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Zum Leben im Feriendorf - Gmv-lindenberg.de

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27 Jahre <strong>Leben</strong> <strong>im</strong> Familienferiendorf<br />

Von Gerhard Fey, von 1960 bis 1987 Leiter <strong>de</strong>s Familienferiendorfs<br />

Damals, 1958, bewiesen die Lin<strong>de</strong>nberger erstaunlich viel Mut, als ihr Stadtrat einst<strong>im</strong>mig<br />

beschloss, <strong>de</strong>n Bau einer <strong>Feriendorf</strong>anlage auf <strong>de</strong>m Na<strong>de</strong>nberg zu genehmigen, wie es sie<br />

in dieser Art und Größe hierzulan<strong>de</strong> noch nicht gab. Was heutzutage nichts Sensationelles<br />

mehr ist, rückte vor zwanzig, dreißig Jahren plötzlich die Stadt sehr stark ins Interesse <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Öffentlichkeit. Sie sagte ja zur Absicht <strong>de</strong>r Stiftung „Hilfswerk Berlin“, mit<br />

Mitteln <strong>de</strong>r ARD–Fernsehlotterie Berliner Familien aus <strong>de</strong>r Enge ihrer Stadt zur Erholung<br />

ins stille Westallgäu zu schicken. Das inspirierte dann einige Lin<strong>de</strong>nberger dazu, <strong>im</strong><br />

Bewusstsein <strong>de</strong>r allbekannten verbalen Treffsicherheit <strong>de</strong>r künftigen Gäste, <strong>de</strong>m Bauplatz<br />

einen neuen Namen zu geben, <strong>de</strong>r an Schlagfertigkeit <strong>de</strong>n Berlinern nichts schuldig blieb:<br />

„Schnauzebuckel“.<br />

Als es dann ab Mai 1960 Woche für Woche –von Januar bis Oktober, ebenso<br />

Weihnachten– die Großstädter mit Kind und Kegel in Röthenbach aus <strong>de</strong>m Son<strong>de</strong>rzug<br />

stiegen und sich jeweils drei Wochen buchstäblich „unters Volk mischten“ –da sie ja ohne<br />

Auto waren– mit Kleinstkin<strong>de</strong>rsulkys, bei je<strong>de</strong>m Wetter in Gummistiefeln und gelben<br />

„Friesennerzen“, war <strong>de</strong>r Spottname bald vergessen. Der Na<strong>de</strong>nberg blieb, was er war und<br />

wur<strong>de</strong>, auch für Einhe<strong>im</strong>ische, gar ein noch besserer Erholungsplatz, <strong>de</strong>n man <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>de</strong>r gern vorzeigt, wo auch in die Häuschen eingela<strong>de</strong>n wird und gemeinsam große und<br />

kleine Feste gefeiert wer<strong>de</strong>n, die wegen ihrer Herzlichkeit und gegenseitigen<br />

Aufgeschlossenheit gern mitgemacht wer<strong>de</strong>n. Bis dato (1987) konnten sich über 150 000<br />

Väter, Mütter, Kin<strong>de</strong>r und Senioren aus <strong>de</strong>r großen Stadt auf <strong>de</strong>m Na<strong>de</strong>nberg erholen.<br />

Die wichtigsten Entwicklungsdaten: 13. September 1958 Grundsteinlegung, in<br />

Anwesenheit <strong>de</strong>s Bayerischen Ministerpräsi<strong>de</strong>nten Dr. Sei<strong>de</strong>l; 5. Mai 1960 Ankunft <strong>de</strong>r<br />

ersten 25 Berliner Familien; 15. Mai 1960 feierliche Einweihung, <strong>de</strong>r Regieren<strong>de</strong><br />

Bürgermeister Berlins, Willy Brandt, sagte danke schön! 26. Juni 1963 Erweiterung <strong>de</strong>s<br />

Dorfes auf 108 Häuser mit 552 Betten, ferngeheizt und alle mit komplett eingerichteten<br />

Küchen und mo<strong>de</strong>rnen Nasszellen ausgestattet. Danach ständige Erneuerungen,<br />

Verbesserungen und Sanierungen, um höherem Standard gerecht zu bleiben. Wie stark das<br />

Dorf das Interesse, beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n ersten Jahren, weckte, zeigt ein Blick in das „Buch <strong>de</strong>r<br />

