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Erfordernisse<br />

und Perspektiven<br />

für wirksame<br />

Begabungsförderung<br />

Ein <strong>Positionspapier</strong><br />

mit Reflexions<strong>ch</strong>arakter<br />

Netzwerk Begabungsförderung


Erfordernisse und Perspektiven für wirksame<br />

Begabungsförderung<br />

Einleitung<br />

Das im Jahr 2000 gegründete Netzwerk Begabungsförderung konnte an der zur<br />

Tradition gewordenen Herbst-Tagung vom 30. Oktober 2010 auf sein zehnjähriges<br />

Bestehen zurückblicken. Seit der Gründung wurde im Netzwerk der Wissens- und<br />

Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong> unter den Mitgliedern der Gremien wie au<strong>ch</strong> mit externen<br />

Fa<strong>ch</strong>leuten gepflegt. Dabei wurden vers<strong>ch</strong>iedene Aspekte der s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Begabungsförderung,<br />

die au<strong>ch</strong> Begabtenförderung umfasst, und der damit zusammenhängenden<br />

S<strong>ch</strong>ulentwicklungsarbeit diskutiert. Die im Netzwerk vertretenen<br />

Konzeptionen wurden immer wieder hinterfragt und weiterentwickelt. Das<br />

vorliegende Dokument fasst die konzeptionellen Vorstellungen auf ihrem aktuellen<br />

Stand zusammen und verweist auf Instrumente und Handrei<strong>ch</strong>ungen, die im<br />

Netzwerk und in seinem Umfeld entstanden sind. Das Rahmenpapier soll ni<strong>ch</strong>t<br />

abs<strong>ch</strong>liessend sein, es wird vielmehr als «Work in Progress» weiterentwickelt und<br />

dient vorab als interne Orientierungshilfe. In diesem Sinne dient es au<strong>ch</strong> der<br />

Si<strong>ch</strong>erung der Ergebnisse der in den Netzwerkgremien geleisteten Arbeit.<br />

Grundsätze und Leitgedanken<br />

Im Zentrum der Netzwerkarbeit steht die Prämisse, dass Begabungsförderung Teil<br />

der Unterri<strong>ch</strong>ts-, S<strong>ch</strong>ul- und Qualitätsentwicklung ist und perspektivis<strong>ch</strong> nur in<br />

einer «S<strong>ch</strong>ule der Vielfalt» vollständig umgesetzt werden kann.<br />

Bildungspolitis<strong>ch</strong>e Leitgedanken:<br />

Die Volks<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> gewährleistet allen Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en eine Bildung<br />

gemäss ihren Eignungen und Neigungen und fördert ihre Entwicklung zu selbständigen<br />

und verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gemeins<strong>ch</strong>aft. Wegleitend<br />

ist der Gedanke, dass jeder Mens<strong>ch</strong> sein Potential in Auseinandersetzung mit<br />

seiner Mit- und Umwelt entfalten und im Laufe des lebenslangen Lernens für die<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft und si<strong>ch</strong> selbst fru<strong>ch</strong>tbringend einsetzen kann.<br />

Dies bedeutet, dass die Volks<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> in integrativer Weise sowohl individualisierend<br />

wie au<strong>ch</strong> gemeins<strong>ch</strong>aftsbildend arbeitet und Motivation, Fähigkeit und<br />

Bereits<strong>ch</strong>aft zum Lernen unterstützt. Sie trägt sowohl der Persönli<strong>ch</strong>keitsbildung<br />

wie dem Kompetenzaufbau Re<strong>ch</strong>nung und a<strong>ch</strong>tet auf Bildung<strong>sg</strong>ere<strong>ch</strong>tigkeit. Im<br />

Zentrum des s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Prozesses stehen das Lernen der S<strong>ch</strong>ülerinnen und<br />

S<strong>ch</strong>üler und die darauf au<strong>sg</strong>eri<strong>ch</strong>tete Zusammenarbeit aller an S<strong>ch</strong>ule beteiligten<br />

Personen.<br />

Bildungstheoretis<strong>ch</strong>e Leitgedanken:<br />

Lernen wird verstanden als sozial konstituierter, konstruktiver Prozess. Das bedeutet,<br />

dass Wissen und Können ni<strong>ch</strong>t vermittelt werden können, sondern in einem<br />

interaktiven Prozess aufgebaut werden müssen. Dabei spielen das Vorwissen<br />

und Persönli<strong>ch</strong>keitsmerkmale der Lernenden sowie die materiale und emotionale<br />

Qualität der Lernumgebung eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle.<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

1


Vor diesem Hintergrund ist eine Lernkultur gefordert, die einen breiten Zugang<br />

zu Wissensressourcen mit dem Bereitstellen offener, herausfordernder Lernumgebungen<br />

verbindet und sowohl selbständige, selbstgesteuerte wie au<strong>ch</strong> begleitete<br />

und kooperative Lernformen zulässt. Kursoris<strong>ch</strong>e Formen we<strong>ch</strong>seln si<strong>ch</strong> ab<br />

mit Selbstlernphasen und projektorientiertem Arbeiten. Lernprozesse und Lernergebnisse<br />

werden reflektiert und dokumentiert sowie angemessen beurteilt. Im<br />

Rahmen des in der S<strong>ch</strong>ule Mögli<strong>ch</strong>en werden Anstösse zur spezifis<strong>ch</strong>en Interessenentwicklung<br />

gegeben und Entwicklungsmögli<strong>ch</strong>keiten für individuelle Stärken<br />

geboten oder vermittelt.<br />

S<strong>ch</strong>ulorganisatoris<strong>ch</strong>e Leitgedanken:<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e Lernkultur erfordert eine S<strong>ch</strong>ule, die na<strong>ch</strong> innen und aussen kooperiert<br />

und ihre Organisation (Lerngefässe, Zeitrahmen) wie au<strong>ch</strong> ihre Arbeit (Unterri<strong>ch</strong>t,<br />

Lernbegleitung) flexibel gestaltet. Die Lehrpersonen verfügen über vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Qualifikationsprofile und Stärken, die sie in der Zusammenarbeit im Team<br />

fru<strong>ch</strong>tbringend einsetzen können. Die Grenzen der Jahrgangsklassen sind dur<strong>ch</strong>lässig;<br />

übergreifendes, alter<strong>sg</strong>emis<strong>ch</strong>tes Lernen wie au<strong>ch</strong> die Flexibilisierung der<br />

individuellen Lernzeit sind mögli<strong>ch</strong>. In diesem Sinne nutzen S<strong>ch</strong>ulen ihren Gestaltungsspielraum.<br />

Anstrengung und Leistung von S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>ülern wie<br />

au<strong>ch</strong> von Lehrpersonen finden Werts<strong>ch</strong>ätzung und besondere Leistungen von<br />

Lernenden und Lehrenden werden in geeigneter Form präsentiert. Die S<strong>ch</strong>ule<br />

versteht si<strong>ch</strong> als lernende Gemeins<strong>ch</strong>aft, die au<strong>ch</strong> externe Partner in die Zusammenarbeit<br />

einbezieht.<br />

Massnahmen der Begabungsförderung<br />

Dur<strong>ch</strong>gesetzt hat si<strong>ch</strong> eine Si<strong>ch</strong>tweise, die Begabungsförderung als ureigene Aufgabe<br />

der Volks<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> versteht und Massnahmen in einem systemis<strong>ch</strong>en Sinne auf<br />

allen Ebenen des Bildungswesens ansiedelt. So können si<strong>ch</strong> Massnahmen der<br />

Binnendifferenzierung im Unterri<strong>ch</strong>t (z. B. Curriculum-Compacting und selbständige<br />

Projektbearbeitung), klassenübergreifende Angebote auf der S<strong>ch</strong>ulhaus ebene<br />

(Enri<strong>ch</strong>ment, Fördergruppen, Akzeleration) und kommunal oder kantonal zentralisierte<br />

Gruppenangebote ergänzen. Der Talentförderung im sportli<strong>ch</strong>en oder<br />

künstleris<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> dienen S<strong>ch</strong>ulen mit spezifis<strong>ch</strong>-strukturierten Angeboten,<br />

zu denen der Zugang über eine interkantonale Vereinbarung geregelt wird.<br />

Im oben erwähnten systemis<strong>ch</strong>en Sinne kommt Begabungsförderung auf allen<br />

Ebenen des S<strong>ch</strong>ulsystems zum Tragen, auf der nationalen und kantonalen Ebene<br />

ebenso wie auf jener der Gemeinde, der Einzel<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> und der Klasse. Ein umfassendes<br />

Konzept der Begabungsförderung sieht ni<strong>ch</strong>t nur direkt den S<strong>ch</strong>ülerinnen<br />

und S<strong>ch</strong>ülern zugute kommende Angebote vor, sondern au<strong>ch</strong> Supportmassnahmen<br />

für Lehrpersonen (Handrei<strong>ch</strong>ungen, Weiterbildung, Ausbildung) und S<strong>ch</strong>ulen<br />

(Konzeptentwicklung, Qualitätssi<strong>ch</strong>erung). All diese Angebote, Massnahmen und<br />

Unterstützungsleistungen werden na<strong>ch</strong> den in unserem Bildungssystem gängigen<br />

Prinzipien konzipiert und müssen den übli<strong>ch</strong>en Qualitätsansprü<strong>ch</strong>en genügen<br />

(wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Fundierung, qualifiziertes Personal, geregelter Zugang,<br />

Chancen gere<strong>ch</strong>tigkeit etc.).<br />

2 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


S<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Begabungsförderung geht Hand in Hand mit der Förderung in der<br />

Familie und in aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Angeboten bzw. Aktivitäten (Freizeitgestaltung,<br />

Musik<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong>, Sportverein etc.).<br />

Entwicklungss<strong>ch</strong>ritte, Konzeptionen, Instrumente<br />

für eine begabungsfördernde S<strong>ch</strong>ule<br />

Auf dem Weg zu einer S<strong>ch</strong>ule, die na<strong>ch</strong> den oben bes<strong>ch</strong>riebenen Grundsätzen<br />

arbeiten kann, sind Entwicklungss<strong>ch</strong>ritte notwendig. An vielen Orten wurden diese<br />

bereits vollzogen, an anderen stehen sie no<strong>ch</strong> aus. Im Folgenden wird auf eins<strong>ch</strong>lägige<br />

Literatur verwiesen sowie auf Instrumente und Handrei<strong>ch</strong>ungen, die<br />

im Rahmen des Netzwerkes und seines Umfeldes entstanden sind. Die na<strong>ch</strong>folgende<br />

Zusammenstellung ist geordnet na<strong>ch</strong> Unterri<strong>ch</strong>tsebene (A), S<strong>ch</strong>ulebene (B),<br />

