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Ein Dunst<br />
Der Deinen Namen trägt<br />
Der Scheißdunst.<br />
Sa. 10.08.2013<br />
Tag 12, Km 85 – 30, Dunst<br />
Er folgt Dir hinterher<br />
wohin immer Du auch gehst!<br />
Früher Ausritt, um in Sulomaj an Land zu gehen<br />
und zu versuchen, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen.<br />
Nach ca. 10 km tauchen am rechten<br />
Ufer die ersten Häuser und die üblichen zerdengelten<br />
metallenen Motorboote auf.<br />
Sulomai: postapokalyptische Szenerie aus abgebrannten,<br />
verfallenen und noch bewohnten Hütten<br />
in einer von halbwilden Hunden durchstreunten<br />
und von Müll übersäten Schlammlandschaft.<br />
Krass. Wir wurden schon in Baikit davor gewarnt,<br />
dass der Ort unter keinem guten Stern stünde<br />
und die Einwohner hauptsächlich damit beschäftigt<br />
seien, sich gegenseitig zu beklauen,<br />
wenn sie nicht gerade zu besoffen dazu seien.<br />
Eigentlich hatten wir auch vor, einen weiten Bogen<br />
um den Ort zu machen, aber der Dunst hat<br />
seine eigenen Gesetze...<br />
Piet stolpert also vorsichtig über den<br />
„Bürgersteig“ aus Holzbohlen in Richtung des<br />
örtlichen Geschäfts, eine Hand der ganzen Köter<br />
wegen immer am Pfefferspray. In der Mitte der<br />
„Hauptstraße“, auf halben Wege vom Fluss einen<br />
ziemlich steilen Berg hinauf, donnert der Dieselgenerator,<br />
der das Nest mit Strom versorgt.<br />
Sulomaj ist sozusagen die Hauptstadt des noch<br />
etwa 600 Seelen starken Mini-Volkes der Keten,<br />
die durch einige schon mittags um zwei schwer<br />
angeschlagene Gestalten vor dem Geschäft vertreten<br />
sind. Unter ihnen eine ca. 150-jährige winzige<br />
Oma in buntem chinesischen Plüschmorgenrock<br />
und Gummistiefeln, die sich auf eine selbstgeschnittene<br />
Birkenrute stützt und sich prompt mit<br />
einer dazukommenden, auf den ersten Blick<br />
„normalen“, Russin zu prügeln anfängt. Piet<br />
kommt nicht in den Laden, während sich die beiden<br />
mit ihren jeweiligen Gehstöcken beharken<br />
und unflätig beschimpfen, und sein vorsichtiges<br />
„Aber meine Damen...!“ verhallt ungehört. Erst<br />
die Verkäuferin kann die beiden trennen. Es stellt<br />
sich heraus, dass die Russin auch ohne Alkohol<br />
erhebliche Schlagseite hat. Sie bekreuzigt Piet<br />
und erklärt mir, dass sie ein neues Haus brauche,<br />
um als Prophetin Jesu die Menschen um sich zu<br />
scharen, denn siehe: Die Zeit ist nahe!<br />
Tatsächlich scheint das Ende der Welt in Sulomaj<br />
schon einige Tage in der Vergangenheit zu liegen.<br />
Ein völlig verrosteter und verbeulter Trecker ohne<br />
Fenster, Motorabdeckung oder Kotflügel bläst<br />
eine große schwarze Rußwolke in den grauen<br />
Dunst. Neben dem Laden steht eine glänzend polierte,<br />
offenbar funkelnagelneue Granitplatte für<br />
die Helden des Großen Vaterländischen Krieges,<br />
daneben aber schwelt in der Mitte eines Platzes<br />
ein stattlicher Haufen Müll und verbreitet beißenden<br />
Gestank. Auch der obligatorische bunte, eigentlich<br />
recht schicke Einheitskinderspielplatz ist<br />
nicht weit; daneben verfällt ein leerstehendes<br />
Haus. Gruseliger Scheiß.<br />
Es findet sich niemand, der uns die 80 km bis zum<br />
Yenissey fahren will. Ein freundlicher Opa, der<br />
im Fluss seine Wäsche wäscht, nimmt Piet in<br />
Schlepptau und versucht es noch in ein paar Häusern,<br />
allerdings ohne Erfolg. In einem Schuppen<br />
sitzen zwei Männer und bereiten Самоловы vor –<br />
Grundangeln mit bis zu mehreren hundert riesigen<br />
Haken an kleinen Schwimmern, mit denen Stör<br />
gewildert wird. Die Fische verfangen sich auf ihrem<br />
Weg Flussaufwärts in den Haken – ziemlich