Ehrengäste“: Abgeordnete und Präsi<strong>de</strong>nten verschie<strong>de</strong>ner Parlamente,


Regierungspräsi<strong>de</strong>nten und Senatoren, Minister und Ministerpräsi<strong>de</strong>nten, einmal <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt. Bei <strong>de</strong>n Empfängen war je<strong>de</strong>s Mal das halbe Westallgäu be<strong>im</strong> „großen<br />

Bahnhof“ mit Presse, Funk und Fernsehen auf <strong>de</strong>n Beinen; unvergesslich und Höhepunkt<br />

bleiben die Stun<strong>de</strong>n, als zum 17. Juni 1962 unter <strong>de</strong>n Lin<strong>de</strong>nbergern und Berlinern<br />

Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt Dr. Heinrich Lübke mit Frau Wilhelmine weilte.<br />

Überzeugen wollte man sich auch, ob das aus <strong>de</strong>m Rahmen <strong>de</strong>s üblichen Frem<strong>de</strong>nverkehrs<br />

herausragen<strong>de</strong> Konzept gelungen war, zusätzlich <strong>im</strong> Urlaub noch sozialpolitische und<br />

familienför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Akzente setzen zu können. Mit Genugtuung kann nach 27 Jahren<br />

festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass trotz mancher gesellschaftlicher Verän<strong>de</strong>rungen und<br />

Erschütterungen und oft gar familienfeindlicher Ten<strong>de</strong>nzen nicht von <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

„gemeinnützigen“ Linie <strong>de</strong>s <strong>Feriendorf</strong>s abgewichen wur<strong>de</strong>, dies auch zum Wohle <strong>de</strong>s<br />

Westallgäus. Die knapp 100 000 Übernachtungen bringen Jahr für Jahr <strong>de</strong>m<br />

Frem<strong>de</strong>nverkehr einen erheblichen und sicheren Zuwachs und dies fast selbsttätig.<br />

Wichtiger noch ist jedoch <strong>de</strong>r Brückenschlag in und zu diesem beson<strong>de</strong>ren<br />

Familienferiendorf, untereinan<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Urlauberfamilien und zu an<strong>de</strong>ren drum herum,<br />

auch <strong>im</strong> ganzen Land. Unzählige Geschichten in <strong>im</strong>mer neuen Variationen sind darüber<br />

aufgeschrieben wor<strong>de</strong>n, alle voller Freundlichkeiten und Zeichen von Verständnis und<br />

Witz. Jahrelang veröffentlichte „Der Westallgäuer“ die schönsten Erlebnisse unter <strong>de</strong>r<br />

Rubrik „Neues vom Na<strong>de</strong>nberg“ und pflegte damit sehr wesentlich die <strong>im</strong>mer besser<br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kontakte. Die vielfältigen Beziehungen, Freundschaften, ja<br />

Familiengründungen, von <strong>de</strong>nen man hört, zeugen von einer beispielhaften<br />

„Städtepartnerschaft“, ohne dass diese offiziell hätte begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n müssen. Und die<br />

Werbung „Berlin ist eine Reise wert!“ ist hierzulan<strong>de</strong> nicht nötig. Man müsste eher fragen,<br />

welcher Westallgäuer war noch nicht in Berlin? Wer erinnert sich nicht von <strong>de</strong>nen, die<br />

dabei waren, an die gewaltigen Wie<strong>de</strong>rsehensfeiern <strong>de</strong>r Feriendörfler in <strong>de</strong>n Sälen <strong>de</strong>r<br />

„Neuen Welt“ und an zwei Tagen hintereinan<strong>de</strong>r <strong>im</strong> „Sportpalast“ in Berlin, zu <strong>de</strong>nen<br />

einige <strong>de</strong>r hiesigen Musikgruppen eingela<strong>de</strong>n waren, die übrigens mit noch vielen an<strong>de</strong>ren<br />

seit 1960 alle drei Wochen abwechselnd <strong>de</strong>n Gästen auf <strong>de</strong>m Na<strong>de</strong>nberg ein Konzert ohne<br />

Honorar widmen, zusätzlich zu <strong>de</strong>n 14 Tanzaben<strong>de</strong>n und Kin<strong>de</strong>rfesten mit <strong>de</strong>m<br />