Support massnahmen (C).<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

3


A. Entwicklungss<strong>ch</strong>ritte auf der Unterri<strong>ch</strong>tsebene<br />

1. Transparenz der Klassen- und Lernziele für alle<br />

Beteiligten als Orientierungsrahmen für<br />

individuelles Lernen<br />

Für die Lernentwicklung der Einzelnen spielt das Lern- und Unterri<strong>ch</strong>tsklima eine<br />

wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Wenn die Regeln für das Zusammenleben und Lernen in der Klasse<br />

unter Beteiligung aller S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler erarbeitet werden und für<br />

alle verständli<strong>ch</strong> und zugängli<strong>ch</strong> sind, s<strong>ch</strong>affen sie Orientierung und einen verlässli<strong>ch</strong>en<br />

Rahmen für Verhalten, Zusammenleben und gemeinsame Lernarbeit.<br />

Ein zentrales Element ist dabei der respektvolle Umgang mit Diversität (Grossrieder,<br />

2010).<br />

Der in Arbeit befindli<strong>ch</strong>e Lehrplan 21 erhebt den Anspru<strong>ch</strong>, Lernziele und Kompetenzerwartungen<br />

transparenter zu ma<strong>ch</strong>en als dies bei herkömmli<strong>ch</strong>en Lehrplänen<br />

der Fall war. Es wird zu prüfen sein, ob die Lernziele im Sinne der Begabungsförderung<br />

«na<strong>ch</strong> oben offen» formuliert sind und neben den verbindli<strong>ch</strong> zu<br />

errei<strong>ch</strong>enden Grundkompetenzen den Lehrpersonen au<strong>ch</strong> eine gewisse Orientierung<br />

bezügli<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>er Entwicklungshorizonte (im Sinne Vigotskys) liefern. Das<br />

Netzwerk Begabungsförderung widmet sein Jahresthema 2013 dem Lehrplan 21.<br />

2. Lernziele individualisieren<br />

Die Individualisierung der Lernziele setzt pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik und regelmässige<br />

Lernstandsanalyse voraus. Pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik fragt na<strong>ch</strong> den Lernau<strong>sg</strong>angslagen<br />

und -bedürfnissen der Lernenden und nutzt die gewonnenen<br />

Erkenntnisse für eine adaptive Unterri<strong>ch</strong>t<strong>sg</strong>estaltung und individuelle Lernförderung<br />

(Buholzer, 2010). Am Anfang aller Diagnostik steht die Beoba<strong>ch</strong>tung der<br />

S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler. Um diese zu systematisieren und auf die Begabungsförderung<br />

zu fokussieren, wurden Beoba<strong>ch</strong>tungsbogen entwickelt, die – au<strong>ch</strong> von<br />

Eltern au<strong>sg</strong>efüllt – als Grundlage für eine förderli<strong>ch</strong>e Unterri<strong>ch</strong>tsplanung sowie<br />

Lern- und Beurteilung<strong>sg</strong>esprä<strong>ch</strong>e dienen können (Huser, 2011).<br />

Zu Beginn eines grösseren Bildungszyklus kann au<strong>ch</strong> ein mehrdimensionales<br />

Screeningverfahren eingesetzt werden (Ziegler & Stöger, 2003).<br />

Für die konkrete differenzierende Unterri<strong>ch</strong>tsplanung sind fa<strong>ch</strong>spezifis<strong>ch</strong>e Instrumente<br />

zur Lernstandsanalyse notwendig.<br />

3. Erweiterte und offene Lehr- und Lernformen,<br />

Lernumgebungen<br />

Unterri<strong>ch</strong>tsformen, die das Bes<strong>ch</strong>reiten individueller Lernwege zulassen und Lernen<br />

in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Tempo ermögli<strong>ch</strong>en, offen sind für eigene Interessen<br />

und Fragestellungen der Lernenden und eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Tiefe der Auseinandersetzung<br />

mit den Lerninhalten erlauben, sind in einer begabungsfördernden<br />

S<strong>ch</strong>ule unerlässli<strong>ch</strong> (Müller-Oppliger, 2010).<br />

4 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


Lernumgebungen, Lern-, Anwendungs-, Übungs- und Prüfungsaufgaben<br />

haben einen Einfluss auf die Qualität des Lernens und die Motivation. Sind Lernumgebungen<br />

so gestaltet, dass sie vers<strong>ch</strong>iedene Zugänge ermögli<strong>ch</strong>en und «Rampen»<br />

bereitstellen, lassen sie Problemlösungen auf vers<strong>ch</strong>iedenen Kompetenzstufen<br />

zu (Hengartner et al., 2010).<br />

4. Lernjournal, Entwicklungsportfolio<br />

Als Grundlage für die Lernbegleitung, das Monitoring von Lernforts<strong>ch</strong>ritten und<br />

die Lernberatung dienen Lernjournale, in denen S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler ihre<br />

Lerns<strong>ch</strong>ritte festhalten und darüber untereinander, aber au<strong>ch</strong> mit Lehrpersonen<br />

und Eltern kommunizieren können (Ruf & Winter, 2012).<br />

Portfolios sind dazu geeignet, Lernwege stärkenorientiert zu reflektieren und<br />

die Leistungen der Lernenden zu dokumentieren (Eisenbart, S<strong>ch</strong>elbert & Stokar-<br />

Bis<strong>ch</strong>ofberger, 2010).<br />

5. Leistungsbewertung<br />

Die Leistungsbewertung erfolgt zweckbestimmt (formativ, summativ oder prognostis<strong>ch</strong>),<br />

sie ist transparent hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> Verfahren und Kriterien, und sie orientiert<br />

si<strong>ch</strong> an den angestrebten Lernzielen. Die gewählten Mittel sind ihren Zwecken<br />

dienli<strong>ch</strong> (Nües<strong>ch</strong>, Bodenmann & Birri, 2009).<br />

6. Mögli<strong>ch</strong>keiten zu interessen- und<br />

fähigkeit<strong>sg</strong>eleitetem Lernen<br />

Freiarbeit, Fors<strong>ch</strong>ungsräume und Ressourcenzimmer oder Begabungs-Pull-Outs<br />

sind einige der Mögli<strong>ch</strong>keiten, um Raum zu s<strong>ch</strong>affen für interessen- und fähigkeit<strong>sg</strong>eleitetes<br />

Lernen. Sie ermögli<strong>ch</strong>en selbständiges und begleitetes Arbeiten<br />

an individuellen Projekten und sie öffnen den Zugang zu Informationsressourcen,<br />

anspru<strong>ch</strong>svollen Lernmaterialien und Experimentierfeldern (Müller-Oppliger,<br />

2009). Die Präsenz von spezialisierten Lehrpersonen oder Fa<strong>ch</strong>leuten ermögli<strong>ch</strong>t<br />

vertiefte Einblicke in Interessengebiete, qualifiziertes Arbeiten an eigenen Fragestellungen<br />

und den Aufbau von Expertise (Stiftung für ho<strong>ch</strong>begabte Kinder &<br />

Stiftung Mercator S<strong>ch</strong>weiz, 2009).<br />

7. Selbstlernkompetenzen vermitteln,<br />

Selbstkonzept aufbauen<br />

Selbstgesteuertes Lernen will gelernt sein. Zur Reflexion und Steuerung des eigenen<br />

Lernens brau<strong>ch</strong>t es metakognitive Strategien, methodis<strong>ch</strong>e Kompetenzen und<br />

geeignete Instrumente zur Unterstützung der Selbstreflexion (Guldimann, 2010;<br />

Rogalla & Müller-Hostettler, 2009).<br />

Wi<strong>ch</strong>tige Einflussfaktoren für erfolgrei<strong>ch</strong>es selbstgesteuertes Lernen sind<br />

Selbstkonzept, Attributionsstile und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die bei<br />

Angehörigen von Minderheiten und insbesondere in ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsuntypis<strong>ch</strong>en<br />

Fa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>en verzerrt sein können (Stöger et al. 2012).<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

5


B. Entwicklungss<strong>ch</strong>ritte auf der S<strong>ch</strong>ulebene<br />

1. Fokus Begabungsförderung in S<strong>ch</strong>ulentwicklung<br />

bea<strong>ch</strong>ten<br />

Begabungsförderung ist ein Aspekt der S<strong>ch</strong>ulentwicklung und es gilt, im Rahmen<br />

der S<strong>ch</strong>ulentwicklungsarbeit diesen Blickwinkel immer wieder bewusst einzunehmen<br />

und si<strong>ch</strong> zu fragen, ob die S<strong>ch</strong>ule mit ihren weiterentwickelten Unterri<strong>ch</strong>tsund<br />

Organisationsformen allen S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>ülern, au<strong>ch</strong> den besonders<br />

begabten, mögli<strong>ch</strong>st gere<strong>ch</strong>t wird (Lienhard, 2012).<br />

2. Klassen- und jahrgangübergreifendes<br />

Lernen ermögli<strong>ch</strong>en<br />

In S<strong>ch</strong>ulen, die klassen- und jahrgangübergreifend arbeiten, wird Heterogenität<br />

zur Normalität und der Umgang mit ihr zur Selbstverständli<strong>ch</strong>keit. In alter<strong>sg</strong>emis<strong>ch</strong>ten<br />

Lerngruppen finden individuelle Lernwege Platz und die Verweil dauer<br />

in einem S<strong>ch</strong>uljahrgang kann sehr flexibel gehandhabt werden (A<strong>ch</strong>ermann &<br />

Gehrig 2011).<br />

3. Flexibilisierung der S<strong>ch</strong>uldur<strong>ch</strong>laufzeit<br />

(Akzeleration)<br />

Au<strong>ch</strong> in S<strong>ch</strong>ulen, die im Jahrgangsprinzip arbeiten, besteht die Mögli<strong>ch</strong>keit, Klassen<br />

zu überspringen oder gewisse Lerninhalte in einer nä<strong>ch</strong>sten Jahrgangsklasse<br />

oder an einer weiterführenden S<strong>ch</strong>ule zu besu<strong>ch</strong>en (Heinbokel, 2009).<br />

4. Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams<br />

Grundlage integrativer und begabungsfördernder S<strong>ch</strong>ulen ist die Zusammenarbeit<br />

der Lehrpersonen, die dann besonders fru<strong>ch</strong>tbar wird, wenn unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Kompetenzprofile in die Zusammenarbeit eingebra<strong>ch</strong>t werden. S<strong>ch</strong>ulen, die<br />

Kooperation systematis<strong>ch</strong> anlegen, werden zu professionellen Lerngemeins<strong>ch</strong>aften<br />

(Es<strong>ch</strong>elmüller, 2012; Hofer & Boscardin, 2011).<br />

6 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


C. Supportmassnahmen<br />

1. Integrative Gestaltung von Begabungsförderung<br />

In der Deuts<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>weiz wird Begabungsförderung zu einem grossen Teil im Rahmen<br />

der integrativen S<strong>ch</strong>ulungsform bzw. der allgemeinen Förderangebote angesiedelt.<br />

