

orofazialen Muskelgleichgewichts und der Erfolg einer Therapie sind<br />

nur möglich, wenn eventuell bestehende Habits abgebaut werden.<br />

Therapieziele sind das Herstellen und Stabilisieren eines orofazialen<br />

Muskelgleichgewichts unter Einbeziehung der Gesamtkörperspannung<br />

sowie das Erlangen eines physiologischen Schluckablaufs.<br />

Die Therapie sollte so früh wie möglich beginnen. Je länger falsche<br />

Bewegungsmuster bestehen bleiben, und je älter das Kind ist, umso<br />

schwieriger wird die Umstellung der Bewegungen. Das Kind<br />

muss neue Funktions- und Bewegungsmuster erlernen, damit die etablierten<br />

gespeicherten, „unreifen“ Muster überschrieben werden<br />

können [12]. Eine Selbstregulation bei offener Mundhaltung und einhergehender<br />

unphysiologischer Zungenruhelage ist nicht zu erwarten.<br />

Erst durch den Abbau des viszeralen Schluckmusters kommt<br />

es ohne andere interdentale Zungendyskinesen und Habits zu einer<br />

schnellen sichtbaren Selbstausheilung dentoalveolärer Veränderungen<br />

[13].<br />

Der Therapieablauf richtet sich in seinen Inhalten nach den Bedürfnissen<br />

und dem Alter des Kindes. Für Kinder ab zehn Jahren kann unter<br />

anderem die Myofunktionelle Therapie (MFT) nach Garliner<br />

zur Herstellung und Stabilisierung einer Gesichtsmuskelbalance und zur<br />

Anbahnung des korrekten Schluckablaufs durchgeführt werden [14].<br />

Übungen zur Stärkung der orofazialen Muskulatur, in Kombination<br />

mit Übungen zur Gesamtkörperspannung als „vorbeugende Kieferorthopädie“,<br />

können bei Kindern bis zu zehn Jahren spielerisch<br />

geübt werden. Zur Erlangung eines orofazialen Muskelgleichgewichts<br />

bedarf es täglicher Übungen. Voraussetzung für einen erfolgreichen<br />

Therapieverlauf ist die Mitarbeit der Eltern bei den Übungen<br />

zu Hause.<br />

Die Therapie beinhaltet folgende acht Übungsbereiche:<br />

1. Gesamtkörperkoordination/Gesamtkörperspannung,<br />

2. Mun<strong>dr</strong>aumwahrnehmung (Stereognosefähigkeit),<br />

3. physiologische Zungenruhelage,<br />

4. Stärkung der Zungenmuskulatur,<br />

5. Stärkung der Lippenmuskulatur,<br />

6. Anregung der Nasenatmung,<br />

7. Pusten und Blasen,<br />

8. Saugen.<br />

Therapiebegleitend, effektiv und effizient ist bei vielen Kindern der<br />

Einsatz von konfektionierten Prophylaxegeräten wie dem Stoppi,<br />

dem Infant-Trainer und dem Position Trainer (alle Dr. Hinz Dental,<br />

Herne). Denn nach der Geburt erworbene Dysfunktionen und Zahnfehlstellungen<br />

können durch prophylaktische Maßnahmen der<br />

Zahnärzte behoben werden. Sie sind der wichtige Schlüssel für die<br />

interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Sprachtherapeuten/Logopäden<br />

und Voraussetzung, um orofaziale Dysfunktionen – wie oben<br />

beschrieben – wirkungsvoll zu therapieren [4].<br />

Der Entwöhnungssauger Stoppi ist ein Ersatz für schädliche Lutschgegenstände<br />

mit grazilen Aufbissschienen – aber ohne den deformierenden<br />

Fremdkörper, der bei allen üblichen Saugern zwischen den<br />

Schneidezähnen liegt. Nach dem zweiten Lebensjahr lassen sich mithilfe<br />

des Entwöhnungssaugers Lutschgewohnheiten am Beruhigungssauger<br />

oder an der Dauernuckelflasche abbauen und damit frühzeitig<br />

die Entstehung von Kieferanomalien verhindern (Abb. 1) [4].<br />

Der Infant-Trainer kann ab dem vierten Lebensjahr ebenfalls im<br />

Milchgebiss eingesetzt werden (Abb. 2). Mit seiner Hilfe können Lutschgewohnheiten<br />

abgebaut und bei vorliegender Mundatmung auf<br />

gesunde Nasenatmung umgestellt werden. Eingearbeitete Luftfedern<br />

sollen ein sanftes Training der Kiefer- und Gesichtsmuskulatur<br />

bewirken und der Zunge durch eine stimulierende Zungenlasche<br />

zu einer korrekten Lage in Ruheposition und beim Schlucken am vorderen<br />

Gaumenabschnitt verhelfen. Das Kind wird damit zum Kauen<br />

unter Einsatz der Kaumuskulatur angeregt [4].