„Tatzelwurm vom Na<strong>de</strong>nberger Turm“ durchs Jahr hindurch! Einmal konnte auch eine<br />

komplette Blasmusikkapelle auf eine <strong>de</strong>r <strong>im</strong>mer vorgebrachten Einladungen zum<br />

Gegenbesuch eingehen und verlebte unvergessliche Tage <strong>im</strong> Berliner Privatquartier. Das<br />

gleiche Glück hatten die Lin<strong>de</strong>nberger Schüler, die be<strong>im</strong> Stadtjubiläum mit einem<br />

Luftballonwettbewerb die Reise gewonnen hatten; ein voller Bus fuhr nach Berlin. Und <strong>im</strong><br />

letzten Juli begab sich die hiesige Volkshochschule zur 750-Jahr-Feier nach Berlin und


nahm als Westallgäuer Jubiläumsgruß für <strong>de</strong>n „Historischen Jahrmarkt“ auf <strong>de</strong>r „Straße<br />

<strong>de</strong>s 17. Juni“, zwischen Bran<strong>de</strong>nburger Tor und Siegessäule, aus Weiler eine<br />

Strohhutnäherin zur Demonstration ihrer Kunst und von Lin<strong>de</strong>nberg einige<br />

Eisstockschützen mit ihrer Zielanlage mit.<br />

Nicht allein <strong>de</strong>r überraschen<strong>de</strong> Gleichklang Westallgäuer und Berliner Wesensart trug zur<br />

glücklichen Wirksamkeit <strong>de</strong>s Erholungswerks <strong>de</strong>r Stiftung bei, son<strong>de</strong>rn ebenso gute<br />

Voraussetzungen bei <strong>de</strong>r Planung mit einer erstaunlich raschen Genehmigung und<br />

För<strong>de</strong>rung durch alle amtlichen Instanzen und nicht zuletzt <strong>de</strong>r zwar beschwerliche, doch<br />

schließlich erfolgreiche Aufbau eines kleinen begeisterten und begeistern<strong>de</strong>n<br />

Mitarbeiterstammes.<br />

Die Pflege einer wirklich familienfreundlichen Atmosphäre mit <strong>de</strong>m „guten Bespiel“ <strong>im</strong><br />

ganzen Dorf ist die Hauptaufgabe. Das Dorfkl<strong>im</strong>a soll <strong>im</strong> konfliktärmeren Urlaub<br />

unsichtbar ermutigen, <strong>im</strong> Wechsel von notwendigem Alleinsein und Miteinan<strong>de</strong>r neue<br />

Kraft zu sammeln für <strong>de</strong>n belasteten Familienalltag in <strong>de</strong>r Großstadt. Selbstverständlich<br />

wer<strong>de</strong>n auch nach <strong>de</strong>m Motto „Je<strong>de</strong>r kann, keiner muss“ in kleinen Einführungen <strong>de</strong>n<br />

Neueingetroffenen eine Fülle von Wan<strong>de</strong>r-, Sport-, Spiel-, Bastel-, gar Koch-Aktivitäten<br />

mit einhe<strong>im</strong>ischen Gerichten sowie viele an<strong>de</strong>re Allgäu-Informationen angeboten –<br />

Langeweile kann auch bei schlechtem Wetter nicht aufkommen. Zur Seite stehen dabei <strong>de</strong>n<br />

Na<strong>de</strong>nberger Mitarbeitern einhe<strong>im</strong>ische Kräfte, helfen herzlich, wo es nur geht, auch die<br />

Bauern, Käsmacher, Huthersteller und an<strong>de</strong>re Gönner. Alle tragen dazu bei, dass auch in<br />

Zukunft „unsere Berliner“ mit <strong>de</strong>m Wunsch eines baldigen Wie<strong>de</strong>rsehens erholt<br />

he<strong>im</strong>fahren. Die meisten Gäste konnten sich diesen Wunsch schon erfüllen, viele davon<br />

waren als Kleine in <strong>de</strong>r ersten Zeit mitgefahren und kommen nun als eigene Familie<br />

wie<strong>de</strong>r.<br />

Den Lin<strong>de</strong>nbergern aber spürt man <strong>im</strong>mer noch an, dass sie nach wie vor stolz darauf sind,<br />

1958 als erste <strong>de</strong>utsche Stadt <strong>de</strong>n beengten Berlinern bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> entgegengestreckt zu<br />

haben, auch wenn einige verschmitzt vom „Schnauzebuckel“ gesprochen hatten.

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