Wie der Einführung zu diesem Papier zu entnehmen ist, wird Begabungsförderung<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> integrativ gestaltet (Keller, 2009).<br />

2. Abklärungsverfahren<br />

Liegt zwis<strong>ch</strong>en den Lernvoraussetzungen oder -bedürfnissen des Kindes und den<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten der S<strong>ch</strong>ule ein Misfit vor, kann eine psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Abklärung sinnvoll<br />

sein. Abklärungsverfahren sind teilweise au<strong>ch</strong> nötig zur Auslösung von Ressourcen<br />

für die Begabungs- und Begabtenförderung. Abklärungsverfahren, die<br />

umfassend gestaltet sind, berücksi<strong>ch</strong>tigen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begabungsdomänen<br />

und sind dafür geeignet, au<strong>ch</strong> begabte Minderheiten zu erfassen (Stamm, 2010).<br />

3. Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen<br />

und Fa<strong>ch</strong>kräften<br />

Eine zentrale Ressource für die integrative Begabungsförderung ist die Qualifikation<br />

der Lehrpersonen. In dieser Perspektive werden in der Grundausbildung<br />

Kenntnisse und Erfahrungen über den Umgang mit Heterogenität vermittelt und<br />

Gelegenheiten ges<strong>ch</strong>affen, si<strong>ch</strong> mit subjektiven Begabungstheorien auseinanderzusetzen<br />

sowie Begabungsmodelle und Konzepte der Begabungsförderung kennen<br />

zu lernen, um Lehrpersonen zu befähigen, begabte Kinder zu erkennen und<br />

gegenüber Eltern als erste Anspre<strong>ch</strong>person aufzutreten (Brunner, Gyseler & Lienhard,<br />

2002). Der Prozess der Integration von Kompetenzen zur Begabungs- und<br />

Begabtenförderung in die Grundausbildung von Lehrpersonen ist ni<strong>ch</strong>t abges<strong>ch</strong>lossen<br />

(Tanner & Tettenborn, 2013).<br />

Auf internationaler Ebene wurden Empfehlungen für spezialisierende Ausresp.<br />

Weiterbildungen in der Begabtenförderung formuliert. An diesem Prozess<br />

waren au<strong>ch</strong> Experten aus der S<strong>ch</strong>weiz beteiligt (IPEGE 2009; 2012).<br />

4. Personalentwicklung in begabungsfördernden<br />

S<strong>ch</strong>ulen<br />

S<strong>ch</strong>ulen, die na<strong>ch</strong> den eingangs des Papiers dargestellten Grundsätzen arbeiten,<br />

nehmen eine Vielzahl von Aufgaben wahr, die nur mit multiprofessionellen<br />

Teams zu bewältigen sind. In diesem Sinne ist eine gezielte Personalentwicklung<br />

in S<strong>ch</strong>ulen von zentraler Bedeutung. Sie steht zum einen im Dienste der Weiterentwicklung<br />

von S<strong>ch</strong>ulen und stellt zum andern die Weiterbildung und Laufbahnentwicklung<br />

der Lehrpersonen in einen übergeordneten Rahmen (Böckelmann,<br />

2008).<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

7


5. Voneinander lernen, Erfahrungen austaus<strong>ch</strong>en,<br />

Netze knüpfen<br />

Begabungs- und Begabtenförderung sind Aspekte der S<strong>ch</strong>ulentwicklung und<br />

diese verläuft als Prozess, der ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liessbar ist. Laufend entstehen neue<br />

Erkenntnisse, Erfahrungen, Handrei<strong>ch</strong>ungen und weiterführende Ideen.<br />

Die Kantone und die Einzelpersonen, die im Netzwerk Begabungsförderung<br />

zusammenges<strong>ch</strong>lossen sind, bemühen si<strong>ch</strong>, ihr Wissen mit andern zu teilen. Da<br />

die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Strukturen und Organisationsmuster in den Kantonen vers<strong>ch</strong>ieden<br />

sind, wurden dort zahlrei<strong>ch</strong>e mas<strong>sg</strong>es<strong>ch</strong>neiderte Unterlagen und Informationsmaterialien<br />

erarbeitet. Sie sind auf der zentralen Plattform des Netzwerks<br />

Begabungsförderung abgelegt.<br />

Dort finden si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Links zu andern Organisationen und Fa<strong>ch</strong>personen<br />

sowie deren Angeboten, Hinweise zu Weiterbildungsmögli<strong>ch</strong>keiten sowie ein<br />

Fundus an kommentierten Publikationen (www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong>).<br />

6. Begriffe klären<br />

Um die vielen Fa<strong>ch</strong>begriffe, die im Berei<strong>ch</strong> Begabungs- und Begabtenförderung<br />

verwendet werden, zu klären und zu erläutern, wird dieses Rahmenpapier um ein<br />

Glossar ergänzt, das si<strong>ch</strong> im Anhang und auf der Website des Netzwerks befindet.<br />

8 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


Literatur:<br />

A<strong>ch</strong>ermann, E. & Gehrig, H. (2011). Altersdur<strong>ch</strong>mis<strong>ch</strong>tes Lernen – auf dem Weg zur<br />

Individualisierenden Gemeins<strong>ch</strong>afts<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong>. Bern: S<strong>ch</strong>ulverlag plus<br />

Böckelmann, C. (2008). Individuelle Weiterbildung im Kontext der Personalentwicklung –<br />

Überlegungen zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Funktionen. Beiträge zur Lehrerbildung, 1, 35 – 42<br />

www.bzl-online.<strong>ch</strong>/ar<strong>ch</strong>iv/heft/2008/1/35 ( 1. 3. 2013 )<br />

Buholzer, A. (2010). Lernprozesse förderorientiert diagnostizieren. In: A. Buholzer &<br />

A. Kummer Wyss (Hr<strong>sg</strong>.): Alle glei<strong>ch</strong> – alle unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>! Zum Umgang mit<br />

Heterogenität in S<strong>ch</strong>ule und Unterri<strong>ch</strong>t. Zug: Klett und Balmer, 97–108<br />

Brunner, E.; Gyseler, D. & Lienhard, P. (2002). Qualitätsstandards Begabtenförderung in der<br />

Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Expertenberi<strong>ch</strong>t im Auftrag der EDK-Ost Fa<strong>ch</strong>gruppe<br />

Begabtenförderung. Züri<strong>ch</strong>: HfH<br />

www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong>/seiten/kantone/kantone.html ( 1. 3. 2013 )<br />

Eisenbart, U.; S<strong>ch</strong>elbert, B. & Stokar-Bis<strong>ch</strong>ofberger, E. (2010). Stärken entdecken –<br />

erfassen – entwickeln. Das Talentportfolio in der S<strong>ch</strong>ule. Bern: S<strong>ch</strong>ulverlag plus<br />

Es<strong>ch</strong>elmüller, M. (2012). Unterri<strong>ch</strong>tsteams in integrativen S<strong>ch</strong>ulen. Präsentation an der<br />

Tagung «Gemeinsam unterri<strong>ch</strong>ten und fördern in einer S<strong>ch</strong>ule für alle», Luzern, 17. 11. 2012<br />

www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong>/pdf/tagungen/unterlagen_12/WS10_Es<strong>ch</strong>elmueller.pdf<br />

( 1. 3. 2013 )<br />

Grossrieder, I. (2010). Glei<strong>ch</strong>es und Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>es anerkennen. In: A. Buholzer &<br />

A. Kummer Wyss (Hr<strong>sg</strong>.): Alle glei<strong>ch</strong> – alle unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>! Zum Umgang mit<br />

Heterogenität in S<strong>ch</strong>ule und Unterri<strong>ch</strong>t. Zug: Klett und Balmer, 87 – 96<br />

Guldimann, T. (2010). Lernen verstehen und eigenständiges Lernen fördern.<br />

In: A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hr<strong>sg</strong>.): Alle glei<strong>ch</strong> – alle unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>! Zum Umgang<br />

mit Heterogenität in S<strong>ch</strong>ule und Unterri<strong>ch</strong>t. Zug: Klett und Balmer, 109 – 121<br />

Heinbokel. A. (2009). Handbu<strong>ch</strong> Akzeleration. Was Ho<strong>ch</strong>begabten nützt. Berlin: LIT<br />

Hengartner, E.; Hirt, U. & Wälti, B. (2010). Lernumgebungen für Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e bis<br />

Ho<strong>ch</strong>begabte. Natürli<strong>ch</strong>e Differenzierung im Mathematikunterri<strong>ch</strong>t, 1. bis 6. S<strong>ch</strong>uljahr.<br />

Zug: Klett und Balmer (2. aktualisierte und erweiterte Auflage)<br />

Hofer, C. & Boscardin, N. (2011). Führen von multiprofessionellen Teams. In: F. Brückel,<br />

M.C. Dietiker und R. Guerra Lig-Long (Hr<strong>sg</strong>.): Tages<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong>n heute. Theoretis<strong>ch</strong>e<br />

Grundlagen und praktis<strong>ch</strong>e Modelle. Züri<strong>ch</strong>: Verlag Pestalozzianum<br />

Huser, J. (2011). Li<strong>ch</strong>tblick für helle Köpfe. Ein Wegweiser zur Erkennung und Förderung<br />

von hohen Fähigkeiten bei Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en auf allen S<strong>ch</strong>ulstufen. Züri<strong>ch</strong>:<br />

Lehrmittelverlag des Kantons Züri<strong>ch</strong> [Beoba<strong>ch</strong>tungsbogen für Eltern stehen in 7 Spra<strong>ch</strong>en<br />

zur Verfügung: www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong>/seiten/fundus/practises/practises.html<br />

( 1. 3. 2013 )]<br />

IPEGE [International Panel of Experts for Gifted Education] (2009). Professionelle<br />

Begabtenförderung. Empfehlungen zur Qualifizierung von Fa<strong>ch</strong>kräften in der<br />

Begabtenförderung. Salzburg: özbf<br />

www.oezbf.net/cms/tl_files/Publikationen/Veroeffentli<strong>ch</strong>ungen/iPEGE_1_web.pdf ( 1. 3. 2013 )<br />

IPEGE [International Panel of Experts for Gifted Education] (2012). Professionelle<br />

Begabtenförderung. Erprobte Studienmodule. Salzburg: özbf<br />

www.oezbf.net/cms/tl_files/Publikationen/Veroeffentli<strong>ch</strong>ungen/iPEGE_3_WEB.pdf<br />

(1 .3. 2013)<br />

Keller, M. (2009). Begabungsförderung brau<strong>ch</strong>t Unterri<strong>ch</strong>tsentwicklung. In: Stiftung für<br />

ho<strong>ch</strong>begabte Kinder & Stiftung Mercator S<strong>ch</strong>weiz (Hr<strong>sg</strong>.): Begabungsförderung lei<strong>ch</strong>t<br />

gema<strong>ch</strong>t. Unterlagen und Konzepte von LISSA-Preisträgern. Bern: hep, 21 – 30<br />

