-Zeitung - GEW
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Schwerpunkt<br />
„Hochschulen müssen Wissensmast überwinden!“<br />
Anmerkungen von Prof. Arnold zur PISA-Kontroverse zwischen Landau und Koblenz<br />
Unter der Überschrift „Doofe Studis<br />
oder schlechte Profs“ hatte in der<br />
letzten <strong>GEW</strong>-<strong>Zeitung</strong> unser Mitarbeiter<br />
Paul Schwarz über eine Kontroverse<br />
zwischen den Hochschullehrern<br />
Roman Heiligenthal (Landau)<br />
und Rudi Krawitz (Koblenz) berichtet,<br />
welche Konsequenzen aus<br />
der PISA-Studie für die Ausbildung<br />
von Lehrkräften zu ziehen seien.<br />
Im folgenden Text nimmt Rolf Arnold<br />
von der Universität Kaiserslautern<br />
aus seiner Sicht Stellung dazu<br />
und skizziert dabei Perspektiven einer<br />
zukunftsgerechten Lehrerbildung.<br />
„Während die PISA-Debatte immerhin<br />
den - hoffentlich andauernden -<br />
Effekt hat, dass die Akteure des Bildungswesens<br />
zumindest anfangen,<br />
nachdrücklicher über notwendige<br />
Reformen nachzudenken, gibt es<br />
Wissenschaftler - wie den Abteilungsleiter<br />
der Landauer Hochschule<br />
-, die sich dem alten, aber selbstgerechten<br />
Spiel des „Haltet den<br />
Dieb“ hingeben: Schuld an der Misere<br />
sind grundsätzlich die anderen,<br />
die Lernenden selbst, die „Spaßgesellschaft“<br />
oder die mit ihr verbundene<br />
Aufweichung der Leistungskultur<br />
- so die bequemen Schuldzuweisungsargumentationen<br />
derer, die sich<br />
selbst nicht infrage stellen und glauben,<br />
ihrerseits bereits alles Erforderliche<br />
für ein nachhaltiges wissenschaftliches<br />
Lernen getan zu haben.<br />
Einer solchen Selbstgerechtigkeit<br />
entgeht, dass auch und gerade die<br />
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen,<br />
die für die Lehrerbildung<br />
verantwortlich sind, in ihrer Lehresoweit<br />
wie möglich - auch das erlebbar<br />
werden lassen müssen, was man<br />
an Lehrformen von den späteren<br />
Lehrerinnen und Lehrern selbst heute<br />
berechtigterweise erwarten muss.<br />
Während das Wissen selbst sich beständig<br />
wandelt und neben den deklarativen<br />
Wissensformen das aktive<br />
Wissen (Argyris) in allen Bereichen<br />
der Gesellschaft an Bedeutung<br />
gewinnt, können Wissenschaftlerin-<br />
nen und Wissenschaftler nicht an<br />
einem „Weiter-so-wie-bisher“ festhalten,<br />
sondern müssen ihre Funktion<br />
als Forschende und Lehrende<br />
weiterentwickeln: Auch wissenschaftliches<br />
Lernen muss als selbstgesteuerte<br />
Aneignung in arrangierten<br />
Lern- und Problemlösungskontexten<br />
gestaltet werden, um so auf den<br />
„Umgang mit Wissen“ (statt auf die<br />
Speicherung von Wissen) professionell<br />
vorzubereiten. Dies erfordert<br />
eine entsprechende Verantwortung<br />
der „Lehrenden“ für das Arrangement<br />
und die Ermöglichung entsprechender<br />
Lernanlässe, und man kann<br />
sich nicht dadurch „herausreden“,<br />
dass man dies „aufgrund ihres Abiturs“<br />
(Heiligenthal) von den Lernenden<br />
erwartet, ohne selbst die eigenen<br />
Lehrformen weiterentwickeln oder<br />
verändern zu wollen.<br />
Die Klage über die nachlassende<br />
Qualität der nachwachsenden Generation<br />
ist so alt wie die akademische<br />
Bildung selbst. Bereits von Sokrates<br />
sind entsprechende Klagen überliefert,<br />
doch zeigt die Debatte der letzten<br />
Jahre auch sehr deutlich, dass von<br />
einem einheitlichen Kompetenzverfall<br />
der Jugend keine Rede sein kann:<br />
SchülerInnen und Studierende können<br />
heute anderes als früher, sie verfügen<br />
über z.T. erstaunliche Selbstorganisationsfähigkeiten,<br />
was die Finanzierung<br />
und Gestaltung ihrer<br />
Lebenswelt betrifft, und im Bereich<br />
der Nutzung und Anwendung der<br />
neuen Technologien hat sich die traditionelle<br />
Arbeitsteilung zwischen<br />
Lehrenden und Lernenden vielfach<br />
schon längst umgekehrt: Es sind heute<br />
an den Hochschulen und Universitäten<br />
zumeist die Studierenden, die<br />
„ihren“ Profs hier erklärend und gestaltend<br />
zur Hand gehen. Und wer<br />
mit seinen Studierenden selbstgesteuerte<br />
Lernprozesse durchläuft, sie<br />
in Projektkontexten an selbstständige<br />
Problembearbeitung „setzt“ 1 , weiß<br />
auch, dass ihm dies zumeist mit einem<br />
erstaunlichen Engagement und<br />
beeindruckenden Arbeitsergebnissen<br />
Prof. Dr. Rolf Arnold: „Auch wissenschaftliches<br />
Lernen muss als selbstgesteuerte<br />
Aneignung in arrangierten<br />
Lern- und Problemlösungskontexten<br />
gestaltet werden, um so auf den „Umgang<br />
mit Wissen“ professionell vorzubereiten.“<br />
„gedankt“ wird. Könnte es nicht sein,<br />
dass die bequeme Klage über das<br />
Nachlassen der Lernenden einen<br />
Sachverhalt beschreibt, der sich bei<br />
genauerer Analyse als Echo auf ein<br />
einfallsloses und seit Jahrzehnten<br />
„starres“ Konzept wissenschaftlicher<br />
Lehre im Sinne einer erschlagenden<br />
und wenig nutzerorientiert didaktisierten<br />
Wissensmast darstellt?<br />
Die konstruktivistische Didaktik gibt<br />
uns eine Fülle von Hinweisen darauf,<br />
dass das Verhalten der Lernenden<br />
auch und in erster Linie durch<br />
die eingeräumten oder eben nicht<br />
eingeräumten Lerngelegenheiten<br />
„konstruiert“, also von den Lehrenden<br />
selbst gemacht ist und eine Lösung<br />
eben nicht durch die Lernenden,<br />
sondern durch die Lehrenden<br />
zu erfolgen hat. Diese müssen ihre<br />
Verantwortung für die Lernchancen<br />
der Studierenden erkennen und dürfen<br />
nicht länger übersehen, dass<br />
überflüssige Lehre auch „eine Lernbehinderung“<br />
(Holzkamp) sein<br />
kann. Es ist erstaunlich, wie wenig<br />
sich die Argumentation eines (Abteilungs-)Leiters<br />
einer ja immerhin leh-<br />
4 <strong>GEW</strong>-<strong>Zeitung</strong> Rheinland-Pfalz 5/2002