Der Position Trainer (Abb. 3) ist im frühen Wechselgebiss für Kinder<br />

ab sechs Jahren indiziert. Er unterstützt ebenfalls die korrekte<br />

Zungenruhelage, führt zur Nasenatmung und fördert den Mundschluss.<br />

Der Position Trainer hält den Zungen-, Lippen- und Wangen<strong>dr</strong>uck<br />

von den Zähnen und steuert den Zahndurchbruch bleibender<br />

Zähne [4].<br />

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ist die Bedeutung<br />

der interdisziplinären Diagnostik und Behandlung von Kindern mit<br />

orofazialen Dysfunktionen deutlich geworden. Folglich müssen Vorsorgeuntersuchungen<br />

zur Zahngesundheit die kieferorthopädische<br />

Befunderhebung und Analyse des funktionellen Status mit einschließen<br />

[13].<br />

Zur Vereinfachung und Förderung der Kommunikation der unterschiedlichen<br />

Fachdisziplinen hat die Autorin gemeinsam mit Dr. An<strong>dr</strong>ea<br />

Barth (Zahnärztin, Hannover) einen Kommunikationsbogen für<br />

Eltern zur Vorlage bei Ärzten oder Therapeuten entwickelt.<br />

Ziel des Kommunikationsbogens ist es, dass jeder „Kommunikationspartner“<br />

einen schnellen Überblick über die Entwicklung<br />

des Kindes erhält und zusätzlich einen Blick über die eigene Fachdisziplin<br />

hinaus bekommt. Dieser kann per Mail bei der Autorin angefordert<br />

werden.<br />

Zur Erlangung eines orofazialen Muskelgleichgewichts können<br />

Zahnärzte und Kieferorthopäden Sprachtherapie zum Beispiel mit<br />

der Diagnose „Viszerales Schluckmuster“ und/oder „Störungen der<br />

Artikulation“ (SP3) auf Muster 16 verordnen.<br />

Orofaziale Dysfunktionen sollten bereits im Milchgebiss behandelt<br />

werden, um den daraus resultierenden Dysgnathien und Sprechstörungen<br />

vorzubeugen oder sie zu reduzieren [4]. „Wird nicht früh<br />

genug eingegriffen, nehmen Häufigkeit und Schwere der Zahnfehlstellungen<br />

sogar noch zu. Rund 75 Prozent aller Zahnfehlstellungen<br />

sind durch Angewohnheiten mitbedingt, also nicht nur angeboren,<br />

und daher im Rahmen der Frühbehandlung gut zu beeinflussen“<br />

[15].<br />

Will man der Forderung nach „präventionsorientierter (Zahn-) Medizin“<br />

gerecht werden, darf es nicht sein, dass orofaziale Dysfunktionen<br />

nicht behandelt werden, um einen richtlinienkonformen Behandlungsbedarfsgrad<br />

und damit die Kostenübernahme durch die<br />

Krankenkasse zu erreichen [4]. Zur Reduzierung späterer Kosten<br />

besteht hier <strong>dr</strong>ingender Handlungsbedarf sowohl der Krankenkassen<br />

als auch des Bundesausschusses: In den GKV-Leistungskatalog<br />

sollten mehr präventive Maßnahmen als bisher aufgenommen<br />

und die Einschränkung der Frühbehandlung aufgehoben werden<br />

[4].<br />

Abb. 1: Ab dem <strong>dr</strong>itten Lebensjahr können mit dem Silikon-<br />

Entwöhnungssauger Stoppi Lutschgewohnheiten abtrainiert<br />

werden.<br />

Abb. 2: Ab dem vierten Lebensjahr eignet sich der MRC-Infantneu<br />

zur Behandlung von Mundatmung, offener Mundhaltung<br />

und Lutschgewohnheiten.<br />

Ulrike Kopp, Akademische Sprachtherapeutin,<br />

Abb. 3: Der MRC-PT1 kann ab dem sechsten Lebensjahr beziehungsweise<br />

im frühen Wechselgebiss therapiebegleitend<br />

eingesetzt werden.<br />

Fotos: Prof. Hinz, Herne

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