Lienhard, P. (2012). Geht die Begabtenförderung in der integrativen S<strong>ch</strong>ule auf oder unter?<br />

Referat an der Tagung «Gemeinsam unterri<strong>ch</strong>ten und fördern in einer S<strong>ch</strong>ule für alle»,<br />

Luzern, 17. 11. 2012<br />

www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong>/pdf/tagungen/unterlagen_12/Referat_Lienhard.pdf<br />

(1. 3. 2013)<br />

Müller-Oppliger, V. (2009). Kritis<strong>ch</strong>e Würdigung der LISSA-Projekte aus internationaler<br />

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Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

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10 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


verbindet si<strong>ch</strong> mit der Begabungszus<strong>ch</strong>reibung zuglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein Verständnis<br />

des Besonderen. Ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>er Klavierspieler wird in der Regel ni<strong>ch</strong>t als<br />

«begabt» bes<strong>ch</strong>rieben. Die Zus<strong>ch</strong>reibung einer Begabung verweist daher au<strong>ch</strong><br />

auf ein → Potential, das gefördert werden könnte/sollte (→ Begabungsförderung).<br />

S<strong>ch</strong>wierig wird es dann, wenn zuges<strong>ch</strong>riebene Begabungen ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

«si<strong>ch</strong>tbar» werden: Au<strong>ch</strong> das Alltagsverständnis von Begabung kennt bereits die<br />

Differenz zwis<strong>ch</strong>en → Disposition und Leistung.<br />

Im Rahmen vers<strong>ch</strong>iedener wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Fa<strong>ch</strong>disziplinen wie der Pädagogik<br />

bzw. der Pädagogis<strong>ch</strong>en Psy<strong>ch</strong>ologie werden eindimensional-statis<strong>ch</strong>e von<br />

mehrdimensional-dynamis<strong>ch</strong>en, stärker kontext-sensitiven Begabungsbegriffen<br />

unters<strong>ch</strong>ieden. Die jeweiligen Begabungsbegriffe sind als begriffli<strong>ch</strong>e Konzepte<br />

Teil von Begabungsmodellen. Bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> das Begabungsmodell auf die allgemeine<br />

Denkfähigkeit, so wird eine besondere (kognitive) Begabung zumeist an<br />

einem statistis<strong>ch</strong> festgelegten Grenzwert in einem Intelligenztest (z.B. IQ ≥130)<br />

festgema<strong>ch</strong>t. Neuere mehrdimensionale Begabungsmodelle s<strong>ch</strong>liessen dagegen<br />

ein breiteres Begabungsspektrum mit ein. Zu den Begabungsfaktoren zählen<br />

neben den intellektuellen Fähigkeiten dann au<strong>ch</strong> etwa künstleris<strong>ch</strong>-kreative,<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>-praktis<strong>ch</strong>e oder au<strong>ch</strong> sozial-emotionale Fähigkeiten.<br />

Begabte<br />

Als «begabt» werden in der Regel Personen bezei<strong>ch</strong>net, die si<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> zu<br />

anderen dur<strong>ch</strong> eine grössere Leistungsfähigkeit und ein grösseres Förderpotential<br />

auszei<strong>ch</strong>nen. Begabte zeigen zumeist weitere ni<strong>ch</strong>t kognitive Persönli<strong>ch</strong>keitsmerkmale<br />

in hoher Ausprägung, wel<strong>ch</strong>e der Entwicklung ihres Leistungspotentials<br />

förderli<strong>ch</strong> sind. Dies sind u.a. eine hohe Leistungsmotivation, au<strong>sg</strong>ereifte Arbeitsund<br />

Lernstrategien und ein positives Selbstkonzept der eigenen → Begabung(en).<br />

Damit eine → Begabung si<strong>ch</strong> ausprägen kann und Begabte überhaupt erst<br />

«si<strong>ch</strong>tbar» werden, müssen vers<strong>ch</strong>iedene Faktoren zusammenspielen. So unterstützen<br />

eine anregende familiäre Lernumwelt und ein auf → Begabungsförderung<br />

au<strong>sg</strong>eri<strong>ch</strong>teter Unterri<strong>ch</strong>t die Begabungsentwicklung.<br />

Begabungsförderung<br />

Die Betonung des Auftrags zur Begabungsförderung in Bildung und Erziehung ist<br />

Folge eines neueren Lehr-Lernverständnisses, wel<strong>ch</strong>es das Individuum mit seinem<br />

(vorläufigen) Wissen und Können und seinen je spezifis<strong>ch</strong>en Lernprozessen,<br />

Interessen und Motivationen ins Zentrum rückt. S<strong>ch</strong>ule und Unterri<strong>ch</strong>t sollen den<br />

individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozessen der S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler<br />

besser gere<strong>ch</strong>t werden. Begabungsförderung wird zur Persönli<strong>ch</strong>keitsbildung.<br />

S<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Begabungsförderung erfordert von den Lehrpersonen, si<strong>ch</strong> stärker an<br />

den Lern- und Leistungspotentialen der S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler zu orientieren<br />

und Lernmaterial und Lernmethodik entspre<strong>ch</strong>end angepasst zu gestalten. Die<br />

Rolle der Lehrperson wird um den Aspekt des Begleitens und Beratens von Lernprozessen<br />

erweitert, die Vers<strong>ch</strong>iedenheit der S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

ihrer → Begabungen und Förderbedürfnisse wird als Au<strong>sg</strong>angspunkt unterri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Handelns akzeptiert (→ Pädagogik der Vielfalt).<br />

Begabtenförderung<br />

Die Förderung au<strong>sg</strong>eprägt begabter junger Mens<strong>ch</strong>en mit hohem Leistungspotential<br />

erfordert bisweilen besondere Massnahmen, die über die Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

im Regelunterri<strong>ch</strong>t hinau<strong>sg</strong>ehen. Dies ist insbesondere in Begabungsdomänen<br />

12 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


der Fall, die im s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Unterri<strong>ch</strong>t nur eine untergeordnete Rolle spielen<br />

(z.B. körperli<strong>ch</strong>-sportli<strong>ch</strong>e, künstleris<strong>ch</strong>-gestaltende, musikalis<strong>ch</strong>e, soziale Begabung).<br />

Es ist au<strong>ch</strong> dann der Fall, wenn es um Interessengebiete geht, die ausserhalb<br />

des s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Lehrplanes liegen. Es kann au<strong>ch</strong> dann der Fall sein, wenn<br />

das Leistungspotential der S<strong>ch</strong>ülerin oder des S<strong>ch</strong>ülers die fa<strong>ch</strong>spezifis<strong>ch</strong>en Kompetenzen<br />

der zuständigen Lehrperson übersteigt. Der Begriff Begabtenförderung<br />

ums<strong>ch</strong>reibt sol<strong>ch</strong>e Massnahmen (→ Compacting des Basisslehrplans zur Gewinnung<br />

von Trainings- und Übungszeit, → Akzeleration im Sinne eines vorzeitigen<br />

Besu<strong>ch</strong>s von Vorlesungen an einer Ho<strong>ch</strong><strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> im spezifis<strong>ch</strong>en Interessengebiet,<br />

→ Pull-out Lösungen zur Bearbeitung persönli<strong>ch</strong>er Projekte, → Mentoring dur<strong>ch</strong><br />

eine fa<strong>ch</strong>spezifis<strong>ch</strong> qualifizierte Fa<strong>ch</strong>person). Um der Spezifität sol<strong>ch</strong>er Leistungspotentiale<br />

(z.B. in einer bestimmten Sportart) und der Kleinräumigkeit unseres<br />

Landes Re<strong>ch</strong>nung zu tragen, haben die Kantone 2003 eine Interkantonale Vereinbarung<br />

für S<strong>ch</strong>ulen mit spezifis<strong>ch</strong>-strukturierten Angeboten für Ho<strong>ch</strong>be gabte<br />

getroffen.<br />

Compacting<br />

Compacting ist ein systematis<strong>ch</strong>es Verfahren, bei dem der Basislehrplan gestrafft<br />

und intensiviert wird. Dadur<strong>ch</strong> soll die Wiederholung von bereits gelerntem Stoff<br />

vermieden, die Herausforderung innerhalb des regulären Unterri<strong>ch</strong>ts erhöht und<br />

Zeit für angemessene → Enri<strong>ch</strong>ment- und → Akzelerationsmassnahmen gewonnen<br />

werden. Begabte Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e arbeiten ni<strong>ch</strong>t zwangsläufig s<strong>ch</strong>neller<br />

als ihre Klassenkameraden, sie lernen aber s<strong>ch</strong>neller und brau<strong>ch</strong>en deshalb weniger<br />

Einführungs- und Übungszeit als andere. Wenn feststeht, dass jemand etwas<br />

s<strong>ch</strong>on beherrs<strong>ch</strong>t, so kann die überflüssig gewordene Übungszeit zur Vertiefung<br />

des Themas verwendet werden. Bevor man ein Kind von einer Übungsphase oder<br />

gar einer ganzen Lernsequenz befreit, muss feststehen, dass keine erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Lücken bestehen, die den späteren Ans<strong>ch</strong>luss behindern würden. Mit einem Vortest,<br />

der die relevanten Lernziele ab<strong>ch</strong>eckt, kann dieser Gefahr begegnet werden.<br />

Disposition<br />

Die Disposition (von lat. dispositio = Anordnung, Anlage) wird oft als relativ stabile<br />

und situationsüberdauernde Neigung einer Person definiert, si<strong>ch</strong> in bestimmten<br />

Situationen in bestimmter Art und Weise zu verhalten. Oft wird von ererbten Dispositionen<br />

im Sinn von «es besteht eine innere Disposition, eine Anlage zu einer<br />

bestimmten Verhaltensweise oder Entwicklung» au<strong>sg</strong>egangen. Der Dispositionsbegriff<br />

beinhaltet u.a. die Vorstellung, dass bestimmte Persönli<strong>ch</strong>keitseigens<strong>ch</strong>aften<br />

vorhersagbar ma<strong>ch</strong>en, wie si<strong>ch</strong> eine Person in einer bestimmten Situation<br />

entwickeln kann oder verhalten wird.<br />

Enri<strong>ch</strong>ment<br />

Enri<strong>ch</strong>ment umfasst einerseits Aktivitäten zur Vertiefung und Erweiterung des<br />

Lernstoffs, andrerseits Aktivitäten, die über den Lehrplan hinau<strong>sg</strong>ehen oder Themen<br />

beinhalten, die ni<strong>ch</strong>t lehrplanrelevant sind. Mit Enri<strong>ch</strong>ment werden interessierte<br />

und motivierte S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler angeregt, si<strong>ch</strong> in ihrem Begabung<strong>sg</strong>ebiet<br />

spezifis<strong>ch</strong> weiter zu entwickeln oder neue Interessen<strong>sg</strong>ebiete zu<br />

entdecken. Ein umfassendes s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>es Enri<strong>ch</strong>ment Modell wurde Ende der<br />

1990er-Jahre dur<strong>ch</strong> Joseph Renzulli und Sally Reis entwickelt.<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

13


Heterogenität<br />

Während Vielfalt (diversity) die Tatsa<strong>ch</strong>e ums<strong>ch</strong>reibt, dass jeder Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong><br />

vom andern dur<strong>ch</strong> unzählige individuelle Merkmale unters<strong>ch</strong>eidet, bezieht si<strong>ch</strong><br />

der Begriff Heterogenität auf die Zusammensetzung von Gruppen na<strong>ch</strong> sozialen<br />

Kategorien (Alter, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Nationalität, Ethnizität, Spra<strong>ch</strong>e u.a.). Der Begriff<br />

Heterogenität wird in Abgrenzung von Homogenität gebrau<strong>ch</strong>t. Im Bildungswesen<br />

der Moderne wurde Homogenität im Sinne der Gruppenzusammensetzung<br />

na<strong>ch</strong> verglei<strong>ch</strong>barem Entwicklungs- und Leistungsstand angestrebt (Jahrgangsklassenprinzip,<br />

Mehrgliedrigkeit der Sekundarstufe I, separative Sonders<strong>ch</strong>ulung).<br />

Homogen zusammengesetzte Lerngruppen sollten das Unterri<strong>ch</strong>ten erlei<strong>ch</strong>tern<br />

und das Lehren wirksamer gestalten. Die Homogenisierbarkeit erwies si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />

als Fiktion; glei<strong>ch</strong>wohl wurde der Unterri<strong>ch</strong>t lange gemäss dieser Fiktion auf einen<br />

«mittleren Normals<strong>ch</strong>üler» au<strong>sg</strong>eri<strong>ch</strong>tet. S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler, die der Norm<br />

ni<strong>ch</strong>t entspra<strong>ch</strong>en, konnten von diesem Unterri<strong>ch</strong>t wenig profitieren und liefen<br />

Gefahr, au<strong>sg</strong>esondert zu werden.<br />

Mit der Individualisierung und Pluralisierung der Gesells<strong>ch</strong>aft sowie der<br />

zunehmenden Sensibilität für Bildungsungere<strong>ch</strong>tigkeit aufgrund zuges<strong>ch</strong>riebener<br />

Merkmale wie Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t und soziale Herkunft kam diese Konzeption an ihre<br />

Grenzen und erwies si<strong>ch</strong> zunehmend als problematis<strong>ch</strong>. Denn die soziale Gruppierung<br />

aufgrund zuges<strong>ch</strong>riebener Merkmale (Etikette, Stigma) wirkt si<strong>ch</strong> für das<br />

Lernen weniger förderli<strong>ch</strong> aus als erhofft und kann au<strong>ch</strong> zur Bena<strong>ch</strong>teiligung der<br />

Lernenden in den au<strong>sg</strong>esonderten Gruppen führen. Deshalb ist im Bildungswesen<br />

heute eine Trendwende hin zur bewussten Akzeptanz heterogen zusammengesetzter<br />

Lerngruppen zu beoba<strong>ch</strong>ten.<br />

Identifikation<br />

Das Identifizieren von Begabungen orientiert si<strong>ch</strong> einerseits an Modellvorstellungen,<br />

was unter → Begabung verstanden wird und andererseits an der Frage,<br />

wer dazu autorisiert ist, Begabungen mit wel<strong>ch</strong>en Methoden zu diagnostizieren.<br />

Initiiert dur<strong>ch</strong> die Arbeiten von Lewis Terman (1916) zur Intelligenzfors<strong>ch</strong>ung<br />

wurden anfängli<strong>ch</strong> vor allem herausragende kognitive Aspekte von Ho<strong>ch</strong>leistung<br />

anhand traditioneller Intelligenztests als Indikatoren für Ho<strong>ch</strong>begabung beigezogen.<br />

Mit der Erweiterung der Intelligenzkonzepte dur<strong>ch</strong> Howard Gardner (Multiple<br />

Intelligences, 1983), Robert Sternberg (Successful Intelligence, 1986) und der<br />

glei<strong>ch</strong>zeitigen Ausweitung der Begabungsmodelle auf künstleris<strong>ch</strong>-gestaltende,<br />

körperli<strong>ch</strong>-sportli<strong>ch</strong>e, musikalis<strong>ch</strong>e und soziale Ho<strong>ch</strong>leistungen ist in Fa<strong>ch</strong>kreisen<br />

jedo<strong>ch</strong> unbestritten, dass die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Begabungen ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong><br />

mittels klassis<strong>ch</strong>er Intelligenztests erfasst werden können. Verstärkt wird diese<br />

Erkenntnis dur<strong>ch</strong> sämtli<strong>ch</strong>e anerkannten Begabungsmodelle ab 1978 (Renzulli’s<br />

Three-Ring Concept), die au<strong>ch</strong> die weiteren (über messbare Intelligenz hinausführenden)<br />

persönli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften und den sozialen Kontext für die Entstehung<br />

von Ho<strong>ch</strong>begabungen mit einbeziehen. Au<strong>ch</strong> aktuelle Fors<strong>ch</strong>ungsergebnisse der<br />

Expertise und Exzellenzfors<strong>ch</strong>ung relativieren die Bedeutung des IQ als alleinigen<br />

und zentralen Faktor für Ho<strong>ch</strong>begabung.<br />

Entspre<strong>ch</strong>end wurden in den vergangenen Jahren breitere Verfahren entwickelt<br />

wie etwa das mehrdimensionale «Identification-Model» von Renzulli (1997), das<br />

«ENTER-Modell» von Stoeger und Ziegler (2003) oder breitere Screening-Verfahren,<br />

in denen ganze Klassen auf Begabungspotenziale der S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler<br />

hin beoba<strong>ch</strong>tet werden. Alle diese neueren Identifikationsverfahren berücksi<strong>ch</strong>tigen<br />

sowohl kognitive Intelligenzleistungen als au<strong>ch</strong> darüber hinaus gehende personale<br />

Potenziale (co-kognitive Fähigkeiten) sowie Affinitäten der Lernenden und<br />

Leistungen in allen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Bildungs- und Leistungsdomänen.<br />

14 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


Ein wesentli<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>ied der Identifikation von Begabungen besteht zwis<strong>ch</strong>en<br />

den deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Bildungssystemen Zentraleuropas und dem angloamerikanis<strong>ch</strong>en<br />

Ansatz. Während in Deuts<strong>ch</strong>land, Österrei<strong>ch</strong> und der S<strong>ch</strong>weiz die<br />

Identifikation von Begabungen seit Mitte der 90er-Jahre vielerorts der S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologie<br />

unterstellt wurde, ist die Identifikation von Begabungspotenzialen in den<br />

übrigen Bildungsnationen Aufgabe der Lehrpersonen und im Sinn einer → pädagogis<strong>ch</strong>en<br />

Diagnostik eine Grundaufgabe des regulären Berufsauftrages.<br />

Aus dem Ansatz einer breiten und systemis<strong>ch</strong>en Begabungserfassung dur<strong>ch</strong><br />

alle am Bildungsprozess Beteiligten heraus entstanden denn au<strong>ch</strong> parallel zu<br />

den Testverfahren der S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologie (Intelligenztest, Kreativitätstest, u.a.)<br />

Erhebungsverfahren, die Lehrpersonen, Eltern und Lernende zentral einbeziehen.<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end existieren für die Hand von Lehrpersonen und Begabungsfa<strong>ch</strong>personen<br />

eine Vielzahl von Beoba<strong>ch</strong>tungsbögen und Checklisten, die das Entdecken<br />

von Begabungspotenzialen im S<strong>ch</strong>ulalltag in heterogenen S<strong>ch</strong>ulklassen<br />

ermögli<strong>ch</strong>en sollen.<br />

Unbestritten bleibt die Auffassung, dass im speziellen Fall von Undera<strong>ch</strong>ievement<br />

(→ Minderleistung) oder → Twice Exceptional Students (Begabung und<br />

Behinderung) die spezifis<strong>ch</strong>e Abklärung im Aufgabenberei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologie<br />

liegt.<br />

Integration<br />

Der unter dem Sti<strong>ch</strong>wort → Heterogenität bes<strong>ch</strong>riebene Versu<strong>ch</strong> homogene Lerngruppen<br />

herzustellen, führte zur Separation von S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>ülern, die<br />

von der Norm abwi<strong>ch</strong>en, in ein immer differenzierter werdendes System von Kleinbzw.<br />

Sonderklassen (für Leistungss<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e, Fremdspra<strong>ch</strong>ige, Verhaltensauffällige<br />

etc.). Kinder mit Behinderungen blieben vom Regelklassenunterri<strong>ch</strong>t au<strong>sg</strong>es<strong>ch</strong>lossen<br />

und besu<strong>ch</strong>ten den Unterri<strong>ch</strong>t in Sonder<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong>n. Die Kinder wurden<br />

ausserhalb des Regelunterri<strong>ch</strong>ts sonderpädagogis<strong>ch</strong> betreut und damit blieben<br />

au<strong>ch</strong> der Aufbau und die Weiterentwicklung des sonderpädagogis<strong>ch</strong>en Fa<strong>ch</strong>wissens<br />

ausserhalb der Regelklasse angesiedelt.<br />

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts setzte eine Gegenbewegung<br />

ein. Die separiert ges<strong>ch</strong>ulten S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler sollten in die<br />

Regelklassen zurückgeführt und mit sonderpädagogis<strong>ch</strong>er Unterstützung dem<br />

Regelunterri<strong>ch</strong>t folgen. Diese «Rückführung» wird als Integration oder integrative<br />

S<strong>ch</strong>ulungsform bezei<strong>ch</strong>net. International wurde diese Bewegung dur<strong>ch</strong> die UN-<br />

Kinderre<strong>ch</strong>tskonvention (1989), die Erklärung der UNESCO von Salamanca (1994)<br />

und die UN-Behindertenre<strong>ch</strong>tskonvention (2006) unterstützt. Auf der nationalen<br />

Ebene unterstrei<strong>ch</strong>en das Behindertenglei<strong>ch</strong>stellung<strong>sg</strong>esetz (BehiG, 2002) sowie<br />

die Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Berei<strong>ch</strong> der Sonderpädagogik<br />

(Sonderpädagogik-Konkordat, 2011) das Prinzip der Integration.<br />

In dieser neuen Konzeption wird die Regelklasse mit sonderpädagogis<strong>ch</strong>en<br />

und anderen Ressourcen angerei<strong>ch</strong>ert (kollektiv zugespro<strong>ch</strong>ene Lektionen). Für<br />

Kinder mit Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen, die verstärkte sonderpädagogis<strong>ch</strong>e Massnahmen<br />

erforderli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, stehen na<strong>ch</strong> wie vor individuell zugespro<strong>ch</strong>ene Ressourcen<br />

zur Verfügung. Diese können – vereinfa<strong>ch</strong>t gesagt – zur Unterstützung des Kindes<br />

in der Regelklasse (integrative Sonders<strong>ch</strong>ulung) oder für die Platzierung in einer<br />

Sonder<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> eingesetzt werden.<br />

Als die im Netzwerk Begabungsförderung zusammenges<strong>ch</strong>lossenen Kantone<br />

Ende der 1990er Jahre Konzepte zur Begabungs- und Begabtenförderung formulierten,<br />

sahen diese in der Regel die integrative Förderung begabter Kinder vor. Als<br />

die Kantone in den vergangenen Jahren die sonderpädagogis<strong>ch</strong>e Förderung na<strong>ch</strong><br />

den oben erwähnten Prinzipien neu regelten, wurde die → Begabungsförderung<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

15


in die (sonderpädagogis<strong>ch</strong>en) Förderkonzepte einbezogen. Entspre<strong>ch</strong>end werden<br />

bei der Vorgabe zur kollektiven Ressourcenzuteilung sol<strong>ch</strong>e für Begabungs- und<br />

Begabtenförderung subsumiert oder explizit au<strong>sg</strong>ewiesen.<br />

In den S<strong>ch</strong>ulen führt die Integration zu verstärkter Zusammenarbeit von Regellehrpersonen<br />

und speziell qualifizierten Fa<strong>ch</strong>personen und damit zu → multiprofessionellen<br />

Teams.<br />

Inklusion<br />

Der Begriff Inklusion meint den wüns<strong>ch</strong>baren Endzustand der Integrationsbewegung,<br />

also die vollständige Rückführung der au<strong>sg</strong>esonderten S<strong>ch</strong>ülerinnen und<br />

S<strong>ch</strong>üler in die Regel<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> bzw. den vorbehaltlosen Einbezug aller in die Regel<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong>.<br />

Inklusion bedeutet au<strong>ch</strong>, dass die «S<strong>ch</strong>ule für alle» tragfähig und mit<br />

genügenden Ressourcen und Qualifikationen au<strong>sg</strong>estattet sein muss, um angemessen<br />

auf die individuell unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Lernvoraussetzungen und Förderbedürfnisse<br />

der Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>en eingehen zu können.<br />

Mentoring<br />

Ein Mentor/eine Mentorin unterstützt eine/n Mentee in der Selbstverwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

innerhalb eines Kontextes (einer Institution, eines Fa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>s, etc). Dies mit<br />

dem Ziel, dass die/der Mentee lernt, si<strong>ch</strong> selbst weiter zu entwickeln. Der Begriff<br />

«Mentor» stammt aus der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Mythologie: Der Weise Mentor wurde<br />

von Odysseus gebeten si<strong>ch</strong> während seiner Abwesenheit seines Sohnes Telema<strong>ch</strong>os<br />

anzunehmen. Mentoren sind Rollenmodelle. Sie sind sowohl Fa<strong>ch</strong>experten<br />

wie «väterli<strong>ch</strong>er Freund» (Mythologie). Sie verbinden Expertise in ihrem Fa<strong>ch</strong> mit<br />

Lebenserfahrung und Praxis in ihrem Spezialgebiet und dem Wohlwollen, einen<br />

jungen Mens<strong>ch</strong>en zu seiner Bestimmung hin (fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und persönli<strong>ch</strong>) zu be gleiten.<br />

Mentorate basieren auf Freiwilligkeit, gegenseitiger Anerkennung von Mentor<br />

und Mentee, Vers<strong>ch</strong>ränkung von Leben und Lernen, sowie auf einer reflektierten<br />

Vorbildkultur. Mentoren widmen si<strong>ch</strong> den persönli<strong>ch</strong>en Begabungen und Interessen<br />

ihrer Mentees, helfen bei Zielfindung, Orientierung und Prioritätensetzung<br />

und versu<strong>ch</strong>en, Fehlverhalten oder ungünstige Lernbedingungen zu korrigieren.<br />

Sie regen an und eröffnen neue Horizonte.<br />

Mentoring ist ein Prozess, in dem Mentor/innen die Entwicklung von Mentees<br />

ausserhalb der normalen Unterri<strong>ch</strong>tsbeziehung unterstützen. In der s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en<br />

Begabungsförderung kann si<strong>ch</strong> dies sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> au<strong>sg</strong>estalten. Mentor/in<br />

kann etwa eine Lehrperson aus einer höheren S<strong>ch</strong>ulstufe für einen Primars<strong>ch</strong>üler<br />

sein, die in einem spezifis<strong>ch</strong>en Fa<strong>ch</strong>gebiet Expertin ist; das können aber au<strong>ch</strong><br />

aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Künstler, Fors<strong>ch</strong>er oder Berufsleute mit überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>em<br />

Engagement und Expertise sein (au<strong>ch</strong> Senioren).<br />

In deuts<strong>ch</strong>en und niederländis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulen sind sogenannte Betreuungslehrer/innen<br />

(Mentor/innen) in S<strong>ch</strong>ulen der Begabungsförderung der Normalfall.<br />

Au<strong>ch</strong> in der angelsä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en Begabungsförderung nimmt Mentoring einen grossen<br />

Stellenwert ein; viele S<strong>ch</strong>ulen haben Mentoringprogramme und feste lokale<br />

Mentorengruppen, die – in Zusammenarbeit mit der S<strong>ch</strong>ule – einzelne S<strong>ch</strong>üler/<br />

innen individuell in ihren Begabungen fördern. Dazu gehört au<strong>ch</strong> das Wissen darum,<br />

dass S<strong>ch</strong>ule ni<strong>ch</strong>t in allen Begabungsdomänen über Exzellenz und Expertise<br />

verfügen kann, und dass Begabungsförderung im «real life» und mit «professionals»<br />

authentis<strong>ch</strong> und gerade deshalb eine wirksame Ergänzung zu s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en<br />

Förderprogrammen sein kann (ni<strong>ch</strong>t nur im Leistungssport und Musikunterri<strong>ch</strong>t).<br />

Mentoring kann deshalb sowohl innerhalb einer S<strong>ch</strong>ule stattfinden – aber au<strong>ch</strong><br />

über die S<strong>ch</strong>ule und die S<strong>ch</strong>ulprogramme hinausführen.<br />

16 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


Minderleistung<br />

Minderleistung (engl. undera<strong>ch</strong>ievement von to a<strong>ch</strong>ieve = etwas zustande bringen,<br />

ein Ziel errei<strong>ch</strong>en) lässt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>einbar einfa<strong>ch</strong> definieren: Sie liegt dann vor,<br />

wenn → Potenzial ni<strong>ch</strong>t zur Realisierung geführt werden kann. Diese konzeptuelle<br />

Definition ist sehr weit gefasst. Minderleister wäre demna<strong>ch</strong> jeder, der in<br />

einem Teilgebiet ni<strong>ch</strong>t das zustande bringt, was er eigentli<strong>ch</strong> zu leisten vermö<strong>ch</strong>te.<br />

Für die S<strong>ch</strong>ule wird deshalb gern eine operationale Definition verwendet, etwa<br />

«Minderleistende sind Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e, deren S<strong>ch</strong>ulleistungen s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />

ausfallen, als ihre intellektuellen Fähigkeiten vermuten lassen» (Brunner, Gyseler,<br />

Lienhard, 2005). Diese Definition kann dazu führen, dass ein hoher IQ (→ Begabung)<br />

mit tiefen S<strong>ch</strong>ulnoten in Relation gesetzt wird, um damit besondere Fördermassnahmen<br />

zu begründen.<br />

Stedtnitz (2008) gibt zu bedenken, dass Ho<strong>ch</strong>leistungen (und damit au<strong>ch</strong> Minderleistungen)<br />

ni<strong>ch</strong>t auf S<strong>ch</strong>ulleistungen bes<strong>ch</strong>ränkt werden können und dass<br />

das Leistungspotenzial eines Mens<strong>ch</strong>en nur bes<strong>ch</strong>ränkt messbar ist. Sie s<strong>ch</strong>lägt<br />

folgende Definition vor: «Minderleistung ist, wenn i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>en kann oder<br />

konnte, was i<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>en mö<strong>ch</strong>te oder wollte.» Diese Definition s<strong>ch</strong>liesst den<br />

Misserfolg und das Leiden daran mit ein.<br />

Bei Verda<strong>ch</strong>t auf Minderleistung im s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> ist eine vertiefte<br />

→ Abklärung der psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en Hintergründe dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologen<br />

angezeigt. Kennt man die dahinterliegenden Gründe (wie z.B. → s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>er Misfit,<br />

Persönli<strong>ch</strong>keitsmerkmale oder familiäre Einflüsse), so können die individuell<br />

erforderli<strong>ch</strong>en Massnahmen besser bestimmt werden.<br />

Misfit, s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>er<br />

Der Kinderarzt Remo Largo hat mit dem sogenannten «Zür<strong>ch</strong>er Fit-Konzept» den<br />

Begriff im Kontext der S<strong>ch</strong>weiz bekannt gema<strong>ch</strong>t. Das Konzept zielt darauf ab,<br />

dem Kind zu helfen, seine Stärken zu verwirkli<strong>ch</strong>en, seine S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en zu akzeptieren<br />

und damit umgehen zu lernen sowie ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln.<br />

Dazu müssen die drei Hauptbedürfnisse na<strong>ch</strong> emotionaler Si<strong>ch</strong>erheit, na<strong>ch</strong><br />

sozialer Akzeptanz sowie na<strong>ch</strong> Entwicklungsmögli<strong>ch</strong>keiten und Lernerfahrungen<br />

erfüllt werden. Das Fit-Konzept strebt in diesem Sinne eine Übereinstimmung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Kind und sozialer Umwelt an. Ist die Übereinstimmung zwis<strong>ch</strong>en kindli<strong>ch</strong>en<br />

Bedürfnissen und den Angeboten aus seiner Umgebung ni<strong>ch</strong>t vorhanden,<br />

kommt es zu einem Misfit.<br />

Ursula Hoyningen-Süess und Dominik Gyseler (2006) haben das Konzept des<br />

Misfits auf den pädagogis<strong>ch</strong>en und sonderpädagogis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> angewendet.<br />

Sie unters<strong>ch</strong>eiden drei Formen:<br />

— interner Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Entwicklungsmerkmalen des Kindes (z.B. Perfektionismus als Misfit zwis<strong>ch</strong>en<br />

individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen oder sozio-emotionale<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten als Misfit zwis<strong>ch</strong>en kognitiven und sozio-emotionalen<br />

Kompetenzen);<br />

— klassis<strong>ch</strong>er Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwis<strong>ch</strong>en bestimmten<br />

Entwicklungsmerkmalen des Kindes und bestimmten Umweltmerkmalen<br />

(z.B. s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Unterforderung als Misfit zwis<strong>ch</strong>en kognitiven Kompetenzen<br />

bzw. Bedürfnissen und Anforderungen des Unterri<strong>ch</strong>ts oder<br />

Kontakts<strong>ch</strong>wierigkeiten als Misfit zwis<strong>ch</strong>en kognitiven bzw. sozialen<br />

Kompetenzen und sozialen Erwartungen);<br />

— externer Missfit: mangelnde Übereinstimmung zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Umweltmerkmalen (z.B. didaktis<strong>ch</strong>e Differenzen als Misfit zwis<strong>ch</strong>en<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

17


methodis<strong>ch</strong>-didaktis<strong>ch</strong>en Vorstellungen der Eltern und dem Unterri<strong>ch</strong>tsstil<br />

der Lehrperson).<br />

Besteht ein Misfit über längere Zeit kann es zu Entwicklungsbeeinträ<strong>ch</strong>tigungen<br />

des Kindes, Verhaltensauffälligkeiten oder psy<strong>ch</strong>osomatis<strong>ch</strong>en Symptomen<br />

kommen.<br />

Multiprofessionelle Teams<br />

Die si<strong>ch</strong> verändernden und zunehmenden Anforderungen an die Tragfähigkeit<br />

und Problemlösefähigkeit der S<strong>ch</strong>ulen führen dazu, dass nebst dem Lehrberuf<br />

au<strong>ch</strong> weitere Professionen (z.B. Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Heilpädagogik)<br />

in den S<strong>ch</strong>ulteams vertreten sind. Zudem erwerben immer mehr Lehrpersonen<br />

Zusatzqualifikationen und spezialisieren si<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedenen Berei<strong>ch</strong>en (z.B.<br />

Begabungsförderung, Deuts<strong>ch</strong> als Zweitspra<strong>ch</strong>e, Interkulturelle Pädagogik). Dies<br />

bedeutet, dass professionell unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> qualifizierte Fa<strong>ch</strong>leute si<strong>ch</strong> gemeinsam<br />

am Bewältigen einer Aufgabe beteiligen und zusammenarbeiten. Multiprofessionelle<br />

Teams können aufgrund ihres breiten Kompetenzspektrums komplexe<br />

Aufgaben erfolgrei<strong>ch</strong>er lösen, brau<strong>ch</strong>en dazu aber geeignete Rahmenbedingungen<br />

(z.B. Zeitgefässe für Abspra<strong>ch</strong>en). Die Zusammenarbeit in multiprofessionellen<br />

Teams stellt hohe Anforderungen an die Kooperationsfähigkeit der Beteiligten<br />

sowie an die Koordinationskompetenz der S<strong>ch</strong>ulleitungen.<br />

Pädagogik der Vielfalt<br />

Der Vorstellung einer inklusiven «S<strong>ch</strong>ule für alle» entspri<strong>ch</strong>t die Pädagogik der<br />

Vielfalt. Sie beinhaltet eine Abkehr von dualistis<strong>ch</strong>en und hierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Einteilungen<br />

(Frauen vs. Männer, Ni<strong>ch</strong>tbehinderte vs. Behinderte, Einheimis<strong>ch</strong>e vs.<br />

Fremde, Ho<strong>ch</strong>begabte vs. S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>begabte). Dabei wird Vielfalt weder negiert<br />

no<strong>ch</strong> als Defizit interpretiert oder als Differenz betont, sondern sie wird als glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigtes<br />

Miteinander des Vers<strong>ch</strong>iedenen gesehen. Das Konzept der Pädagogik<br />

der Vielfalt geht hervor aus dem Zusammendenken von Ansätzen wie der<br />

Koedukation (von Knaben und Mäd<strong>ch</strong>en), der interkulturellen Pädagogik (für Einheimis<strong>ch</strong>e<br />

und [fremdspra<strong>ch</strong>ige] Zugewanderte) und des integrativen Unterri<strong>ch</strong>ts<br />

(mit Behinderten und Ni<strong>ch</strong>t-Behinderten), die si<strong>ch</strong> jeweils nur mit einem Aspekt<br />

der Vers<strong>ch</strong>iedenheit auseinandersetzen. Die Pädagogik der Vielfalt berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> die → Heterogenität der Lerngruppen und stellt si<strong>ch</strong> auf die Vers<strong>ch</strong>iedenheit<br />

der S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler ein. Dies setzt Zuständigkeit und Tragfähigkeit,<br />

Zusammenarbeit in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> qualifizierten Teams und Kooperation<br />

mit den Eltern voraus. Pädagogik der Vielfalt umfasst auf der Haltungsebene<br />

die Bereits<strong>ch</strong>aft zu Beziehung und Bindung, Vertrauen und Zumutung, auf der<br />

didaktis<strong>ch</strong>en Ebene ein ko-konstruktives Verständnis von Kompetenzaufbau und<br />

auf der organisatoris<strong>ch</strong>en Ebene viel Flexibilität in der Zusammensetzung der<br />

Lerngruppen und der Zusammenarbeit der Teams.<br />

Pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik<br />

Pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik war in vorwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Ausprägung s<strong>ch</strong>on immer<br />

Bestandteil des pädagogis<strong>ch</strong>en Handelns. Sie umfasst alle diagnostis<strong>ch</strong>en Tätigkeiten,<br />

dur<strong>ch</strong> die bei einzelnen Lernenden und/oder in Lerngruppen Bedingungen<br />

erfasst, Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt werden, um<br />

individuelles Lernen zu verstehen, zu bewerten und zu optimieren. Unter diagnostis<strong>ch</strong>er<br />

Tätigkeit wird dabei ein Vorgehen verstanden, in dem (mit oder ohne<br />

18 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


diagnostis<strong>ch</strong>e Instrumente) Lernen beoba<strong>ch</strong>tet und befragt wird und die Beoba<strong>ch</strong>tungs-<br />

und Befragungsergebnisse interpretiert und mitgeteilt werden, um Verhalten<br />

zu bes<strong>ch</strong>reiben, Gründe für dieses Verhalten zu erläutern und / oder künftiges<br />

Verhalten vorherzusagen. Die Hauptaufgabe der Pädagogis<strong>ch</strong>en Diagnostik<br />

besteht darin, für den Lernenden und seine Lernentwicklung – im Sinn individualisierter<br />

→ Begabungsförderung – ri<strong>ch</strong>tige Ents<strong>ch</strong>eidungen zu treffen.<br />

Dabei steht die pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik als Kernkompetenz der Lehrperson<br />

in engem Zusammenhang mit dem S<strong>ch</strong>affen und der professionellen Reflexion<br />

einer förderorientierten und begabungsfördernden Lernkultur, der Erfassung individueller<br />

Leistungen und einer formativen Rückmeldekultur.<br />

Pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik wird oft in Zusammenhang mit Förderdiagnostik<br />

gebra<strong>ch</strong>t, die Lernwege und Entwicklungen der S<strong>ch</strong>üler/innen im Verlauf des<br />

Lernens (als Prozessdiagnostik) begleiten und die Lernprozesse individuell optimal<br />

gestalten will. Dialogis<strong>ch</strong>es Lernen, Lernvereinbarungen, Lerncoa<strong>ch</strong>ing und<br />

das Lernen mit Entwicklungsportfolios können Ausdruck einer Lernprozes<strong>sg</strong>estaltung<br />

sein, in der Lernen und Lernergebnisse individuell bespro<strong>ch</strong>en und – im<br />

Sinn pädagogis<strong>ch</strong>er Förderdiagnostik – zum Au<strong>sg</strong>angspunkt fürs weitere Lernen<br />

werden. Sie können wertvolle Instrumente der pädagogis<strong>ch</strong>en Diagnostik und der<br />

darauf aufbauenden Lernberatung sein.<br />

Einseitige Orientierung an Methoden der Bere<strong>ch</strong>tigungs- und Selektionsbeurteilung<br />

haben in den vergangenen Jahren die Weiterentwicklung didaktis<strong>ch</strong> und<br />

s<strong>ch</strong>üler-orientierter pädagogis<strong>ch</strong>er Diagnostik stark behindert. Dur<strong>ch</strong> die Didaktik<br />

der Heterogenität erhält sie ihre Bedeutung als berufli<strong>ch</strong>e Kernkompetenz der<br />

Lehrpersonen zurück.<br />

Portfolio<br />

Zur Funktion von Portfolios gibt es vers<strong>ch</strong>iedene Auffassungen. Für die einen ist<br />

es eher eine Dokumentation des Lernprozesses, für die anderen ist es eher eine<br />

Sammlung von Meisterstücken. Für S<strong>ch</strong>ulen, die S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler beim<br />

Lernen beratend und beurteilend unterstützen wollen, ist das Portfolio ein Dokumentations-<br />

und Reflexionsinstrument für die individuelle Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Lernens.<br />

Es ist eine begründete, exemplaris<strong>ch</strong>e und kontinuierli<strong>ch</strong> zusammengestellte<br />

Sammlung von Arbeiten der vers<strong>ch</strong>iedensten Stadien und von Reflexionen und<br />

Beurteilungen von Lehrenden und Lernenden. Mit Hilfe des Portfolios setzen si<strong>ch</strong><br />

die S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler mit der Qualität ihres Lernens auseinander, stärken<br />

ihr Selbstbewusstsein und ihre Lernmotivation.<br />

Potenzial<br />

Als Potenzial (von lat. potentia = Stärke, Ma<strong>ch</strong>t) werden Entwicklungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

resp. no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t au<strong>sg</strong>es<strong>ch</strong>öpfte Fähigkeiten zur Entwicklung bezei<strong>ch</strong>net. Dabei<br />

entstehen Potenziale aus der biographis<strong>ch</strong>en Verbindung von vererbten Dispositionen<br />

und bereits erfolgten Lernprozessen. Aus Potenzialen können – bei entspre<strong>ch</strong>ender<br />

Erfahrung, Förderung von aussen und innerer Beteiligung (Motivation /<br />

Volition) – (Ho<strong>ch</strong>-)Leistungen oder bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Leistungsfreude,<br />

Leistungswille) entstehen. Potenziale sind deshalb in einem gewissen<br />

Rahmen dynamis<strong>ch</strong> und veränderbar.<br />

Die Potenzialanalyse misst den aktuellen Entwicklungsstand im Sinn einer<br />

Momentaufnahme. Darunter wird eine strukturierte Untersu<strong>ch</strong>ung auf das Vorhandsein<br />

bestimmter Fähigkeiten (Stärken und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en) verstanden, um Au<strong>sg</strong>angspunkte<br />

zur Förderung zu finden. Die Potenzialanalyse nutzt dazu vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Erfassungsmögli<strong>ch</strong>keiten: Dazu gehören sowohl Messinstrumente, die das<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

19


Kind selber ausfüllt, wie sol<strong>ch</strong>e, bei denen die Eins<strong>ch</strong>ätzung von Eltern, Lehrpersonen<br />

oder sonstigen Fa<strong>ch</strong>personen erforderli<strong>ch</strong> ist, aber au<strong>ch</strong> Testverfahren, die<br />

einzelne Fähigkeitsberei<strong>ch</strong>e zu erfassen vermögen. Das Ziel besteht immer in der<br />

Abs<strong>ch</strong>ätzung eines Ist-Zustandes oder in der Vorhersage dessen, was mögli<strong>ch</strong><br />

oder wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ist.<br />

Eine s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Entspre<strong>ch</strong>ung mag in den zunehmenden S<strong>ch</strong>ulentwicklungen<br />

gesehen werden, in denen versu<strong>ch</strong>t wird, etwa anhand von Lernstandanalysen,<br />

mittels Entwicklungsportfolios oder dur<strong>ch</strong> lernprozessbegleitende Lernberatung<br />

mit den Lernenden zusammen Potenziale für eine vertiefte Förderung ihrer Begabungspotenziale<br />

zu entdecken. (→ Pädagogis<strong>ch</strong>e Diagnostik)<br />

Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Diagnostik<br />

Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Diagnostik will unter Zuhilfenahme besonderer Verfahren zielgeri<strong>ch</strong>tete<br />

Informationen über die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Merkmale eines (oder mehrerer)<br />

Mens<strong>ch</strong>en gewinnen. Der Prozess psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Diagnostik umfasst die Klärung<br />

der Fragestellung, die Auswahl, Anwendung und Auswertung einzusetzender<br />

Verfahren, der Interpretation und Guta<strong>ch</strong>tenerstellung sowie die Festlegung<br />

von Interventionen. Dabei interessiert ni<strong>ch</strong>t nur das Bes<strong>ch</strong>reiben und Erklären,<br />

sondern besonders das Messen psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er bzw. psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Phänomene.<br />

Im psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong> diagnostis<strong>ch</strong>en Verfahren nehmen Tests denn au<strong>ch</strong> eine wi<strong>ch</strong>tige<br />

Stellung ein. Diese wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und standardisierten Routineverfahren<br />

haben die Untersu<strong>ch</strong>ung eines oder mehrerer empiris<strong>ch</strong> abgrenzbarer Persönli<strong>ch</strong>keitsmerkmale<br />

im Fokus mit dem Ziel einer mögli<strong>ch</strong>st quantitativen Aussage über<br />

den Grad der individuellen Merkmalsausprägung in Bezug auf eine Verglei<strong>ch</strong><strong>sg</strong>ruppe.<br />

Standardisierte Testbedingungen sollen dabei die überindividuelle Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

der Ergebnisse ermögli<strong>ch</strong>en und Störeffekte auss<strong>ch</strong>alten.<br />

Ein typis<strong>ch</strong>es Beispiel für den Einsatz eines psy<strong>ch</strong>ometris<strong>ch</strong>en Tests im Berei<strong>ch</strong><br />

der Begabtenförderung ist etwa der Einsatz des HAWIK IV-Intelligenztests zur<br />

Erfassung des IQ als Personenmerkmal und Teil-Indikator für hohe intellek tuelle<br />

→ Begabung.<br />

Über Tests hinaus verfügt die psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Diagnostik über weitere Verfahren<br />

wie die Anamneseerhebung, sowie vers<strong>ch</strong>iedene Verfahren der Exploration<br />

oder Verhaltensbeoba<strong>ch</strong>tung. Im Gegensatz zur Förderdiagnostik, die Lernprozesse<br />

und Entwicklungsverläufe in der Regel näher begleitet, bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong><br />

die psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Diagnostik oft auf die Feststellung eines Befundes zu einem<br />

bestimmten Erhebungszeitpunkt.<br />

Pull-out<br />

Angebote, die anstelle des Regelunterri<strong>ch</strong>ts stattfinden. Die Lernenden verlassen<br />

den regulären Unterri<strong>ch</strong>t, um bestimmte Themenberei<strong>ch</strong>e selbständig oder<br />

in einer Lerngruppe zu bearbeiten. Pull-out-Angebote können einen mehr oder<br />

weniger direkten Bezug zum regulären Unterri<strong>ch</strong>t haben oder völlig unabhängig<br />

davon sein. Sie können s<strong>ch</strong>ulhaus- oder s<strong>ch</strong>ulstufenübergreifend organisiert<br />

werden.<br />

S<strong>ch</strong>ulentwicklung<br />

Weit gefasst meint der Begriff die laufende, dur<strong>ch</strong> den gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wandel<br />

bedingte, Veränderung der S<strong>ch</strong>ule. Präziser gefasst ist damit die willentli<strong>ch</strong>e und<br />

systematis<strong>ch</strong>e Weiterentwicklung des S<strong>ch</strong>ulsystems und der Einzel<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> gemeint.<br />

Auf der Ebene der Einzel<strong>s<strong>ch</strong>ule</strong> s<strong>ch</strong>liesst der Begriff die Organisation-, Personal-<br />

20 Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung


und oft au<strong>ch</strong> → die Unterri<strong>ch</strong>tsentwicklung mit ein. In der Regel hat S<strong>ch</strong>ulentwicklung<br />

zum Ziel, das Lernangebot für S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler zu verbessern,<br />

und au<strong>ch</strong> die Professionalität der S<strong>ch</strong>ule und ihres Personals zu fördern.<br />

S<strong>ch</strong>ulentwicklung umfasst Leitbildprozesse, S<strong>ch</strong>ulprogrammgestaltung, Umsetzung<br />

von Systemreformen, Ablaufoptimierung sowie die Verarbeitung interner<br />

und externer Evaluationsergebnisse. Die Umsetzung einer systemis<strong>ch</strong> konzipierten<br />

Begabungsförderung setzt S<strong>ch</strong>ulentwicklungsprozesse voraus beziehungsweise<br />

in Gang. S<strong>ch</strong>ulen gestalten dabei ihre Organisation, S<strong>ch</strong>ulkultur, Zusammenarbeit<br />

und den Unterri<strong>ch</strong>t so um, dass Begabungen entdeckt, geweckt und<br />

gefördert werden können.<br />

Talent<br />

Im deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Diskurs um Begabungen werden die beiden Begriffe «Begabung»<br />

und «Talent» oft synonym benutzt. Meist im Sinn einer förderbaren Anlage<br />

eines Mens<strong>ch</strong>en. Etwas differenzierter ers<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> ein Unters<strong>ch</strong>ied aus der<br />

englis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Formulierung «Gifted education» (Förderung von gegebenen<br />

Potenzialen) und «Talent development» (Entwicklung von Begabungen).<br />

In den deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Fa<strong>ch</strong>kreisen wird der Begriff Talent aufgrund seiner<br />

Unpräzisiertheit selten gebrau<strong>ch</strong>t. Er gelangt au<strong>ch</strong> in den mas<strong>sg</strong>ebli<strong>ch</strong>en Begabungskonzepten,<br />

ausser bei François Gagné, ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung. Gagné geht<br />

davon aus, dass Begabungen dur<strong>ch</strong> Förderprozesse in Talente (Ho<strong>ch</strong>leistungsverhalten)<br />

transformiert werden. Mit dieser Festlegung steht er aber alleine da.<br />

Weil sowohl die Begriffe «Begabung» wie «Talent» re<strong>ch</strong>t unspezifis<strong>ch</strong> benutzt<br />

werden, wird eine alternative Unters<strong>ch</strong>eidung in die Begriffe «Begabungspotenziale»<br />

(für die förderbaren Voraussetzungen der Lernenden) und «Ho<strong>ch</strong>leistung»<br />

(als realisierte Leistung) in der Begabungsdiskussion vorges<strong>ch</strong>lagen.<br />

Twice-exceptional<br />

Als «twice-exceptional students» bezei<strong>ch</strong>net man S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler, die<br />

in mehrfa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t den Normvorstellungen ni<strong>ch</strong>t entspre<strong>ch</strong>en, weil sie ho<strong>ch</strong>begabt<br />

und glei<strong>ch</strong>zeitig von einer Behinderung betroffen sind. Ihre Identifikation<br />

kann s<strong>ch</strong>wierig sein, weil das Entwicklungs- und Lernpotential aufgrund der<br />

Behinderung übersehen wird oder weil die Beeinträ<strong>ch</strong>tigung aufgrund hoher Leistungen<br />

ni<strong>ch</strong>t erkannt wird. Eine sorgfältige und umfassende Abklärung und darauf<br />

aufbauende Förderplanung kann verhindern, dass es zu einem → Misfit kommt.<br />

Unterri<strong>ch</strong>tsentwicklung<br />

Im Rahmen der S<strong>ch</strong>ulentwicklung wird au<strong>ch</strong> der Unterri<strong>ch</strong>t zum Gegenstand<br />

gemeinsamer Reflexion und Weiterentwicklung. Im Zentrum des Na<strong>ch</strong>denkens<br />

über Unterri<strong>ch</strong>t steht die Frage, wie die Lernangebote und die Mögli<strong>ch</strong>keiten für<br />

S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler, diese Lernangebote zu nutzen, verbessert werden können.<br />

Unterri<strong>ch</strong>tsentwicklung erfolgt unter Einbezug von Erfahrungen der beteiligten<br />

Lehrpersonen und gestützt auf Ergebnisse aus Fors<strong>ch</strong>ung und Fa<strong>ch</strong>literatur;<br />

sie kann dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ulinterne Weiterbildung, Beratung oder den Austaus<strong>ch</strong> mit<br />

anderen Lehrteams unterstützt werden.<br />

Netzwerk Begabungsförderung — Erfordernisse und Perspektiven für wirksame Begabungsförderung<br />

21


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Impressum<br />

Aarau, 2013<br />

Netzwerk Begabungsförderung<br />

c /o SKBF<br />

Entfelderstr. 61, 5000 Aarau<br />

www.begabungsfoerderung.<strong>ch</strong><br />

Das Papier wurde im Austaus<strong>ch</strong> mit den kantonalen Projektverantwortli<strong>ch</strong>en im<br />

Netzwerk Begabungsförderung verfasst von:<br />

Silvia Grossenba<strong>ch</strong>er (Koordinatorin Netzwerk Begabungsförderung),<br />

Brigitte Mühlemann, Victor Müller-Oppliger, Wolfgang Stern, Annette Tettenborn,<br />

Urs Wilhelm (Mitglieder der Begleitgruppe im Netzwerk Begabungsförderung)<br />

Gestaltung und Satz: belle vue, Sandra Walti Niklaus, Aarau<br />

Fotografie: Siggi Bu<strong>ch</strong>er, Züri<strong>ch</strong><br />

Druck: rb druck ag, S<strong>ch</strong>enkon

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